Smarter leben - Der Ideen-Podcast Warum wir den Klimawandel verstehen, aber trotzdem nicht nachhaltig leben
Noch ein letztes Mal fliegen und noch einen Coffee to go. Was muss passieren, damit wir wirklich umweltfreundlicher leben? Umweltpsychologe Gerhard Reese erklärt es im Podcast.
Eigentlich sollte die Botschaft bei uns allen angekommen sein: Der Klimawandel bedroht unseren Planeten. Und es bleibt nur noch wenig Zeit, um die Erderwärmung zu stoppen. Um genau zu sein: sehr wenig Zeit. Aber, obwohl das den meisten von uns bewusst ist, fliegen wir noch mal in den Urlaub und trinken Kaffee im Plastikbecher. Warum verhalten wir uns so? Und was muss passieren, damit wir uns nachhaltig verändern?
Gerhard Reese ist Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau und beschäftigt sich mit solchen Fragen. "Wir verknüpfen das, was wir tun, nicht mit dem Klimawandel. Das fühlt sich für die meisten von uns so irre abstrakt und weit weg an", erklärt er im Podcast.
"Aber es sind auch soziale Normen. Wenn ich in meinem Umfeld sehe, meine Friends, die fliegen in den Urlaub - da habe ich auch keinen Bock, eine Woche an die Ostsee zu fahren. Und dazu kommt, dass wir auch ein Stück weit in Routinen gefangen sind, die es durch politische Rahmenbedingungen nicht einfach machen, unser Verhalten zu verändern."

Umweltpsychologe Gerhard Reese: "Klimaschützendes Verhalten muss normativ sein - das muss eine Norm werden, der Standard"
Foto:Philipp Sittinger
Reese hat seinen Alltag trotzdem angepasst. Seit fast 20 Jahren lebt er als Vegetarier, er besitzt kein Auto und ist 2017 zum letzten Mal geflogen. Denn: "Es gibt so drei, vier Verhaltensweisen, mit denen man, ohne dass man auf die Politik warten muss, einen wirklichen Einfluss haben kann." Leider fehlen dabei oft die direkten Erfolgserlebnisse.
Wer mit dem Rauchen aufhört, kann besser schmecken. Wer Sport treibt, fühlt sich fitter. Und wer Ökostrom bezieht? Spürt keine Veränderung. "Beim Klimaschutz kommen wir mit dem Gefühl von Selbstwirksamkeit nicht so weit", meint Reese. "Also mit diesem Gefühl, durch eigenes Handeln wirklich ein Ziel erreichen zu können."
Welche Lösung gibt es für dieses Problem? Warum ist es uns in der Coronakrise leichter gefallen, uns einzuschränken? Und welche politischen Maßnahmen helfen mehr: Anreize oder Verbote? Diese und weitere Fragen beantwortet Umweltpsychologe Gerhard Reese im Ideen-Podcast "Smarter leben".
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[00:00:02] Gerhard Reese Gerade in Bezug auf den Klimawandel darf man nicht den fatalen Fehler unterstehen, zu sagen: "Oh, jetzt sind da zwei Monate weniger CO2-Emissionen entstanden, jetzt wird ja der Klimawandel gestoppt".
[00:00:15] Lenne Kaffka Ideen für ein besseres Leben haben wir alle, aber wie setzen wir sie im Alltag um? In diesem Podcast treffen wir jede Woche Menschen, die uns verraten, wie es klappen kann. Willkommen, zu Smarter leben. Ich bin Lenne Kaffka und heute spreche ich mit Gerhard Reese.
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[00:00:59] Gerhard Reese Hi, mein Name ist Gerhard Reese, ich bin Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau und interessiere mich in meiner Arbeit vor allem dafür, unter welchen Bedingungen Menschen bereit sind, sich für den Umweltschutz einzusetzen.
[00:01:11] Lenne Kaffka Eigentlich sollte die Message bei uns allen angekommen sein: Der Klimawandel bedroht unseren Planeten, und es bleibt nur noch wenig Zeit, um die Erderwärmung zu stoppen. Um genau zu sein: sehr wenig Zeit. Aber obwohl die meisten von uns das ernst nehmen, fliegen wir noch in den Urlaub und trinken Kaffee im Plastikbecher. Warum verhalten wir uns so? Und was muss passieren, damit wir uns endlich nachhaltig verändern? Darüber habe ich mit Gerhard gesprochen.
[00:01:36] Vor der Coronakrise galt der Klimawandel als größtes Problem Jetzt beschäftigen wir uns vor allem mit der Pandemie und ihren Folgen. Wie gerät denn der Umweltschutz als gesellschaftliche Aufgabe jetzt nicht in Vergessenheit?
[00:01:47] Gerhard Reese Na ja, ich glaube, er wird nicht in Vergessenheit geraten. Es ist jetzt einfach für ein paar Monate, vielleicht zumindest in der medialen Darstellung auf Sparflamme gewesen, aber im Hintergrund ging es ja weiter. Im Hintergrund wurde geforscht, im Hintergrund hat man weiter festgestellt, welche Probleme es gibt. Und jetzt merkt man gerade in den letzten zwei, drei Wochen, sowohl in den sozialen Medien als auch in klassischen Medien, dass das Thema gerade wieder kommt, weil zum Beispiel neueste Zahlen darauf hindeuten, dass die CO2-Emissionen weiter und weiter steigen. Es ist ja nicht so, dass das alles gestoppt hat. Ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein beziehungsweise die Aufmerksamkeit gerade wieder steigt.
[00:02:19] Lenne Kaffka Du versuchst, das mitzubewirken. Du bist Umweltpsychologe, du leitest den Studiengang "Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie" an der Uni Koblenz-Landau. Was lernen Studierende bei dir?
[00:02:31] Gerhard Reese Die Studierenden lernen, dass die großen Umweltfragen unserer Zeit, um es mal so möglichst pathetisch auszudrücken, eben nicht nur aus einer Perspektive behandelt werden können. Der Studiengang heißt "Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie" - das zeigt schon, dass wir verschiedene sozialwissenschaftliche Perspektiven auf dieses Thema lenken, nämlich aus diesen drei Bereichen Psychologie, Kommunikationswissenschaft und eben auch Wirtschaft und dass Studierende lernen sollen, diese Perspektiven mit grundlegenden umweltwissenschaftlichen Wissen zu verbinden und dass dann am Ende als hoffentlich interdisziplinär ausgebildete Absolvent*innen diese Herausforderungen möglicherweise besser verstehen, besser damit umgehen können, besser damit arbeiten können.
