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Zweifel an Peng und Puff

Bei der Bekämpfung der Ölbrände in Kuweit suchen die Lösch-Cowboys aus Amerika Konkurrenten vom Brandort fernzuhalten. Doch ihre Löschmethoden gelten als »veraltet«, vor allem aber als »zu langsam«. Jetzt suchen die Kuweiter nach Alternativen. Gute Aussichten hat dabei auch ein deutsches Verfahren: Löschen mit Sand.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Als sei der größte Erfinderwettbewerb des Jahrhunderts ausgeschrieben, setzten sich in den vergangenen Wochen Hunderte von Technikern, Diplomingenieuren und Tüftlern, ergrauten Feuerwehrmännern und frischgekürten Nobelpreisträgern an Zeichentische, Computer und Werkbänke. Die angefertigten Zeichnungen, Skizzen und Modelle versandten sie an Minister, Botschafter und Ölmanager. Absender wie Empfänger fühlen sich berufen, die derzeit größte Brandstelle der Welt zu löschen - die Ölquellen von Kuweit, die Saddam Husseins Truppen bei ihrer Räumung des Golf-Emirats in Brand gesprengt hatten.

Seit Ende Februar dieses Jahres lodern Hunderte orangeroter Feuersäulen am Golf, aus Dutzenden von Bohrlöchern, bei denen »die Flammen mit der Hilfe Allahs« (so ein kuweitischer Ölexperte) »von selbst erloschen«, sprudelt inzwischen Rohöl in den Wüstensand und bildet metertiefe schwarze Seen.

Tag für Tag, schätzten Fachleute des amerikanischen Umweltministeriums nach einer Ortsbesichtigung, transportieren die Flammen etwa 80 000 Tonnen Sott und eine bisher unbekannte Menge giftiger Chemikalien in die Luft. Die Sonne ist in weitem Umkreis verdunkelt, die Luft zum Atmen verdreckt.

Klinikärzte nennen sprunghaft gestiegene Fallzahlen von Lungenentzündungen, Asthma und Bronchitis. »Frauen fällt das Haar aus, Kinder leiden unter Hautekzemen«, berichtet die Fachärztin Fatima Bulbara, die ihre Praxis in der 20 Kilometer südlich von Kuweit-Stadt gelegenen Stadt Ahmadi in unmittelbarer Nähe des Ölfeldes Burgan betreibt. »Ich weiß nicht, ob es an der Luft oder am Wasser liegt«, sagt die Ärztin.

Acht Wochen nachdem die irakischen Invasionstruppen durch das wochenlange Non-Stop-Bombardement und einen 40stündigen Blitzangriff der alliierten Truppen zum Abzug gezwungen wurden, ist in dem ölreichen Wüstenstaat die Lage noch immer verworren, wenn nicht sogar chaotisch: *___Es fehlen noch immer eine genaue Bestandsaufnahme der ____Kriegsschäden sowie erfolgversprechende Pläne, wie sie ____zu beheben seien. *___Unklar ist, wie viele Ölquellen brennen oder ____unkontrolliert ausströmen; Experten schätzen ihre ____Anzahl auf 500 bis 800. *___Konzepte für ein rasches Eindämmen der Brände mit ____gleichzeitiger Sicherung zur Wiederaufnahme der ____Ölförderung sind nicht erkennbar. *___Als Hauptmanager des kuweitischen Aufbaus haben sich ____US-Firmen, vor allem der Bechtel-Konzern, etabliert. ____Die amerikanische Vorherrschaft verhindert oder ____verzögert den Einsatz neuer Löschtechnologien, wie sie ____etwa britische oder deutsche Unternehmen vorgeschlagen ____haben.

Sicher ist nur, daß die Folgen der Umweltkatastrophe längst nicht so regional begrenzt geblieben sind, wie viele Atmosphäreforscher es nach Kriegsende prophezeit hatten. Ende vorletzter Woche warnte etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO Bewohner im Süden des Iran davor, das Regenwasser zu trinken.

Das Wasser, so hatten WHO-Chemiker analysiert, sei nicht nur rußgefärbt, es enthalte auch gesundheitsgefährdende Rückstände wie Blei oder die krebserzeugende Substanz Benzpyren. Und im 2700 Kilometer von der Brandstelle entfernten Kaschmir meldete der zuständige Tourismus-Minister Mohammed Aschraf, daß schwarzer Schnee in 5000 Meter Höhe an den Hängen des Himalaja gefallen sei.

