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KANADA / CHINAPOLITIK Zwei Unschuldige

aus DER SPIEGEL 18/1969

Eine Nacht lang tanzte er durch die Straßen von Peking. In krachendem Sprühen von Feuerwerk, in wirbelndem Staub von Millionen Füllen feierte der Kanadier Pierre Elliot Trudeau 1960 den elften Jahrestag des Mao-Siegs in China.

Fünf Wochen lang fuhren Maos Propagandisten den hoffnungsvollen Rechtsanwalt und Publizisten aus Montreal -- wie damals jährlich 3000 andere ausgewählte Besucher -- auf Staatskosten von Tschangtschun nach Schanghai, von Kanton nach Peking.

Der Werbeaufwand lohnte sich - Trudeau nach seiner Reise durch Maos Riesen-Reich: »Sollte ich jemals eine Rolle im öffentlichen Lehen spielen, dann werde ich dafür sorgen, daß zwischen Kanada und dem volkreichsten Land dieser Erde wenigstens formale Beziehungen zustande kommen.«

Trudeau hielt sein Versprechen: Im vergangenen Februar ließ er, mittlerweile kanadischer Premierminister, Maos Männer wissen, Kanada sei zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking bereit.

Am 3. April kam Antwort: Bereits im Mai wollen Kanadier und Chinesen bei Vorgesprächen in Stockholm eine »Grundsatz-Diskussion« über beidseitige Anerkennung führen.

Damit ist Kanada der sechste Nato-Partner -- nach Großbritannien, Norwegen, Dänemark, Holland und Frankreich -, der wegen seiner Peking-Politik den Unwillen der USA erregt. Denn für Washington erscheint Maos wachsende Raketenstreitmacht immer noch als ernsthafte Bedrohung und Anlaß zu neuem Wettrüsten.

Schon Trudeaus Vorgänger hatten mit Peking diplomatische Beziehungen aufnehmen wollen. Denn seit fast zehn Jahren ist Kanada Chinas wichtigster Weizenlieferant: Nach den Naturkatastrophen und Mißernten der Hungerjahre 1959 und 1960 schickte das Kornland Kanada 1961 bereits 1,2 Millionen Tonnen Weizen nach China, und Mao zahlte in harten Dollars.

Auch in diesem Jahr kaufen die Chinesen für 106 Millionen Dollar rund zwei Millionen Tonnen in Ottawa (rund ein Prozent der chinesischen Getreide-Produktion). Kaufbedingungen: ein Viertel in bar, der Rest plus Zinsen ist zahlbar in 18 Monaten.

Doch über wirtschaftliche Beziehungen gedieh die kanadisch-chinesische Freundschaft nicht hinaus. Die diplomatische Anerkennung wußte der einflußreiche Nachbar USA stets zu verhindern. Schon 1962 empörte sich Trudeau, inzwischen Professor an der Universität Montreal:« Warum sollen wir uns von Washington vorschreiben lassen, mit wem wir Beziehungen haben dürfen und mit wem nicht?«

Die Kalten Krieger im Pentagon wollten ihren sichersten Bundesgenossen gegen Mao nicht düpieren: Generalissimus Tschiang Kai-schek, 81, Herr über 13,5 Millionen Chinesen auf der Insel Formosa (Taiwan).

Wie einst Ostblock-Anrainer Adenauer, steht Formosa-Kommandant Tschiang -- von Amerika mit schwerstem Kriegsgerät versehen -- in seiner Restheimat auf Vorposten gegen den Weltkommunismus. Wie einst Adenauer, pocht der greise Staatsmann auf Alleinvertretungsrecht.

Noch Anfang April verwarnten die Tschiang-Chinesen auf dem zehnten Parteitag der Kuomintang die Länder des Westens: Taiwan werde sich »jedem Schritt widersetzen, der zu einer Annäherung an das maoistische Regime führen könnte«. Doch die Deklamationen Tschiang Kai-scheks sind nur noch leere Drohungen: Das Interesse des Westens an China hat sich zugunsten Pekings verschoben.

»Wir haben ein wirtschaftliches Interesse daran, mit China Handel zu treiben«, erklärte Premierminister Trudeau Kanadas Fernost-initiative, »und ein politisches, den Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn, vor allem aber denen zwischen China und den USA, aus dem Weg zu gehen.«

Denn im Gegensatz zu Washingtons Establishment glaubt Trudeau nicht an aggressive Festland-Chinesen. In seinem Reisebericht »Zwei Unschuldige in Rotchina« meditierte er: »China ist eher ein angegriffenes Land als Angreifer. In den letzten 125 Jahren wurde es 14mal überfallen.«

Auch fortschrittliche Amerikaner sehen in Formosa, »Amerikas größtem Flugzeugträger« (Trudeau), nur noch ein Requisit einer überholten Strategie: US-Senator Ted Kennedy erklärte letzten Monat in New York: »Wir sollten unsere amerikanische Militärpräsenz von Taiwan abziehen.« Amerikas Interkontinental-Raketen degradieren den alten Mann im Chinesischen Meer zum Statisten.

Für Kanada spielt Tschiang Kaischek diese Rolle schon seit seiner Vertreibung vom Festland. Seit 1949 bestanden zwar die diplomatischen Beziehungen weiter, doch ein kanadischer Botschafter hat Formosa seither nie betreten.

Trudeau 1964: »Es gibt ein Land China, da regiert Mao Tse-tung. Und dann gibt es da noch eine kleine Insel im Chinesischen Meer, und die ist mit Sicherheit nicht China.«

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