[00:03:16] Lenne Kaffka Du bist natürlich nicht nur Umweltpsychologe, du bist auch eine Privatperson. Was machst du in deinem Alltag fürs Klima?
[00:03:21] Gerhard Reese Ich bin seit fast 20 Jahren Vegetarier und besitze kein Auto. Ich habe zweimal in meinem Leben für ein Jahr ein Auto besessen. Einmal, als ich umgezogen bin, weil ich dachte, es wäre sinnvoll. Einmal, als wir unser Kind bekommen haben, weil wir dachten, das sei sinnvoll. Ein Jahr später haben wir es wieder vertickt, weil wir gemerkt haben, wir brauchen es tatsächlich einfach nicht. Dann wohnen wir in einem Energiespar-Haus, also einem KfW 55-Energiesparer-Haus mit Wärmepumpe und alles mit Ökostrom. Das sind die wichtigsten Sachen.
[00:03:50] Lenne Kaffka Also sind es eher ein paar grundlegende Dinge, die man ändern muss als viele kleine.
[00:03:54] Gerhard Reese So würde ich das nicht sagen. Also viele kleine kann man auch verändern. Es gibt aber so die Idee der sogenannten "Big Points". Auf individueller Ebene gibt es so drei, vier Verhaltensweisen, mit denen man wirklich, ohne dass man auf Politik warten muss, einen Impact haben kann, also wirklichen Einfluss haben kann. Und das sind, wie gesagt, eine vegetarische Ernährungsweise, Verzicht auf ein eigenes Auto. Das heißt nicht, dass man auf ein Auto verzichten muss. Also natürlich, mit Carsharing-Modellen kann man weiterhin Autofahren, das ist tatsächlich eine der Möglichkeiten, wo man viel einsparen kann. Natürlich Flugverhalten, die Fliegerei, das ist ja gerade für Menschen in privilegierten Staaten so einer der Aspekte, die sehr viel CO2 ausstoßen. Und das ist natürlich was, wo man selbst auch schauen kann, kann ich da was ändern? Und der vierte Punkt, der ein Stück weit bei einem selbst liegt, ist Heizen. Ja, wenn ich in einem Altbau wohne, der nicht gedämmt ist, dann ist natürlich sehr schwer, da etwas zu ändern. Aber wenn man die Möglichkeit hat, dann ist das auch einer der Bereiche, wo sich besonders viel CO2 durch individuelles Verhalten einsparen lässt.
[00:04:54] Lenne Kaffka Du hast jetzt unter anderem auch deine Flüge angesprochen. Auf der Seite von deiner Uni hast du dein Klima-Lebenslauf veröffentlicht mit deinen beruflichen Zugfahrten und deinen beruflichen Flügen. Du bist vor drei Jahren das letzte Mal geflogen. Was bezweckt du mit dieser öffentlichen Auflistung?
[00:05:09] Gerhard Reese Mit der Auflistung ging es mir bzw. auch unserem Team darum, das Thema mal aufs Tableau zu bringen. Also ich finde es schwierig, als Wissenschaftler, auch als Umweltwissenschaftler zu argumentieren - ganz plump gesagt: "Leute, wir müssen weniger fliegen", aber selbst haben viele von uns die Angewohnheit, auf internationale Konferenzen zu fliegen. Zwei, drei, vier, fünfmal pro Jahr und manche mit der Legitimation: "Aber das machen wir ja für was Gutes, um da die Themen weiterzubringen". Manche mit der Legitimation: "Das ist Teil meines wissenschaftlichen Selbst., wenn ich das nicht kann, dann kann ich auch nicht Wissenschaftler sein". Wir hatten, als wir diesen Klima-Lebenslauf veröffentlicht haben, auch sehr tolle, aber auch sehr kritische Reaktionen aus der wissenschaftlichen Community bekommen, weil es von vieler Seite heißt, dass ich mein wissenschaftliches Leben so nicht durchführen könnte. Naja, und jetzt haben wir gerade die Coronakrise und wir sehen, dass die Wissenschaft wunderbar funktioniert ohne Fliegerei. Ich meine, das Ziel von diesem Klima-Lebenslauf war, tatsächlich mal zu schauen bzw. darauf hinzudeuten, müssen wir, um gute und erfolgreiche Wissenschaft zu machen, ständig irgendwo hinfliegen? Und ich persönlich glaube, nein.
[00:06:13] Lenne Kaffka Du hast es im Grunde vor allem an deine eigene Bubble adressiert, an deinen eigenen Berufszweig.
[00:06:19] Gerhard Reese Das war schon das primäre Ziel, genau. Einmal die eigene Bubble, um da eine Diskussion anzuregen, aber auch gleichzeitig im öffentlichen Raum zu zeigen, Leute, es ist nicht so, dass alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sagen "nicht fliegen" aber dann fliegen sie fleißig zu den Konferenzen; auch bei uns in dieser Community, in der Wissenschaft, gibt's da eben eine Diskussion drüber.
[00:06:39] Lenne Kaffka Geht es dir auch darum, mit deinem Verhalten dein Umfeld zu beeinflussen?
[00:06:42] Gerhard Reese Ich fände es schön, wenn das gelingt. Es ist es aber auch nicht so, dass ich Tag für Tag durch die Gegend laufe und das mit dem Ziel mache, die oder die Person beeinflussen zu wollen. Es ist eher so, dass ich glaube und hoffe, dass durch mein Verhalten, für andere Menschen möglicherweise sichtbar wird, cool, so geht es ja irgendwie auch. Aber da darf man sich natürlich nichts vormachen. Wenn das ein Einzelner macht, ist die Wahrscheinlichkeit nicht so hoch, dass so viele umspringen. Aber das Schöne ist: Wenn ich zum Beispiel mit dem Fahrrad hier in Berlin den Tempelhofer Damm hoch fahre zwischen Lkws und Autos, wenn sichtbar ist, dass viele Leute das trotzdem machen, dann sieht man, es gibt ein Bedürfnis. Da gibt es einen Drang danach, eine andere Mobilität zum Beispiel auf einer bestimmten Strecke zu erleben oder zu haben und dann kann das vielleicht auch zu Veränderungen führen.
[00:07:26] Lenne Kaffka Würdest du sagen, dass Taten im Zweifel mehr bringen, als irgendwie zu versuchen, Leute mit Worten zu überzeugen?
