
#actout Es geht um Respekt. Und ja, auch um Jobs


Die Serie »Pose« versammelt vor und hinter der Kamera queere Menschen
Foto:FX Networks/ Netflix
Was für ein Aufschlag. 185 Schauspieler_innen outen sich am Freitag vergangener Woche im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter oder non-binär – zeitgleich erscheint ihr Manifest #actout. Worum es ihnen geht? »Noch zu oft haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde, (...) die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheim zuhalten, um unsere Karrieren nicht zu gefährden. Das ist jetzt vorbei.«
Die Rezeption war überwiegend positiv, es gab nur vereinzelt Kritik, die aber zeigt, dass viele das Problem noch immer nicht erkennen oder erkennen wollen. In der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung « etwa schrieb Sandra Kegel: »Bei einer Rolle übergangen zu werden mag ärgerlich sein und sicherlich auch kränkend, aber lebensgefährlich ist das nicht.« Die Tweets unter der »SZ«-Veröffentlichung zeigen, dass für viele offenbar immer noch das uralte pseudo-tolerante Motto gilt: Macht, was ihr wollt, aber bitte hinter verschlossener Tür.
Fast ebenso häufig begegnet einem der Einwand, queere Schauspieler_innen, die darauf bestehen, dass queere Rollen nur noch von queeren Darsteller_innen übernommen werden sollen, würden das Prinzip Schauspiel torpedieren.
Wer so argumentiert, hat das Problem nicht verstanden. Der Schauspieler Mehmet Ateşçi, Ensemblemitglied des Burgtheaters in Wien, erklärt es im Interview mit dem »SZ«-Magazin, das sechs der 185 ausführlich zu Wort kommen lässt: »Im Prinzip sollte jeder alles spielen dürfen. Es sollte keine Grenzen geben. Es ist bloß gerade so, dass heterosexuell, weiß, cis und ohne Behinderung alles spielen darf, und der Rest darf meistens nur sich selbst spielen«.
Cisgender identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
»Fuckable« bleiben
Es handelt sich also nicht nur um eine Frage der Identitäten, sondern es geht auch um eine ökonomische Frage. Es geht um Jobs. Eindrücklich wird von Karin Hanczewski in dem Interview erklärt, was Schauspielerinnen passiert, wenn sie sich outen: Sie sind dann nicht mehr »fuckable«. Sie meint damit, dass aufseiten der Produzenten, Regisseure und Redakteure – die sich oft hinter dem vermeintlich rückständigen Publikum verstecken – die Illusion nicht mehr funktioniere, die Frau als begehrenswerte Figur zu sehen. Schlichter gesagt: Sie können sich nicht mehr vorstellen, mit ihr Sex zu haben. In dieser Logik sind Lesben keine Projektionsfläche mehr für feuchte Träume von heterosexuellen Männern – und hier paart sich dann Homophobie mit Sexismus.
Heterosexuelle Schauspielerinnen und Schauspieler bleiben hingegen auch dann »fuckable«, wenn sie queere Parts übernehmen. Sie bekommen Preise und werden für ihre Performance gelobt, wie zum Beispiel Jake Gyllenhaal für »Brokeback Mountain«, Timothée Chalamet und Armie Hammer in »Call Me by Your Name« oder Hilary Swank in »Boys Don’t Cry«.
Neben dem ökonomischen Aspekt – wer bekommt welche Rolle – geht es auch darum, wie nicht-heteronormative Geschichten erzählt werden: Wer bekommt die Zugänge, wer darf welche Geschichten erzählen, wie werden diese Rollen angelegt, welche Stereotypen werden reproduziert – vor und hinter der Kamera. »Wir freuen uns auf all die neuen Geschichten, die wir gemeinsam darstellen und erzählen können«, heißt es im Aufruf dazu.
Der Schauspieler Ateşçi macht das im Interview an dem Beispiel deutlich, wie »Homosexualität bei mir, weil ich ja Türke bin, irritieren oder unerwünscht sein« soll: Da solle dann plötzlich sein Vater auftauchen, der ein Problem mit Homosexualität habe. Also kommt zur homophoben eine rassistische Erzählung hinzu: der schwule Türke, dessen Eltern ihn nicht akzeptieren, weil sie eben aus der Türkei kommen. Das verrät mehr über die Leute, die genau diese Geschichten immer und immer wieder einfordern – und zeigt, wieso es am Ende doch wichtig und richtig ist, darauf Einfluss zu nehmen, wer welche Geschichten wie erzählt.
