Private Inventur Warum kostet plötzlich alles fast doppelt so viel?

Eine Midlife-Kolumne von Christina Pohl
Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich noch in D-Mark rechne: Kann es wirklich sein, dass ich für Discounter-Butter inzwischen drei Mark dreißig bezahle? Soviel ist klar: An Corona allein kann das nicht liegen.
Foto: CACTUS Creative Studio / Stocksy United

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Jedes Jahr im Januar mache ich eine Inventur in meinem Leben. In der Folge stelle ich regelmäßig fest, dass ich dringend irgendetwas Neues brauche. Leider bin ich nicht gut im Rechnen. Doch in diesem Jahr stelle selbst ich fest, dass irgendetwas nicht stimmt.

Ich brauche eine neue Matratze. Die alte ist prima, aber sie ist mehr als zehn Jahre alt, aus Milbenhausen soll keine Megacity werden. Also wollte ich einfach die gleiche Matratze noch einmal kaufen – und stellte fest, sie kostet jetzt doppelt so viel. Warum? »Die Lieferwege und die Pandemie…«, sagte der Matratzenhändler.

Ein neues Fahrrad brauche ich leider auch. Ein ähnliches Modell, wie vor zwölf Jahren gekauft, kostet statt 499 Euro jetzt fast 1000. »Die Radbranche generell wird etwa zehn Prozent Preiserhöhungen nicht vermeiden können. Die Lieferwege und die Pandemie…«, sagte der Fahrradhändler. Die Pandemie gilt als Begründung aber nur für die letzten knapp zwei Jahre. Warum kostet plötzlich fast alles doppelt so viel?

Die Preise fliegen uns um die Ohren wie illegale Polenböller normalerweise zu Silvester. Ich fand die letzten beiden Jahresendfeiern eigentlich ganz schön. Es blieb vergleichsweise ruhig.

Stattdessen explodierten nicht nur die Matratzen- und die Fahrradpreise, sondern auch die Spritpreise. Auch die Müllabfuhr erhöhte die Gebühren. Selbst ein Grundnahrungsmittel wie ein Stück gute Butter kostet beim Discounter jetzt 1,65 Euro. Das sind, auweia, ich rechne manchmal noch in D-Mark, drei Mark und dreißig Pfennige!

Das Euro-Bargeld feierte gerade sein 20-jähriges Jubiläum. Kohl & Co. hatten uns damals versprochen, dass alle Preise halbiert werden. Das war garantiert bei den Löhnen so, aber kurz nach dieser Währungsreform zogen die Preise an. In meiner Erinnerung begann es in der Gastronomie. Wir Boomer rechneten noch lange in Deutsche Mark und fanden es unverschämt, dass plötzlich die gleiche Nudel beim Italiener sieben Euro statt 9,90 Mark kostete, also vier Mark mehr.

Heute bekommt man kaum noch ein warmes Tellergericht unter 12 Euro, das sind 24 Mark! Preise, die mein Gefühl, ich hätte eine Dyskalkulie, verstärken.

Alter! – Die Midlife-Kolumne

In der Jugend erlebt man vieles zum ersten Mal: den ersten Kuss, die erste Reise ohne Eltern. Wenn man die Marke 50 streift, geschieht auch viel Neues: die ersten Hitzewallungen, das erste künstliche Gelenk. Und einiges sieht man plötzlich anders. Warum früher trotzdem nicht alles besser war, davon erzählen an dieser Stelle unsere vier Kolumnistinnen und Kolumnisten im Wechsel. Alle Kolumnen finden Sie hier.

Es wäre ja alles nicht so schlimm, wenn die Löhne auch gestiegen wären. Doch selbst das Statistische Bundesamt gibt zu, dass die Reallöhne zwischen 1991 und 2019 lediglich um 12,3 Prozent gewachsen sind.

Mit der Einführung des Euro hat die Bundesregierung einfach damit kalkuliert, dass die Preise in einem gewissen Maß steigen. Nur haben wir das nicht so richtig mitbekommen. Wie Mediziner ein Medikament ausschleichen, hat die Wirtschaft sich bei uns eingeschlichen mit ihren neuen Mondpreisen. Ganz langsam. Und das Ergebnis? Wucher, oft genug.

Der BAföG-Höchstsatz für Studenten liegt im Moment bei 861 Euro. Mein Sohn zahlt allein 523 Euro Miete in seiner WG in Freiburg. Für ein 13 Quadratmeter kleines Zimmer. Es gibt nichts anderes auf dem Immobilienmarkt. Punkt.

Die Worte »Pandemie« und »Lieferwege« gehören zu den neuen Totschlagargumenten.

Gleich zwei meiner Freundinnen haben mich in der vergangenen Woche angerufen. Ihre Stromlieferanten hatten einfach gekündigt. Sie wollten einen Tipp von mir, aber was soll ich raten? Schmeißt euch dem nächsten Energie-Raptor an den Hals? Akzeptiert halt die teure Grundversorgung? Die Verbraucherzentralen haben reagiert. Es gibt Formschreiben im Netz, aber noch ist nicht klar, wie die Prozesse ausgehen werden. Wie kann es sein, dass die Energieversorger, es geht hier schließlich um ein grundlegendes Bedürfnis wie »Ich will nicht frieren«, einfach kündigen können?

Ich hege den Verdacht, dass mit der steigenden Inflation jede Menge Trittbrettfahrer und Wegelagerer ihre Kunden mit Erpressermethoden melken. Die Worte »Pandemie« und »Lieferwege« gehören zu den neuen Totschlagargumenten.

Sparen lohnt sich für Normalbürgerinnen und Normalbürger auch nicht mehr. Wegen der Niedrigzinsen, wegen der bisweilen sogar anfallenden Kosten für die Lagerung des Geldes – haben Banken Geldspeicher wie Dagobert Duck? – sind wir quasi gezwungen, unsere Kohle im weltweiten Glücksspiel anzulegen. ETFs, Aktien, Bitcoins – ich fühle mich mit meinen mangelnden Börsenkenntnissen reichlich überfordert.

Aber wer von den wilden Wucherungen der Pandemie profitiert, ist offensichtlich. Die Reichen. Es gibt sogar richtige Corona-Millionäre, die nur damit so viel Geld scheffeln konnten. Das Virus dürfte zudem die weltweite Korruption gefördert haben.

Alle Milliardäre dieser Welt konnten ihr Vermögen im vergangenen Jahr trotz der Krise um 60 Prozent steigern. Elon Musk, Jeff Bezos und so weiter – das Vermögen der zehn reichsten Menschen ist seit März 2020 um 800 Milliarden Dollar gestiegen, so eine Oxfam-Studie . Mit diesem Geld hätte man locker eine Impfkampagne für die gesamte Menschheit finanzieren können.

Olafs »Bazooka« und die anderen Milliarden, die die Regierungen der Welt in die Wirtschaft gepumpt haben, blieben vor allem bei Menschen hängen, die von steigenden Aktienkursen profitieren.

Da muss man sich gar keine irre verschwurbelte Verschwörungstheorie ausdenken. Das sind knallhart gerechnete Zahlen, für die meisten Menschen, mich eingeschlossen, unvorstellbar viel Geld. Es lohnt sich, darüber mal nachzudenken. Nur nicht quer, am liebsten geradeaus.

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