[00:07:32] Gerhard Reese Ich glaube ja, ohne dass ich dafür jetzt eine empirische Evidenz habe. Es gibt ja durchaus Studien, die zeigen, dass eben Vorbilder oder auch prototypisch Führungspersonal, Führungskräfte, durchaus Menschen aus der eigenen Gruppe mitziehen können. Und der zweite Punkt ist ja zu sagen: Es ist halt so, dass natürlich jeder Mensch auch ein bisschen anders tickt und auf andere Angebote, nennen wir es mal, reagiert. Vielleicht ist eine Person dadurch beeindruckt und sagt: Okay, ja, das will ich auch machen, was die Person da irgendwie treibt und so schön vorlebt. Eine andere Person ist vielleicht eher von den "hard facts" überzeugt, die mit bestimmten Sachen einhergehen. Die Person ist dann eher davon überzeugt, wenn man ihr kommuniziert, aus den und den Gründen ist es total sinnvoll, das und das jetzt zu machen.
[00:08:12] Lenne Kaffka Was fällt dir denn schwer? Wo würdest du sagen, kannst du dein eigenes Verhalten noch optimieren?
[00:08:16] Gerhard Reese Meine größten Optimierungsmöglichkeiten, die gäbe vermutlich bei der Mobilität. Kann ja jeder und jeder mal vom Umweltbundesamt zum Beispiel ein CO2-Rechner durchrechnen. Da kriegt man für jeden einzelnen Aspekt - Konsumverhalten, Mobilität, Wohnen - ein bisschen rausgespuckt, wo die Verbesserungsmöglichkeiten sind. Und bei mir ist es tatsächlich die Mobilität, das Unterwegssein.
[00:08:35] Lenne Kaffka Für mich ist jetzt der Klimawandel auch auf jeden Fall eines der zentralen Probleme. Aber ich verhalte mich trotzdem häufig noch inkonsequent. Ich bestelle ab und zu online Klamotten, ich flieg häufiger noch in den Urlaub. Ich weiß, dass ich mich regelmäßig falsch verhalte, aber ich ändere es nicht. Wie ist das zu erklären?
[00:08:51] Gerhard Reese Da gibt es viele Erklärungsmöglichkeiten. Ich meine, bei der Frage überlege ich immer, wo man am besten anfängt.
[00:08:59] Lenne Kaffka Es ist ein großes Problem (lacht).
[00:09:03] Gerhard Reese Ich meine, ganz grundlegend ist es ein systemisches Problem. Also, sowas wie Klimaveränderungen und Verhalten vor dem Hintergrund von Klimaveränderungen - das ist eine Mischung aus individuellem Verhalten, aus politischen Rahmenbedingungen und aus ökonomischem System, in dem wir leben. Und jetzt habe ich schon das Wort "System" gesagt. Da kräuseln sich bei manchen schon immer die Fußnägel hoch, weil sie denken, jetzt kommt so etwas wie "Wir müssen das System niederbrennen". Ganz so ist es nicht. Aber fangen wir auf der individuellen Seite kurz an: Der eine Punkt ist, dass ich nicht das, was ich tue, mit dem verknüpfe, was irgendwie mit Klima zu tun hat. Klimawandel, das fühlt sich für die meisten von uns irgendwie so irre abstrakt an. Das fühlt sich für viele von uns weit weg an. Unserer Altersgeneration, die wird wahrscheinlich noch starke Konsequenzen erleben, da deutet vieles darauf hin. Für andere ist es vielleicht so das Gefühl, na ja, hier in Deutschland oder in Mitteleuropa, das sind wir relativ sicher. Wir werden nicht irgendwie weggeschwemmt oder irgendwie sowas. Da fehlt so eine existentielle Sorge vielleicht, die uns da an der Stelle hindert. Aber es ist nicht nur das. Es sind natürlich auch soziale Normen. Wenn ich in meinem ganzen Umfeld sehe: Ach, meine Freunde und meine Peers, die fliegen jetzt alle in Urlaub, hab ich jetzt auch keinen Bock, irgendwie in der Woche an die Ostsee zu fahren. Und dann kommt noch dazu, dass wir tatsächlich in Routinen auch ein Stück weit gefangen sind, die durch politische Rahmenbedingungen nicht einfach machen, unser Verhalten zu verändern - Stichwort Autofahren. Wo natürlich man auch als Politik ganz einfach mal sagen könnte: Nee, Leute, es gibt jetzt keine Zementierung der derzeitigen Routinen, sondern es gibt Investitionen in ÖPNV, Investition in sicheren Radverkehr, Investitionen in - meinetwegen Elektro-Sharing-Mobilität. Also, das ist der Punkt, wo quasi das individuelle Verhalten ein Stück weit eine Funktion oder eine Abhängigkeit ist von den politischen Rahmenbedingungen. Und ich bin mir sicher, dass - jetzt noch mal Beispiel Berlin - einfach sehr viel mehr Leute mit dem Fahrrad die fünf bis zehn Kilometer-Strecken durch Berlin fahren würden, wenn sie nicht eingeklemmt zwischen Lkws, SUVs und sonst was wären, sondern auf eigenen, breiten, gut sichtbaren Radstrecken fahren könnten.
[00:11:06] Lenne Kaffka Also sind wir immer nur so doll bereit, uns zu ändern, wie es so der Rahmen und unser persönliches Umfeld uns vorgibt?
[00:11:13] Gerhard Reese Auf individueller Ebene ist natürlich so, dass es sein kann, dass eine total positive Einstellung gegenüber Umwelt habe, Umweltschutz mir wichtig ist, ich Werte habe, die Umweltschutz ganz stark nach oben setzen. Und das wird natürlich auch dazu führen, dass ich mich auch entsprechend verhalte. Aber: Es kann halt auch sein, dass ich all diese Werte habe, mir das total wichtig ist und in irgendeinem Ort, dreißig Kilometer entfernt von der nächsten Bahnstation oder vor dem nächsten Supermarkt oder sonst was lebe und dann eigentlich im Alltag keine Option habe in Bezug auf Mobilität, zum Beispiel, ökologisch zu agieren. Da brauche ich ein Auto. Und das sind dann strukturelle oder systemische Barrieren sich entsprechend ökologisch zu verhalten.
[00:11:53] Lenne Kaffka Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass mir persönlich auch die Erfolgserlebnisse fehlen. Ich habe ein paar Jahre geraucht, dann habe ich aufgehört, und ich konnte sofort besser atmen. Ich habe mehr schmecken können. Man hat sofort zwei, drei Dinge, die sagen, ah ok, es ist gut, was ich tue. Wie schaffe ich das, dass sich das für mich sinnvoller anfühlt mein eigenes Handeln?
