»Zwischen tot und mausetot«
Vier Tage lang lag das stählerne Wrack, schwarze Rauchwolken in den Himmel speiend, zwei Kilometer vor der ligurischen Küste. Dann, um 10.05 Uhr am vorletzten Sonntag, gab es wieder eine Explosion, und auf eine bizarr unwirkliche Weise, wie eine Attrappe im Filmstudio, versackte das Schiff mit schräg aufragendem Achtersteven in der glatten See.
Ein Gurgeln noch, die Rauchsäule wie mit einer Schere abgeschnitten, dann weiße Gischt - und der Havarist schwebte auf den sandigen Grund des Golfs von Genua, der an dieser Stelle rund 60 Meter tief ist.
Von einer »ökologischen Zeitbombe« sprachen fortan die Bürgermeister der ligurischen Touristenstädtchen. Italiens Umweltminister Giorgio Ruffolo sah für den Fall, daß sich das noch im Wrack gefangene Rohöl ins Meer ergießt, »eine der größten Umweltkatastrophen unserer Zeit« heraufdämmern.
Bis Mitte letzter Woche, als Wind aufkam und die schwarze Flut die untauglichen Plastikwülste überspülte, hatten die Behörden vor Ort noch Optimismus verbreitet (siehe Seite 260). Doch dann schwappte der Ölteppich schon bis hin zum italienisch-französischen Grenzort Ventimiglia. An der Cote d''Azur wie an der italienischen Blumenküste kam die Sorge auf, der Ölschwall aus dem 232 000-Tonnen-Supertanker »Haven« könne dem Tourismus in der Region einen schwarzen Sommer bereiten.
Wenig weiter südlich, vor der toskanischen Küste, brannte der mit 82 000 Tonnen Öl beladene Tanker »Agip Abruzzo« weiter, den die Passagierfähre »Moby Prince« gerammt hatte. Das Feuer wurde vom aufkommenden Wind erneut angefacht. Und auch von der »Agip Abruzzo« wurde ausgelaufenes Öl an italienische Badestrände geschwemmt.
Die Stimmung der um das Wrack der »Haven« versammelten Bergungstrupps sank, als die ferngesteuerte Robotkamera des »Rov« (Remote operating vehicle) beunruhigende Bilder nach oben übermittelte: Der Bug des Tankers war offenbar schon bei den ersten Explosionen abgerissen; bis Ende letzter Woche wurde von dem Schiffsbug, in dem sich ein mit Öl gefüllter Tank befinden soll, keine Spur gefunden.
Der Robotspäher meldete auch, daß die Struktur des Schiffswracks an mehreren Stellen stark beschädigt ist. Ein mit großem Elan angekündigtes Vorhaben, das durch die Brandhitze dicklich »karamelisierte« Restöl im Wrack über Schläuche abzupumpen, mußte wegen der rauher gewordenen See aufgeschoben werden.
Als die erste Explosion - deren Ursache ungeklärt blieb - den unter zyprischer Flagge fahrenden, 343 Meter langen Supertanker erschütterte, hatte er rund 140 000 Tonnen Rohöl an Bord gehabt, knapp viermal soviel, wie im März 1989 aus dem Tanker »Exxon Valdez« ausgelaufen war und die Küsten von Alaska auf einer Länge von fast 2000 Kilometern verseucht hatte.
Noch annähernd sechsmal soviel wie der Exxon-Tanker in Alaska hatte - bei der bislang größten Ölpest an Europas Küsten - vor nunmehr 13 Jahren die »Amoco Cadiz« vor der Bretagne ins Meer entlassen. Die »Amoco Cadiz« war ein Schwesterschiff der jetzt havarierten »Haven«, die eine von dramatischen Zwischenfällen gekennzeichnete 18jährige Lifetime hinter sich hat: Das in Spanien gebaute Schiff wurde im September 1987 und dann noch einmal Ende März 1988 im Persischen Golf von iranischen Kriegsschiffen mit Raketen und Bordkanonen beschossen. In Singapur wurde es, in einjähriger Montagezeit, wieder seetüchtig gemacht.
