Jobwechsel und Karriere "Die Leute unterschätzen das Risiko des Bleibens"
Angeblich gehen die Menschen nirgendwo so lustlos zur Arbeit wie in Deutschland. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie Anfang März gekommen - also noch bevor die Coronakrise unseren Arbeitsalltag komplett durcheinandergewirbelt hat.
Die Stimmung dürfte sich seitdem kaum gebessert haben, doch trotzdem werden sich viele sträuben, den Job zu wechseln. Denn für mehr Zufriedenheit muss man einiges wagen: Ängste überwinden – und sich vielleicht sogar beruflich neu orientieren.
Das kann riskant sein, und ist definitiv keine einfache Entscheidung. Psychologe und Karrierecoach Tom Diesbrock hat schon viele Menschen dabei begleitet und weiß, wie das Projekt der beruflichen "Neuerfindung" gelingen kann. "Ich empfehle immer, sich zweimal die Woche hinzusetzen", sagt er im Podcast. "Jedes Projekt braucht ein bisschen Struktur."

Tom Diesbrock hat ein Medizinstudium abgebrochen, war Musiker und Fotodokumentar. Heute arbeitet er als Psychologe und Karrierecoach: "Es ist wichtig, dass ich den Job an meine Identität anpasse - nicht umgekehrt."
Foto: Olaf TammNur: Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Jobwechsel? "Wenn Menschen sagen: 'Am Sonntagabend denke ich immer schon an meine Arbeit und kriege schlechte Laune', das sind schon Signale, die würde ich sehr ernst nehmen", gibt Diesbrock zu bedenken. Allerdings sollte man weder direkt kündigen noch ewig grübeln, ob man geht oder bleibt. "Ich finde es viel produktiver zu gucken, wie Alternativen aussehen könnten", sagt Diesbrock.
Dabei könne man auch ruhig mal ganz frei denken, in sich hineinhorchen und vom bisherigen Karriereweg abweichen - denn wer im Beruf glücklich werden will, muss vielleicht auch mal die eigene Komfortzone verlassen.
Außerdem ist es sinnvoll, sich einen Zeitpunkt zu setzen, bis zu dem man den Job- oder Branchenwechsel auch wirklich angeht: "Deadlines helfen, sie stressen nur, wenn sie zu eng sind. Ein bisschen Druck ist ganz gut."
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[00:00:03] Tom Diesbrock Wenn Menschen sagen: "Sonntagabend denke ich schon immer an meine Arbeit, und da kriege ich schlechte Laune." Oder: "Ich bin so besonders erfreut, wenn Freitag ist." Das sind alles Signale, die würde ich schon sehr ernst nehmen.
[00:00:16] INTRO Ideen für ein besseres Leben haben wir alle. Aber wie setzen wir sie im Alltag um? In diesem Podcast treffen wir jede Woche Menschen, die uns verraten, wie es klappen kann. Willkommen zu "Smarter leben".
[00:00:30] Lenne Kaffka Ich bin Lenne Kaffka, und in dieser Folge spreche ich mit Tom Diesbrock.
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[00:00:58] Tom Diesbrock Moin, ich bin Tom Diesbrock. Ich komme aus Hamburg und arbeite hier als Psychologe und Coach und begleite schon seit ziemlich vielen Jahren Menschen dabei, sich beruflich neuzuorientieren. Und darüber schreibe ich auch Bücher.
[00:01:13] ANMODERATION Angeblich gehen die Menschen nirgendwo so lustlos zur Arbeit wie in Deutschland. Zu genau diesem Ergebnis ist eine Studie Anfang des Jahres gekommen. Also noch bevor die Coronakrise unseren Arbeitsalltag komplett durcheinandergewirbelt hat. Die Stimmung dürfte sich seitdem kaum gebessert haben. Doch trotzdem werden sich viele sträuben, den Job zu wechseln. Denn für mehr Zufriedenheit müssten wir einiges wagen. Ängste überwinden und uns vielleicht sogar beruflich neu orientieren. Das kann riskant sein und ist definitiv keine einfache Entscheidung. Tom hat schon viele Menschen dabei begleitet und weiß, wie das Projekt der beruflichen Neuerfindung gelingen kann. Auch weil er selbst einen ziemlich krummen Lebenslauf hat.
[00:01:51] Lenne Kaffka Hallo, Tom! Schön, dass wir nochmal sprechen können heute.
[00:01:54] Tom Diesbrock Hallo, Lenne!
[00:01:55] Lenne Kaffka Wir haben den Großteil dieser Podcast-Folge ja schon Anfang März aufgenommen, da waren wir beide noch im Studio. Jetzt skypen wir. Deshalb klingen wir auch im Verlauf des Gesprächs noch ein bisschen anders. Aber natürlich war auch die gesellschaftliche Situation vor ein paar Wochen noch eine andere, und deswegen sprechen wir heute nochmal. Wie geht es dir denn?
[00:02:13] Tom Diesbrock Mir persönlich geht es sehr gut. Ich bin gesund, meine Menschen sind gesund. Das ist ja die Hauptsache. Insofern bin ich ganz zufrieden und komme bisher ganz gut durch die Krise.
[00:02:23] Lenne Kaffka Ich vermute mal auch, dass der Job technisch ganz gut durch die Krise kommst. Als Jobcoach und Psychologe müsstest du ja eigentlich gerade eher gefragt sein, oder?
[00:02:32] Tom Diesbrock Ja, ich werde schon relativ viel kontaktiert von Menschen, die jetzt verunsichert sind, die zweifeln, wie es weitergeht mit dem Arbeitgeber, mit der Branche. Oder eben von Menschen, die jetzt überlegen und die Chance ergreifen und über eine Neuorientierung nachdenken. Stimmt schon, ich bin schon relativ gefragt.
[00:02:50] Lenne Kaffka Dir geht's gut, anderen gehts nicht gut: Leuten, die in der Gastronomie arbeiten, im Kulturbetrieb. Viele Selbstständige sind auf staatliche Hilfen angewiesen, kommen sonst nicht über die Runden. Logischerweise - hast du jetzt ja auch schon angesprochen - machen sich natürlich viele Menschen Gedanken über ihre berufliche Zukunft. Wie sollte man denn da jetzt vorgehen: Sollte man lieber abwarten und noch ein bisschen die Krise aussitzen oder vielleicht genau jetzt erste Schritte planen?
