

Psychische Folgen Junge Menschen kommen weniger gut mit dem Lockdown klar
Menschen, die sich um diese Jahreszeit normalerweise mit Freunden und Familie im Park, am Strand oder im Lieblingscafé treffen würden, stehen jetzt brav vor dem Supermarkt Schlange und halten dabei mithilfe der provisorisch auf den Boden geklebten Striche Abstand voneinander. Nach dem Einkauf geht es, Passanten weiträumig ausweichend, auf direktem Weg zurück in die eigenen vier Wände. Nicht immer wartet dort jemand.
Alles ist anders dieser Tage. Und auch, wenn der Präsident des Robert Koch-Instituts die Bevölkerung dafür lobt, sich vorbildlich an die auferlegten Maßnahmen zu halten, kann einem schon etwas mulmig werden beim Gedanken daran, dass nicht einmal Lothar Wieler genau sagen kann, wie lange die Social-Distancing-Auflagen noch andauern werden.
Soziale Isolation triggert Ängste
Nicht jeder empfindet diese Zeit gerade als entschleunigend. Für Menschen, die unter psychischen Krankheiten leiden, stellt die soziale Isolation eine besondere Herausforderung dar, sie triggert Ängste oder Depressionen. Je länger die Maßnahmen andauern, desto höher wird das Risiko, dass sich die mentale Belastung des Lockdowns auch auf psychisch gesunde Menschen auswirkt - oder sogar auf die gesamte Gesellschaft.
Durch die Pandemie droht eine erhebliche Zunahme von Depressionen und Angstzuständen, von Substanzmissbrauch, Einsamkeit und häuslicher Gewalt, schreiben internationale Forscher in einem Beitrag, der vergangene Woche im Fachjournal "Jama" veröffentlicht wurde . Bereits frühere Katastrophen größeren Ausmaßes - wie etwa der Anschlag auf das World Trade Center in New York oder Naturkatastrophen wie Hurrikane - waren den Wissenschaftlern zufolge immer begleitet von einem Anstieg an Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen psychischen Krankheiten in der Gesellschaft.
"Auch die Coronakrise könnte zu einer psychischen Gesundheitskrise werden", sagt Raffael Kalisch vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung (RIL) in Mainz. Zusammen mit der Charité Berlin und einem Konsortium von rund 70 anderen Resilienzforschern hat Kalisch eine weltweite Studie gestartet, die untersucht, welche Faktoren die Psyche in der Coronakrise schützen. "Wir haben es mit einer unbekannten Bedrohung zu tun: Auf einmal vermengen sich wirtschaftliche und medizinische Faktoren", sagt Kalisch. "Nach dem Lockdown wird es Menschen geben, die durch die Krise materiell und psychisch schwer geschädigt sein werden."
Bereits in früheren Studien zum Einfluss von Quarantänemaßnahmen auf die Psyche wurde herausgefunden, dass besonders die Angst um die eigene Gesundheit und die der Angehörigen, eine fehlende Alltagsroutine, fehlender sozialer und körperlicher Kontakt, Langeweile und der Mangel an Vorräten und medizinischer Versorgung sich negativ auf die mentale Gesundheit auswirken können. Die Belastung nimmt demnach mit der Dauer der Quarantäne zu.
Und auch nach dem Lockdown drohen Stressfaktoren wie finanzielle Probleme durch Arbeitsausfall und finanzielle Abhängigkeit von Angehörigen, insbesondere bei Geringverdienern.
Die Dynacore-Studie (Dynamische Modellierung der Corona-Resilienz) soll nun Aufschluss darüber geben, welche Menschen mit dem durch die aktuelle Krise ausgelösten Stress besser umgehen können - und warum. "Wenn wir die Resilienzfaktoren kennen, können wir Handlungsempfehlungen ableiten", sagt Resilienzforscher Kalisch. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende psychische Beeinträchtigung zu überstehen. Diese psychische Widerstandsfähigkeit sei nicht angeboren, sondern das Ergebnis eines Anpassungsprozesses, der während einer Krise stattfindet, so Kalisch: "Solche Fähigkeiten kann man trainieren."