Die schwarze Flut, die sich aus den Havaristen vor der italienischen Küste ins Meer ergoß, vergleichbar den Unglücken vor der Bretagne und in Alaska, wird der Natur hart zusetzen - ein nicht erträglicher Preis, den die Industriegesellschaft für die weltweite Verfügbarkeit ihres Schmierstoffs zahlt.
Doch anders als im Fall der »Amoco Cadiz« oder auch der »Exxon Valdez« trifft die von der »Haven« und der »Agip Abruzzo« verursachte Ölpest auf eine Naturregion, die durch mannigfache Verschmutzung schon seit Jahrzehnten schwer vorgeschädigt ist.
Meereskundler und Umweltschützer fürchten bei den Tankerunglücken vor Genua und Livorno vor allem die zusätzliche Belastung des ohnehin geschundenen Meeres: In der einst reichen Tier- und Pflanzenwelt des Mittelmeers »spielen sich seit langem katastrophale Veränderungen ab, die schweigend hingenommen werden«, so formulierte es Professor Jörg Ott, Meeresbiologe und Mittelmeerexperte an der Universität Wien.
Im Grunde sei der Begriff »Katastrophe«, der ein plötzlich hereinbrechendes, unerwartetes Unglück bezeichnet, im Fall von »Haven« und »Agip Abruzzo« eine »Verharmlosung«, schrieb die taz in einem Kommentar: Angesichts von 1,4 Milliarden Tonnen Rohöl, die alljährlich auf 3000 Tankern über die sieben Weltmeere transportiert werden, sind Unfälle wie die der »Exxon Valdez«, »Haven« oder »Amoco Cadiz« keine unerwarteten Ereignisse, sondern buchstäblich der Ausfluß einer statistischen Zwangsläufigkeit.
An diesem schier unvorstellbaren Öltransportstrom ist das Mittelmeer stärker beteiligt als jede andere Meeresregion. Insgesamt 250 Millionen Tonnen Rohöl und Raffinerieprodukte, mehr als 15 Prozent des gesamten Weltverbrauchs, werden alljährlich durch das südeuropäische Binnenmeer geschippert, das nicht einmal ein Prozent der Weltmeeresfläche ausmacht.
Bestimmte Küstenregionen des Mittelmeers sind wahre Dreckschleudern: Auf 4600 Küstenkilometern drängeln sich mehr als 100 Millionen Einwohner - und während der zwei Sommermonate verdoppelt sich diese Zahl durch die Ströme der Touristen.
»Ein Achtel bis ein Viertel der gesamten Weltverschmutzung durch Erdölprodukte«, so konstatierten kürzlich Umweltwissenschaftler der Vereinten Nationen, belasten das Meer zwischen Gibraltar und den Dardanellen.
Schon Anfang der siebziger Jahre war das Mittelmeer für »moribund« erklärt worden. »Das Meer stirbt, das Meer ist schon tot«, hatte der französische Tiefseeforscher und Umweltguru Kommandant Jacques Cousteau damals gemahnt. Doch seither hat sich die Menge der eingeleiteten Schadstoffe kaum vermindert, die »chronische, schleichende Vergiftung des Mittelmeeres«, so die italienische Meeresbiologin Adrianna Ianora vom Laboratorio Ecologico dei Benthos auf Ischia, dauert fort - eine 1976 von den Anrainerstaaten vereinbarte Schutzkonvention blieb Makulatur.
Die Abfälle der großen Städte, aber auch die Abwässer von Fabriken, Raffinerien und der Landwirtschaft werden nach wie vor zu 80 Prozent ungeklärt ins Meer geleitet - vor allem über die Flußsysteme von Rhone, Po und Nil. Jahresziffern der Schadstoff-Einleitungen: 120 000 Tonnen Mineralöle, 12 000 Tonnen Phenole, 60 000 Tonnen Detergentien, 100 Tonnen Quecksilber, 2400 Tonnen Chrom, 21 000 Tonnen Zink, 320 000 Tonnen Phosphate und 80 000 Tonnen Nitrate.