[00:03:12] Tom Diesbrock Es ist natürlich immer schwer, so pauschal einen Ratschlag zu geben. Aber grundsätzlich würde ich schon sagen: erst mal Ruhe bewahren. Weil ich jetzt relativ viel erlebe, dass die Leute so aus einem Aktivitätsdrang, aus einem Aktionismus heraus, jetzt meinen, schnell handeln zu müssen. Und das geht meistens in die Hose. Gerade im Moment sind eben auch gar nicht so viele Jobs ausgeschrieben. Es ist gar nicht so eine gute Zeit, sich zu verändern. Ich würde eher die Zeit nutzen, um in Ruhe mal nachzudenken und Bilanz zu ziehen und zu schauen, wohin will man eigentlich - anstatt jetzt einfach nur kopflos loszurennen.
[00:03:45] Lenne Kaffka Gerade bei Selbstständigen gibt es natürlich auch den Gedanken, jetzt vielleicht in eine sichere Branche zu wechseln oder in eine sichere Anstellung. Wenn man an sich aber mit seinem Job zufrieden war: Wie sinnvoll ist so was überhaupt?
[00:03:56] Tom Diesbrock Ich finde ja die Vorstellung einer sicheren Anstellung teilweise etwas naiv. Das mag natürlich aus der Sicht eines Selbstständigen ganz charmant sein, wenn die Lage gerade unsicher ist und die Aussichten nicht so toll. Aber ich würde mir das trotzdem gut überlegen, weil ein Selbstständiger muss ja auch wie jeder von uns in etwas größeren Abständen und mit anderen Perspektiven denken. Und nur, um sich jetzt für das nächste halbe Jahr in Sicherheit zu bringen und dafür die gesamte selbstständige Existenz über den Haufen zu werfen - das sollte man sich wirklich gut überlegen.
[00:04:27] Lenne Kaffka Aber wenn ich jetzt eh schon gehadert habe, vielleicht die Krise als Impuls nehmen, jetzt den Neustart zu wagen?
[00:04:32] Tom Diesbrock Als Impuls würde ich die Krise auf jeden Fall nutzen. Nur, wie gesagt, mal ganz in Ruhe und mit Überblick und keine Schnellschüsse.
[00:04:39] Lenne Kaffka Genau. Dein Weg zu dem Beruf, der dich letztendlich glücklich gemacht hat, der hat ja auch ein bisschen länger gedauert. Du hast ein paar Abzweigungen genommen. Was hast du alles ausprobiert?
[00:04:49] Tom Diesbrock Hui, ich hab angefangen mit einem Medizinstudium, weil mir ein Arbeitsamtberater dazu riet, was aber ein totaler Flop war. Also ich hab mein Physikum brav absolviert und dann irgendwann die Sache geschmissen. Ich habe Musik gemacht, ich hatte ein Studioprojekt, hab komponiert, ein bisschen gesungen. Das habe ich zwei Jahre gemacht und hatte dann eine Phase, da ich ein bisschen richtungslos war. Ich habe beim SPIEGEL gearbeitet, war hier Fotodokumentar mal, war Bildredakteur, später bei Gruner + Jahr. Also ich habe mich so eine ganze Weile durch die Gegend geschlängelt, bis ich eigentlich mehr oder weniger durch Zufall entdeckt habe, was ich wirklich machen möchte, nämlich Psychologie, Psychotherapie. Und daraus wurde so im Laufe der Jahre dann erst Trainer, Coach, und dann wurde ich irgendwann nur noch Coach. Und hab angefangen, Bücher zu schreiben. Und je länger ich das gemacht habe, desto zufriedener wurde ich.
[00:05:41] Lenne Kaffka Wie viele Jahre hast du denn dafür gebraucht?
[00:05:43] Tom Diesbrock Ja, wenn du alles zusammenzählst, wirklich so seit dem Abi, waren es wahrscheinlich über zehn Jahre.
[00:05:49] Lenne Kaffka Was glaubst du, warum es bei dir so lange gedauert hat?
[00:05:52] Tom Diesbrock Ja, das ist eine gute Frage. Ich glaube, es liegt daran, dass ich mich am Anfang nicht wirklich getraut habe, mich zu fragen: Was will ich? Es ging mir so wie vielen meiner Klienten heute. Das heißt, ich habe mich irgendwie mit der zweitbesten, drittbesten Lösung zufrieden gegeben und habe dadurch einfach eine neue Richtung eingeschlagen, die gar nicht zu mir passte. Und das ist halt immer schwer, wenn man auf einmal auf dem völlig falschen Dampfer sitzt. Gleich auf den richtigen Dampfer zu springen, ist nicht ganz leicht, und ich glaube, ich habe mich da so ein bisschen verrannt. Die Musik war mein, mein Traum. Das brauche ich, dass ich das gemacht habe. Dann hat es einfach gebraucht, bis ich mich auch ernst genommen habe: was will ich jetzt wirklich machen? Was will ich mit meinem Leben anfangen? Ich hab eigentlich immer nur so gedacht und bin auf Sicht gefahren, bis ich mich wirklich gefragt habe: Du bist jetzt bald 30, was willst du machen? Das hat einfach sehr lange gedauert.
[00:06:42] Lenne Kaffka Du hast jetzt gerade gesagt: Die Musik, die bereust du nicht. Wie ist es denn das generell mit deinen ganzen ausprobierten Jobs? Sind das rückblickend für dich Fehlentscheidungen oder haben dir die auch alle was für deinen jetzigen Job, für deinen Lebensweg, für deine weitere Karriere gebracht?
[00:06:55] Tom Diesbrock Das frag ich mich eigentlich gar nicht. Also ich würde jetzt nichts bereuen von dem, was ich getan hat. Also Fehlentscheidungen würde ich nicht sagen. Also gut zweieinhalb Jahre Medizin studiert zu haben, und das war ja nicht so eine ganz leichte Zeit. Die war wirklich für nicht allzu viel gut. Aber alles, was ich danach gemacht habe, würde ich sagen: Ja, das war bestimmt für was gut. Zumindest ist es auf jeden Fall dafür gut, weil ich ja jetzt mit Menschen arbeite, denen es so ging oder geht wie mir damals. Und deswegen kann ich mich sehr gut in Menschen reinfühlen, die verwirrt sind, die vielleicht genauso wie ich von Anfang an nicht so genau wussten, was sie eigentlich wollten - und dann so einen Weg eingeschlagen haben: BWL studiert, Jura studiert und dann, genau wie ich, dann irgendwann mit Mitte 30 oder sogar 40 feststellen. Nee, ich bin da abgebogen, und das passt gar nicht zu mir. Insofern hilft mir das auf jeden Fall.
