Versicherungen, Verbeamtung: Kann ich mir durch eine Psychotherapie meine Zukunft verbauen?
Dieser Beitrag wurde am 02.06.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Wer sich für eine Psychotherapie oder eine psychiatrische Behandlung entscheidet, steht oft unter großem Druck, ist oftmals an der eigenen Schmerzgrenze angekommen. Doch zu den psychischen Belastungen kommt die Unsicherheit: Welche Konsequenzen kann es haben, wenn ich mich in Therapie begebe? Wo und wie lange lebt eine Diagnose im Bürokratiedschungel weiter? Gerade junge Menschen haben häufig die Sorge, eine psychische Diagnose könnte ihnen in ihrem späteren Leben im Wege stehen.
Aber wer erfährt überhaupt von einer Psychotherapie und einer Diagnose? Wir haben einige Fragen und Fälle recherchiert.
Wie lange wird meine Diagnose bei der Krankenkasse aufgehoben?
Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wird deine Diagnose zehn Jahre lang gespeichert und dann gelöscht. Niemand kann sie ohne dein Einverständnis einsehen, auch kein anderer Arzt. Es gibt allerdings ein paar Fälle, in denen du kaum darum herumkommst, dieses Einverständnis zu geben – aber dazu später.
Kann mein Arbeitgeber von meiner Diagnose erfahren?
Wenn du länger als sechs Wochen in einem Jahr krank warst, kann dein Arbeitgeber bei deiner Krankenkasse nachfragen, ob es sich um dieselbe Krankheit handelte. Wenn ja, muss nämlich nicht der Arbeitgeber Lohn zahlen, sondern die Krankenkasse Krankengeld. Das gilt auch, wenn du nicht sechs Wochen am Stück gefehlt hast, sondern beispielsweise wegen einer Depression immer mal wieder nicht zur Arbeit kommen konntest. Die Versicherung darf aber nur eine Ja- oder Nein-Antwort herausgeben und nicht deine konkrete Diagnose.
Dein Arbeitgeber kann auch Zweifel an deiner Arbeitsunfähigkeit anmelden. Dann muss der Medizinische Dienst der Krankenkassen überprüfen, ob du wirklich krank bist. Der Arbeitgeber bekommt aber auch dann nur eine Ja- oder Nein-Antwort.
Nihal Ulusan, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht, rät jedoch in bestimmten Fällen dazu, offen mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat zu sprechen – vor allem, wenn der Arbeitsplatz selbst zur Erkrankung beiträgt. Dann ist der Arbeitgeber nämlich verpflichtet, etwas daran zu verändern, oder, falls das nicht hilft, dich im Unternehmen anders einzusetzen.
Kann ich mit einer psychischen Diagnose noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen?
Das ist nicht unmöglich, aber schwierig. Wenn du eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abschließen willst, musst du ausführliche Angaben zu deiner Krankheitsgeschichte der letzten fünf bis zehn Jahre machen. Oft musst du dazu deine Ärztinnen, Therapeuten und Heilpraktiker von ihrer Schweigepflicht entbinden, sodass das Versicherungsunternehmen dort noch einmal nachhaken kann. Dazu bist du natürlich nicht verpflichtet – aber dann kommst du im Zweifelsfall eben auch nicht in die Versicherung. Ähnliches gilt zum Beispiel auch für private Krankenversicherungen, private Pflege- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen.
Miriam Michelsen, Versicherungsmaklerunternehmen MLP
"Bei psychischen Erkrankungen handelt es sich um ein extrem breites Krankheitsbild mit sehr vielen unterschiedlichen Diagnosen", schreibt Hedrik Theesfeld von der Versicherung AXA per Mail an bento. "Insofern kann von einer 'normalen' Annahme des Antrags über eine Ausschlussklausel bis zur Ablehnung des Antrags alles möglich sein." Eine Ausschlussklausel bedeutet: Wenn du schon einmal eine psychische Erkrankung hattest, bekommst du nur Geld, wenn du aus einem anderen Grund berufsunfähig wirst.
Miriam Michelsen vom Versicherungsmaklerunternehmen MLP beobachtet allerdings: "Psychische Erkrankungen führen sehr oft dazu, dass man gar keine BU abschließen kann. Es wird immer schwerer, junge Menschen in die BU zu kriegen." Sie vermutet, das habe mit der größeren Offenheit der jüngeren Generation gegenüber dem Thema psychische Gesundheit zu tun. Manchmal reiche es schon, dass sich jemand im Studium therapeutische Hilfe wegen seiner Prüfungsangst geholt hat, um nicht aufgenommen zu werden. Sofern man eine BU möchte, solle man sich also möglichst frühzeitig darum kümmern.
Frank Zitka, Deutscher Beamtenbund
Kann ich noch Beamter werden, wenn ich einmal eine Psychotherapie gemacht habe?