Diese Belastung mit Giftstoffen trifft auf ein Wasserreservoir, das sich - allein auf den Wasseraustausch durch die Meerenge von Gibraltar angewiesen - nur einmal pro Jahrhundert erneuern kann.
50 Prozent aller schädlichen Industrieabfälle, so schätzt die italienische Regierung, fließen am Gesetz vorbei ins Mittelmeer. Etwa eine Million Tonnen Rohöl, ein Vielfaches der bei der Explosion der »Haven« und beim Brand der »Agip Abruzzo« ausgeflossenen Mengen, gelangen alljährlich, wie Meeresbiologe Ott formuliert, »ohne großes Aufsehen ins Wasser«. Mit 0,5 Gramm Teer pro Quadratmeter Oberfläche hält das Mittelmeer einen Weltrekord.
Mit der jahrzehntelang geübten Praxis, gleich nach Verlassen des Hafens die Tankerwäsche vorzunehmen und das Restöl in die Meeresfluten zu entlassen, suchten die Regierungen der Anrainerstaaten aufzuräumen - ohne durchschlagenden Erfolg.
Solange der Preis für die ordnungsgemäße Entsorgung des Restwaschöls weit höher ist als die womöglich verhängten Bußgelder, werden große Mengen Restöl illegal abgelassen, wie der Hamburger Meeresbiologe Olav Giere konstatiert. Giere und seine Arbeitsgruppe haben schon vor mehr als einem Jahrzehnt gefordert, daß die Tanker-Entsorgung kostenlos sein müßte; solange das nicht so ist, zahlt die Reederei lieber nach jahrelangem Prozeß ihre 10 000 Mark Strafe. Die Chance, daß die Sünder erwischt werden, ist ohnehin gering.
Weltweit, so schätzte der amerikanische National Research Council, gelangen Jahr für Jahr mindestens 3,2 Millionen Tonnen Öl in die Ozeane - genug, um 14 Tanker von der Größe der jetzt geborstenen »Haven« zu füllen.
Daran haben nicht nur die Tankerflotten und Industrieagglomerationen ihren Anteil, sondern auch die Zehntausende von mehr oder minder hochkarätigen Motorjachten und Sportflitzern, die Rumpf an Rumpf in den Marinas zwischen den Balearen und der türkischen Küste dümpeln. Untersuchungen des Meerwassers vor der französischen Riviera haben ergeben, daß allein schon die algenabwehrenden, hochgiftigen Schutzanstriche der Freizeitboote ein gut Teil zum Aussterben der Meeresfauna und -flora in küstennahen Gewässern beigetragen haben.
»Nur noch vier Prozent der Muschelkulturen im Mittelmeer«, so stellte die Umweltkommission der Vereinten Nationen fest, »liefern Produkte, die zum Verzehr geeignet sind.« Zahlreiche Lagunen und Meeresbuchten, Laichplätze und Lebensräume seien für eine Reihe von Arten längst unbewohnbar geworden.
Um zu erfahren, was aus den einst blühenden Unterwassergärten im Mittelmeer geworden ist, müsse man nur »in der Nähe der Städte in Küstengewässern tauchen«, schrieb die französische Tageszeitung Liberation: »Soweit _(* Nach dem »Amoco Cadiz«-Unglück. ) das Auge reicht, sieht man nur Wälder von weißlichweichen, klebrigen Gebilden, zwischen denen sich zombiehaft halb erstickte Fische bewegen.«
Daß die akute Ölpest vor der italienischen Blumenküste diesem allgemeinen Siechtum neue Verheerungen hinzufügen wird, ist unter den Experten unumstritten. Die langkettigen Anteile des Rohöls werden Teerflecken und -klumpen bilden, die besonders zerstörerisch wirken, wenn sie an die Strände gespült werden. Der Teer verklebt und erstickt die Pflanzen und Tiere des Gezeitengebietes und der Seichtwasserzonen, darunter auch die wirtschaftlich wichtigen Austern und Miesmuscheln.