[00:12:11] Gerhard Reese Das, was du da ansprichst, das ist genau einer der großen psychologischen Probleme. Gerade wenn es um Klimaschutz oder auch um Plastikmüll oder sowas geht, da kommen wir mit so einem Gefühl von Selbstwirksamkeit nicht so weit. Also Selbstwirksamkeit, das ist so ein Konzept - ganz wichtig in Psychologie - durch eigenes Handeln wirklich ein Ziel erreichen zu können. Und das ist ein wichtiges Gefühl. Wenn wir dieses Gefühl nicht haben, dann sinkt auch unsere Motivation. Dann haben wir auch kein Bock, was zu machen. Gerade bei so einem Thema wie Klimaschutz, Artenschutz, weniger Plastik und so weiter, da ist dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit schlicht und einfach häufig nicht befriedigt. Das kann natürlich viele Menschen demotivieren, und die Lösung an der Stelle ist, glaube ich - oder zumindest gibt's einige Studien mittlerweile, die darauf hindeuten, sich klarzumachen, dass ich mit diesem Verhalten, das ich da an den Tag lege, nicht alleine bin, dass es viele andere Leute gibt, die das tun, dass es auch Gruppen gibt, denen ich zugehöre, die dieses Verhalten an den Tag legen. Ich bin nicht der Einzige, der auf dem Flug verzichtet. Das machen viele andere Leute auch. Und wir damit so eine Art kollektive Wirksamkeit ansprechen, also so ein Gefühl, dass wir als Gruppe oder als Gemeinschaft oder als Gesellschaft es in der Hand haben, was zu ändern. Wir als Gruppe können tatsächlich gemeinsam an einem Strang ziehen, so ein Ziel zu erreichen. Und wenn wir es schaffen, diese Selbstwirksamkeit auf so eine kollektive Ebene zu bringen, dann kann das auch sehr motivieren oder sehr motivierend sein. Und ich glaube, dass zum Beispiel die FridaysForFuture-Bewegung letztes Jahr und vorletztes Jahr das sehr, sehr gut hinbekommen hat.
[00:13:35] Lenne Kaffka Aber wie viel kann ich denn jetzt als Einzelner überhaupt dazu beitragen, den Klimawandel zu stoppen?
[00:13:40] Gerhard Reese Ich möchte ganz klar dafür plädieren, dass wir als Individuum, dass jeder von uns selbst, es auch ein Stück weit in der Hand hat. Wir können durch unser Verhalten - ich hatte vorhin die "Big Points" aufgezählt - dazu beitragen, aktiv und erfolgreich Klimaschutz zu betreiben. Aber das alleine wird nicht reichen. Das ist ein bisschen der Knackpunkt an der Sache. Und deswegen plädiere ich dafür, wie auch viele Kollegen, dass wir sowohl individuelle Verhaltensmuster, individuelle Konsummuster uns anschauen und diese verändern, aber eben auch strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, die bestimmte Verhalten möglicherweise auch verhindern oder ermöglichen.
[00:14:15] Lenne Kaffka Wir müssen jetzt immer so ein bisschen vom Negativen her formuliert: Warum mache ich das nicht? Warum halte ich mich nicht daran? Wenn man es mal positiv formulieren würde: Unter welchen Bedingungen ist man bereit dazu, sich mehr dem Klimaschutz zu widmen?
[00:14:26] Gerhard Reese Da gibt es verschiedene Ebenen und so verschiedene Motive, die wir verfolgen. So kann zum Beispiel jemand, der eher egoistisch so auf das eigene Wohlbefinden, auf das eigene Selbst fokussiert, zum Beispiel dadurch motiviert werden, dass man erkennt, ich fahre jetzt regelmäßig mit dem Fahrrad, das ist total gut für meine Gesundheit. Das ist total gut. Wir können einmal die positiven Aspekte von bestimmten Verhaltensweisen stärker in Fokus rücken. Das wäre eine Möglichkeit. Damit würden wir egoistische Motive - nicht im negativen Sinne, sondern einfach egoistisch auf selbst bezogene Motive - ansprechen. Eine zweite Möglichkeit wäre, altruistische Motive anzusprechen, also Motive, wo es eben darum geht, wie geht es den Menschen um mich herum? Wie geht es der Menschheit im Allgemeinen? Es könnte ja eine total schöne positive Message sein zu sagen: Hey, lasst uns, uns umweltgerecht verhalten, weil dadurch wird es auch auf sozialer Ebene zu mehr Gerechtigkeit kommen. Wir können dadurch vielleicht dafür sorgen, dass die Ungleichheit sinkt, weil wir durch unser Konsumverhalten möglicherweise auf andere Unternehmen fokussieren und nicht mehr nur noch die Big Player unterstützen, was auch immer. Und natürlich können wir auch vollkommen ökologisch motiviert sein und uns irgendwie so etwas vorstellen wie, dadurch, dass ich mich jetzt klimaschützend oder umwelt- oder naturbewusst verhalte, können sich die und die Arten wieder entwickeln oder die und die Naturräume entwickeln oder was auch immer. Ich glaube, es gibt unterschiedliche Arten und Weisen oder unterschiedliche Arten von Motiven, die man da ansprechen könnte, um wirklich so ein positives Narrativ, so eine positive Erzählung, vielleicht auch eine positive Vision von einer sozial-ökologischen Gesellschaft zu generieren.
[00:16:03] Lenne Kaffka Aber es sind auch immer mehr Menschen genervt von der Klimadebatte. Es gibt Leute, die sagen, die wollen ihr Verhalten nicht verändern und es sind nicht wenige. Woran liegt das deiner Meinung nach?
