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»Zweite anti-sowjetische Front«

Offiziere und Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee auf Panzern der Bundeswehr, auf Gruppenphotos mit deutschen Offizieren und in westdeutschen Rüstungsbetrieben -- durch offen zur Schau gestellte Verbrüderungsgesten mit der Bundeswehr und demonstratives Kaufinteresse für deutsche Waffen versuchen die Chinesen, die Einkreisungsangst ihrer sowjetischen Todfeinde anzustacheln. Deshalb auch luden sie hohe Bundeswehroffiziere zu Besuch und Bundeswehrsportler zu Wettspielen nach China ein. Um deutsche Militärhilfe bemühen die Chinesen sich seit genau hundert Jahren: 1878 orderte ihr Berliner Militärattaché die ersten Krupp-Geschütze.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Im Detail berichteten die Sowjet-Medien, was Bundeswehr-Soldaten vorletzte Woche taten: Sie salutierten und musizierten vor dem Sowjet-Chef, und der grüßte ihre Fahne.

Womöglich diente Breschnews Deutschlandfahrt auch dem Zweck, Sowjet-Gemüter zu beruhigen. Denn der Kreml sorgt sich, insgeheim könnten sich westdeutsche Militärs mit den Chinesen verbünden -- selbst noch aus dem Ruhestand.

Gerade als Breschnew mit Kanzler Schmidt die Gläser hob, gingen nämlich in Peking Pensionäre der drei bundesdeutschen Teilstreitkräfte zum Bankett: Ex-Generalinspekteur de Maiziére, Vizeadmiral a. D. Meentzen und der Generalleutnant a. D. der Luftwaffe Vogel.

Gemeinsam wurden sie von Chinas Verteidigungsminister und Politbüromitglied Hsu Hsiang-tschien empfangen, während in der gleichen Woche ihr früherer Heereskamerad Generalleutnant a. D. Schnez, Vorsitzender der bundesdeutschen Gesellschaft für Wehrkunde, mit dem Rüstungsminister Tschang Ai-ping konferierte.

Der fernöstliche Aufmarsch altgedienter deutscher Militärs hat wohl vor allem ein propagandistisches Ziel: die Russen zu schrecken.

Und offenbar deshalb schmücken sich die Chinesen auch gern mit Militaria made in Germany. Chinesische Bundeswehrbesucher »streichelten« ("The Christian Science Monitor") einen Bundeswehrpanzer und ließen sich bereitwillig mit bundesdeutschen Waffen filmen.

In Augustdorf bei Detmold erkletterten sie Leopard-Panzer der Panzerbrigade 21, in Fürstenfeldbruck besichtigten sie die Luftwaffen-Offiziersschule. Ihr besonderes Interesse fanden schließlich die Panzerabwehrhubschrauber BO-105 der Heeresfliegerwaffenschule in Bückeburg: Sechs davon will die chinesische Volksarmee erwerben.

Höhepunkt der Bundeswehr-Rundreise: Umrahmt von deutschen Uniformträgern ließen sich die schlicht gewandeten Vertreter der chinesischen Volksbefreiungsarmee vor dem Her-

* Auf der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung 1978 in Hannover.

manns-Denkmal im Teutoburger Wald ablichten.

Propagandistisch noch wirkungsvoller waren womöglich Besuche chinesischer Rüstungsexperten bei der deutschen Rüstungsfirma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), bei der sich die Chinesen seit Monaten über die Leistung und militärische Einsatzfähigkeit der Panzerabwehr-Lenkwaffen »Hot« und »Milan« informiert haben.

Kaufen müßten die Chinesen die begehrten Abwehr-Raketen mit den deutschen Teilen wohl -- wie schon einmal die Syrer (SPIEGEL 6/1978) -- bei der deutsch-französischen Exportorganisation »Euromissile« in Paris. Nur auf diesem Weg könnten Chinesen und Deutsche die restriktiven Rüstungsexportbestimmungen der Bundesrepublik unterlaufen.

MBB hofft jedoch noch auf andere Groß-Geschäfte mit den Chinesen. So erklärte erst kürzlich Ex-Verteidigungsminister und Airbus-Aufsichtsratsvorsitzender Franz Josef Strauß persönlich dem Pekinger Außenhandelsminister Li Tschiang den deutschfranzösischen Airbus. Wichtig auch hier: Ein Photograph war zur Hand.

