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TSCHECHOSLOWAKEI / DENUNZIATION Zweimal täglich

aus DER SPIEGEL 43/1969

Ein Jahr nach der Besetzung ihres Landes machten sich Olmützer Studenten ein Fest: Am 21. August 1969 sperrten sie ihren Professor Hrbek für 24 Stunden in seinem Büro ein: Der Professor ist ein Besatzerfreund.

Fünf Tage nach der Büro-Haft wurde der Besatzerfreund belohnt: Er stieg auf zum tschechischen Minister für Schulwesen. Endlich am Ziel einer glücklosen Polit-Karriere, ließ Iaromir Hrbek, 55, sogleich eine Funk- und Fernsehrede aufnehmen, die zum Schulanfang am 1. September gesendet werden sollte.

Wenig später erhielt der zuständige Rundfunk-Redakteur einen Anruf: »Hier Sekretariat des Ministers für Schulwesen. Der Genosse Minister ersucht Sie, seine Rede heute nicht zu senden.«

Eine Rückfrage ergab zwar, daß der Anruf nicht aus dem Ministerium gekommen war. Aber da ein anderer unbekannter Hrbek-Gegner bei der Aufnahme im Studio den Ton gelöscht hatte, mußte der Minister noch einmal reden, diesmal live: »Wir gestatten nicht, daß unsere Menschen ohne nationalen Stolz heranwachsen, die beliebige Mode-Extreme, jeden beliebigen kulturellen Schund und peinliche Exzesse in ihrem Benehmen unkritisch vom Westen übernehmen ...«

Darauf ging der neue Minister an die Arbeit. Er annullierte die kurz vor seiner Amtsübernahme vollzogenen akademischen Wahlen und stoppte sämtliche Promotions- und Habilitations-Verfahren bis zu einer Überprüfung der Kandidaten. Dann entwarf Hrbek einen Fragebogen für alle Angestellten seines Ministeriums: Sie sollten die Namen von Kollegen angeben, die abgelöst werden müßten.

Die Denunziation wurde auf einem DIN-A4-Blatt in zugeklebtem Umschlag erbeten, abzugeben beim Sekretariat des Ministers. Hrbek: »Bei den Mitarbeitern ohne höhere Schulbildung werde ich die Rechtschreibung nicht bewerten.«

Die Ministerial-Bediensteten sollten allerdings nicht nur mißliebige Kollegen, sondern auch sich selbst denunzieren. Fragen zur Person:

* »An welchen Aktionen gegen die Kommunistische Partei, gegen die Sowjet-Union oder gegen die treuen Anhänger des Marxismus-Leninismus haben Sie teilgenommen?«

* »Welche Zwangsresolutionen haben Sie unterschrieben, für welche haben Sie gestimmt -- zum Beispiel ... gegen sogenannte Verräter und Kollaborateure?«

* »Konnten Sie sich von Ihren damaligen falschen Überzeugungen und Irrtümern aufrichtig befreien? Sind Sie sich dessen voll bewußt, daß eventuelle Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten Ihrer Selbstbeurteilung gegen Sie sprechen und alle Bemühungen, Ihnen zu helfen, ausschließen?«

Mit der ausgeklügelten Gehirnwäsche hoffte der Neurologe Hrbek vor allem den Sowjets zu gefallen. Mit Okkupanten hatte sich der Mediziner stets gut verstanden: So ließen sich schon im Krieg Gestapo-Leute der deutschen Besatzungsmacht in Pilsen gern von dem rundlichen Doktor behandeln und luden ihn zum Umtrunk.

Dr. Hrbek, zur Protektorats-Zeit Chefarzt der Pilsener Landkreis-Krankenversicherung, erläuterte seine Kontakte im Café später als Feindaufklärung für den Widerstand. Er ist seit seinem 17. Lebensjahr Kommunist.

Nach dem Ende der deutschen Besetzung requirierte Hrbek eine Villa und beschlagnahmte bei der Pilsener Papierfabrik Weiss einen schnellen »Jaguar«, denn es zog ihn -- mitunter zweimal täglich -- in die 80 Kilometer entfernte Landeshauptstadt Prag: Er wollte Minister werden.

