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Jay Radhakrishnan/ Getty Images

Zukunftsforscher zur Coronakrise »Konsum nach Maß« als neue Glücksformel?

Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski führt regelmäßig Studien zur Entwicklung in Deutschland durch. Im Interview spricht er darüber, wie sich die Gesellschaft durch Corona verändern wird.
Ein Interview von Lucia Heisterkamp und Lina Verschwele

SPIEGEL: Herr Opaschowski, können wir als Gesellschaft etwas aus der Coronakrise lernen?

Opaschowski: Ja, ganz sicher. Diese Krise ist einzigartig, weil sie uns alle betrifft und uns vor ganz grundsätzliche Fragen stellt: nach Leib und Leben, Glück und Tod. Wir können danach nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

SPIEGEL: Was heißt das konkret?

Opaschowski: Die Menschen werden jetzt neu darüber nachdenken, was ihnen wichtig ist. Wir sehen beispielsweise, dass das Gesundheitswesen gerade einen ganz neuen Stellenwert bekommt. Gesundheit ist plötzlich das höchste Gut, Pfleger und Ärzte sind die neuen Heiligen. Das verdrängt die Konsumorientierung, die wir vorher hatten. Nach der Krise werden sich die Leute häufiger fragen: Was ist mir wichtig und worauf kann ich verzichten? "Konsum nach Maß" könnte die neue Glücksformel sein.

SPIEGEL: Kaufen die Leute nicht eher mehr, jetzt, wo langsam alles wieder öffnet? Wir sehen doch lange Schlangen vor den Läden?

Opaschowski: Die Schlangen ergeben sich ja durch die Abstandsregelungen und weil nur eine begrenzte Zahl an Kunden in die Geschäfte darf. Insgesamt beobachte ich eine starke Zurückhaltung im Kaufverhalten der Leute. Und ich prognostiziere, dass das langfristig so bleibt. Die Bürger werden über Geld und Güter neu nachdenken, viele werden ihr Geld auf Vorsorge sparen.

Auch das Eigentumsdenken wird sich verändern: Manche werden lieber eine Mietwohnung nehmen als eine Eigentumswohnung. Man könnte das eine neue Bescheidenheit der Deutschen nennen. Carsharing könnte attraktiver werden als der Autokauf auf eine halbe Lebenszeit. Die Verbraucher werden zurückhaltender sein als vorher, besonnener.

SPIEGEL: Was macht Sie so sicher, dass die Menschen besonnener werden? Wächst durch Corona nicht vor allem die Angst in der Bevölkerung?

Opaschowski: Tatsächlich sehen wir, dass die Ängste und Sorgen der Deutschen gerade nicht wachsen, sondern zurückgehen. Ich führe regelmäßig Repräsentativbefragungen durch, so kann ich vergleichen, wie sich die Einstellungen in der Bevölkerung von Anfang des Jahres zu heute verändert haben. Und wir sehen ganz deutlich: Die Deutschen werden optimistischer. Die Zuversicht wächst – trotz der Krise! Das überrascht ja selbst die Politiker, dass die Bürger so ruhig gestimmt sind und alle Maßnahmen mitmachen. Von der sogenannten German Angst ist nichts zu spüren.

"Vielleicht werden wir ärmer aus dieser Krise hervorgehen - aber nicht unbedingt unglücklicher"

Horst Opaschowski

SPIEGEL: Woran liegt das?

Opaschowski: Es ist eben ein Unterschied, ob eine Krise weit weg stattfindet - Fukushima irgendwo in Japan - oder ob wir alle davon betroffen sind. Der Nachbar nebenan ebenso wie die Menschen auf einem anderen Erdteil. Das macht die Krise unmittelbar erfahrbar. Und es gibt ein psychologisches Phänomen aus der Glücksforschung, das lautet: Wenn die anderen genauso viel erhalten wie ich, dann bin ich glücklich. Wenn ich 1000 Euro habe und der Nachbar auch, dann bin ich zufrieden.

Bekomme ich aber 2000 Euro und der Nachbar 3000, dann bin ich unglücklich, obwohl ich mehr Geld in der Hand habe. Wir vergleichen uns miteinander. Und gerade ist es egal, ob ich nach Spanien, Italien oder Frankreich schaue: Überall haben die Leute die gleichen Probleme. Das macht die Einzigartigkeit dieser Krise aus, man kann das höchstens mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen, an dem die halbe Welt beteiligt war.

SPIEGEL: Was ist mit denjenigen, die jetzt gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, weil sie an Verschwörungstheorien glauben?

Opaschowski: Das ist doch nur eine kleine Minderheit. Im aktuellen ARD-Trendbarometer wurde gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen die Einschränkungen durch Corona mitträgt. Es gibt natürlich Menschen, vor allem jene, die besonders unter den Maßnahmen leiden, die jetzt nach einem Sündenbock für diese ganze Krise suchen. Damit versuchen sie, sich von ihren persönlichen Problemen zu entlasten. Das sind aber nur sehr wenige – leider werden die Proteste von den Medien viel zu sehr gepusht.

Wenn in Deutschland ein paar Tausend Menschen an einem Wochenende demonstrieren, dann wird natürlich nicht über die 80 Millionen berichtet, die etwas ganz anderes machen. Die Medien zeigen eben lieber die bad news. Aber die Mehrheit der Bürger hat gerade ein starkes Vertrauen in die Politik. Die meisten Menschen sind relativ ruhig und besonnen, und das wird auch so bleiben.

SPIEGEL: Glauben Sie wirklich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen von Dauer sind? Kehren wir nicht nach der Krise einfach zum Normalzustand zurück?

Opaschowski: Das glaube ich nicht. Diese Krise hat uns vom Sockel des Wohlstands runtergeholt. Damit hat niemand gerechnet, weil wir alle gefangen waren in dem "Immer mehr". Jetzt stellt sich plötzlich die Frage: Was heißt eigentlich in Zukunft "immer besser"? Das wird sich nachhaltig auswirken. Auch die Wirtschaft kann ja nicht von heute auf morgen zur Tagesordnung übergehen. Vielleicht werden wir ärmer aus dieser Krise hervorgehen. Aber nicht unbedingt unglücklicher.

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