Mit Strauß vor Photographen aufzutreten war einst selbst Mao wichtiger als eine eigentlich fällige Visite beim gleichzeitig tagenden chinesischen Volkskongreß. Den Propaganda-Wert eines deutsch-chinesischen Familienbildes hatte auch Maos getreuer Ministerpräsident Tschou En-lai erkannt:

Der bat die Crew einer Bundeswehrmaschine, mit der Staatsgast Schmidt nach Peking gekommen war, die volle Montur anzulegen und sich wie Alliierte um ihn zu scharen.

Der chinesischen Schreckmethode ist voller Erfolg in Moskau gewiß, so vorigen Herbst, als hohe pensionierte Bundeswehrgenerale in Peking zu Gast waren: Graf Kielmannsegg, einst Nato-Oberbefehlshaber Europa-Mitte, Generalinspekteur a.D. Trettner, der frühere Chef des Nato-Nachrichtendienstes, Konteradmiral Poser, und sogar ein leibhaftiger Chef a.D. des Nato-Militärausschusses, General Steinhoff.

Alarmiert fragte die Moskauer »Literaturzeitung": »Kann man den Gedanken eines Militär-Geheimabkommens zwischen den westdeutschen Revanchisten und den chinesischen Maoisten als ernste Bedrohung ansehen?« Und gab selbst die Antwort: »Von einem Phantasiegebilde kann wirklich nicht die Rede sein.

Ein sowjetischer Deutschlandexperte, der unter dem Namen »Ernst Henry« schreibt, erklärte die Fata Morgana so: Ex-General Steinhoff wolle »in seinem faschistischen Fanatismus« ein »Rächer für die Niederlage der Wehrmacht« sein. Diese Niederlage gegen Rußland beruhe für ihn darauf. daß den Deutschen seinerzeit ein antirussischer Verbündeter in Ostasien gefehlt habe. (Die Japaner hatten am Neutralitätspakt mit der Sowjet-Union festgehalten, bis Rußland sie 1945 seinerseits angriff.) Deshalb konspiriere Steinhoff jetzt in Peking. Laut Henry steht

außer Zweifeln daß gerade das fanatische Streben der altersschwachen Hitlergenerale, in China einen Verbündeten zu finden, das geheimste Ziel dieser Gespräche war. Die entsprechenden Pläne wurden bereits vor vielen Jahren vom Nazi-Generalstab detailliert ausgearbeitet ... Die Pekinger Führung, die ihre wahnsinnigen, großmachtchauvinistischen Pläne verfolgt, rechnet auf Hilfe aus dem Westen.

An geheimen Militär- und Rüstungsabsprachen beteiligen sich laut Henry »einflußreiche politische Kreise der BRD«, zwecks Errichtung einer »zweiten antisowjetischen Front«.

Peking-Besucher Steinhoff berichtete nach seiner Reise, nicht eben antisowjetisch« den Gastgebern sei es keineswegs um militärischen Rat gegangen, sondern lediglich »um das Einvernehmen über die Beurteilung der »sowjetischen Gefahr"«. Wann immer er Rat habe geben wollen, zum Beispiel zur mangelnden Effektivität des Partisanenkrieges, sei er von den Chinesen mit »ideologischer Dialektik« abgespeist worden.

Auskünfte über Chinas Rüstungsstand erhielt er nicht, Truppen sah er nicht, Übungen konnte er nicht beiwohnen. Enttäuscht befand der Nato-Kommandeur im Ruhestand: »In China wird das genaue Gegenteil der Politik der »offenen Tür« praktiziert.«

Offensichtlich hatten die Chinesen mit der Einladung an deutsche Haudegen außer Dienst nur die Russen einschüchtern wollen, und das gelang ihnen auch: Die »neuen engen Kontakte« militärischer Kräfte Westdeutschlands zu den »Kriegspredigern in China« sind laut Sowjet-Agentur Nowosti »beunruhigend«, laut »Tass« »eine riskante Sache«.

Den China-Besuch des amtierenden Chefs des britischen Verteidigungsstabs, Luftmarschall Sir Neu Cameron, nahm der Kreml keineswegs so ernst: Der sagte jüngst zu chinesischen Kameraden: »Wir beide haben einen Feind vor der Tür, dessen Hauptstadt Moskau heißt.«

Gelassen meinte das sowjetische Parteiorgan »Prawda« dazu, der Briten-Marschall sei ein »aufgeblasener Zwerg«.

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