Den Wellen ausgesetzte Fels- und Sandküsten erholen sich noch vergleichsweise rasch, da das Öl dort an der Oberfläche bleibt, in Kiesstrände hingegen dringt das Öl tief ein.
Das nicht an den Strand gespülte Öl vermischt sich mit dem Oberflächenwasser zu einer schaumigen Masse, die allmählich von Bakterien und Pilzen abgebaut wird. Solche ölfressenden Organismen, so Meeresbiologe Ott, sind in reinem Ozeanwasser selten, in den Gewässern vor Genua, dem größten Ölhafen Italiens mit einem Jahresumsatz von 200 Millionen Tonnen, sind sie jedoch - wegen des erstklassigen Nahrungsangebots - reichlich vorhanden.
Den höherstehenden Meeresbewohnern wird die schwarze Flut zum Verhängnis. »Im Golf von Genua«, erklärt Fulco Pratesi, Präsident des World Wide Fund for Nature (WWF) für Italien, »kommen die meisten unserer einheimischen Walarten vor": Schmalschnabeldelphine, Große Tümmler und Finnwale, die von den nun absterbenden Garnelen leben, konzentrieren sich in der Region.
Gerade in diesen Tagen werden Schwärme von Jungtieren erwartet, die möglicherweise in ihr Verderben schwimmen: Weil die Meeressäuger zum Luftholen auftauchen müssen, sind sie durch die Ölverschmutzung der oberen Wasserschichten noch mehr gefährdet als Fische und anderes Meeresgetier. Schon wurden verendete Delphine bei Cogoleto an den Strand gespült.
Besonders besorgt sind die Naturschützer um Fauna und Flora der Meereszonen vor Cinque Terre und Portofino, die wegen ihrer Vorkommen an Schwämmen, Algen und Korallen bereits als Naturparks unter Schutz gestellt werden sollten. Vor den anderen besiedelten Küsten sind die Korallenbänke und Meergraswiesen, ehemals Laichgründe vieler Fische, längst verschwunden.
Bedroht sind auch die empfindlichen Feuchtgebiete an der Mündung des Flusses Centa sowie die Insel Gallinara, Durchzugs- und Brutgebiete für Wasservögel. Schon beim Versuch, mit dem Schnabel das Gefieder von den klebrigen Massen zu reinigen, vergiften sich die Vögel.
Gefährdet sind vor allem die meist im seichten Wasser stehenden Papageientaucher, von denen eine kleine Population im Golf von Genua überwintert, ebenso die 100 Paare der auf Gallinara brütenden mediterranen Weißkopfmöwe sowie die sehr selten gewordene Korallenmöwe, die auf dem Weg zu ihren Brutplätzen auf Korsika, Sardinien und den toskanischen Inseln vor Ligurien halt macht. Gerade noch rechtzeitig vor der Ölkatastrophe sind die Kormorane aus ihrem ligurischen Winterquartier in Richtung Nord- und Ostsee aufgebrochen.
Für gefährlich hält der Hamburger Greenpeacer Wolf Wichmann »das weitverbreitete Vorurteil«, daß die schädliche Wirkung eines Ölteppichs »vor allem darin bestehe, daß sich das Gefieder von Seevögeln verklebt«. Zwar seien Bilder wie jenes millionenfach verbreitete Foto von einem im Persischen Golf mit der klebrigen Masse ringenden Kormoran geeignet, das Mitleid der Menschen zu erregen (auch wenn besagtes Foto sich hernach als Archivaufnahme von einer ganz anderen Ölflut erwies). Viel gravierender, erläutert Wichmann, seien die Auswirkungen etwa »auf das Plankton und damit auf das gesamte Ökosystem Meer«.
