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ABGEORDNETE Zweite Garnitur

Den Fraktionen von SPD und FDP fehlen Wirtschaftssprecher im Bundestag.
aus DER SPIEGEL 46/1977

SPD-Fraktionschef Herbert Wehner suchte vergeblich den richtigen Mann. Keiner unter den 224 sozialdemokratischen Abgeordneten schien ihm so recht geeignet, im Bundestagsplenum nach dem wortgewaltigen Franz Josef Strauß die Wirtschaftspolitik der Regierung zu verteidigen.

Schließlich guckte Wehner den Alleskönner Horst Ehmke aus. Zwar mühte sich Ehmke, bei der Aussprache über den Etat 78 Anfang Oktober, redlich mit ungewohnten Zahlen und Fakten ab, doch der Rechts-Professor blieb hei seiner Jungfernrede als Fraktions-Ökonom weit unter Form -- er verlas lustlos eine Allerweltsrede.

Ähnliche Personalsorgen wie Wehner plagen auch FDP-Fraktionschef Wolfgang Mischnick. Nach dem überwechseln des eloquenten Otto Graf Lambsdorff in die Regierungsmannschaft fehlt auch den Freidemokraten ein parlamentarischer Vorzeigemann für ihre Wirtschaftspolitik.

So müssen sich Kanzler Helmut Schmidt und sein Kabinett darauf einrichten, daß es unter den sozialliberalen Abgeordneten keine Spitzenleute mehr gibt, die ihnen bei Debatten über Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen, über Steuern und Renten den Rücken freihalten können.

Vorbei sind die Zeiten, da ein Profi wie etwa der 1974 verstorbene Sozialdemokrat Klaus Dieter Arndt, langjähriger Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, mit brillanten Reden das Plenum begeisterte. Sparkassenpräsident Helmut Geiger, erfahrener Beobachter der Bonner Parlamentsszene, befindet: »Die Fraktionen sind weitgehend ausgeblutet.« Nur wenige fähige und rhetorisch gewandte Ökonomen lassen sich, so scheint es, von der risikoreichen Laufbahn eines Politikers faszinieren.

»In die Vorstandsetage eines Unternehmens zu kommen«, urteilt ein Bonner SPD-Mann, »ist besser planbar, als einen führenden Posten in der Partei oder der Regierung zu ergattern.« Und das Modell des Elektro-Multis Siemens, der seinen Angestellten bei der Übernahme eines Mandats Weiterbesoldung und Rückkehr-Garantie zusichert, hat bisher kaum Nachahmer gefunden.

Fähige Abgeordnete, die etwas von Finanzen oder Konjunktur verstehen, bleiben den Fraktionen überdies nicht lange erhalten -- sie werden schnell in die Regierung abgeworben.

Die beiden Wirtschaftsexperten der SPD- und FDP-Fraktion aus der vorigen Legislaturperiode etwa, Graf Lambsdorff und Herbert Ehrenberg, avancierten zu Ministern. Und wer nicht Ressort-Chef wurde, den holten sieh die Kabinettsherren als Parlamentarische Staatssekretäre ins Haus.

Die Sozialdemokraten gaben aus ihrer Parlamentsriege die besten Finanzspezialisten an die Exekutive ab: den Steuerfachmann Rainer Offergeld an Finanzminister Hans Apel und den Haushaltsprofi Andreas von Bülow an Verteidigungsminister Georg Leber.

in den Ministerien leisten die Parlamentarier meist nicht mehr als fleißige Aktenarbeit -- für das öffentliche Forum des Bundestages sind sie verloren. Denn dort dürfen die zu Staatssekretären avancierten Talente meist nur noch in der Fragestunde auftreten mehr lassen ihre auf Eigenprofilierung bedachten Minister nicht zu.

In den Fraktionen geraten derweil zusehends Parlamentarier mit Hinterbänklerformat in die vordere Front.

Da rückte etwa ein emsiger, aber gänzlich unscheinbarer Abgeordneter wie der Berliner Lothar Löffler. Oberschulrat außer Diensten, zum Haushaltsobmann der SPD-Fraktion auf, und da übernahm ein abgehalfterter Staatssekretär wie der Jugendpolitiker Heinz Westphal bei den Sozialdemokraten den Arbeitskreis »öffentliche Finanzwirtschaft«. Ein Parlaments-Kollege über die Arbeit des Finanz-Laien: »Eine absolute Katastrophe.«

Immerhin: Unter den jüngeren Abgeordneten, den Dreißig- bis Vierzigjährigen, drängeln einige ehrgeizige Talente nach. So machte sich bei den Liberalen die gerade vor einem Jahr in den Bundestag eingezogene Ingrid Matthäus-Maier, ehemalige Vorsitzende der Jungdemokraten, schon einen Namen als Steuerexpertin.

Bei den Sozialdemokraten empfahl sich der Neuling und ehemalige Juso-Chef Wolfgang Roth, ein diplomierter Volkswirt, als Verbindungsmann zwischen Partei- und Fraktionsestablishment; der Freiburger Anwalt Rolf Böhme, SPD-Sprecher im Finanz-Ausschuß, hebt sich von der grauen Masse der sozialdemokratischen Abgeordneten als ideenreicher Steuerkenner ab.

Doch noch zählen derlei Jung-Talente zur zweiten Garnitur. »Die haben doch«, klagt ein SPD-Staatssekretär, »in dieser Legislaturperiode erst einmal ihre Ausbildung zu absolvieren.«

Tröstlich für die Regierungsstrategen ist nur, daß auch die Opposition außer Strauß nichts Großkalibriges aufzubieten hat: Für den Vorsitz im Wirtschafts-Ausschuß mußte Parteichef Helmut Kohl auf den Wirtschaftslaien Rainer Barzel zurückgreifen.

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