»Die Rolle des Weltpolizisten« wolle Amerika nun wirklich nicht länger übernehmen, versicherte das US-Magazin Newsweek Ende letzten Monats, als das Triumphgeschrei über den besiegten Saddam Hussein abzuflauen begann. Doch gegen die Übernahme der friedfertigen »Rolle als Weltfeuerwehrmann« sei wohl nichts einzuwenden, zumal Amerika diesen Part »schon fest vereinnahmt« habe.

Der Stolz der Newsweek-Redakteure galt jenen sogenannten Spezialisten aus den US-Ölstaaten Texas und Louisiana, die gegen zehn Millionen Dollar Vorausgarantie nach Kuweit eingeflogen waren. Sie waren in ihre roten Overalls geschlüpft, hatten die Baseballkappen aufgestülpt und die Fackeln und Fontänen besehen. »Dieser Job ist ein Job wie alle anderen, die wir erledigt haben, er ist nur größer«, lautete der lakonische Befund eines Feuerwehr-Cowboys von der US-Golfküste.

Joe Bowden, Präsident der Ölbrandlöschfirma Wild Well, die gemeinsam mit den Unternehmen Boots & Coots und Red Adair Inc. sowie einem kanadischen Löschteam am Brandherd wirkt, redet inzwischen weniger großspurig. Die vorab hochgelobten »Hellfighters« aus Nordamerika sind den Beweis ihres legendären Rufs in Kuweit bislang schuldig geblieben.

»Wir wußten, daß sie langsam sind und viel Zeit benötigen«, räumt Faruk Kandil von der Kuweit Oil Company (KOC) ein, »doch wir haben sie wegen ihrer weltweiten Reputation ins Land geholt.«

Ende letzter Woche waren erst knapp 30 der etwa 800 havarierten Bohrlöcher wieder unter Kontrolle. Davon hatten gerade zwei in Flammen gestanden, die anderen waren versiegt, hatten sich selbst verstopft oder waren durch intakt gebliebene Ventile abzudrehen gewesen.

Die niedrige Trefferquote der erfolgsverwöhnten, 100 Mann starken Löschtruppen lastete Altstar Adair vornehmlich den Kuweitis an: »Der Nachschub notwendigen Geräts klappt nicht«, rügte der 75jährige Texaner letzte Woche.

Betroffene und Beobachter hingegen werfen den Feuerwehr-Cowboys veraltete Methoden vor. »Wir konnten ja nicht ahnen«, wundert sich etwa KOC-Manager Kandil, »daß sie nur einen Pfeil im Köcher haben - eine Methode, die sie seit eh und je anwenden.«

Der britische Brandexperte Branko Babic nannte die traditionelle amerikanische Löschtechnik, bei der unter Einsatz riesiger Kühlwassermengen eine Dynamitladung in größtmöglicher Flammennähe gezündet wird, um das Feuer »auszupusten«, eine »primitive Technologie«. Ihre mögliche und notwendige Weiterentwicklung sei, wie der britische Wissenschaftler meint, »von diesen Unternehmen seit 40 Jahren versäumt worden«.

»Adairs Peng- und Puff-Technik«, befindet der deutsche Bergbauingenieur und Sprengexperte Winfried Rosenstock aus dem niedersächsischen Bückeburg, »mag ihre Berechtigung haben, solange es um einen einzigen Bohrlochbrand oder einen Blowout geht, da fällt der Zeitfaktor kaum ins Gewicht.«

Die Zeit aber tickt den Kuweitern davon. Etwa sechs Millionen Barrel Öl (zehn Prozent des weltweiten Tagesverbrauchs) im Wert von rund 120 Millionen Dollar gehen dem Ölstaat täglich verloren. Zudem sind die künftigen Einnahmen aus der Ölförderung bedroht.

In einigen der bis zu 300 Meter hohen Flammensäulen beobachten Öl- und Feuerfachleute seit einigen Tagen zunehmend häufiger weiße Nebenrauchwolken.