Bei der Klärung der Frage, wie weit die Natur, gegebenenfalls mit Unterstützung durch den Menschen, in der Lage ist, sich von den Folgen schwerster Ölverschmutzungen wieder zu erholen, stehen die Wissenschaftler erst am Anfang. Fest steht, daß solche Regenerierungsprozesse in warmen Zonen schneller ablaufen als in kaltem Klima. »Aus der Sicht des Ökosystems«, kommentiert Umweltschützer Wichmann, »ist dieser Unterschied aber nicht größer als der zwischen tot und mausetot.«
Der Versuch, die geschändete Natur wieder reinzuwaschen, hat sich beispielsweise in Alaska geradezu ins Gegenteil verkehrt: Die aufwendige Aktion der Amerikaner, etliche Meilen der verschmutzten Meeresküste mit Heißwasser wieder von dem schwarzen Belag zu reinigen, erwies sich als kontraproduktiv (siehe Kasten).
Besser ging ein Zehn-Millionen-Dollar-Versuch aus, den die amerikanische Umweltbehörde Epa an einem anderen Küstenabschnitt in Alaska unternahm. Auf etwa 70 Meilen ölverseuchter Strände am Prince William Sound versprühten die Forscher ein Düngemittel namens Inipol, das der französische Ölkonzern Elf Aquitaine in den achtziger Jahren entwickelt hat: Es regt bestimmte Bakterienarten zu vermehrtem Wachstum an. In Alaska profitierten davon ölfressende Bakterien, die auf diese Weise zu ungeheurer Gefräßigkeit stimuliert wurden; die Öl-Freßsucht hielt fünf Monate an.
Auf ein bis zwei Milliarden Dollar wird inzwischen der durch das »Exxon Valdez«-Unglück in Alaska verursachte Schaden geschätzt. 400 Millionen Dollar mußten die Schiffsversicherer an die USA zahlen, für den Rest nahm die Regierung den Ölkonzern in die Pflicht; immerhin zog das Tankerunglück 1989 vor Alaska einen gesetzgeberischen Akt nach sich, der in Zukunft den Tanker-Schiffbau nachhaltig verändern und die Sicherheit entlang der Ölfracht-Routen erhöhen dürfte - allerdings erst nach der Jahrtausendwende.
Der am 18. August letzten Jahres von US-Präsident George Bush unterzeichnete »Oil Pollution Act of 1990« schreibt vor, daß alle Tankerneubauten, die nach dem 30. Juni 1990 in Auftrag gegeben wurden, über doppelwandige Rümpfe verfügen müssen. Früher gebaute oder georderte Tanker müssen bis zum Jahr 2015 entweder umgerüstet oder ausgemustert werden.
Je nach Schiffsgröße soll der Abstand der inneren zur äußeren Stahlschicht der Doppelwand zwischen einem und drei Meter betragen. Bei Leerfahrten wird die Schutzhülle mit Ballastwasser vollgepumpt (das bislang in den Laderäumen mitschwamm und zur Meeresverunreinigung beitrug). Wenn der Tanker beladen ist, soll die Sicherheitshülle leer sein.
Damit allerdings steigt wiederum das Risiko, daß sich (bei Undichtigkeiten der Öltanks) ein explosives Öl-Gas-Gemisch in den Hohlräumen der Schiffswand aufbaut.
Nach Schätzungen des amerikanischen Nationalen Forschungsrats werden die Kosten für den Bau von Doppelrumpftankern die weltweiten Rohöltransporte künftig mit etwa 700 Millionen Dollar pro Jahr zusätzlich belasten. Für den Verbraucher würde das einem Preisaufschlag von einem Cent pro Gallone (rund 0,5 Pfennig pro Liter) gleichkommen.