[00:07:40] Lenne Kaffka Ich glaube gerade jüngeren Generation wird ja heute auch oft suggeriert: So, ihr müsst im Grunde schon mit 23 fertig ausgebildet sein. Für wie sinnvoll hältst du das?
[00:07:48] Tom Diesbrock Das finde ich richtig mies. Manchmal bin ich wirklich erschüttert, wenn mir junge Leute erzählen, Anfang 20, haben vielleicht gerade den Bachelor gemacht, und haben schon so im Kopf: Wenn ich jetzt aber mal drei Monate nach Australien gehe, dann habe ich einen unterbrochenen Lebenslauf. Das ist ja ganz schrecklich. Also, ich finde es grauenhaft. Wir hatten damals die Freiheit - Ich sage jetzt damals, ich bin jetzt 56 -, damals hatten wir die Chance, wirklich auch mal ein Jahr rauszugehen, ein Sabbatical zu machen. Und das war okay. Ich habe heute den Eindruck, bei allem Gerede über die Generation Y, dass unheimlich viele Leute so wahnsinnig straight denken und wirklich Angst haben, jetzt schon den falschen Schritt zu machen und den nie wieder einholen zu können. Und schon jetzt Angst haben, wie Sie das einem potenziellen Arbeitgeber eines Tages mal verkaufen können. Das erschüttert mich manchmal regelrecht.
[00:08:36] Lenne Kaffka Anfang März wurde eine Studie veröffentlicht, laut der jeder vierte Angestellte in Deutschland lustlos zur Arbeit geht. Der SPIEGEL hat geschrieben, "Deutschland ist Frustweltmeister", weil Deutschland im Ländervergleich ganz, ganz hinten auf dem letzten Platz lag. Erstaunt dich das?
[00:08:50] Tom Diesbrock Nein. Gut, dass wir die allerletzten sind. Das hat mich dann doch ein kleines bisschen erstaunt vielleicht. Aber von der Tendenz her nicht. Zumal es eine jährliche Studie gibt, die bringt das Gallup-Institut raus, die seit vielen Jahren erhoben wird und wo regelmäßig rauskommt, dass ich glaube 70 Prozent der Deutschen kaum eine emotionale Bindung haben. Also so 15 Prozent haben innerlich gekündigt und ich glaube 50 Prozent fühlen sich mit dem Job nicht emotional verbunden. Und dass das dann nicht unbedingt zur Zufriedenheit führt, kann man sich ja an fünf Fingern abzählen.
[00:09:21] Lenne Kaffka Aber nicht jeder lustlose Berufstätige muss ja auch zwingt den Job wechseln. Ich glaube, es kann ja auch was ganz anderes dahinter stecken. So eine Unzufriedenheit im Job, das kann ja ein Symptom sein, und vielleicht ist es einfach eine stressige Phase oder ich bin unzufrieden wegen etwas anderem. Wie finde ich heraus, ob ich wirklich an dem Punkt bin, dass ich vielleicht auch meinen Job wechseln sollte?
[00:09:39] Tom Diesbrock Meine Beobachtung ist, dass das bei Menschen, die potenzielle Jobwechsel sind, eine Geschichte ist, die sich anbahnt, und dass wir allemal einen Job-Bluse haben. Und dass das mal - ja, stressige Phase sagst du -, dass es so etwas gibt. Das kann vielleicht auch über Monate gehen, oder mein Privatleben ist gerade stressig, und das überträgt sich auf den Beruf. Das mag alles sein. Nur: Wenn das wirklich über Monate, manchmal Jahre geht und die Zufriedenheit nachlässt, und dann die Zähigkeit, mit der man morgens am Montag ins Büro geht. Oder wenn Menschen sagen: AAm Sonntagabend denke ich schon immer an meiner Arbeit, und da kriege ich schlechte Laune. Oder: Ich bin so besonders erfreut, wenn Freitag ist." Das sind alles Signale, die würde ich schon sehr ernst nehmen. Es geht halt bei manchen Menschen so weit, dass sie wirklich auch krank werden dadurch. Sie investieren zwar viel Energie in ihren Job, aber gleichzeitig, weil sie so unzufrieden sind, ist das so wie ein Auto, das ich fahre, bei dem ich die Bremse trete und gleichzeitig das Gaspedal. Das verbraucht halt Energie, und irgendwann ist der Motor kaputt. Und irgendwann sind wir krank.
[00:10:37] Lenne Kaffka Du beschreibst das ja schon so: Das baut sich immer mehr auf. Und ich kenne das auch, wenn man unzufrieden ist, dann grübelt man, denkt nach, grübelt. Wie komme ich dann da raus? Was ist, wenn ich jetzt so sage, okay, ich möchte den ersten Schritt tun. Ich will was an meiner Situation verändern.
[00:10:49] Tom Diesbrock Da hast du schon einen ganz wichtigen Schritt gemacht. Nämlich: Du hast deine Unzufriedenheit ernst genommen. Solange du grübelst, und das machen Menschen manchmal über Jahre, die nehmen sie nicht wirklich ernst. Die reden das auch runter und sagen dann vielleicht: Naja, aber ich habe ja einen guten Job, und ich verdiene ja viel Geld. Das ist ja Leiden auf hohem Niveau. Und dieser Phase hängt man erst mal fest. Wenn du sagst: Jetzt sag ich mir, jetzt möchte ich etwas verändern, dann nimmst du dich ernst. Und das ist schon die halbe Miete oder ein Viertel der Miete.
[00:11:16] Lenne Kaffka Aber trotzdem bleibt ja Unzufriedenheit irgendwie ein diffuses Gefühl. Das ist irgendwie nicht konkret. Gut, wenn ich das jetzt für mich realisiert habe. Aber wie finde ich denn heraus, was ich anders will - also was das Bessere wäre für mich?
[00:11:28] Tom Diesbrock Also auch wenn ich vielleicht noch gar nicht so deuten kann, wie tief meine Unzufriedenheit geht. Es ist ja auch mal so eine Frage: Bin ich jetzt unzufrieden genug, um zu gehen? Also diese "Should I stay or should I go"-Frage. Die finde ich aber gar nicht so produktiv. Also ich finde es viel produktiver, mal zu gucken. Wie könnten denn Alternativen aussehen? Ich muss ja nicht gleich kündigen - das würde ich auch keinem empfehlen. Sondern ich kann ja so als ein Projekt, berufsbegleitend sozusagen, mal loslegen, mir mehr Gedanken zu machen, Ideen zu entwickeln. Und wenn ich dann zu dem Schluss komme: Alle meine Ideen sind eigentlich schlechter als mein Status-Quo-Job - okay, dann bleibe ich vielleicht besser noch eine Weile. Aber meistens ist es ja so, dass ich feststelle: Entweder ich finde etwas, was ich viel besser finde, oder ich finde etwas, von dem ich sage, okay, das ist noch nicht mein Traumjob. Aber der ist bestimmt schon mal 20 Prozent besser als das, was ich heute mache.