Die Ursache: Das unter hohem Druck stehende Wasser, das normalerweise das Öl durch das in die Tiefe getriebene Förderrohr (Fachausdruck: Sonde) nach oben treibt, überholt gleichsam in den unterirdischen Kavernen des Deckgebirges das Öl, gelangt durch die Sonde nach oben und verdampft in den über 1200 Grad heißen Flammenfackeln.

Der Wasserverlust geht einher mit einem Nachlassen des Lagerstättendruckes. Dadurch wird zunächst die Flammenhöhe erniedrigt, bis das Feuer - bei noch weiterem Druckabfall - von selbst erlischt. Als Spätfolge aber wird weniger Öl nach oben gedrückt, es muß dann gepumpt werden, die Förderung wird erheblich teurer.

Auf »etwa zwei Jahre Löschzeit« veranschlagen die Feuerwehren um Adair ihre Arbeit. In dieser Zeit ginge den Kuweitern nach KOC-Berechnung Rohöl im Wert von insgesamt 43 Milliarden Dollar verloren. Weil die Zeit erheblich verkürzt, der Verlust begrenzt werden müsse, forderte Raschid Salim el-Amiri, Kuweits amtierender Ölminister, vergangene Woche eine »neue Strategie«. Sie soll nicht nur auf ein schnelleres Löschen der Feuer, sondern auch auf eine schnellstmögliche Wiederherstellung der Förderanlagen ausgerichtet sein.

Amiris Hinweis, daß Kuweits Regierung und vor allem die tonangebende KOC bereits Verhandlungen mit Löschunternehmen aus Großbritannnien, China, der Sowjetunion und auch der Bundesrepublik aufgenommen hätten, verschreckte die nordamerikanischen Lösch-Haudegen. Sie befürchteten ein Aufbrechen ihrer Monopolstellung und sahen ihre (auf Tagesbasis abgeschlossenen) einträglichen Honorare zusammenschmelzen. Gemeinsam drohten sie mit Arbeitsniederlegung, um sich dann aber grummelnd und »unter Verwendung nicht druckbarer Flüche« (Financial Times) in die Realität zu fügen.

»Dies ist unser Land, und dies ist unser Öl, und wir sind es schließlich, die das Löschen bezahlen«, sagte beispielsweise Abd el-Hamid el-Awadhi, Botschafter Kuweits in Österreich und zugleich Verhandlungschef der kuweitischen Opec-Abordnung.

Gelingt der Wechsel der Strategie, könnten bereits Ende dieses Jahres die meisten Feuer gelöscht sein, hofft Amiri. Sein Optimismus gründet sich vor allem auf die Vielzahl von Ideen und Berechnungen von Wissenschaftlern und Technikern aus aller Welt.

In der Osterwoche etwa hatten sich in Washington Dutzende prominenter amerikanischer Wissenschaftler, Erfinder und Ölexperten zu einem zweitägigen Brainstorming getroffen, zu dem der letztjährige US-Physiknobelpreisträger Henry Kendall geladen hatte. Sie ersannen ein ganzes Bündel neuartiger Löschtechniken. Die KOC-Manager zeigten sich von den Ergebnissen »tief beeindruckt«, und eine Reihe amerikanischer Ölfirmen versprach, etliche Vorschläge experimentell zu prüfen oder Prototypen zu entwickeln.

Mitarbeiter des kalifornischen Atomforschungslabors Lawrence Livermore etwa schlugen vor, zur Räumung der zahlreichen Minen, von irakischen Soldaten um die Förderstellen gelegt, große Kettenschlitten einzusetzen, die - aus gebührender Entfernung - von Schwerlasthubschraubern über das Quellenareal gezogen werden.

Unter dem Gewicht, so das Konstruktionsprinzip der Atomforscher, würden wohl auch jene Minen gezündet, die sich auf dem Grund der inzwischen entstandenen Ölseen befinden und sich mit herkömmlichen Minensuchmethoden nicht entdecken lassen.

In den Maschen der Kettenschlitten würden sich überdies die Bomben verfangen, die von US-Jets auf irakische Stellungen abgeworfen wurden, aber nicht explodiert sind. Die Zahl dieser Blindgänger geht nach Ansicht britischer Kriegskritiker »in die Tausende«.