Dem Ehrgeiz des Arztes widersetzten sich damals Pilsens Bürgermeister Ullrich -- später Botschafter in London -- und ein Altkommunist aus dem Nationalrat: Josef Smrkovský, später Idol des Prager Frühlings und seit voriger Woche arbeitslos.

Statt eines Ministeriums wurde für Hrbek in Pilsen eine Filiale der Medizinischen Fakultät der Prager Karls-Universität eingerichtet, an der er einen Lehrstuhl für Neurologie erhielt. Und weil er unbedingt in die Politik wollte, wurde Hrbek Generalsekretär des »Slawischen Komitees«, einer Propagandastelle, die den seit Kriegsbeginn von der UdSSR geförderten Panslawismus auch in der CSSR verbreiten sollte. Hrbek durfte Dienstreisen in die slawischen Hauptstädte unternehmen -- bis der Appell an slawische Seelenfreundschaft auch in Moskau aus der Mode kam.

Hrbek widmete sich daraufhin wieder nur der Heilkunde, wurde Ehrenmitglied der Gesellschaft der UdSSR-Neurologen und Professor in Olmütz. Im Prager Frühling hielt er sich zurück. Erst als 1968 neue Okkupanten kamen, wurde der Mediziner erneut politisch aktiv -- als Besatzerfreund.

Als sich am 10. November 1968 im Prager »Lucerna«-Saal tschechoslowakische Kollaborateure versammelten, überbrachte Hrbek einen Sowjettreue-Schwur der Olmützer Universität. Rektor und Parteikomitee der Uni dementierten sofort, ihn je dazu bevollmächtigt zu haben.

Dafür kann sie der Minister Hrbek nun bestrafen: Einen Tag nach Abfassung des Fragebogens für sein Ministerium schickte Hrbek unter dem Geschäftszeichen 27.992/69 -- III/S einen Spitzel-Aufruf an alle Rektoren und Dekane. Hrbek bestellte einen »schriftlichen Bericht bis zum 12. Oktober, der eine Übersicht und Bewertung unrichtiger Meinungen, Stellungnahmen, Reden und Taten ... enthalten soll, die 1968 und 1969 in Hochschul- und Fakultätsorganen, in öffentlichen Reden einzelner Dozenten, in Organen der Studentenbewegung und in öffentlichen Reden einzelner Studenten in Erscheinung traten«.

Der Minister wünschte sich Text und Datum solcher Erklärungen, eine Namensliste aller oppositionellen Studenten, eine Übersicht der finanziellen Zuwendungen an Studentenheime sowie Auskunft, »ob und wie Vervielfältigungsapparate ... zur Herstellung von Flugblättern benutzt wurden«.

Diesen Fragebogen seines slawischen Genossen Hrbek veröffentlichte Frankreichs Literat Louis Aragon, Politbüro-Mitglied der KPF, in der Pariser Zeitschrift »Les Lettres francaises«. Die »Einführung der systematischen Denunziation als nationale Pflicht in einem sozialistischen Land« nannte Aragon »schlimmer als die militärischen Operationen im August 1968«. Denn jene Operationen brachten laut Aragon »die Zukunft des Sozialismus in der ganzen Welt in Gefahr«, Hrbeks Spitzelei aber versetze »dem Vertrauen der Völker in den Sozialismus ... einen womöglich tödlichen Schlag«.

Dabei brauchte der Doktor Hrbek die gesammelten Denunziationen nur zur Kontrolle einer offenbar bereits von V-Leuten gefertigten Kartei: Er teilte den Rektoren mit, daß sein Ministerium »gleichzeitig auch eine eigene ausführliche Untersuchung der Lage an den einzelnen Hochschulen aufgrund einer ihm zugänglichen Dokumentation vornimmt. Die Ergebnisse werden mit Ihrer Übersicht und Bewertung konfrontiert werden. Eventuelle Widersprüche werden mit Ihnen besprochen und beurteilt«.

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