Coronakrise und die Psyche Das hilft gegen Stimmungstiefs
Seit Wochen halten wir Abstand, manche arbeiten von zu Hause aus, anderen fehlt die Arbeit komplett: weil Aufträge abgesagt wurden oder der eigene Laden geschlossen bleiben muss. Wir alle fragen uns, was uns aus der Coronakrise hilft - und wie lange wir noch warten müssen, bis die Normalität zurückkehrt.
Lagerkoller und Einsamkeit drücken auch auf die mentale Gesundheit. Riskieren wir, als Gesellschaft in eine depressive Grundstimmung zu rutschen?
Psychologe und Verhaltenstrainer Moritz Kirchner gibt in dieser Podcast-Episode Antworten und Ratschläge. Wie verhindere ich, dass ich in eine Spirale der schlechten Stimmung gerate? Wie geht man mit existenzieller Bedrohung und Ängsten um? Und worauf kommt es an, wenn ich mit mehreren Leuten unter einem Dach wohne?
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[00:00:02] Moritz Kirchner Diese Situation hat den großen Vorteil: Man lernt Menschen noch einmal viel intensiver und anders kennen. Und was man auch weiß ist, wer gemeinsam Schwierigkeiten bewältigt hat - das schweißt immer zusammen.
[00:00:12] Lenne Kaffka In diesen Tagen hoffen die meisten von uns auf eine Lockerung der Corona-Maßnahmen. Und vielleicht kommen demnächst auch die ersten kleinen Schritte in Richtung Normalzustand. Doch so oder so; wir alle werden weiter mit der Coronakrise leben müssen. Und das ist und bleibt auch eine Belastungsprobe für unsere Psyche. Wie überstehen wir diesen Stresstest? Wie können wir Krisen verhindern und mit Kindern und Partnern gut kommunizieren? Darüber hat mein Kollege Matthias Kirsch mit dem Psychologen und Verhaltenstraining Moritz Kirchner gesprochen.
[00:00:38] Matthias Kirsch Hallo Moritz!
[00:00:40] Moritz Kirchner Hallo Matthias, grüße dich.
[00:00:41] Matthias Kirsch Moritz, ich bin ja hier in Berlin, alleine in meinem Homeoffice. Und ganz ehrlich, ich fühle mich jetzt schon nach einer Woche ziemlich eingeengt. Wie ist denn die Lage bei dir? Wie fühlst du dich?
[00:00:53] Moritz Kirchner Die Lage bei mir ist die, dass ich mit meiner Lebensgefährtin zusammen bin, in einer Wohnung und sehr froh bin, jetzt nicht irgendwie allein in einer Wohnung zu sein. Das wäre deutlich schwieriger und ja, ich weiß auf jeden Fall, dass ich lieber irgendwie mit guten Freunden in der Kneipe sitzen und Bier trinken und dummes Zeug erzählen würde.
[00:01:10] Matthias Kirsch Kannst du aus psychologischer Sicht einmal sagen, woher dieses Lagerkollergefühl beim Menschen eigentlich herkommt?
[00:01:17] Moritz Kirchner Naja, es gibt ein ganz grundsätzliches psychologisches Phänomen man Reaktanz nennt. Reaktanz heißt: Wenn wir das Gefühl haben, in unserer Freiheit eingeschränkt zu werden, dann wollen wir dieses eben möglichst verhindern und das ein Stück weit unterwandern. Und dann kommt eben auch noch hinzu, dass wir schon individuell unterschiedlich ausgeprägt, aber schon so ein Grundbedürfnis nach Autonomie haben, das heißt, unser Handeln selbst beeinflussen zu können oder selbst entscheiden zu können. Und gerade in einer Gesellschaft, die immer individualistischer wird, wo die Selbstbestimmung auch einen höheren Stellenwert hat, ist das natürlich auch ein Problem. Wenn die jetzt gerade durch Ausgangssperren, aber zum Beispiel auch dadurch, dass man eben nicht seinem gewohnten Tagesablauf nachkommen kann, nicht arbeiten kann, deutlich reduziert ist. Und dann kommt noch hinzu, dass es ja für einige Leute schlichtweg so ist, sie können sich derzeit nicht aussuchen, mit welchen Menschen sie ihren Alltag verbringen. Oder sie können sich eben nicht aussuchen, mit niemandem ihren Alltag zu verbringen. Und das wiederum ist auch etwas, was uns extrem unzufrieden macht. Das heißt, wir haben gerne die Kontrolle darüber, mit wem wir Zeit verbringen, und diese Kontrolle haben wir derzeit eben nicht.