[00:12:13] Lenne Kaffka Du hast jetzt gesagt: als Projekt nebenbei. Nebenbei ist oft schwer, weil man dann immer wieder abgelenkt wird. Wie mache ich das wirklich zu einem Projekt? Welche Fragen könnte ich mir konkret stellen?
[00:12:25] Tom Diesbrock Einmal ist das eine Frage der Haltung und der Disziplin. Wenn wir im Job ein Projekt verfolgen ist das ja auch ganz normal, dass wir dafür Zeit reservieren, Zeiträume reservieren, dass wir auch sagen: Okay, dieses Projekt läuft jetzt mal einen Monat. Und alles, das kann ich auch für so ein Projekt einrichten. Ich kann mich zum Beispiel fragen, auch wenn ich jetzt richtig viel um die Ohren habe: Wie viel Zeit in der Woche kann ich dafür investieren? Ich empfehle immer, zweimal die Woche sollte man sich schon hinsetzen. Aber wenn ich jetzt aber sage: Okay, einmal in der Woche, jeden Mittwochabend zwischen sieben und acht, ist meine Projektzeit. Und am Wochenende, am Sonntag zwischen keine Ahnung setze ich mich zwei Stunden hin. Da habe ich schon mal eine Basis. Wenn ich keine Struktur habe, dann ist es wirklich schwer. Jedes Projekt, das ist, glaube ich, nicht nur bei einer Neuorientierung so, braucht eben so ein bisschen Projektmanagement, so ein bisschen Struktur. Wenn du jetzt ein neues Blatt rausbringen möchtest, dann hast du ja auch eine gewisse Struktur und sagst: Am Anfang denken wir mal ganz frei, und wir spinnen auch mal. So, und dann fängt sich das immer weiter, bis ich wirklich Alternativen entwickelt habe, und bis ich deine Entscheidung treffen kann.
[00:13:25] Lenne Kaffka Ist dann nicht ein bisschen die Gefahr dabei, dass man sich vielleicht auch einfach von seinen Wünschen leiten lässt? Wenn ich jetzt überlege, wo würde ich gerne arbeiten: Da fällt mir vieles vielleicht ein, aber es muss ja nicht unbedingt alles zu meinen Fähigkeiten oder Fertigkeiten passen.
[00:13:38] Tom Diesbrock Das muss ich natürlich checken. Nur ich finde es besser, ich fange mal an mit meinen Wünschen und meinen Interessen und mache das so zur Basis meiner Suche. Und in der letzten Phase, in der ich überlege, wie komme ich da hin - da muss ich einen Check machen. Da muss ich natürlich gucken: Was entspricht meinen Fähigkeiten, was muss ich noch lernen vielleicht? Und wenn ich dann feststelle: Mensch, das hat so viele negative Begleiterscheinungen, das passt gar nicht zu meiner Persönlichkeit, und die Fähigkeiten bringe ich auch nicht mit. Okay, dann werde ich mich wahrscheinlich dagegen entscheiden.
[00:14:06] Lenne Kaffka Ich kann mir vorstellen, dass dieser Check gar nicht so leicht ist, weil sich selber einzuschätzen. das fällt ganz, ganz vielen Menschen schwer. Ich kenne meinem Umfeld viele, die sich vielleicht auch unterschätzen, die sich manches gar nicht zutrauen. Es gibt auch immer ein paar Kandidaten, die sich vielleicht ein bisschen überschätzen. Wie gelingt mir das, ein möglichst realistisches Bild von mir selber zu bekommen?
[00:14:26] Tom Diesbrock Ich finde das gar nicht so wichtig, dass das von vornherein gleich treffsicher und realistisch ist. Wenn du dich jetzt mal ein bisschen überschätzt, ja, meine Güte, dann tu das doch mal. Ich finde es viel wichtiger, dass du mal out of the box denkst. Heute würden wir sagen, dass du mal divergent denkst, in alle Himmelsrichtungen. Dann wirst du wahrscheinlich auf Sachen stoßen, die du vielleicht total spannend und toll findest, und die vielleicht eine Nummer zu groß sind für dich. Ja, okay. Am Ende, wenn du dir das anguckst, kannst du dir ein Feedback von Leuten holen. Du kannst alles tun dafür, um eine gute Einschätzung zu kriegen. Ich finde es viel besser, jemand folgt seinen Wünschen, und das motiviert, und er macht sich auf und investiert Energie und muss noch mal richtig dafür ackern. Als jemand, der immer in seiner Komfortzone ist, und der immer in dem Bereich ist, in dem alles warm und trocken ist, und alles entspricht seinen Fähigkeiten. Das wird ihn nicht unbedingt zur Zufriedenheit bringen.
[00:15:10] Lenne Kaffka Dann würdest du mir aber auch empfehlen, dass ich mich jetzt gar nicht so von meinem bisherigen Ausbildungsweg, von bisherigen Studiengängen, die ich absolviert habe, leiten lasse, sondern erst mal schauen: was sind wirklich meine Wünsche, meine Interessen, meine Träume?
[00:15:22] Tom Diesbrock Als ich damit anfing, mit Neuorientierung zu arbeiten, da habe ich immer noch am Anfan die Menschen gebeten, auf der einen Seite auf ihre Interessen zu gucken: Wünsche, was ihnen am Herzen liegt. Und auf der anderen Seite: ihre Erfahrung, Fähigkeiten, Kompetenzprofile. Ich habe aber festgestellt: Wenn du auf das guckst, was du gemacht hast, was du bisher gemacht hast, wo du dich auskennst, wo du gut drin bist, was du studiert hast, dann wird ja dein Suchraster viel enger. Wenn ich einen Hammer habe, sieht halt alles aus wie ein Nagel. Und das wollen wir ja durchbrechen, wenn jemand wirklich mal neu denken möchte. Und natürlich werden da Sachen entstehen, die unrealistisch sind, die blöd sind. Klar. Aber jeder kreative Prozess ist ja so: Wenn ich mich nicht traue, auch mal Blödsinn zu denken, dann nutze ich meine Möglichkeiten nicht.