Als Minenräumer ließe sich auch ein Strahlbläser einsetzen, den der US-Atomphysiker Stirling Colgate erdachte. Das Gerät ist fahrbar und nach dem Prinzip eines Wasserwerfers konstruiert. Statt Wasser wird Druckluft, erzeugt von einem Triebwerkskompressor, durch die Strahlkanone geschickt. Der lenkbare Druckluftstrahl bläst den Weg frei, bringt Minen zur Explosion und eignet sich zudem, Gräben in den Wüstensand zu fräsen. Durch sie könnte das angesammelte Öl in zuvor bereitete Auffangbecken abfließen.

Darüber hinaus eigne sich die Strahlenkanone, spekulierte Richard Garwin vom Forschungsstab der Computerfirma IBM bei dem Brainstorming in Washington, zur Feuerbekämpfung, wenn dem Luftstrahl genau dosierte Mengen Sand beigegeben würden.

Sand - in Massen - bildet auch das Kernstück einer Methode, die der Bückeburger Bergbauingenieur Rosenstock beim Löschen der Brände in Kuweit anwenden will. Im Rahmen eines Forschungsprogramms der Bundeswehr hatte Rosenstock das sogenannte Cut-and-Fill(CF-)Verfahren zur Herstellung asymmetrischer Panzerabwehrgräben entwickelt.

Bei dieser Technik werden metertief verlegte Sprengladungen in kurzem Zeitabstand nacheinander gezündet. Die Verzögerung bewirkt den »zielgerichteten Aushub eines Grabens« (Rosenstock), bei dem die Feindseite flach, die Freundseite steil ausfällt (die Feindpanzer können zuvor in den Graben hineinrollen, die Steilwand aber nicht bezwingen).

In Kuweit will Rosenstock entsprechende Sprengkapseln ringförmig um den Brandherd legen. Bei der Explosion werden Sandmassen (bis zu 20 000 Tonnen) zielgerichtet auf die Feuersäule zugeschleudert und ersticken die Flamme (siehe Grafik).

Das für Kuweit abgewandelte CF-Verfahren gehört zu den fünf Methoden, die in den vergangenen drei Wochen vom Bundesforschungsministerium (BMFT) in eine Liste alternativer Löschverfahren aufgenommen wurden; als deutscher Beitrag zur Bekämpfung der Öko-Katastrophe am Golf soll diese Liste den Kuweitis zugeleitet werden.

Als eine »zweite sinnvolle Methode«, neben dem Sandaushub von Rosenstock, gilt im BMFT die von den Russen entwickelte und von den Feuerwehren der Ex-DDR übernommene Technik, Flammensäulen mittels starker Düsentriebwerke auszupusten (SPIEGEL 13/1991).

Die - in der Praxis schon erfahrenen - Triebwerkslöscher am Institut der Feuerwehren in Heyrothsberge bei Magdeburg bieten den Vorteil, daß sie »noch nicht abgewickelt und als Team praktisch jederzeit einsetzbar« sind, wie Hartmut Pohl erklärt, ausgebildeter Hütteningenieur und beim BMFT zuständig für die Operation Ölfeuer.

Daß die »DDR-Asthmatiker« (Rosenstock) als Retter von Golf auftreten, ist seit Mitte letzter Woche jedoch wieder weniger wahrscheinlich: Russische Techniker, die mit der gleichen Löschmethode umgehen, waren schon an den Golf gereist, »hatten die Feuersäulen in Augenschein genommen und waren schulterzuckend auf dem Absatz umgedreht«, wie ein KOC-Manager berichtet.

Wie einzigartig und schwer beherrschbar die Feuer am Golf tatsächlich sind, haben auch die nordamerikanischen Feuerwehren inzwischen erkennen müssen. Ihnen war es vorletzte Woche zwar gelungen, einen Brand zu löschen, doch der Versuch, die Sonde zu verschließen und das nachdrängende Öl zu bremsen, schlug fehl.

Da gingen die Löschmannschaften zum Zündeln über. Damit das Öl nicht sinnlos in die Wüste sprudelt, wo es sich erst zu Lachen, dann zu Pools und schließlich zu Seen sammelt, die sich womöglich entzünden und einen Flächenbrand heraufbeschwören könnten, steckten die Lösch-Cowboys die mit Mühe gelöschte Quelle wieder an. o

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