Mit Verwendung der Doppelrumpftechnik hoffen die US-Überwachungsbehörden, die Ölverschmutzung vor den Küsten etwa um 3000 bis 5000 Tonnen Öl pro Jahr zu senken. Bei Zusammenstößen mit geringer Geschwindigkeit sollen die Doppelrümpfe die Öltanks zuverlässig schützen. Bei Kollisionen mit hoher Geschwindigkeit ist das schon wieder zweifelhaft.
Nach Einschätzung von Henry Marcus vom Massachusetts Institute of Technology, Mitverfasser der amerikanischen Tanker-Sicherheitsstudie, hätte beispielsweise gegen das »Exxon Valdez«-Unglück auch eine Doppelrumpfausstattung nichts vermocht. Marcus: »Die Wucht war zu groß, beide Stahlwände wären aufgerissen worden.«
Bislang sind nur Spezialtanker für gefährliche Chemikalien von Gesetz wegen mit solcher Doppelhülle ausgestattet. Von den mehr als 3000 Öltankern, die gegenwärtig auf den Weltmeeren kreuzen, haben bisher erst die wenigsten eine zweite Stahlhaut, von den 400 bis 500 Supertankern (mit mehr als 150 000 Tonnen Tragfähigkeit) keiner.
Die bestehenden Sicherheitsmängel ebenso wie die Gigantomanie in der Tankschiffahrt sind eine Folge des rauschhaften Ölbooms, der die hochindustrialisierten Länder nach Ende des Zweiten Weltkriegs erfaßt hat.
Im Jahre 1945 konnten Öltanker gerade 16 000 Tonnen aufnehmen, ein Vierzehntel des Fassungsvermögens der jetzt auf den Meeresgrund gesunkenen »Haven«. Der größte gegenwärtig registrierte Öltanker, die »Seawise Giant«, kann 565 000 Tonnen bunkern (siehe Grafik Seite 260).
In nur anderthalb Jahren, schneller als ein neuer Automobil-Typ, wurden in den sechziger Jahren die ersten Supertanker entwickelt. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung wird mit 15 Jahren angegeben; 20 Jahre gelten als oberstes Limit.
Mancher ist freilich schon nach 10 Jahren seeuntüchtig und müßte aus dem Verkehr gezogen werden. Doch ähnlich wie in der Luftfahrt wird altersschwaches Gerät aus Rentabilitätsgründen von den Großen verkauft, zumeist an Billigflaggen-Reedereien, die sich eine gründliche Sanierung und Wartung der Schiffe erst recht nicht leisten können.
»Die Tankerflotte ist heute total veraltet«, hatte Dietrich Schröder, Leiter des Referates Umweltschutz der Bundeswasserstraßen im Bonner Verkehrsministerium, bereits vor einem Jahr konstatiert. Dem Laien ist ohnehin mulmig bei dem Gedanken, daß die Stabilität der stählernen Monstren allein auf dem Druckausgleich zwischen den (mit Öl oder Ballastwasser gefüllten) Tanks und den von außen andrängenden Wassermassen beruht.
Die Stahlhaut, welche die Ölfracht vom Meerwasser trennt, ist nur 30 Millimeter stark - dünner als eine Eierschale, wenn man die Dimensionen entsprechend umrechnet.
Nach Angaben des Ölkonzerns Shell verletzt gegenwärtig jeder zehnte im Einsatz befindliche Tanker die technischen Sicherheitsrichtlinien: Diese Schiffe seien eigentlich zu gefährlich, um Öl zu transportieren.
Doch noch größere Sicherheitsmängel sehen Experten wie etwa der BP-Manager Nicholas Hartley bei den ungenügenden Ausbildungsstandards für Schiffsoffiziere und Mannschaften weniger renommierter Companies.
Seit Jahren klagen Kritiker über die unqualifizierten Besatzungen auf Tankern, die unter Billigflagge fahren. In Staaten wie Liberia, Panama oder Zypern, in denen diese Schiffe zugelassen sind, wird es mit den internationalen Sicherheits- und Besatzungsbestimmungen nicht so genau genommen.