[00:15:59] Lenne Kaffka Für wie wichtig hältst du es denn dann, dass unser Job unser Traumjob ist?
[00:16:03] Tom Diesbrock Das finde ich ganz unterschiedlich. Es gibt ja viele Menschen, die sagen, mein Job soll meine Miete bezahlen. Und alles, was mein Leben schön macht, das hole ich mir privat. Und das finde ich völlig in Ordnung. Aber es gibt eben viele Menschen, das ist so meine Erfahrung, und das nimmt glaube ich auch zu, die sagen: Das kann ja irgendwie nicht sein. Ich bin hier acht, neun, zehn Stunden jeden Tag in diesem Job, bis ich 65 oder 70 bin. Das kann ja nicht das Ziel sein. Da möchte ich noch ein bisschen mehr. Und dann ploppt diese Frage natürlich auf. Ob es jetzt der Traumjob sein muss, da bin ich ein bisschen skeptisch.
[00:16:34] Lenne Kaffka Aber die meisten Menschen verbinden ja schon Hoffnungen mit ihrem Job. Dass es sie irgendwie erfüllt. Und ich kenne das von mir: wenn ich extrem große Hoffnungen habe, dann habe ich auch extrem große Angst, dass sich das nicht erfüllt. Und dann bremst mich das irgendwie auch wieder, weil ich dann auch nichts ändern, weil ich denke: Ah nee, vielleicht scheiter ich, vielleicht wird es schlechter, als ich es mir erhoffe. Wie kann man denn seine Hoffnung mehr als Antrieb sehen und weniger als Bremse?
[00:16:59] Tom Diesbrock Ich beantworte das mal so ein bisschen anders. Ich finde, was immer ein wichtiger Punkt ist bei solchen Veränderungsprozessen, ist etwas, das nenne ich mentales Selbstmanagement. Das bedeutet, ich muss immer einen Blick drauf haben auf meine innere Wetterlage. Jeder Mensch, der an Veränderung nur denkt, hat mit Widerständen zu tun, Zweifeln, Ängsten, kalten Füßen - das gehört dazu. Und eben auch so etwas, dass mein Wunsch zu groß ist. So etwas, was an mir reißt, das ist völlig normal. Und deswegen empfehle ich immer, das gleich einzubeziehen. Das ist eine wichtige Säule des Neuorientierungsprozesses. Wenn so was kommt, dass ich mich damit auseinandersetze. Und die einfachste Form ist, das kriegt jeder Klient von mir, und das steht, glaube ich, in jedem meiner Bücher - das ist eine Bedenkenliste. Ich hänge erst mal einen Zettel an die Wand und schreibe Bedenken drauf oder Widerstände oder was auch immer. So, und wenn so was kommt, was mich eigentlich davon abhalten will, mich mit meinen Ideen und Wünschen auseinanderzusetzen, dann schreib ich das auf. Und sage, okay, das will mich gerade am Denken hindern. Du machst einen Schritt zurück mental, atme mal durch und versuche, das auszuhalten und mach weiter . Das hilft den meisten Menschen schon.
[00:17:59] Lenne Kaffka Wie war das bei dir damals: vom Fotoredakteur zum Psychologen´- hattest du Ängste?
[00:18:06] Tom Diesbrock Oh ja, jede Menge.
[00:18:06] Lenne Kaffka Welche waren das?
[00:18:06] Tom Diesbrock Ich glaube, ich war sehr wenig selbstbewusst. Und ich habe mir wenig zugetraut, glaube ich tatsächlich.
[00:18:13] Lenne Kaffka Wie bist du da rausgekommen?
[00:18:15] Tom Diesbrock Bei mir war das wirklich dieser lange weg. Also ich habe viel vermieden. Nee, das kann ich ja nicht, und das denke ich jetzt nicht. Und ich bleibe mal, wo ich bin. Ja, selbst in dem Prozess, das selbstständig machen, hab ich mich immer noch an meinem Brot-und-Butter-Job geklammert, was nicht gar nicht hilfreich war. Und mir war das damals noch nicht so wirklich bewusst. Insofern: Ich hab so die lange qualvolle Erfahrungen gemacht. Und ich versuche, das heute Leuten zu ersparen und zu sagen: Guck lieber gleich auf deine Widerstände, dann wird die Strecke nicht so lang. Welche Widerstände haben denn die meisten Menschen in solchen Situationen? Das ist wirklich eine ganz breite Geschichte. Es fängt an bei so ganz klaren Ängsten: Ich scheitere, ich werde versagen, ich werde ausgelacht. Leute sagen, ich bin ein Träumer. Und die Ängste werden halt dann auch sehr, sehr groß. Wie zum Beispiel: Dann bin ich arbeitslos, also fast schon, da schlafe ich unter der Brücke, also wirklich Existenzängste. Aber oft sind das auch so, in der Psychologie sagen wir Rationalisierungen: Ich versuche, das irgendwie vernünftig so zu verdrehen, und glaube mir das selber und sag dann: Das ist unrealistisch. Ich sage zum Beispiel: Am liebsten würde ich ein Café aufmachen, wollte ich immer schon. Aber das ist ja unrealistisch, bin ich ja zu alt für, brauche ich ja viel Geld. Und man weiß ja auch heutzutage, Cafés in Hamburg gibt es an jeder Straßenecke, machen ständig dicht. So: Das hat aber mit meinen Erwägungen und einem echten Check und einem Businessplan überhaupt nichts zu tun. Ich habe einfach kalte Füße, aber verkaufe mir das selber und anderen Leuten als irgendwelche rationalen Erwägungen. Und das ist gefährlich.
[00:19:42] Lenne Kaffka Du hast jetzt gerade den Businessplan angesprochen. Man sollte es dann mit der Realität vergleichen? Oder wie kommt man da raus?
[00:19:47] Tom Diesbrock Also der erste Schritt ist für mich wirklich dieses Aufschreiben. Ich schreibe es auf, ich nehme es ernst und gehe dadurch so ein bisschen innerlich auf Distanz. Und sag mal, da ist meine Angst, und hier ist mein Wunsch. So, und wenn ich das beides miteinander verbinde. Dann gibt es ein Kuddelmuddel, und da passiert gar nichts. Wenn ich aber merke, das reicht nicht aus, die Angst ist zu groß. Da macht es schon Sinn, ein bisschen weiter einzusteigen und dann zu gucken: Mensch, was ist denn das für eine Angst? Wofür hat Sie eigentlich Angst, die Angst? Es ist halt total menschlich, dass wir unseren Ängsten nicht so ins Gesicht gucken. Wir gucken gerne weg. Und wenn ich weggucke, wird die halt immer größer, weil da wird so eine Mutmaßung draus. Und dann ist es halt wichtig, in so einem Prozess mir wirklich mal anzugucken. Okay, wovor hab ich Angst? Was ist es genau? Was ist mein Super-GAU? Und dann kann ich ja gucken: Okay, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das eintritt. Und bei den allerallermeisten Ängsten stellt man dann fest: Na ja, es könnte sein. Aber das Risiko ist nicht so groß, wie gefühlt.