[00:16:13] Gerhard Reese Ich meine, das gibt's doch immer. Es gibt ja eigentlich kein Thema, wo es nicht auch irgendwie Leute gibt, die dagegensprechen und das ist ja an sich erstmal, finde ich, auch nicht problematisch, weil wir leben in Demokratie. Wir leben in einer, finde ich, sehr aufgeklärten Gesellschaft, in der es, Gott sei Dank, möglich ist, solche Gespräche, solche Diskussionen zu führen. Und ich glaube, die Aufgabe ist es dann, möglichst viele Menschen auch abzuholen und dann auch eine politische Vision aufzubauen, dass wir eine andere Gesellschaft leben können. Das muss einmal politisch gesteuert werden, aus meiner Sicht, das muss natürlich auch eine Art Wertewandel oder vielleicht ein Bewusstsein dafür, was wirklich wichtig ist, sein. Wenn diese Kombination da wäre, dann kann man da eigentlich guter Dinge sein. Natürlich wird es Protest geben. Ich meine, es ist halt so, das muss man sich auch klarmachen: In Deutschland, unter anderem, in vielen Industrienationen, sind wir extrem privilegiert im weltweiten Vergleich. Ich habe letztens ein schönes Zitat gelesen: "Menschen, die privilegiert sind, fühlt sich Gerechtigkeit an, als würde einem etwas weggenommen werden. Und an dieses Gefühl müssen wir, glaube ich, auch ran und zeigen, dass es eben nicht nur was wegnehmen ist, sondern eine Möglichkeit, ja, vielleicht eine neue, solidarische Gesellschaft aufzubauen.
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[00:18:00] Lenne Kaffka Wie verheerend leben wir Deutschen denn eigentlich im Vergleich zu anderen Ländern?
[00:18:05] Gerhard Reese Wir leben etwa so, dass, wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden, wie wir in Deutschland, eigentlich so um die drei Planeten Erde bräuchten, um dauerhaft nachhaltig zu leben. Das heißt also, unser Ressourcenverbrauch in Deutschland übersteigt ungefähr das Dreifache dessen, was wir eigentlich auf der Erde zur Verfügung haben - gegeben, dass alle siebeneinhalb Milliarden Menschen so leben würden wie wir in Deutschland.
[00:18:29] Lenne Kaffka Wie können wir denn so eine Art gesellschaftliches Verantwortungsgefühl entwickeln?
[00:18:32] Gerhard Reese Das ist eine gute Frage, und die greift uns in unserer Forschung natürlich auch tierisch rum. Und es gibt so verschiedene Ansätze. Was ich vorhin schon sagte, ich habe von dieser kollektiven Wirksamkeit gesprochen. Ein Ansatz, der gerade in der Psychologie heiß diskutiert wird, ist, dass wir stärker auf das soziale Umfeld, auf die sozialen Gruppen fokussieren, denen wir angehören, weil dadurch, was andere in meinem Umfeld machen, dadurch, was wir als bestimmte Gruppe oder als Gemeinschaft für gemeinsame Ziele haben. Das kann uns extrem motivieren, auch im Sinne dieser Ziele dieser Gemeinschaft zu handeln. Und das kann letzten Endes so weit führen - es gibt so einen Ansatz, der nennt sich, je nachdem, welche Literatur man anschaut - "Globale Identität" oder "Identifikation mit der gesamten Menschheit". Und der Ansatz geht davon aus, dass, wenn wir es schaffen, die gesamte Menschheit als Gruppe zu sehen und uns mit dieser Gruppe zu identifizieren und quasi dann auch durch diese Identifikation erleben, dass alle Menschen eigentlich die gleichen Rechte, die gleichen Pflichten, den gleichen Wert haben, dass diese Identifikation uns dann auch motiviert, uns eher, klimaschützend zu verhalten. Da gibt es eine Reihe von Studien, die zeigt, dass wir das durchaus können, uns auf so einer Ebene zu identifizieren oder uns auf so einer Ebene mit der Menschheit zu verbinden. Und es gibt auch Evidenz, dass es eben diese Identifikation tatsächlich mit einer größeren Wahrscheinlichkeit einhergeht, dass man sich klimaschützend oder nachhaltiger verhalten möchte.
[00:19:55] Lenne Kaffka Ist das in der Coronakrise gerade passiert? Weil da waren wir auf einmal als Gesellschaft ja alle sofort bereit, uns ganz strikt zurückzunehmen, zu verzichten, an neue Regeln zu halten. Was ist da anders gelaufen, deiner Meinung nach?
[00:20:07] Gerhard Reese Es war natürlich sehr viel mittelbarer oder sehr viel plötzlicher und das ist ja das, was wir beim Klimawandel nicht haben. Das ist ja eher so etwas Schleichendes. Und die Coronakrise hat aber zumindest bei einem großen Teil der Bevölkerung das geschafft, so ein Gefühl von Zusammenhalt. Und warum? Na ja, es so ein gemeinsames Schicksal. Es ist etwas, was uns alle betrifft. Das ist etwas, was uns alle betreffen sollte und wo wir alle, wenn wir an einem Strang ziehen, diese Krise überwinden können. Und das ist eigentlich genau das, was wir für den Klimawandel brauchen. Bei der Coronakrise kommt natürlich noch dazu, dass hier die Politik extrem schnell, extrem klar an vielen Stellen gehandelt hat, ganz klare Vorgaben auch gemacht hat, die vielen nicht gefallen haben, auch mir natürlich nicht alle gefallen, aber dazu geführt hat, dass wir das Ganze in Griff bekommen haben. Und die Coronakrise zeigt dann wiederum: "Aha, schau mal, wieviel Geld wir eigentlich als Gesellschaft haben, um bestimmte Ziele zu erreichen". Es kann jetzt niemand mehr eigentlich kommen und sagen, Klimaschutz ist zu teuer, wenn man sieht, wie viele Milliarden wir jetzt für die Coronakrise quasi als Staat oder auch wenn man sich die gesamte Weltgemeinschaft anschaut, ausgeben. Das Argument ist damit eigentlich auch weg. Der zweite Punkt, dass wenn wir zusammen, und da ist wieder kollektive Wirksamkeit, was erreichen wollen, wenn wir uns zusammenraufen als Gesellschaft, dann können wir auch so eine Krise überwinden. Und ich glaube, das ist so eine Lehre, die man aus dieser Coronakrise vielleicht, wenn man es jetzt auf die Klimakrise übertragen will, rauszieht, diese beiden Punkte.
[00:21:34] Lenne Kaffka Das würde ja bedeuten, dass wir einerseits die Klimakrise noch nicht als gemeinschaftliches, gesellschaftliches Schicksal verstanden haben, dass aber, deiner Meinung nach, auch politisch nicht klar genug kommuniziert und gehandelt wurde.
[00:21:47] Gerhard Reese Ich glaube, das sind die zentralen Punkte.
[00:21:48] Lenne Kaffka Wenn wir das schon nicht als gemeinschaftliches Schicksal verstehen, muss dann Klimaschutz irgendwie "sexy", "cool", "im Trend" sein? Weil, wenn ich jetzt zurückblicke, ich bin in den 1990ern und 2000ern zur Schule gegangen, da war "Du Öko" ein Schimpfwort - jetzt gehen Tausende Schüler freitags auf die Straße, um für Umweltschutz zu protestieren.