[00:02:15] Matthias Kirsch Wie groß ist denn deiner Meinung nach das Risiko, dass jetzt viele Menschen depressive Stimmungen wirklich bekommen?
[00:02:21] Moritz Kirchner Naja, wir können ja erstmal schon mal feststellen, dass die Zahl der Depressionen in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist und dass hier natürlich so bestimmte Faktoren wie z.B. erlernte Hilflosigkeit, das Gefühl, bestimmte Dinge nicht beeinflussen zu können, sich darauf entsprechend auswirken und auch Einsamkeit auch ein Prediktor von Depressionen ist. Nicht umsonst ist ja die sogenannte Altersdepression bei älteren Menschen Beispiel, bei Witwen und Witwern relativ häufig der Fall. Das heißt es sind jetzt einfach objektiv viele Faktoren gegeben, von denen man weiß, dass sie eine Depression begünstigen. Und auch zum Beispiel die Existenzängste. Die sorgen auch oft dafür, dass Menschen depressiv sind. Das heißt, die Quote derer, die depressiv sind, wird aus meiner Sicht mit ziemlicher Sicherheit ansteigen.
[00:03:02] Matthias Kirsch Wie kann ich denn da alleine am besten dagegen vorgehen, wenn ich jetzt wirklich alleine lebe und die Einsamkeit mir zu schaffen macht. Was kann ich dagegen tun?
[00:03:12] Moritz Kirchner Das Wichtigste ist, dass man ganz bewusst soziale Kontakte hält und aufrechterhält, so wie das möglich ist. Das heißt, dass man viel telefoniert, dass man in Videokonferenzen geht, dass man vielleicht auch Rituale mit Menschen pflegt, z.B. sich immer wieder jeden Tag zu einem bestimmten Zeitpunkt zu treffen. Und was dann noch hinzukommt, das ist gerade bei älteren Leuten besonders schwierig, dass man auch wirklich eine Aufgabe hat. Also zum Beispiel diejenigen, die jetzt im Homeoffice sind. Da macht es schon Sinn, dass die Leute wirklich sich selber bestimmte Aufgaben geben. Und zum Beispiel Großeltern, die sonst häufig die Aufgabe hatten, für ihre Enkel da zu sein, und dadurch auch ausgefüllt waren, dass sie sich jetzt andere Aufgaben suchen, mit denen sie selber befassen können. Weil dieses Gefühl, nutzlos zu sein. Das ist etwas, was eine Depression eben auch sehr, sehr stark befeuert. Und im Zweifel dann sollte man vielleicht einfach Weiterbildung machen, um dann eben auch das Gefühl zu haben, sich weiterzubilden für die Zeit nach der Krise. Das heißt, das Gefühl der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ist in diesem Kontext enorm wichtig.
[00:04:06] Matthias Kirsch Die Situation gerade macht ja auf verschiedene Art und Weisen Angst. Wie bleibe ich denn angesichts dieser mir nicht erklärbaren Situation munter und zuversichtlich?
[00:04:17] Moritz Kirchner Ich weiß gar nicht, ob der Anspruch sein muss, munter und zuversichtlich zu sein. Es ist nun einmal wirklich eine schwere Krise, und wir wissen auch nicht, wie lange es andauert. Das erste ist zu akzeptieren, dass es eben keine klaren Vorhersagen gibt und dass man eben auch nicht so wie sonst das Ganze so ganz sicher und intensiv planen kann. Zweitens: Aus dem Zeitmanagement gibt es eine sehr, sehr schöne Technik, und zwar die sogenannte To-Love-Liste. Das bedeutet, man nimmt sich nicht nur bestimmte Dinge vor, die man an einem bestimmten Tag schaffen möchte, sondern man nimmt sich eben auch bewusst bestimmte schöne Dinge vor. Diese Liste ist jetzt natürlich deutlich eingeschränkt, keine Frage. Aber so bestimmte Sachen, ob das jetzt ein heißes Bad ist, ob das ein schönes Buch ist, was man schon mal lesen möchte, ob das eine bestimmte Serie ist, die man gucken möchte. Ganz bewusst, sich schöne Dinge vorzunehmen und die dann auch zu realisieren und sich dessen auch zu erfreuen. Das sind Dinge, mit denen man das ganz gut hinbekommt, und einfach zu akzeptieren, wirklich radikale Akzeptanz. Das ist in dieser Situation keine Gewissheiten gibt.