Das Gehirn sei erst einmal so gepolt, dass es Informationen darüber sammele, was die Zukunft bringen könnte. "Da erhalten wir gerade keine guten Infos, also fangen wir an zu grübeln", erklärt Kalisch. "Das ist besonders für diejenigen schwierig, die anfällig sind für stressbedingte Erkrankungen oder Depressionen." Wichtig sei es daher, nicht nur die Informationsaufnahme zu kontrollieren, sondern sich auch mit positiven Menschen zu umgeben und produktiv und prosozial mit der Situation umzugehen.
Die ersten Zwischenergebnisse der Onlinebefragung von rund 5000 Teilnehmern aus Europa liegen bereits vor. "Wir können beobachten, dass die psychische Gesundheit der Menschen stark davon abhängt, wie sie Bedrohungen generell und die Bedrohung durch Corona im Besonderen für sich persönlich bewerten", sagt Kalisch. "Wer dazu neigt, die positiven Aspekte zu sehen und zu akzeptieren, was man nicht ändern kann, scheint besser mit der Krise klarzukommen." Optimisten zeigten eine größere Resilienz. Dabei gehe es nicht darum, die Gefahr zu verharmlosen, sondern sie realistisch einzuschätzen: "Blinder Optimismus hilft auch nicht - man sollte einfach nicht überreagieren."
Die Forscher seien bereits dabei, eine App zu entwickeln, die Menschen helfen soll, positive Denkmuster zu entwickeln. "Wer etwa daran denkt, wem es gerade sehr viel schlechter geht, bewertet seine eigene Situation automatisch als nicht so schlimm", sagt Kalisch. "Man kann auch darüber nachdenken, ob man andere unterstützen könnte oder sich auf seine Stärken besinnen."
Daten aus China weisen darauf hin, dass die Rate an Depressionen, Angst und Schlafproblemen seit dem Corona-Ausbruch in dem Land gestiegen ist. Vor allem junge Menschen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens scheinen demnach einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen ausgesetzt zu sein.
Gewöhnung an die Krise setzt ein
In Deutschland beobachtet das Projekt "Cosmo" die psychologische Lage der Bevölkerung. Aus den wöchentlichen Umfragen, die federführend von der Universität Erfurt durchgeführt und unter anderem vom RKI und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützt werden, geht ebenfalls hervor, dass es vor allem die jungen Menschen sind, die die Corona-Lage als belastend einschätzen. Sie zeigen demnach mehr Langeweile, Einsamkeit, Niedergeschlagenheit, Nervosität und Angst als ältere.
"Wir können mit dem Monitoring ein Bild der Pandemie in Deutschland nachzeichnen", sagt Cornelia Betsch, die das Projekt an der Erfurter Uni leitet. "Vor allem in den ersten beiden Wochen des Lockdowns konnten wir sehen, dass die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung gestiegen ist." Und das sei auch notwendig, damit sich die Menschen an die von der Regierung verfügten Maßnahmen hielten: "Man muss ein gewisses Risiko wahrnehmen, damit man sich schützt."
Seit sechs Wochen werden zweimal wöchentlich Menschen in ganz Deutschland zu ihrer Risikowahrnehmung befragt. Anhand der Datenerhebung zeigt sich, dass mittlerweile eine Gewöhnung an die Krise eingesetzt hat. Das könnte möglicherweise langfristig zu einer sinkenden Bereitschaft führen, die Maßnahmen konsequent einzuhalten. Dennoch bleiben auch in der sechsten Studien-Woche die Ängste und Sorgen auf einem relativ hohen Niveau.
Das kann aber auch Chancen mit sich bringen: "Ich hoffe, dass uns die Krise zu einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl verhilft", sagt Wissenschaftler Kalisch. Das sei die Idee der Resilienz: Gestärkt aus der Krise wieder hervorgehen.