[00:22:06] Gerhard Reese Ich glaube nicht, dass Klimaschutz "sexy" sein muss. Wobei, vielleicht ist es einfach ein anderes Wort für das, was ich glaube, was es sein muss. Es muss einfach normativ sein. Das heißt also: Klimaschutz, klimaschützendes Verhalten muss eine Norm werden. Es muss das werden, was wir tun im Alltag. Das muss das werden, was wir tun sollten. Ob es dann damit sexy wird oder nicht, ist eine andere Frage. Aber es Standard, Routine werden, dass wir eher die klimaschützenden Optionen bei unserem Konsumverhalten, Mobilitätsverhalten und so weiter und so fort wählen. Und das ist ja durchaus möglich, dass sich solche Normen verändern. Wenn du sagst, in den 90er Jahren war "Du Öko" ein Schimpfwort. In den 90er Jahren war es auch noch irre cool zu rauchen. Die Zeiten sind vorbei. Ich kenne eigentlich niemanden, der irgendwie noch sagt, rauchen ist cool. Klar, da gibt's dann vielleicht auch noch mal Bubbles, indenen man sich mehr oder weniger bewegt. Aber das ist ja letzten Endes normativ geworden, dass nicht zu rauchen die bessere Variante ist. Da hat ja zum Beispiel, aus meiner Sicht, politische Strukturgebung sehr stark dazu beigetragen, durch das Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen, durch das Rauchverbot in Kneipen, durch das Rauchverbot in Zügen und so weiter und so fort. Das hat dazu geführt, dass es nicht mehr so sichtbar war, dass Leute es nicht mehr gemacht haben. Es gab scheinbar ein Bedürfnis auch, dass es dieses Verbot gibt - aus gesundheitlichen Gründen, aus welchen Gründen auch immer. Und wie gesagt: Heute sind wir an einem Punkt, wo es nicht mehr normativ ist, oder cool ist oder sexy, zu rauchen.
[00:23:29] Lenne Kaffka Die Weltwetterorganisationen warnt schon wieder vor dem nächsten Hitzesommer auf der nördlichen Hemisphäre. Glaubst du, das ist vielleicht so etwas, worüber man sich fast freuen sollte, weil der uns zu einem weiteren Umdenken bewegen könnte?
[00:23:40] Gerhard Reese Na ja, er sollte uns natürlich nicht freuen. Aber es kann sein, dass das noch mal wieder zu einem stärkeren Bewusstsein führt, dass hier Sachen sich verändern, die wir vielleicht nicht mehr aufhalten können bzw. die wir nur aufhalten können oder deren Konsequenzen wir nur verringern können, wenn wir jetzt zusammen an einem Strang ziehen. Wir haben gerade eine Studie veröffentlicht, wo wir uns so etwas angeschaut haben. Wir haben quasi Versuchsteilnehmer da einfach mal Satellitenbilder gezeigt von verschiedenen Regionen, einmal total grün und fruchtbar und einmal dieselbe Region oder eine vergleichbare Region, total trocken und dürre und so weiter und so fort. Und wir finden da, dass es da auf jeden Fall schon mal zu einer emotionalen Reaktion kommt, nämlich, dass Leute da wirklich mit Sorge darauf reagieren, mit vielleicht auch so ein bisschen Schuld- oder Trauergefühl. Und jetzt müssen wir schauen, ob diese Emotionen möglicherweise auch sich in Verhaltensintentionen oder wirklich auch Klimaschutzverhalten dann umsetzen. Da sind wir jetzt aber gerade am Anfang. Anekdotisch kann ich das aber bestätigen, dass jetzt in den letzten ein, zwei Jahren durchaus das Bewusstsein stärker geworden ist, der Klimawandel wird uns auch in Deutschland betreffen.
[00:24:48] Lenne Kaffka Gibt es denn so ein paar Dinge, die vielleicht auch viele Menschen einfach noch unterschätzen oder gar nicht sehen, dass da vielleicht auch das Verhalten mit in den Klimawandel mitreinspielt?
[00:24:58] Gerhard Reese Ich glaube schon. Das sind gerade die Sachen, die im Alltag nicht so sichtbar sind. Ein schönes Beispiel: Die Entscheidung, bei welcher Bank man sein Geld anlegt. Ich glaube, das ist was, wo sehr viele Menschen nicht drüber nachdenken. Aber sein Geld, das, was man verdient, das Gehalt, was man erbt, was auch immer, bei Banken anzulegen, die ökologische oder nachhaltige Kriterien anlegen - das ist was, das ist absolut unsichtbar. Ich glaube, das ist vielen von uns im Alltag nicht bewusst. Das kann ein ganz, ganz starker Hebel sein, auch tatsächlich klimaschützende und sozialverträgliche Unternehmen zu unterstützen.
[00:25:36] Lenne Kaffka Welche Rolle spielt unser Konsumverhalten?
[00:25:38] Gerhard Reese Das spielt natürlich hat eine extrem große Rolle, weil unser Konsumverhalten letzten Endes Teil von einem auf Wachstum basierten Wirtschaftssystem ist. Und das muss uns bewusst sein, dass durch unseren tagtäglichen Konsum wir natürlich auch ein Stück weit beeinflussen, in welche Richtung das Ganze weitergeht. Alles, was wir so an produzierten Gütern natürlich konsumieren und kaufen, hat einen direkten Einfluss auf die Natur, auf die Umwelt, aufs Klima. Und das können wir dadurch, wie wir uns entscheiden, dadurch, was wir kaufen, ein Stück weit beeinflussen.
[00:26:08] Lenne Kaffka Man müsste unser jetziges System ein Stück weit in Frage stellen?