[00:05:12] Matthias Kirsch Wird nicht sogar das schönste Bad mit irgendwelchem Badesalz drin irgendwann doch langweilig?
[00:05:20] Moritz Kirchner Ja, natürlich. Wir wissen seit den 1940er Jahren, dass es eben diese sogenannte psychische Sättigung gibt und dass daraus resultierend selbst die tollste Tätigkeit irgendwann ihren Spaß erfüllt. Und deswegen ist es hier natürlich gut auch einfach, verschiedene Dinge auszuprobieren, die einem guttun, um dann möglicherweise auch andere Freudenquellen realisieren zu können.
[00:05:38] Matthias Kirsch Es gibt ja dieses Phänomen, die Fear of missing out, also die Angst, Dinge zu verpassen, die besonders junge Menschen erwischt, die dann ständig unterwegs sind, ständig Dinge unternehmen. Wenn ich jetzt so jemand bin, der wirklich den Drang hat, ständig rauszukommen und Leute zu treffen, Dinge zu unternehmen. Was würdest du diesen Leuten jetzt an die Hand geben?
[00:06:01] Moritz Kirchner Diese Situation ist für diese Fear of missing out glücklicherweise gar nicht so problematisch. Denn dieses Fear of missing out ist wie vieles andere ein Produkt eines sozialen Vergleichsprozesses. Denn es geht weniger darum, ob ich das jetzt nicht realisiert habe, sondern ob ich etwas nicht realisiert habe, was andere möglicherweise realisiert haben. Es ist ganz häufig ein sozialer Vergleichsprozess und die grundlegenden Rahmenbedingungen, dass man sehr eingeschränkt ist, dass man Menschen physisch nicht sehen kann. Dass eben so Social Distancing gegeben ist, dieses für alle Leute gleich. Das heißt, es gibt weniger Vergleichsprozesse. Und das wiederum heißt, dass solche Phänomene glücklicherweise weniger reinhauen.
[00:06:35] Matthias Kirsch Interessant. Es gibt ja viele Menschen, die ganz reale Existenzängste jetzt haben. Zum Beispiel, weil ihr Geschäft schließen muss oder sie keine Kunden mehr empfangen können. Wie geht man denn mit solcher ökonomischen Unsicherheit um? Das trifft Menschen ja auch sehr, sehr stark.
[00:06:52] Moritz Kirchner Aus meiner Sicht hat hier die Bundesregierung schon ziemlich viel Richtiges gemacht. Diese Botschaft, dass versucht wird, niemanden allein zu lassen, wobei es natürlich schwer in der Umsetzung sein wird. Hier ist es glaub ich entscheidend, dass so unbürokratisch und niedrigschwellig wie möglich zu machen. Damit eben nicht das Gefühl entsteht, dass man hier möglicherweise abgehängt ist von genau dieser Entwicklung. Ansonsten ist es hier wahrscheinlich sehr wichtig und sehr sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass man nicht selbst schuld an dieser Lage ist. Also dass man selber nicht durch eigenes Handeln verursacht hat, sondern dass es eine externe ökonomische Krise ist. Denn wenn man sich selbst noch die Schuld dafür gibt, dann ist es noch viel Selbstwertbedrohlicher und noch viel schädlicher für die eigene Psychohygiene, als wenn man einfach sagt: "Okay, das habe ich nicht zu verantworten. Es geht jetzt darum, gut durch diese Krise durchzukommen und natürlich auch möglicherweise zu überlegen, was man dann nach der Krise vielleicht anders machen kann."
[00:07:42] Matthias Kirsch Ich kenne das auch von mir. Ganz oft ist es leichter, mir zu sagen: "Ich bin selber schuld", als einer größeren Macht. Wie kann ich mir das einreden, dass ich nicht selber schuld bin?
