Lachen fällt in der Coronakrise nicht jedem leicht
Lachen fällt in der Coronakrise nicht jedem leicht
Foto: Vertikala / Stocksy United

Psychologin über #allesdichtmachen »Diese Form des Humors enthält nichts Konstruktives«

Prominente stellen sich mit sarkastischen Clips gegen die Coronapolitik der Regierung. Die Psychologin Tabea Scheel erklärt, woher solcher Humor kommt, warum er schadet und wie es besser geht.
Ein Interview von Heike Klovert

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SPIEGEL: Frau Scheel, in sarkastischen Videos  stellen sich etliche Prominente gegen die Coronapolitik der Bundesregierung: Schauspielerin Nina Gummich lobt sich selbst dafür, dass sie sich »von ihrer eigenen Meinung befreit« habe, Felix Klare behauptet, er nehme sich an der Regierung ein Beispiel und erziehe seine Kinder mit Schlägen zu hörigen Bürgern, und Ulrich Tukur fordert die Schließung aller Supermärkte. Die Aktion #allesdichtmachen entsetzt gerade sehr viele Menschen. Was sagen Sie dazu?

Tabea Scheel: Ich finde den Wunsch völlig berechtigt, Kritik an der aktuellen Situation zu üben und über die Maßnahmen zu diskutieren. Doch der Diskurs, der da begonnen hat, ist emotional sehr aufgeladen. Die Videos sind zynisch, und hinter Zynismus steht meistens Frust, Resignation und Verletzung. Diese Form des Humors enthält nichts Konstruktives. Sie provoziert, sie erzielt Aufmerksamkeit, aber die Sache, um die es eigentlich geht, gerät in den Hintergrund.

SPIEGEL: Die Münchner Firma, die dahintersteht, teilte mit, es handele sich um Kunst. Wieso nehmen viele Menschen die Videos trotzdem so persönlich?

Scheel: Man muss dazu Position beziehen, es geht nicht anders. Entweder trifft dieser Humor den Kern der eigenen Befindlichkeit, man denkt: »Ja, genauso resigniert und frustriert fühle ich mich auch, das spricht mir aus der Seele.« Oder man empfindet die Aktion als verletzend und verharmlosend, weil man vielleicht unter Long Covid leidet , Angehörige verloren hat oder auf einer Intensivstation arbeitet. Dass der Protest so heftig ausfällt, ist eine ganz übliche und gesunde Reaktion. In unserer Demokratie müssen und sollen wir untereinander aushandeln, was Satire darf und wann sie zu weit geht. Hier herrschen zum Glück keine diktatorischen Machthaber, die sie unterbinden und unliebsame Satiriker und Cartoonisten wegsperren oder umbringen lassen.

SPIEGEL: Aber der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in der Pandemie ohnehin bröckelig, Coronaleugner und Impfgegner demonstrieren seit Monaten immer wieder gegen Medien und Regierung. Ist es nicht unverantwortlich, die Stimmung mit einer Aktion wie #allesdichtmachen weiter aufzuheizen?

Scheel: Sie tut der Sache der solidarischen Pandemiebekämpfung sicher keinen Gefallen. Die Künstlerinnen und Künstler haben mindestens billigend in Kauf genommen, dass sie spalten und verletzen. Ob sie das auch beabsichtigt hatten, weiß ich nicht. Aggressiver Humor, zu dem auch Ironie, Sarkasmus und Zynismus gehören, macht andere nieder, damit wir uns selbst besser fühlen. Er passiert uns generell eher, wenn wir frustriert sind, uns in eine Ecke gedrängt fühlen und austeilen wollen. Ich würde schon denken, dass niemand solche Videos ohne eine gewisse Not produziert.

SPIEGEL: Die Schauspielerinnen und Schauspieler, die in den Clips auftreten, sind allein schon deswegen privilegiert, weil sie so prominent sind. Kaum einer dürfte um seine Karriere oder gar um seine Existenz fürchten müssen.

Scheel: Das mag sein, aber die Pandemie hat bei uns allen Spuren hinterlassen. Wenn es mir subjektiv schlecht geht, geht es mir schlecht, wir sollten persönliches Leid nicht gegeneinander abwägen und ausspielen. Es gab in den vergangenen Monaten immer wieder frustrierte Forderungen und Meldungen aus der Kunst- und Filmszene . Die aktuelle Aktion macht nun auf sehr extreme Weise noch einmal darauf aufmerksam. Wenn die Künstlerinnen und Künstler ihren eigenen Alltag mit einem Humor beleuchtet hätten, der nicht auf Kosten anderer geht, hätten sie keinen Aufschrei in der Gesellschaft bewirkt – und vielleicht auch weniger Aufmerksamkeit bekommen.

SPIEGEL: Lob dafür kommt nun von Querdenkern, Coronaleugnern und aus der AfD, Heike Makatsch hat sich deswegen schon von »rechten Demagogen« distanziert, auch Meret Becker und Ken Duken sind inzwischen zurückgerudert. Hätten sie solche Reaktionen auf die Videos nicht vorhersehen müssen?

Scheel: Es passieren täglich so viele Dinge, über die Menschen nicht vorher schon in voller Gänze nachgedacht haben. Wir Menschen handeln oft nicht rational, und es werden auch hinter dieser Aktion vielfältige Motive stehen. Einen konzertierten Anschlag auf den Rechtsstaat sehe ich darin nicht. Aber vielleicht bringt die Aktion einen Imageschaden für einzelne Schauspieler, viele Fans dürften enttäuscht und empört sein.

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SPIEGEL: Wie könnte ein Humor aussehen, der in diese angespannte Coronazeit passt und Menschen verbindet statt trennt?

Scheel: Es kursieren Videos  aus vielen Ländern im Netz, die Pflegekräfte auf Intensivstationen oder Busfahrerinnen auf Parkplätzen zeigen, wie sie gemeinsam tanzen. Das ist Humor, der die Botschaft vermittelt: Die Situation ist hart, wir müssen alle da durch, und bitte lasst uns einander nicht auch noch fertigmachen.

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