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GRÜNE Zweiter Sieg

Nach dem großen Sieg: Die Grünen schwanken zwischen Selbstüberschätzung und Selbstzweifeln. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Was haben Boris Becker und die Grünen gemein?

»Für die Grünen ist die zweite Runde im Bundestag so wichtig wie für Boris Becker sein zweiter Sieg in Wimbledon«, analysierte Antje Vollmer vor der alten und der künftigen Bundestagsfraktion der Grünen - ein Vergleich, der ihren Zuhörern heftiges Murren entlockte. Politik als sportliches Ereignis? Kühl interpretierte die Abgeordnete den Vergleich des Unvergleichbaren: Auch die Grünen müßten schließlich »erwachsen werden« und »auf den Teppich kommen«.

Diese Analyse grüner Befindlichkeit ist wenig schmeichelhaft, aber treffend. Die Grünen schwanken kurz nach der für sie so glänzenden Bundestagswahl zwischen Demut und Hybris, zwischen übersteigertem Selbstbewußtsein und dem Gefühl, als Minderheit nicht bestehen zu können.

Für beide Seelenzustände gibt es Anlaß genug. Die Grünen ziehen mit einer um 16 Abgeordnete verstärkten Fraktion wieder in den Bundestag ein. Den elf Abgeordneten, die zum zweiten Mal gewählt wurden - darunter solche »Promis« (Grünen-Jargon) wie Antje Vollmer, Hubert Kleinert, Christa Nickels, Otto Schily, Petra Kelly -, gesellen sich 33 Neuankömmlinge hinzu: Profis wie Trude Unruh, die Vorsitzende des Seniorenschutzbundes Graue Panther, oder Friedensforscher Alfred Mechtersheimer, aber auch der unbekannte bayrische Landwirt Matthias Kreuzeder, dessen authentisches Idiom nicht nur den norddeutschen Parlamentariern Verständnisprobleme bereiten wird.

Die 25jährige Verena Krieger ist die jüngste Abgeordnete des Bundestages, der Hamburger Ökosozialist Thomas Ebermann ein streitlustiger Querkopf und Thomas Wüppesahl ein vorzüglicher Vertreter der Grünen für den Innenausschuß. Der Kriminalbeamte aus Schleswig-Holstein ist Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten, er kann die grüne Forderung nach »Entmilitarisierung der Polizei« mit eigener »Kompetenz« vertreten - ein Lieblingswort nicht nur der vorherigen sondern auch der künftigen Fraktion.

Also Grund zum Jubeln - aber um Himmels willen nicht zu sehr. Obwohl die Grünen die einzige Partei sind, in deren Parlamentsfraktion die Frauen in der Mehrheit sind, bestimmt hier nicht Siegesgewißheit, sondern Larmoyanz das Bild. Auf einer Sitzung nur der weiblichen Fraktionsangehörigen mußten sich die Frauen selbst ständig wieder daran erinnern, daß sie doch die Mehrheit hätten - und dann auch entscheiden könnten. »Eigentlich« jedenfalls.

Statt dessen beschworen Petra Kelly und Uschi Eid gegenüber den Neuankömmlingen wieder die Rolle der Frauen als unterdrückte Minderheit. »Wir Frauen«, sekundierte Trude Unruh, »werden ja immer durch den Dreck gezogen.«

Bevor sich die grünen Frauen aus der Position der Stärke endgültig in die Verteidigungsecke zurückzogen, fuhr Antje Vollmer dazwischen. Die ehemalige und künftige Abgeordnete sträubte sich, nun wieder ins »eigene kleine Gärtchen« zurückzukehren, und wenn schon nicht mehr faktisch, so doch wenigstens »im höheren Sinn der Geschichte« weiterhin Minderheit zu sein.

Sie wies auf grüne Widersprüche hin um die sich die Partei nicht herummogeln dürfe. Beim Paragraphen 218 zum Beispiel verläuft eine scharfe Frontlinie zwischen jenen, die auch vom Schutz des ungeborenen Lebens reden, und anderen, denen das schon als Anbiederung an konservative Positionen gilt. Auch ist zumindest widersprüchlich, wenn grüne Politik insgesamt auf eine Liberalisierung des Strafrechts zielt, die Frauen aber vor Vergewaltigung und Gewalt durch scharfe Gesetze schützen will.

Eine konfliktreiche Legislaturperiode, in der die Grünen kein Problem tabuisieren, selbst wenn es als »Thema der Rechten« (Vollmer) erscheine - das proklamieren auch andere Grüne. Mit großer Umarmungsgeste wollte Lukas Beckmann vom Bundesvorstand noch in der Wahlnacht die Werte des Christentums, des Liberalismus, des »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« und der Ökologie miteinander verschmelzen - »nebulöse Vorstellungen« laut Bundesvorstandsmitglied Jutta Ditfurth. Otto Schily reklamierte - gegen den Protest Petra Kellys - für die Grünen »die Mitte«.

Aus dem Getto wollen sie heraus, genau dort aber sollen die Grünen nach den Vorstellungen der Regierungskoalition bleiben. Die »volle parlamentarische Gleichberechtigung«, die Lukas Beckmann nach dem guten Wahlergebnis forderte, wird ihnen wohl weiterhin verwehrt bleiben.

Über Christa Nickels'' Anspruch auf einen Platz im Präsidium des Bundestages und über die Beteiligung an den Gremien zur Kontrolle der Geheimdienste entscheidet die Mehrheit des Bundestages. Die in den letzten vier Jahren geübte »arrogante Ausgrenzung« (Hubert Kleinert) der Grünen aus diesen Bereichen wird sich fortsetzen, denn Hoffnungen, daß sich wenigstens die FDP um die Einhaltung »selbstverständlicher parlamentarischer Gepflogenheit« (Kleinert) gegenüber der nur um vier Mandate kleineren Fraktion verdient macht, gibt es derzeit kaum.

Otto Schilys wenig schmeichelhafte Charakterisierung der FDP - sie sei »am tiefsten in der politischen Korruption verstrickt« - hat seine liberalen Kollegen nicht für die Sache der Grünen eingenommen. »Da ist das Spiel beendet«, empört sich Burkhard Hirsch, »das wird Folgen haben.«

Sogleich erwacht grünes Selbstbewußtsein. »Vier Jahre wollten sie uns als Schmuddelkinder in die Ecke drücken«, kündigt Hubert Kleinert an. »Jetzt werden wir richtig einsteigen.« _(Auf ihrer 1. Sitzung nach der ) _(Bundestagswahl )

Auf ihrer 1. Sitzung nach der Bundestagswahl

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