[00:07:53] Moritz Kirchner Naja, was heißt einreden? Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Menschen, in den sogenannten Attributionen, worin wir die Ursache sehen. Und in der Situation macht es Sinn, einfach aus sich selbst heraus ein Stück weit zu sagen: "Ich gucke jetzt nicht wie meine eigene Befindlichkeit ist. Sondern ich gucke so objektiv wie möglich auf die Situation." Und stelle objektiv in dieser Situation fest. Das ist etwas, das haben selbst Expertinnen und Experten teilweise nicht vorhergesehen. Das ist etwas, wofür man selbst überhaupt nichts kann. Das heißt, diese bewusste Dezentrierung, so nennt man diese Technik, das hilft einem selber psychisch zu entlasten.
[00:08:27] Matthias Kirsch Kommen wir mal auf die Situation zu sprechen, eben zu Hause, die wir nicht unbedingt beeinflussen können, dass wir entweder alleine wohnen oder dass für nicht alleine wohnen. Das hat ja jetzt gerade sicherlich einige Vorteile, wenn man eben nicht alleine lebt. Gleichzeitig bringt das ja auch Herausforderungen mit sich, weil man ständig aufeinander hockt. Wie verhindere ich denn am besten, dass alle meine Beziehungen, sei es zu einem Partner oder einer Partnerin, aber auch zu meinen Kindern, unnötig unter Stress geraten.
[00:08:56] Moritz Kirchner Es gibt etwas, was man in der Psychologie einen psychologischen Kontrakt nennt. Das heißt, dass man wirklich sehr, sehr klare Verhaltensregeln vereinbart, dass man auch sehr, sehr klar sagt, was man erwartet, was man nicht erwartet, was einem wichtig ist. Denn das Hauptproblem ist jetzt, dass man viel mehr Nähe hat, auch viel mehr räumliche Nähe, als es vorher der Fall war. Damit muss man dann auch entsprechend erst einmal umgehen können. Es ist auch sehr, sehr wichtig. Bestimmte Konflikte, die schon vor dieser Krise oder vor dieser häuslichen Situation waren, möglichst schnell zu klären. Weil ungeklärte Konflikte gerade bei räumlicher Nähe die Tendenz haben, sich dann doch noch mal besonders zu verselbständigen. Ansonsten macht es durchaus Sinn, wenn wirklich das ganze Kind in den Brunnen gefallen ist. Bestimmte Beratungsangebote wahrzunehmen, die eben ohne, dass Leute direkt bei einem selbst zu Hause sind, helfen, die Situation zu lösen. Aber das Entscheidende aus meiner Sicht ist wirklich eine Klärung von Erwartungen.
[00:09:44] Matthias Kirsch Das heißt, die Kommunikation ist hier auch wieder der Schlüssel.
[00:09:50] Moritz Kirchner Wie immer, ja natürlich.
[00:09:51] Matthias Kirsch Jetzt ist es ja so, dass, wenn man eh schon gereizt ist und jetzt ständig aufeinander hockt, ist man das vielleicht noch mehr? Wie schaffe ich es denn da nicht, zum Beispiel ausarten zu werden oder beleidigend, weil es ja so eine Ausnahmesituation ist?
[00:10:06] Moritz Kirchner Also ich glaube, was sehr, sehr gut und sehr hilfreich ist, die sogenannte Gottman-Regel zu vergegenwärtigen. Die Gottman-Regel besagt, also das geht auf John Gottman zurück, dass das Verhältnis von positiver und negativer Interaktion möglichst 5:1 betragen sollte. 5:1 heißt, fünf positive Interaktionen, wiegen eine negative auf. Weil negative erstens emotional intensiver erlebt und zweitens stärker erinnert werden. Das heißt, ganz bewusst bestimmte positive Momente zu schaffen, das ist so das Erste. Und das zweite: Wenn tatsächlich man gereizt ist oder wenn man das merkt oder wenn eine gewisse psychische Anspannung ist. Dann ist es wichtig, je nachdem, wie die räumlichen Gegebenheiten sind, dass man auch mal ein Stück weit für sich alleine sein kann, dass man sich ein Stück weit separieren kann. Und wenn es einfach die andere Ecke des Raumes ist und das dann auch akzeptiert wird, dass man dann einfach eine Auszeit braucht, um sich selber wieder ein Stück weit zu regulieren und runter zu holen.
