Gender-Pay-Gap Warum bekommen Deutschlands Fußballerinnen weniger, als sie verdienen?

Westend61 / IMAGO
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Meine Augen machen einen 360-Grad-Check-Schwenk in der riesigen Halle: An den Kickertischen stehen meist nur Männer. Es ist mein erstes großes Turnier, und ich frage meinen Kickerpartner, eine echte Tormaschine, warum denn so wenige Frauen hier mitspielen. Er überlegt, grinst, dann verfällt er ins Mansplaining: »Es hat was mit der Gehirn-Hand-Koordination zu tun, Frauen beherrschen das nicht so gut. Es fehlt auch der Wumms beim Schuss.«
Ich hatte mal einen Traum von Gleichberechtigung. Als Kind verfügte ich schon über einen präzisen Kompass für jede Art von Ungerechtigkeit. Die Mütter wuschen ab, sie kochten, und die Väter gingen arbeiten. Die Mütter arbeiteten auch, aber sie hatten eben zwei Jobs, plus Kinder.
Ich wurde gezwungen, es meiner Mutter gleichzutun. Ich musste abwaschen, häkeln lernen und aufräumen. Mein Bruder hingegen musste nicht abwaschen, nicht häkeln lernen und auch nicht aufräumen. Allenfalls mal den Müll runterbringen, das galt als »männliche« Aufgabe. Ich diskutierte mir den Wolf, denn er bekam auch immer mehr vom Nachtisch. Und mehr Zuneigung. Ich schwor mir, es in meinem Leben später mal anders zu machen. Meine Hoffnung war eine Welt, in der Frauen für die gleiche Arbeit gleiches Geld verdienen, die Hausarbeit paritätisch aufgeteilt wird und auch Männer das Klo putzen, freiwillig.
60.000 Euro Prämie für die Frauen, 400.000 für die Männer
»Wir haben 2022. Frauen und Männer sollten gleich bezahlt werden. Das gilt auch für den Sport«, hat Olaf Scholz getwittert. Mein Traum ist auch nach viereinhalb Jahrzehnten nicht in Erfüllung gegangen, der Bundeskanzler bestätigt das. Zwar dürfen Frauen auch zur Primetime eine Fußball-Europameisterschaft spielen, aber es gibt immer noch einen nicht gerade kleinen Pay-Gap. Gewinnen die Frauen die EM, bekommt jede eine Prämie von 60.000 Euro. Die Männer hätten im vergangenen Jahr 400.000 Euro abgesahnt.
Oliver Bierhoff, Geschäftsführer der deutschen NationalMANNschaft, stottert sich im Fernsehen nach dem Gezwitscher des Kanzlers irgendwas zurecht. Die Frauen hätten doch einen ebenso großen Trainerstab wie die Männer und eine tolle Doku bekommen, »…die wir übrigens auch finanziert haben«, schiebt er noch hinterher.
Diese »Doku«, die der DFB im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter dem Titel »Born for this – mehr als Fußball« ausstrahlen lässt, wird dominiert von endlosen Super-Slow-Mos und schwülstiger Musik, und dann schwebt Kapitänin Alexandra Popp durch ein englisches Teehaussetting, inklusive Seerosen. Eine andere Spielerin erzählt was von »ganz viel Herz für Kinder«.
Mann und Frau stelle sich das umgekehrt vor: Manuel Neuer im Teehaus, Seerosen in der Unschärfe, er erzählt irgendwas vom Teamgeist. Dann sieht man Antonio Rüdiger in einer David-Hamilton-Einstellung zu Hause, und er schwärmt davon, wie großartig seine Tätigkeit als Nationalspieler mit der Aufzucht seiner beiden Kinder zu vereinbaren ist. Wir haben 2022…
In der Jugend erlebt man vieles zum ersten Mal: den ersten Kuss, die erste Reise ohne Eltern. Wenn man die Marke 50 streift, geschieht auch viel Neues: die ersten Hitzewallungen, das erste künstliche Gelenk. Und einiges sieht man plötzlich anders. Warum früher trotzdem nicht alles besser war, davon erzählen an dieser Stelle unsere vier Kolumnistinnen und Kolumnisten im Wechsel. Alle Kolumnen finden Sie hier.
Die Sache mit der geschenkten Doku erinnert mich an eine Zuwendung meines Arbeitgebers. Ich war zu der Zeit in einer Redaktion tätig, in der die Frauen deutlich weniger im Monat verdienten als die Männer. Für die gleiche Arbeit, versteht sich. Als ich mich im Jahresgespräch darüber beschwerte, wurde mir zum Trost ein iPad zugewiesen. Man könne die Gehälter schließlich nicht nach unten anpassen. Dann hätten die Männer nämlich zweieinhalb iPads weniger verdient – im Monat. Das ist noch nicht so lange her.
Wir haben 2022.
Augen auf: Es sind nur Gegnerinnen auf dem Platz!
Das Spiel Deutschland gegen Spanien wird von einem Mann anmoderiert, Claus Lufen, neben ihm steht Nia Künzer als Expertin. Mansplaining-mäßig informiert er sie über die Wesenszüge des Fußballs. Die Frau hat einen Weltmeisterinnen-Titel in dieser Disziplin gewonnen.
Es kommentiert das Spiel natürlich auch: ein Mann. Bernd Schmelzer spricht immer von der »Frauen-NationalMANNschaft«. Die ARD-Leute sind doch in England. Sie könnten doch einfach »Team« sagen. Es ist auch immer noch die Rede von »dem Gegner«. Hallo, Augen auf, es sind nur Gegnerinnen auf dem Platz!
Die geschenkte Doku nach dem Spiel ist kaum auszuhalten. Ich rette mich zu Netflix, doch dieser Tag scheint verflucht. It's still a men's world. Ich stoße auf den Film »The Gentlemen« von Guy Ritchie. Hoch sensibilisiert lausche ich der Erzählerstimme, sie sagt über einen der Protagonisten: »Er ist ein Raubtier, listig und gnadenlos.« Es beginnt der Tanz der Alpha-Männchen. Bis Minute 08.12 kommt keine einzige Frau vor im Film. Bei 11.49 darf Frauchen erstmals sprechen: Sie entschuldigt sich, wofür auch immer. Ich schalte ab.
Eine Frau an der Motorsäge ist nicht sexy?
Dann poppen ganz viele Bilder vor meinem inneren Auge auf: Männer an Stromgitarren, Männer (und eine Frau) beim G7-Gipfel, Männer am Steuer eines übermotorisierten Motorbootes. Wo sind die Frauen am Steuer eines Maserati, am Grill, an der Motorsäge?
Das sei nicht sexy, sagte neulich ein Freund von mir. »Ist das so, als ob mir ein Mann erzählen würde, dass er gern Tutu trägt?«, frage ich. Mein Freund nickt. Ich solle vielleicht nicht mehr so oft erwähnen, dass ich eine Stihl-Motorsäge besitze, »das wirkt abschreckend auf Männer«.
Wir haben 2022.
Wenn Oliver Bierhoff dem Kanzler, wie er anbot, das Ganze mal darlegt, unterschlägt er das hier hoffentlich nicht: Der DFB ist offiziell ein Verein, in der die Gleichberechtigung in der Satzung verankert ist, kein profitorientiertes Unternehmen. Er kann anders mit seinen Einnahmen umgehen als ein DAX-Unternehmen. Zum Beispiel Vorbild sein. Die Herren der Fußballnationalmannschaft mit ihren Millionengehältern dürfte es nicht in die Armut stürzen, wenn der DFB wenigstens die Prämien gerecht aufteilte.