[00:20:36] Lenne Kaffka Vielleicht in abgeschwächter Form?
[00:20:37] Tom Diesbrock In abgeschwächter Form.
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[00:21:14] Lenne Kaffka Ich bin in den letzten Jahren ziemlich viel herumgereist. Und da bin ich echt ganz häufig Menschen begegnet, die mir erzählt haben, sie haben gerade ihren Job gekündigt und machen jetzt erst mal eine Auszeit. Und abgesehen davon, dass man sich das natürlich leisten können muss: Für wie wahrscheinlich hältst du es denn, dass diese Leute nach ihrer Heimkehr ihr Glück finden?
[00:21:34] Tom Diesbrock Nicht so groß. Nein, es kommt drauf an. Also ich erleb das nicht so selten, dass Leute sagen: Ja, genau die Situation, die du beschreibst. Ich möchte etwas Neues, und jetzt reise ich mal drei Monate durch Australien - da fällt mir schon was ein. Tut's aber eine Regel nicht. Weil wenn ich in Australien bin, bin ich in Australien. Ist ja auch schön da. Und deswegen kommt ein schlechtes Gewissen oft dazu, dass Leute sagen: Ich will doch, aber ich wollte doch, und ich muss doch. Und das macht die Sache dann auch nicht besser. Dann versuche ich mir im schlimmsten Fall noch meinen Urlaub. Viele Menschen denken so kreative Prozesse laufen einfach so nebenbei. Ich liege am Strand, und plötzlich ploppt was auf, und ich weiß, was ich beruflich machen möchte. Aber so funktioniert unser Gehirn einfach nicht. Unser Gehirn kann Ideen auswerfen, wenn wir uns mit einem Problem, einer Frage, einem Wunsch auseinandergesetzt haben. Und das müssen wir eben auch tun. Ich muss mich damit auseinandersetzen. Ich muss darüber nachdenken. Dadurch wird unser Gehirn angeregt, in die sogenannte Bebrütungsphase, in die Inkubationszeitphase nennt sich das, zu kommen. Und dann habe ich nämlich solche Effekte.: Dann jogge ich gerade oder sitze an der Elbe, und plötzlich macht es Pling, und ich habe eine Idee. Aber einfach nur durch Australien zu fahren ist nicht die Basis dafür, damit das Pling macht. Also wenn sich jemand ein Sabbatical nehmen möchte und fragt: Soll ich das machen? Und meeinen Sie, ich finde dadurch meinen Traumjob? Dann sage immer: Nein, unterteile das irgendwie. Fahr nach Australien und sei in Australien, und nimmt dir danach eine Zeit und starte dein Projekt.
[00:22:53] Lenne Kaffka Aber so ein Sabbatical ist ja auch etwas sehr Geplantes. Eine Kündigung kann auch etwas sehr Spontanes sein, ein Befreiungsschlag. Wie stehst du dazu? Ist das sinnvoll?
[00:23:04] Tom Diesbrock Naja, es gibt Situationen, da würde ich sagen, da macht das durchaus Sinn. Also wenn ich wirklich unter meinem Job leide. Das gibt es manchmal, dass ich wirklich sonst krank werde oder so unzufrieden, dass ich Antidepressiva brauche. Dann würde ich auch sagen: Ja, sollte man drüber nachdenken. Dann würde ich aber auch erst mal raten, lass dich erst mal krankschreiben. Denk mal vier Wochen drüber nach. Menschen unterschätzen oft den Druck, den es dann macht, wenn man aus dem Job raus ist. Wenn man in der Mühle drinsteckt, gibt es keinen schöneren Gedanken, als den los zu sein. Und dann stellt man sich vor: Ja, und dann kann ich ganz in Ruhe nachdenken, dann nehme ich mir mal drei Monate. Aber unterschätzt wird eben der Druck, der dann kommt - der Existenzdruck und die Ängste, über die wir gesprochen haben. Die machen die Sache nicht unbedingt leichter.
[00:23:43] Lenne Kaffka Wann ist denn ein guter Zeitpunkt für einen Jobwechsel?
[00:23:46] Tom Diesbrock Im Idealfall würde ich sagen, wenn ich weiß, was ich tun will. Wenn ich so ein Orientierungsprojekt durchlaufen habe. Und ich weiß: So, ich habe mich entschieden, da will ich hin. Das ist der Weg, den ich gehen will. Ich weiß auch, wie ich es angehen möchte. Das ist für mich dann der Zeitpunkt.
[00:24:01] Lenne Kaffka Das heißt am Ende einer Findungsphase.
[00:24:03] Tom Diesbrock Ja.
[00:24:04] Lenne Kaffka Wie viel Zeit sollte ich mir dafür nehmen?
[00:24:05] Tom Diesbrock Pauschal rate ich Menschen, sich drei Monate dafür zu nehmen. Es hängt natürlich immer auch davon ab, wie viel Zeit neben deinem Job hast. Wenn du sagst: Oh, ich habe so einen Stress, und ich komme jeden Abend erst um acht oder neun nach Hause, und da kann ich mich echt nicht mehr um mein Jobprojekt kümmern. Dann dauert es vielleicht ein bisschen länger. Nur wichtig ist mir einfach, so einen Zeitrahmen zu haben. Weißt du, wenn du sagen würdest: Ach wär ja schön, im nächsten Frühjahr ein neuer Job - das peile ich mal an. Das wird dich nicht wirklich motivieren.
[00:24:29] Lenne Kaffka Deadlines helfen?
[00:24:30] Tom Diesbrock Deadlines helfen.
[00:24:31] Lenne Kaffka Stressen die nicht eher?
[00:24:33] Tom Diesbrock Wenn Sie zu eng sind. Das gibt's auch, wenn Leute aus Aktionismus sagen: Ich nehme mir nur einen Monat, das muss ja auch reichen. Da kann ich nicht kreativ sein. Da kann ich nicht wirklich mal gucken, was ich mir wünsche. Das ist zu viel Druck. Aber so ein bisschen Druck ist ganz gut.