[00:10:53] Matthias Kirsch Es gibt ja Unternehmen, die bieten zum Beispiel jetzt an, über Videochat, dass man auch in der Mittagspause zusammen essen kann, jeder an seinem Schreibtisch. Ist das eine gute Strategie, um in so einer Einsamkeit während dem Arbeitstag klarzukommen?
[00:10:56] Moritz Kirchner Auf jeden Fall. Erstens, um zu wissen, wie es einfach den anderen geht. Zweitens, um auch das Gefühl, es geht vor allem um dieses Gefühl, weiterhin dazuzugehören und um sich tatsächlich inhaltlich austauschen zu können. Entscheidend ist wirklich diese Botschaft. Wir sind nach wie vor ein Team, wir halten zusammen, und du gehörst dazu. Um dieses Gefühl der Isolation zu durchbrechen. Das halte ich für total sinnvoll diese Maßnahme.
[00:11:31] Matthias Kirsch Ist da nicht das Risiko, dass man sich gegenseitig irgendwie runterziehen. Mir geht es hier so schlecht, und mir geht es auch so schlecht. Ist der Mensch so programmiert, dass er sich eher gegenseitig hochzieht als runter?
[00:11:43] Moritz Kirchner Da sind Menschen sehr unterschiedlich. Das kann man so nicht pauschal sagen. Aber selbst wenn das so sein sollte, dass sich die Leute erst mal gegenseitig runterziehen, hat das trotzdem eine Form der psychischen Entlastung, weil ich konnte meinen Frust mit bestimmten Leuten teilen. Das ist genau wie sonst im Leben. Wenn es einem nicht gut geht, hilft es ja auch, wenn man das, was einen bedrückt, einem Menschen erzählt. Deswegen sind ja auch Freundschaften so wichtig. Selbst wenn die Leute sich sagen, wie scheiße es ihnen geht, dann wissen sie, dass sie nicht alleine darin sind, dass es ihnen scheiße geht. Das wiederum ist eine Form der psychischen Entlastung.
[00:12:11] Matthias Kirsch Kommen wir nochmal kurz zurück auf das Beispiel: Eltern und Kinder sind jetzt gemeinsam in einer Wohnung oder in einem Haus zusammen und hocken sich auf den Füßen. Viele Eltern besonders werden sich ja jetzt auch fragen Wie viel meiner eigenen Angst soll ich denn den Kindern gerade zeigen? Soll man als Eltern stark bleiben? Oder darf man die eigene Angst auch zeigen?
[00:12:36] Moritz Kirchner Ich denke, es ist wichtig, den Kindern zu zeigen, dass es eine besondere Situation ist, auch ein Stück weit zu zeigen, dass es dort eben bestimmte Ängste gibt. Aber ich würde das komplette Ausmaß den Kindern tatsächlich nicht geben, weil sie die Situation ja noch viel weniger absehen können. Ich meine, wir Erwachsenen können das ja gerade auch nicht. Und um sie nicht zusätzlich zu verängstigen. Das heißt, ich würde wohldosiert den Kindern sagen und als Faustregel: Je älter die Kinder sind, umso stärker würde sie daran teilhaben lassen. Aber so bestimmte Dinge, gerade auch existenzielle Ängste, die würde ich für mich behalten, um nicht die Selbstwirksamkeit der Kinder in allzu starkem Maße zu schwächen. Es geht ja auch darum, dass die Kinder ja auch die Eltern als Vorbilder sehen. Und wenn man selber total blankzieht. Das ist auch für die Psychohygiene der Kinder nicht wichtig.
[00:13:21] Matthias Kirsch Wir haben ja jetzt über einige der schwierigen Aspekte geredet. Du hast aber auch ganz viele Lösungsansätze geboten. Birgt diese Krise insgesamt denn auch eine Chance? Hat eine solche Isolation psychologisch auch etwas Positives?
