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NEW YORK Zweitschwerstes Amt

Ein konservativer Liberaler namens Ed Koch wird neuer Bürgermeister von New York. Er wird die Stadt schwerlich vor dem Ruin retten können.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Sein letztes Auto verkaufte er 1965.

Der elf Jahre alte Chrysler hatte im Fahren ein Rad verloren.

Sein Weinhändler weiß, daß er ihm Flaschen, die mehr als drei Dollar kosten, gar nicht erst anzubieten braucht.

Und wenn er in seiner Zweizimmerwohnung im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Vitlage Gäste erwartet, geht er vorher selber zum Bäcker, zum Fleischer, zum Gemüsehändler.

All dies soll sich ändern, wenn diesen Dienstag der Anwalt Edward I. Koch, 52, als Kandidat der Demokraten ins zweitschwerste Amt der Nation gewählt wird: zum Bürgermeister von New York.

Er habe nicht vor, seine kleine Sozialwohnung im Village (Miete 250 Dollar) aufzugeben, ließ Koch wissen. Er wolle mindestens zwei Tage in der Woche dort verbringen und mit der U-Bahn ins Amt fahren.

Ed Koch (gesprochen Kotsch), von polnisch-jüdischer Herkunft, im New Yorker Unterklassenstadtteil Bronx geboren, ist ein genügsamer, ausdauernder, fleißiger Mann.

Daß er solche Tugenden auch dem trägen, aufgeblähten, ineffizienten New Yorker Beamtenapparat einbläuen werde, konnte er den Wählern offensichtlich glaubhaft machen -- ein wesentlicher Grund für seinen Sieg in den Vorwahlen im September, der den endgültigen Erfolg praktisch garantierte.

Dabei waren vor einem Jahr nur sechs Prozent der eingetragenen Demokraten bereit, seine Kandidatur zu unterstützen, weniger als 30 Prozent der Demokraten kannten seinen Namen.

Obwohl niemand an Kochs persönlicher Integrität zweifelt, wird bis heute sein Privatleben argwöhnisch beäugt. Weil er unverheiratet ist, wurde ihm nachgesagt, er sei homosexuell -- was seine Gegner ungeniert ausbeuteten.

Koch versuchte, der Rufschädigung entgegenzuwirken, indem er die ehemalige »Miss America« und Verbraucheranwältin Bess Myerson, 53, zu seiner wichtigsten Mitarbeiterin machte und sich ständig mit ihr in der Öffentlichkeit zeigte.

Aber auch als er mit Bess händchenhaltend über New Yorks Fifth Avenue paradierte, verstummten die Fragen nicht. Koch selbst hat beteuert, er sei nicht homosexuell, und alle, die ihn gut kennen, bestätigen das.

An sich ist Koch ein in der Wolle gefärbter Liberaler. Seine politische Karriere begann bei den Reformdemokraten in Greenwich Village, die von jeher geschlossen für alle guten, liberalen Anlässe auf die Straße gingen.

Im Kongreß, dem er seit 1969 angehört, sammelte er die höchste Punktzahl jener Organisationen ein, die Politiker nach ihrer Liberalität bewerten.

Und dennoch konnte Ed Koch in New York, der traditionell liberalen Stadt, 1977 nur deshalb gewinnen, weil er sich zugleich auch konservativ gab.

Denn New York erlebte diesen Sommer einen Umschwung des politischen Klimas. Die Verbrechen des Massenmörders »Son of Sam«, Bombenanschläge und wilde Plünderungen beim Stromausfall im Juni verunsicherten die Bürger bis zur Hysterie. Wiederholt und mit Hochdruck setzte sich der gestandene Liberale Koch nun für die Todesstrafe ein.

Er trat auch energisch gegen die Gewerkschaften auf, denen er exzessive Forderungen und damit Mitverantwortung am finanziellen Ruin der Stadt vorwarf.

Die Schulbehörde klagte er an, sie sei ein »Schmalzfaß an Verschwendung«, die Lehrergehälter seien unerträglich überhöht.

Und obwohl auch Koch ein konkretes Programm zur Sanierung des bankrotten New York nicht vorlegen konnte, sprach er mit seinen drakonischen Predigten den meisten New Yorker Wählern aus der Seele.

Er hätte damit heute nicht nur in New York Erfolg. Konservative Ansichten und harte Männer sind derzeit vielerorts in den Vereinigten Staaten gefragt, so der asketische, auf Bändigung der ausufernden Bürokratie bedachte Gouverneur von Kalifornien Jerry Brown.

Solche Politiker sind die Leitbilder einer nach rechts driftenden Öffentlichkeit, die -- so »Newsweek« -- »zunehmend zwiespältige Gefühle über die Rolle der Regierung in ihrem Leben« hat: Der Bürger möchte den Regierungsapparat gebändigt haben, ohne aber auf dessen Leistungen verzichten zu wollen.

Ed Koch, der konservative Liberale, scheint den New Yorkern geeignet, dieses widersprüchliche Doppelspiel zu bewältigen.

Ob er New York über die Runden bringen kann, ist allerdings mehr als fraglich.

Die Stadt hat in den letzten acht Jahren 600 000 Arbeitsplätze verloren. Die Steuern, die ihr damit entgingen, lassen das Defizit auf 350 Millionen Dollar im nächsten Jahr anwachsen.

Die Bundesregierung half der Stadt mit Überbrückungsanleihen; New York ist von ihnen abhängig. Ed Kochs Kontakte mit dem Chef der Exekutive, dem Präsidenten Jimmy Carter, aber waren bisher nicht sonderlich glücklich.

Als Carter Anfang Oktober New York besuchte, überreichte ihm der damalige Kandidat Koch einen Brief, in dem er im Namen der New Yorker Juden die amerikanische Haltung gegenüber Israel kritisierte.

Irritiert ließ der Präsident den Kandidaten stehen.

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