[00:26:12] Gerhard Reese Ich glaube, ich bin jemand, der am ehesten eine sozial-ökologische Marktwirtschaft unterstützen würde. Ich glaube, das wäre durchaus etwas Sinnvolles, die aber letzten Endes wegkommt, davon, dass Wirtschaftswachstum das Maß aller Dinge ist. Und ich glaube, das ist der Punkt, wo ich die Systemfrage schon stellen sollte. Unser System ist quasi so auf Produktion, auf Konsum ausgerichtet, dass jedwedes verhalten, was konsumiert, was kauft, den Motor am Laufen hält und dass das absolut fragil ist, haben wir jetzt in der Coronakrise ja gesehen. Unser ganzer, unser ganzer Wohlstand, nennen wir es mal, der ist für viele Leute in Deutschland in den letzten zwei, drei Monaten ein Stück weit zusammengebrochen. Ich meine, in Deutschland sind wir immer noch gut dran. Das muss man im globalen Vergleich natürlich auch vor Augen halten. Und ich glaube auch nicht, dass unser Wirtschaftssystem, wie es jetzt ist, durch Corona vollkommen zusammenbrechen wird. Aber ich glaube, es zeigt, dass wir eine Wirtschaftsstruktur haben, die so "on the point, on the minute" ausgelegt ist, dass scheinbar große Unternehmen nicht in der Lage sind, Rücklagen zu generieren und Lufthansa oder andere Unternehmen mit Milliarden an Steuergeldern gerettet werden müssen. Das ist, glaube ich, ein massives Problem und die Systemfrage, die ich nicht beantworten kann, aber die sich da stellt, ist: Wie kommen wir von diesem System weg und finden ein System, das es ermöglicht, allen Menschen - nicht nur dem oberen Prozent - ein Leben zu führen, was sinnvoll ist, was Grundbedürfnisse und auch andere Bedürfnisse abdeckt. Ich glaube, das ist so die große Frage, und da gibt es ja wunderbare Ideen und ganz tolle Vorschläge und Visionen.
[00:27:45] Lenne Kaffka An welche tolle Vision denkst du denn gerade, wenn du sagst, es gibt schon welche?
[00:27:48] Gerhard Reese Es gibt schon so Visionen, die Vorschläge haben, wie wir sowas wie Wohlstand auch von Wachstum entkoppeln können, nämlich durch weniger Konsum, durch weniger Arbeitszeit. Modelle, wo wir eben nicht 40 Stunden die Woche arbeiten, um wieder mehr Zeug kaufen zu können durch solidarischere, vielleicht auch regionale Lebensmodelle, Einkaufsmodelle, Kooperationsmodelle. Da gibt es viele einzelne Ideen. Die große Vision, wie das alles ineinandergreifen kann, die kann man so formulieren. Ob die so kommen würde, weiß ich aber nicht. So etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, das sind alles Sachen, da kann man vortrefflich darüber diskutieren. Das hat viele Vor- und Nachteile. Nur: Wenn wir nicht mal so ein bisschen was ausprobieren stärker in diesen Richtung, dann wissen wir auch nicht, ob es funktioniert. Ich habe jetzt wieder irgendwie kürzlich von Modellregion X gelesen und es ist total toll, solche Modellregionen zu haben. Nur, wenn es dann dabei bleibt, dann ist es irgendwie schade. Wir müssen es irgendwie schaffen, wirklich, dass auch so eine gesamtgesellschaftliche Ebene zu bringen. Da muss auch klar sein: Visionen sind total toll. Aber wir leben nun mal in einer Welt, wo wir nicht nur Deutschland haben. Wir leben in einer Welt, die extrem vernetzt ist. Wir leben in einer Welt, die kulturell, die ökonomisch, politisch extrem vernetzt ist. Da müssen wir natürlich gucken, wie das alles ineinandergreifen kann. Aber das als Argument zu nehmen, das nicht zu tun - dann wird sich nirgendwo etwas ändern.
[00:29:07] Lenne Kaffka Manches, was vor wenigen Wochen noch utopisch gewirkt hat, ist ja durch die Coronakrise real geworden. Wochenlang haben die meisten Firmen aus dem Homeoffice gearbeitet. Viele machen das noch immer. Auch wir beide wollten uns eigentlich im Studio in Berlin treffen. Ich hätte den Zug genommen, wäre da hingefahren. Jetzt skypen wir einfach, das ist klimafreundlicher. Glaubst du, die Coronakrise kann sich vielleicht auch zu einer Art positiven Wendepunkt entwickeln?
[00:29:33] Gerhard Reese Ich bin da hin- und hergerissen, weil auf der einen Seite die Wahrscheinlichkeit nicht schlecht ist. Man könnte das so als "Window of Opportunity", also als ein Möglichkeitsfenster bezeichnen, dass quasi jetzt, gerade, in dem Zeitraum, wir merken: Viele von den Routinen, vieles von dem, was wir gemacht, gelebt haben, geht auch ohne. Wir merken, das funktioniert. Auch bei Unternehmen stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest: Wir müssen uns jetzt nicht persönlich treffen, wir können das, zack, zack, in einer Viertelstunde vielleicht abhaken. Wir müssen nicht quer durch Deutschland fahren, reisen, um uns zu treffen. Ich glaube nicht, dass es dauerhaft so bleibt, wie es jetzt ist. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass es sehr viel mehr Veranstaltungen, Sitzungen, Meetings geben wird, wo das beibehalten wird - aber nicht flächendeckend. Und in anderen Bereichen wird das vielleicht auch so sein. Also, meine große Hoffnung, die auch an manchen Tagen wieder stirbt, aber meine große Hoffnung ist, dass zum Beispiel gerade Menschen in Ballungsräumen merken oder gemerkt haben, wie toll das ist, wenn nicht ständig Autokolonnen durch die Straßen fahren und es fahren ja jetzt auch irgendwie viele Leute mit dem Fahrrad. Das ist doch irgendwie viel besser; dass also dieser partielle Stillstand, den wir da hatten, möglicherweise dazu führt, dass Menschen merken: Eigentlich war das ja nicht uncool. Können wir davon nicht etwas beibehalten?
[00:30:52] Lenne Kaffka Genau , es wird ja auch immer wieder berichtet gerade. In einigen Städten gibt es bessere Luft, klareres Wasser. In einigen Städten tauchen auf einmal Tiere auf, die seit Jahren nicht gesehen wurden. Wie bewertest du diese Beobachtungen? Die werden jetzt ja immer für so eine Art Gradmesser genommen, dafür, dass der Klimawandel, dass das alles Tolle ist und jetzt wieder die Ziele doch zu erreichen sind. Kann man das wirklich jetzt glauben - anhand solcher kurzzeitigen Entwicklungen?