Drittens geht es bei der Forderung, queere Akteur_innen queere Rollen spielen zu lassen, um Respekt und Sensibilität, vor allem, wenn wir über inter* und trans* Charaktere in Filmen und Serien sprechen. Inter*menschen tauchen als Figuren, wenn überhaupt, meist nur in Krankenhausserien auf, während trans* Frauen oft zum Beispiel als Sexarbeiterinnen, als Opfer eines Hassverbrechens gezeigt werden – oder nur als billige Punchline vorkommen. Wenn Schauspieler die trans* Frauen spielen, wie etwa Eddie Redmayne in »Danish Girl«, geht es in ihrer Performance fast immer um die Transness selbst – sie ist nie nur ein Teil der Figur, sondern das allumfassende Thema.
Deswegen forderten im Jahr 2017 trans* Schaupieler_innen aus den USA in einem offenen Brief an Hollywood: »Lassen Sie uns Ihnen helfen, diese Geschichten zu erzählen. Oder noch besser, helfen Sie uns, sie selbst zu erzählen und lassen Sie uns den Part spielen. Ja, Sie geben uns einen Job und dafür danken wir Ihnen. Sie werden aber auch die Welt für eine stark unterrepräsentierte und gefährdete Bevölkerung ein wenig sicherer machen.«
Was hat die Besetzung von fiktiven Rollen mit der Lebensrealität von trans* Menschen zu tun? Wenn Jared Leto in »Dallas Buyers Club« die Rolle der trans* Frau Rayon spielt, bleibt die Figur in den Köpfen der Zuschauer eben ein Cis-Mann. In der Netflix-Doku »Disclosure« greift die Schauspielerin und Drehbuchautorin Jen Richards auf, warum vor allem Cis-Männer nicht trans* Frauen spielen sollten und setzt das in Verbindung zu der Gewalt, die sie tagtäglich erleben. Die Medien würden die falsche Vorstellung reproduzieren, dass trans* Frauen eigentlich Männer in Frauenkleidung seien, die andere Cis-Männer täuschen wollen. Genau das würde Gewalt gegen sie provozieren, bis hin zum Mord. »Bis die Gewalt aufhört, können Cis-Männer keine trans* Frauen spielen«, schreibt Richards auf Twitter .
Es geht nämlich durchaus um Leben und Tod.
Having trans actors play trans characters is about more than opportunity.@Disclosure_Doc is now on Netflix pic.twitter.com/u3zMiWhuew
— Netflix (@netflix) June 25, 2020
Ein Gleichgewicht herstellen
Auch Richards ist – wie der Schauspieler Ateşçi vom Burgtheater – also nicht gegen das Prinzip »Alle sollen alles spielen dürfen«. Das entscheidende Wort in ihrem Satz heißt »bis«, also eine Zeitangabe. Es geht darum, ein Gleichgewicht herzustellen, von dem viele glauben, es gäbe es, obwohl das nicht stimmt. Ähnliches fordert auch das Manifest von #actout.
Natürlich kann Scarlett Johansson einen Baum spielen , wie sie sagte, nachdem es Kritik an ihr gegeben hatte, als sie einen trans* Mann spielen wollte. Und James Corden darf auch den klassischen stereotypisierten schwulen Mann aus den Neunzigerjahren in »The Prom« darstellen, wofür er ja dann auch als bester Hauptdarsteller bei den Golden Globes nominiert wurde. Niemand verbietet es ihnen, und sie tun es in den meisten Fällen auch. Es bleibt jedoch ein seltsames Ungleichgewicht, wenn queere Schauspieler_innen (wenn überhaupt) nur queere Rollen spielen dürfen und alle anderen alles spielen dürfen. Wenn Menschen nun also anfangen, sich darüber zu beschweren, es würde ja heterosexuelle Schauspielerinnen und Schauspieler diskriminieren, ist das natürlich albern, weil es von einem Anspruch ausgeht, der uns einreden soll, dass wir alle die gleichen Chancen haben.
Das ist auch deshalb perfide, weil es suggeriert, queere Schauspieler_innen seien einfach nicht gut genug – und deswegen müssten Hetero-, Cis-Schauspieler die Parts übernehmen. Diese verlogene Argumentation soll verdecken, dass Menschen, die sich als offen und tolerant, sogar als Allies ausgeben, eben nicht gewillt sind, etwas abzugeben. Das ist ihr gutes Recht, aber dann sollte auch benannt werden, worum es ihnen wirklich geht.