Da avancieren dann bei Bedarf Matrosen zum Bordingenieur, fixe Jungs vom Deckspersonal werden über Nacht zum Offizier befördert, und häufig besitzt nicht mal der Kapitän die nötige See-Erfahrung. Gerhard Hynitzsch, ehemaliger Kapitän: »Für ein paar Mark werden Männer aus dem Busch an Bord geholt, die gerade Bug und Heck unterscheiden können.«
Wo und wie oft es knallt und in welchen Meereszonen das meiste Öl als schwarze Pest in die Umwelt entlassen wird, das ließe sich, wie der Hamburger Meeresbiologe Professor Giere meint, auf einer Weltkarte eindrucksvoll markieren: Das Mosaik der Ölunfälle entspricht ziemlich genau den am meisten befahrenen Tankerrouten auf den Meeren.
So ist der Pazifik - außer dort, wo sich Tanker drängen - im Vergleich zum Atlantik oder zur Nordsee weit weniger gefährdet. Statistisch gesehen, meint Giere, der als Wissenschaftler an der Ölbeseitigung nach dem »Amoco Cadiz«-Unfall beteiligt war, seien die Nordsee-Anrainer geradezu überfällig.
Allein im letzten Jahr manövrierten etwa 200 Riesentanker durch die flache Öffnung des Jadebusens zum Ölhafen in Wilhelmshaven - und das, obwohl der größte Teil der deutschen Erdölimporte durch Pipelines aus Rotterdam herbeiströmt. Rund 1400 weitere Tanker befahren jedes Jahr die Elbmündung (dazu kommen noch 2300 Gas- und Chemikalientanker).
Die Bundesregierung rühmt sich umfangreicher Vorsichtsmaßnahmen gegen eine mögliche Katastrophe. Per Hubschrauber werden Lotsen an Bord der großen Tanker abgesetzt, wenn diese noch weit draußen im Meer schwimmen. Alle Schiffe in der Nordsee werden mit Radar überwacht, an Hand einer speziellen Tanker-Checkliste wird vor der Einfahrt in einen deutschen Hafen geprüft, ob der Ankömmling den Sicherheitsbestimmungen entspricht. Im Notfall soll eine Spezial-Flotte der Cuxhavener »Sonderstelle des Bundes Ölunfälle See/Küste« das Ausmaß eines Tankerunglücks begrenzen.
All das hätte weder im Fall des explodierenden Supertankers »Haven« noch bei der Kollision zwischen der Fähre »Moby Prince« und dem Tanker »Agip Abruzzo« etwas genützt.
Wenn sich Umweltschützer einen vergleichbaren Tankerunfall vor der deutschen Nordseeküste ausmalen, sind sie um den Schlaf gebracht. In kaum einer anderen Meeresregion wären die Folgen so verheerend. Ebbe und Flut würden den Ölfilm sogleich weit über das Watt ausbreiten. Damit wäre nicht nur Europas größter Naturpark, sondern das Gleichgewicht der ganzen Nordsee in Gefahr.
Im Watt, das im Ernstfall weder für Hilfsschiffe noch Landfahrzeuge zugänglich wäre, wachsen Scholle, Seezunge, Hering, Kabeljau und Wittling heran - Fischarten, die ein Drittel des Fangertrages in der Nordsee ausmachen. Schon geringe Konzentrationen von Öl würden Eier und Jungfische vernichten.
Die skurrilen Absaugschiffe, die den Ölteppich einsammeln sollen, mußten vor Genua, als es nur eben aufbriste, hinter schützenden Hafenmolen verschwinden. Ob sich der Plan der Italiener wird verwirklichen lassen, die zigtausend Tonnen Rohöl aus dem Wrack am Meeresgrund abzupumpen, blieb bis Ende letzter Woche unklar.
Um wieviel schwieriger wäre ein solches Unterfangen in den rauhen Gewässern vor Deutschlands Küste.
* Nach dem »Amoco Cadiz«-Unglück.