Unter Lehramtsstudierenden hält sich die Sorge, dass man sich mit einer Psychotherapie die Chance auf die Verbeamtung verbaut. Ganz so dramatisch ist die Situation aber nicht.
"Eine Psychotherapie ist nicht grundsätzlich ein Ausschlusskriterium", sagt Frank Zitka, Pressesprecher des deutschen Beamtenbundes. "Zum Beispiel, wenn die Krankheit ausgeheilt ist, oder jemand neben seiner Therapie weiter arbeits- oder studienfähig war." Klaus Schröer, Fachausschusssprecher vom Amtsärztlichen Dienst, schreibt an bento, es werde unterschieden, "ob es sich um eine episodische Störung handelt oder um eine chronische psychische Erkrankung mit erheblicher Wertigkeit und Einschränkung des Gesundheitszustandes, wie zum Beispiel Psychosen oder schwere Suchterkrankungen."
Auch für die Verbeamtung kann es passieren, dass die Amtsärztin von dir verlangt, deine Ärzte und Therapeutinnen von der Schweigepflicht zu entbinden.
Unter Umständen kannst du mit einer psychischen Erkrankung sogar einen Schwerbehindertenausweis beantragen, dann muss deine Dienstfähigkeit nur für die nächsten fünf Jahre eingeschätzt werden und nicht bis zum Rentenalter.
Franziska Hasselbach, Anwältin für Familienrecht
Kann ich das Sorgerecht für meine Kinder verlieren, wenn bei mir eine psychische Erkrankung festgestellt wurde?
DER SPIEGEL berichtete 2008 über den Fall einer Mutter, die nach der Trennung von ihrem Mann das Sorgerecht verlor, weil sie zuvor zweimal in einer psychiatrischen Klinik gewesen und mit einer bipolaren Störung diagnostiziert worden war. Familienrechts-Anwältin Franziska Hasselbach hält das aber für sehr selten: "Ich mache seit 15 Jahren Familienrecht, das ist mir noch nie passiert." Sowohl das Sorgerecht – das Recht, wichtige Entscheidungen für das Kind zu treffen – als auch das Umgangsrecht – das Recht, das Kind zu sehen – seien sehr hohe Güter, die einem Elternteil nur in äußerst seltenen Fällen aberkannt würden.
Schwieriger sei es mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht: "Wenn beide Eltern sagen, das Kind soll hauptsächlich bei mir leben, und ein Elternteil ist psychisch krank, dann hat das gesunde Elternteil deutlich bessere Chancen." Auch hier komme es aber vor allem darauf an, ob die Person trotz der Krankheit den Alltag gut auf die Reihe bekomme.
Welche Auswirkungen kann meine psychische Gesundheit noch vor Gericht haben?
Auch ein Gericht kann nicht ohne deine Zustimmung deine Diagnosen einsehen. Unter Umständen kann es in einem Gerichtsverfahren aber von Vorteil sein, Ärztinnen von der Schweigepflicht zu entbinden, zum Beispiel wenn man aufgrund einer psychischen Erkrankung während einer Straftat nicht oder nur eingeschränkt schuldfähig war.
Hol dir Hilfe, wenn du Hilfe brauchst.
Schon mal vorweg: Dieser Artikel will dich informieren, aber auf keinen Fall davon abbringen, eine Therapie zu machen, wenn du das Gefühl hast, dass sie gut für dich wäre. Gesundheit geht vor. Immer. Auch die psychische.
Wenn du akut Hilfe benötigst, findest du hier eine Liste von Krisendiensten, Seelsorgetelefonen und Chatberatungen. Das ist das Krisentelefon der Deutschen Depressionshilfe : 0800 / 11 10 111. Für queere Menschen oder Betroffene von sexualisierter Gewalt gibt es in vielen Städten noch einmal spezielle Beratungsstellen. All diese Angebote stellen übrigens keine Diagnosen und oft kannst du anonym bleiben, wenn du möchtest.
Ich bin trans* und wünsche mir eine geschlechtsangleichende Operation. Können mir andere psychische Diagnosen im Weg stehen?
Transsexualität gilt in Deutschland immer noch als psychische Krankheit. Um eine geschlechtsangleichende Operation zu bekommen, braucht man eine Reihe von Gutachten. Cornelia Kost ist Psychotherapeutin und berät Trans*personen. Sie erklärt: Eine zusätzliche psychische Diagnose könne den Weg zur geschlechtsangleichenden Operation erschweren, weil die Gutachter annehmen könnten, dass es sich bei der Transsexualität nur um eine Symptomverschiebung handele und das eigentliche "Problem" ein anderes sei.
Du musst gut argumentieren können, warum deine psychische Erkrankung nichts mit deinem trans*-Sein zu tun hat – oder aber, dass sie eine Folge ist, beispielsweise: Ich bin depressiv, weil ich trans* bin und noch keine geschlechtsangleichende Operation bekommen konnte.