[00:24:46] Lenne Kaffka Wenn ich jetzt so eine Unzufriedenheit spüre, aber vielleicht einfach, weil ich gerade viele kleine Kinder zu ernähren habe, und es deswegen nicht für mich möglich ist, oder ich mich einfach nicht traue. Welche Alternativen habe ich denn, um zumindest erst mal ein bisschen zufriedener in meiner Situation zu werden im Job?
[00:25:03] Tom Diesbrock Ich nenne so was Job-Tuning - dass man den so ein bisschen besser macht. Das kann natürlich sein, dass ich sage: Okay, ich guck jetzt nur darauf, wie ich meinen Job noch ein bisschen besser machen kann. Kann ich durch eine Fortbildung etwas machen? Kann ich mal mit meinem Chef oder meiner Chefin reden? Viele tun das gar nicht. Die sind so unzufrieden und sagen und denken: Naja, aber in diesem Laden, da gibt's ja nichts alternativ. Und wenn die tatsächlich mal mit Leuten reden, dann tun sich Möglichkeiten auf. Das wird oft unterschätzt. So kann ich natürlich denken, dass ich erst mal klein denke. Nur ich empfehle halt immer, warum, wenn man schon mal drüber nachdenkt über kleine Veränderungen, warum denn nicht gleich den großen Wurf? Dann kann man ja irgendwie die kleine Veränderung des Jobs ins Rennen schicken, parallel mit größeren Veränderungen. Und die gehe ich dann vielleicht fünf Jahre später an, wenn meine Kinder groß sind.
[00:25:45] Lenne Kaffka Aber fürs Job-Tuning könnte ein Personalgespräch oder Ähnliches sinnvoll sein?
[00:25:48] Tom Diesbrock Unbedingt. Ich würde mir nur vorher Gedanken machen. Ich würde nicht in so ein Gespräch gehen und sagen: Ich bin so unzufrieden, haben Sie nicht was für mich? Das ist unsexy. Damit mache ich mich nicht gerade attraktiv für mein Gegenüber. Je mehr Ideen ich schon habe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch ernst genommen werde.
[00:26:02] Lenne Kaffka Das klingt aber schon so ein bisschen nach Listen, Tabellen aufschreiben, Pläne machen.
[00:26:08] Tom Diesbrock Thomas Alva Edison hat mal gesagt: Kreativität ist 99 Prozent Transpiration und ein Prozent inspiration, das wird oft unterschätzt. Also Pläne und Strukturen ermöglichen kreative Gedanken. Zu denken, ich bin kreativ, wenn ich so ein bisschen rumlusche - das ist nicht so
[00:26:25] Lenne Kaffka Den Job zu wechseln kann schon ziemlich anstrengend sein, nervenaufreibend. Aber wenn ich jetzt in eine ganz andere Branche wechseln will, dann wird es in der Regel noch komplizierter, weil häufig muss ich mich umschulen. Ich muss mir manchmal neue Netzwerke aufbauen, ich muss zeitweise Phasen überbrücken, in denen ich noch mit verschiedenen Dienstplänen arbeite. Wie war das bei dir damals: Ist dir das leichtgefallen von einem Fotoredakteur zur Psychologie zu wechseln?
[00:26:49] Tom Diesbrock Ja, bei mir lief das eben parallel. Das Studium ging noch, das parallel zu machen. Aber so eine Selbstständigkeit parallel mit einem Brot-und-Butter-Job laufen zu lassen, das ist ganz schön schwierig. Bei mir war das so: Ich hatte den Eindruck, ich hab nicht hundert Prozent Dampf und Energie für meine Selbstständigkeit. Und die war ja noch so ein Blümchen, am Entstehen. Ich hab nicht genug dafür getan. Aber im Job war ich unzufrieden, da wollte ich ja raus. Das kann schon sehr anstrengend werden.
[00:27:17] Lenne Kaffka Ich kenne solche überlegungen auch. Ich habe auch kurz nach meinem 30. Geburtstag vor ein paar Jahren ein bisschen die Branche gewechselt, meinen Nebenjob zum Hauptjob gemacht, den Journalismus. Ich weiß noch, dass ich extrem lange mit mir gehadert habe, weil ich irgendwie mich immer gefragt habee, entscheide ich mich jetzt richtig? Das hat sich so endgültig angefühlt, weil die Branche zu wechseln, da denkt ma so: Ich hab doch ein Studium hinter mir, ich bin doch schon mal durch eine Ausbildung gegangen - soll ich das jetzt nochmal machen? Wie hätte ich da besser klarkommen können, dass ich mich von solchen Gedanken nicht so blockieren lasse in meinem Wunsch?
[00:27:48] Tom Diesbrock Das ist natürlich schwer. Das ist ja auch ein Gedanke, der verständlich ist. Du hast viel investiert. Du hast schon mal einen Start gemacht, und jetzt den nächsten Start zu machen - ich denke, man muss sich darüber im Klaren bleiben, was da zu holen ist. Was will ich damit erreichen, was für eine Lebensqualität? Wie soll mein Leben mal aussehen? So was nennt man auch Vision, dass ich wirklich mal ein bisschen weiter gucke und sage: Mensch, wo will ich denn in 20 Jahren sein? Und dann fällt die Weichenstellung manchmal leichter, weil ich dann weiß, welche Qualität da zu holen ist.
[00:28:15] Lenne Kaffka Aber wie endgültig ist denn so eine Entscheidung überhaupt?
[00:28:22] Tom Diesbrock Endgültig ist nur der tot.
[00:28:22] Lenne Kaffka Man kann auch ruhig daran denken, dass es ja auch nochmal rückgängig zu machen ist, oder wie?
[00:28:25] Tom Diesbrock Wir müssen daran denken, wie sieht die Arbeitswelt heute aus, und wie entwickelt sich die? Als ich angefangen habe, da ging man noch davon aus, wenn ich mich für Job A entscheide, dann mache ich den, wenn alles gut läuft, bis zur Rente. Das ist nun wirklich nicht mehr so. Keine Selbstständigkeit, keine Anstellung ist für immer. Du weißt nicht, wo deine Branche in fünf Jahren ist. Wir müssen uns einfach darauf einstellen, auch wenn wir vielleicht den Job selber ganz toll finden, dass allein von außen schon die Strukturen sich total verändern werden. Am besten kann ich dem begegnen, indem ich ja selber flexibel bleibe und einfach so nach meinen eigenen Wünschen navigiere. Ich vergleiche das immer so: Am Beckenrand festklammern ist einfach keine gute Option, schwimmen lernen ist besser. Und das heißt für mich, ich nehme mein Karrieremanagement selber in die Hand und denke auch schon in Veränderung. Meine Entscheidung von heute ist garantiert nicht für immer, sondern ich werde auch mal die nächste Weiche stellen. Aber das Tolle ist ja, wenn ich das einmal gemacht habe und gemerkt habe, ich kann aktiv meine Berufsweichen selber stellen, dann ermutigt mich das auch fürs nächste Mal. Und dann ist es in fünf Jahren vielleicht nicht mehr so ein großer Schritt.