[00:13:39] Moritz Kirchner Ich meine, der Begriff der Krise, verwendet aus dem Griechischen, ist ja die Wegscheide. Das heißt dort, wo sich Situationen entscheiden und wo es unterschiedliche Wege gibt. Und diese Situation hat den großen Vorteil: Man lernt Menschen noch einmal viel intensiver und anders kennen. Was man auch weiß, ist, wer gemeinsam Schwierigkeiten bewältigt hat - das schweißt immer zusammen. Das heißt, die Familien, die Paare, die WGs, die das jetzt gemeinsam erleben, werden stärker verbunden sein. Und sie werden auch diese Erfahrung gemacht haben, dass sie gemeinsam etwas bewirkt haben. Das heißt, die persönliche Verbundenheit ist viel, viel größer. Ich glaube, es ist auch eine gesamtgesellschaftliche Chance, weil unser Leben sich ja immer weiter auseinandergedriftet hat. Es sehr unterschiedlich geworden ist und man teilweise kaum noch miteinander geredet hat. Aber wir werden in einigen Monaten und einigen Jahren werden wir alle die Frage beantworten können: Was hast du gemacht als die Coronakrise war? Oder: Wie ging es dir oder wie seid ihr da durchgekommen? Das heißt, es ist ein gemeinsames geteiltes Erlebnis, was dann auch zu Verbundenheit und auch zu einem gemeinsamen Moment führen kann. Und ich glaube, was ein ganz großer Vorteil ist. Wir haben sehr, sehr viele Dinge für selbstverständlich erachtet, wie zum Beispiel, einfach mal Freitagabend in einer Kneipe zu sitzen. Nein, es ist eben nicht selbstverständlich. Das kann eine größere Wertschätzung für diese Momente auch bedeuten.
[00:14:52] Matthias Kirsch Das heißt, diese gesellschaftliche Erinnerung, die es irgendwann geben wird, diese gemeinschaftliche Erinnerung, die hat auch langfristig durchaus Vorteile.
[00:15:00] Moritz Kirchner Absolut. Der Punkt ist doch: Wir haben es mit einer starken gesellschaftlichen Ausdifferenzierung zu tun. Und hier an dieser Stelle wird genau das Gegenteil gemacht. Weil die gesamte Gesellschaft, jede und jeder erlebt jetzt natürlich unterschiedlich, aber grundsätzlich diese Coronakrise mit allen entsprechenden Einschränkungen. Und das wird etwas sein, worüber man dann eben sprechen wird. So wie in Ostdeutschland, wo natürlich auch für viele Leute die Frage war: Wie hast du die Wiedervereinigung erlebt? Was hat das bei euch gemacht? Und nur dieses und das ist der große Unterschied. Werden wir jetzt in Deutschland einmal als gesamte Gesellschaft erleben? Und ich glaube, das wird auch ein großer Vorteil sein und genauso auch das Verständnis dafür, wenn es Leuten schlecht geht, weil jetzt eben durch die Krise viele Leute straucheln werden, weil sie Angehörige verlieren werden etc. Das heißt, es ist durchaus auch eine Chance für mehr Empathie in der Gesellschaft.
[00:15:45] Matthias Kirsch Wir haben ja diese Folge begonnen mit der Frage: Wie bleibt man trotz Einsamkeit und Lagerkoller guter Dinge? Ich muss sagen, du hast mir auf jeden Fall Mut gemacht. Ich hoffe, unseren Hörerinnen und Hörern geht es genauso. Moritz, vielen Dank für deine Tipps.
[00:15:58] Moritz Kirchner Danke für das Gespräch und ich wünsche natürlich dir und allen Hörerinnen und Hörern gute Gesundheit, ein gutes Erwartungmanagement und Tagen mit persönlichen Zielen und To-Love-Liste.
[00:16:09] Lenne Kaffka Und das war's mit Smarter leben für heute. Noch mehr Infos zu den aktuellen Entwicklungen der Coronapandemie hören Sie jeden Tag ab 18 Uhr im SPIEGEL Update. Auch dort beantworten wir immer eine Frage unserer Leserinnen und Leser. Die nächste Folge von Smarter leben gibt's dann morgen auf spiegel.de und überall, wo es Podcasts gibt. Diese Folge wurde produziert von Matthias Kirsch. Unterstützt wurde er dabei von Sebastian Spallek, Yasemin Yüksel und mir Lenne Kaffka. Unsere Musik kommt von audioBOTIQUE. Tschüss bis morgen.
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