

Alltag im neuen Shutdown Wann wird unser Leben endlich wieder normal?
Wann lassen die Belastungen endlich nach? Je schneller und intensiver die Krisen- und Katastrophenmeldungen auf uns hereinprasseln, desto häufiger hört man den sehnsüchtigen Wunsch, es möge doch nun bald endlich wieder alles normal werden. Wieder klarere Perspektiven geben, auf welche Ziele hin man sein Leben ausrichten soll, worauf man hoffen darf. Und im Alltag mehr Routinen – Tagesabläufe, wie sie »früher« waren. Diese Fragen und Bedürfnisse sind verständlich – aber sind sie auch sinnvoll?
Nichts spricht gegen warme Erinnerungen und ein bisschen Nostalgie. Zum Problem wird die Sehnsucht nach der vermeintlichen Normalität dann, wenn sie eine Ankunft in der Gegenwart erschwert, die Anpassung an das Hier und Jetzt komplizierter macht. Nur: Wie kommt man ihr am besten bei?
»Normal« – was heißt das eigentlich?
Vielleicht hilft es, das Wort Normalität auf seine Doppeldeutigkeit hin zu untersuchen. Denn in »normal« steckt dem Sinn nach ja beides: zum einen das allgemein Verbreitete, Durchschnittliche. Und zum anderen die Norm, die Werte also, an denen man sich orientieren sollte.
Die Frage danach, was normal ist, richtet damit den Blick auf eine Momentaufnahme, auf Mittelmaß und Mittelwert der Gegenwart oder der vermissten Vergangenheit. Die Frage nach der Norm geht darüber hinaus – auf das Höhere, in die Zukunft hinaus. Was dann zum Problem wird, wenn das Durchschnittsverhalten mit den zukunftsorientierten Werten nicht gut vereinbar ist.
Sich am Verhalten, etwa am Alkohol- und Zuckerkonsum der Allgemeinheit zu orientieren, ist etwa für jene kein guter Richtwert, die gesund alt werden wollen. Und wenn man sich für seine Kinder eine Zukunft wünscht, die der Gegenwart klimatisch einigermaßen ähnelt, dann ist das Maß, in dem die Mehrheit der Deutschen Auto fährt und Flüge bucht, auch nicht das, was man zum Ideal erheben sollte.
Fragen Sie sich deshalb jetzt: Wenn ich diese Krise gut überstehe, gar gestärkt aus ihr hervorgehe, wie will ich leben, wer werde ich sein wollen? Und, wenn ich mich in diese Person der Zukunft hineinversetze, die die Krise bereits gemeistert hat: Welchen Rat würde ich meinem heutigen Ich geben? Welche der Dinge, die mir jetzt wichtig erscheinen, werden auch aus diesem Rückblick aus der Zukunft in das Jetzt hinein eine wichtige Rolle spielen?
Gegen die Macht der Gewohnheit
Mit dieser Perspektive vor Augen lässt sich besser entscheiden, für welche Rituale und Gewohnheiten es sich in Zeiten des Umbruchs zu kämpfen lohnt. Wie würde mein zukünftiges Ich wohl meine Pläne für die kommenden Tage und Wochen beurteilen? Ist es wirklich so eine gute Idee, gerade jetzt dem Gewohnheitstier in mir so eine Macht zu geben? Ist nicht gerade die Unterbrechung eine Gelegenheit, manch alte Gewohnheit zugunsten einer neuen, besseren aufzugeben?
Die Band Ton Steine Scherben sang einst, in der auch nicht immer nur guten alten Zeit: »Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten«. Es kann gut sein, dass wir den Tiefpunkt gerade erreicht haben, dass es bald wieder besser wird. Brillante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben innerhalb kürzester Zeit nicht nur das Virus analysieren und Nachweistests entwickeln können, sondern auch einen revolutionären Impfstoff. All das wäre vor ein paar Jahrzehnten, ja vor ein paar Jahren völlig undenkbar gewesen. Vielleicht hilft diese Erfahrung auch, zukünftige Herausforderungen endlich mutiger anzugehen, den Klimawandel etwa. Wenn wir über die Dämmerung des neuen Tages nicht vergessen, dass Zukunft nicht in der Wiederholung des ewig Gestrigen liegen kann.