[00:31:17] Gerhard Reese Nein, das kann man natürlich nicht glauben. Das ist jetzt so als Momentaufnahme natürlich schön, dass die Natur für die paar Monate sich ein bisschen regenerieren kann. Aber gerade in Bezug auf den Klimawandel darf man nicht den fatalen Fehler unterstehen, zu sagen: "Oh, jetzt sind da zwei Monate weniger CO2-Emissionen entstanden, jetzt wird ja der Klimawandel gestoppt". Das ist natürlich absoluter Bullshit, weil das darauf hindeutet, dass man das Systemische darunter noch nicht verstanden hat. Also ich meine, da gibt es irgendwie so schöne Beispiele mit einer überlaufenen Badewanne. Man dreht einfach mal für zwei Monate den Hahn ab, aber dann schwappt der Rest ja immer noch hinten über und das Ding ist immer noch randvoll. Und so ist es halt auch beim CO2. Also nur dadurch, dass jetzt zwei Monate mal weniger emittiert wurde, das jetzt als Argument zu nehmen, zu sagen: Oh cool, da braucht man sich jetzt auf anderer Ebene gar nicht anstrengen. Das wäre fatal, und das ist eine Gefahr, die ich tatsächlich sehe. Es ist total schön, dass es jetzt, gerade in diesem Moment, diese Situation gibt, dass weniger CO2 emittiert wird, dass Flüsse sauberer werden, man besser atmen kann und so weiter und so fort. Ich sehe aber auch die Gefahr, dass es politische Gruppen, dass es Lobbygruppen geben wird, die das nutzen, um z.B. Klimaschutz abzusägen. Und da müssen wir als Zivilgesellschaft extrem aufpassen und uns auch dagegen wehren.
[00:32:34] Lenne Kaffka Es ist ja auch davon auszugehen, dass bald versucht wird, sobald es möglich ist, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Ist es dann nicht auch denkbar, dass es dann vielleicht sogar so eine Art Jo-Jo-Effekt geben wird? Dass alles noch viel schlimmer wird als vorher?
[00:32:47] Gerhard Reese Ist nicht unmöglich, ist aber meines Erachtens unwahrscheinlich. Ich glaube, es gibt viele Hinweise darauf, dass wir Veränderungen erleben, die wir am Anfang vielleicht blöd fanden, aber dann merken, die sind ja super. Das wird dann auch so beibehalten. Schönes Beispiel, nochmal kurz die Sache mit dem Rauchverbot. Ja, da gab's ja ganz viele Leute, die gesagt haben, das ist doch blöd, schränkt meine Freiheit eigentlich wieder ein. Blablabla. Aber es hat eigentlich, wenn man sich das jetzt in Rückschau anguckt, nicht dazu geführt, dass extrem viel Ärger darüber entstanden ist. Stattdessen haben auch die Wirte sich gefreut, dass Familien plötzlich mit Kids auch wieder in die Pubs oder Kneipen kommen. Oder auch mit dem Anschnallen beim Autofahren: Da war ja auch Ende der 70er Jahre großer Widerstand. Ein paar Jahre später hat niemand mehr was dagegen gesagt, weil einfach klar war: Das war total sinnvoll. Und ich glaube auch, dass wir jetzt in dieser Zeit durchaus Regelungen haben, wo man vielleicht merkt, es ist gar nicht so dumm, dass ist gar nicht so schlecht, vielleicht halten wir das zu einem Teil bei. Und Jo-Jo-Effekt... Ich könnte mir vorstellen, dass es den in einigen Bereichen geben wird. Ich glaube aber zum Beispiel nicht, dass viele Leute jetzt extrem viel Freude haben werden die nächsten ein, zwei, drei Jahre irgendwo hin zu fliegen oder allzu weit zu reisen mit solchen strikten Maßnahmen, wie es sie weiterhin geben soll. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich denke persönlich nicht, dass es ein Jo-Jo-Effekt geben wird. Und wenn, dann vielleicht in dem einen oder anderen Bereich. Aber wie gesagt, das ist Kaffeesatzleserei.
[00:34:08] Lenne Kaffka Was wäre denn aus deiner Sicht eigentlich sinnvoller: Jetzt mehr Anreize zu schaffen oder mehr Verbote einzuführen?
[00:34:13] Gerhard Reese Ich glaube, wir brauchen beides. Ich glaube, Anreize nicht nur finanziell, sondern auch was die Bequemlichkeit angeht, sind total sinnvoll, gerade beim Mobilitätsumstieg. Ich glaube aber auch, dass wir an der ein oder anderen Stelle nicht um Verbote herumkommen. Während ich das so sage, ist jetzt gerade, nicht nur in Corona, sondern überhaupt, jetzt gerade noch die Zeit, wo wir als Gesellschaft und auch die Politik eigentlich noch ganz gut selber entscheiden können, welche Verbote zum Beispiel ausgesprochen und gemacht werden. Es kann sein, dass wir in 20 Jahren diese Wahlmöglichkeiten nicht mehr haben, weil wir so viel Zeit bis dahin verlieren, dass wir dann ganz, ganz radikale Schritte machen müssen. Ich glaube auch, dass z.B. ein Verbot eines eigenen Autos oder Verbot zu Fliegen nicht kommen wird. Warum auch? Ich glaube, was verboten werden müsste, wäre eben bestimmte Aspekte. Ich könnte zum Beispiel durchaus damit leben, das Verbot von Flügen, die innerhalb von sechs Stunden oder fünf Stunden im Zug erreichbar sind. Ja, das wäre was, wo ich persönlich mit leben könnte. Da würden jetzt andere Leute an die Decke gehen. Ich glaube, da gibt es ganz tolle Ideen. Auch so ein Anreiz könnte ja sein, dass zum Beispiel in die Innenstadt nur noch Autos gelassen werden, wo mindestens zwei oder drei Leute drinnen sitzen. Ich glaube, da kann man ganz viele Ideen sich zusammenspinnen. Aber ohne solche politischen Anreize oder ohne Verbote und eine Mischung aus beidem wird es ganz, ganz schwer.
[00:35:37] Lenne Kaffka Und das war's mit Smarter leben für heute. Wer noch einen Blick auf den Klima-Lebenslauf von Gerhard Reese werfen will, findet den Link in den Shownotes zur Folge. Die nächste Folge von Smarter Leben gibt's ab kommendem Samstag auf spiegel.de und überall, wo es Podcasts gibt - zum Beispiel bei Spotify oder Apple, Podcasts. Bei Anregung oder Themenvorschlägen, einfach eine Mail schreiben an smarterleben@spiegel.de. Diesmal wurde ich unterstützt von Philipp Fackler und Yasemin Yüksel. Unsere Musik kommt von audioBOUTIQUE. Tschüs, bis zum nächsten Mal.
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