[00:29:25] Lenne Kaffka Was in solchen Phasen des Haderns ja aber auch mit reinspielt, ist, glaube ich, dass in den bestimmten jeweiligen Lebensphasen ja der Beruf auch immer ein Teil der eigenen Identität ist. In so einer Phase der Veränderung, da ist natürlich auch immer so ein bisschen die Angst vor einem Identitätsverlust. Wäre es dann sinnvoll, auch Veränderungen als Teil der eigenen Identität anzunehmen. Oder wie könnte ich mir selber diese Angst nehmen?
[00:29:46] Tom Diesbrock Ich sehe das eher umgekehrt. Ich finde, mein Beruf ist Ausdruck meiner Identität - die etbaliere ich nicht über meinen Beruf. Das ist ja das, was viele Menschen dazu motiviert, sich zu verändern, weil sie sich verändert haben, weil ihre Werte haben sich verändert. Gerade so, wenn man 35, 40 ist, hat Erfolg gehabt. Ist gut gelaufen bisher. Aber das, was mit 25 noch richtig toll war und einen motiviert hat, motiviert einen mit 40 nicht mehr so doll. Ist ja auch logisch. Vielleicht habe ich jetzt mein Haus abbezahlt und bin verheiratet und was auch immer. Also ich habe viel erreicht, und dann verändern sich die Werte, der Blickwinkel auf das Leben, die Identität. Und dann ist es halt wichtig, dass ich meinen Job meiner Identität anpassen, nicht umgekehrt.
[00:30:25] Lenne Kaffka Wenn man Menschen davon berichtet, dass man sich umorientieren will, dann wird man in der Regel die Erfahrung machen, dass man auch merkt, oh, ich bin nicht alleine. Auch andere denken so. Ich habe gemerkt, dass in meinem Umfeld auch viele gerade so um die 30 diesen Wunsch hatten nach Veränderung. Es haben sich dann aber tatsächlich nur ein paar getraut, weil alle immer gesagt haben: Hm, das Risiko ist vielleicht zu groß, ich verdiene jetzt gerade das erste Mal beim Leben richtig. Wie riskant ist denn so ein Karrierewechsel überhaupt? Du hast jetzt mit vielen Menschen schon gesprochen: ist das Risiko so groß?
[00:30:55] Tom Diesbrock So pauschal kann man das natürlich nicht sagen. Ich kann ja jetzt nicht sagen: Nee, das geht immer gut - natürlich nicht. Aber ich weiß einfach, dass Menschen dazu neigen, Risiken zu überschätzen. Vor allen Dingen dann, wenn sie sich noch gar keine konkreten Gedanken gemacht haben. Wenn jemand sagt, ich wäre ja gern selbstständig, ich würde gern ein Café aufmachen, aber das Risiko ist ja viel zu hoch. Das ist ja ein gefühltes Risiko, das hat ja nichts zu tun mit einer Einschätzung dessen, was da auf mich wartet. Wenn ich das aber wirklich mal durchdenke und durchrechne. Dann bleibt immer noch ein Risiko, natürlich. Nur was Leute ganz oft unterschätzen, ist das Risiko des Bleibens. Wenn ich einfach hier in meinem Job bleibe und den gut mache und sonst nicht weiter auffalle und keinen nerve - dann ist ja alles gut, dann bin ich ja sicher. Ja, toll. Dann kommt das nächste Projekt. Der Laden wird verkauft, es gibt einen Merger, irgendeine tolle Idee vom Vorstand. Schwupps ist alles anders, schwupps bin ich raus, und das wird oft unterschätzt.
[00:31:42] Lenne Kaffka Wenn man Menschen davon berichtet, wird einem noch etwas anderes widerfahren. Man wird nämlich ziemlich schnell merken: Veränderungen stoßen im eigenen Umfeld nicht immer auf Gegenliebe.
[00:31:53] Tom Diesbrock Oh, ja!
[00:31:54] Lenne Kaffka Veränderungen machen auch dem eigenen Umfeld Angst. Und vielleicht kannst du mir zum Abschluss noch mal sagen: Wie könnte ich denn Zweifler davon überzeugen, dass es einfach besser sein könnte, sich vom Status quo auch mal zu lösen?
[00:32:02] Tom Diesbrock Also ich würde es gar nicht erst versuchen, jemanden zu überzeugen. Ich würde nur in so einer Phase, wenn ich selber Veränderung anstrebe, dann würde ich das nur mit Leuten besprechen, die mich dabei unterstützen. Weil wie du sagst, es gibt so viele: Ich sage, ich reite ein totes Pferd, das geht so nicht mehr. Und die reiten auch ein totes Pferd, sind aber der Meinung: Nein, alles ist super. Einfach, weil sie Angst haben. Und jeder Mensch, der das mal schafft, rauszugehen und sich ein neues Pferd zu suchen, ist natürlich eine Bedrohung für jeden Unzufriedenen. Also wird alles getan, um das zu attackieren und unrealistisch zu finden und so weiter. Deswegen empfehle ich Menschen, da wirklich sehr genau zu sein. Mit wem redet man über so was? Das kann der liebste Mensch auf der Welt sein - aber bei so einem Thema lieber nicht.
[00:32:43] ABMODERATION Weitere Infos zu Tom Diesbrock, seiner Arbeit und seinen Büchern gibts auf tomdiesbrock.de Der Link steht auch in den Shownotes zu dieser Folge. Und das war's mal wieder mit "Smarter leben". Aber am kommenden Samstag erscheint schon die nächste Episode auf spiegel.de - und überall, wo's Podcasts gibt, zum Beispiel bei Spotify oder Apple Podcasts. Bei Anregungen oder Themenvorschlägen einfach schreiben an smarterleben@spiegel.de Diesmal wurde ich unterstützt von Philipp Fackler, yasemin Yüksel und Christina Pohl. Unsere Musik kommt von Audioboutique. Tschüss, bis nächste Woche!
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