Zeitmanagement Was wirklich auf Ihrer To-do-Liste stehen sollte
Das Smartphone brummt, und im nächsten Moment kommt mal wieder jemand zur Tür rein. Kein Wunder, dass so ständig Aufgaben liegen bleiben.
"Eine Studie hat festgestellt, dass wir heutzutage alle drei Minuten aus der Arbeit gerissen werden", erklärt Autorin und Coach Cordula Nussbaum im Podcast. "Und nach einer Störung brauchen wir mindestens eine Minute, um den roten Faden wiederzufinden. Bei komplexen Themen sogar bis zu acht Minuten."
Und so entstehen dann Tage, an denen wir gar nichts schaffen - und die To-do-Liste abends länger ist als am Morgen. Viele Leute kennen solche Probleme, auch Nussbaum selbst. Allerdings hat sie Wege gefunden, um ihre Zeit in den Griff zu bekommen - und sich einigen Stress zu ersparen.

Zeitmanagement-Expertin Cordula Nussbaum
Foto: R. FastnerKlassisches Zeitmanagement sei eher auf systematisch denkende Menschen zugeschnitten - mit Kalendern, Zeitplänen und To-do-Listen. "Aber wenn du eher so der kreative Chaot bist, funktioniert das nicht."
"Die schreiben dann auf, was sie tun müssen, was sie tun könnten, wem sie längst schon was versprochen haben und was ihnen dabei noch einfällt. Und schon ist es ein Brainstorming von fünf Seiten." Kreativ denkenden Menschen empfiehlt Nussbaum daher eine "reisende To-do-Sammlung".
Wie funktioniert so eine Sammlung? Wie lassen wir uns weniger ablenken und stören? Und warum kommen manche Menschen immer zu spät? Auf diese und weitere Fragen antwortet Zeitmanagement-Expertin Cordula Nussbaum im Ideen-Podcast "Smarter leben".
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[00:00:02] Cordula Nussbaum Dadurch, ob das Handy bei dir auf dem Schreibtisch liegt und du es immer mal wieder siehst oder ob du es gar nicht siehst, macht einen Produktivitätsunterschied von 26 Prozent aus.
[00:00:16] Lenne Kaffka Ideen für ein besseres Leben haben wir alle. Aber wie setzen wir sie im Alltag um? In diesem Podcast treffen wir jede Woche Menschen, die uns verraten, wie es klappen kann. Willkommen zu Smarter leben. Ich bin Lenne Kaffka und diesmal skype ich mit Cordula.
[00:00:34] Cordula Nussbaum Ich bin Cordula Nussbaum, Autorin und Coach und Spezialistin für das Thema Zeitmanagement. Ich bin Autorin von mittlerweile 21 Büchern, und Wissen zu teilen, wie jeder erfolgreich sein kann, ist mein absolutes Steckenpferd.
[00:00:48] Lenne Kaffka Es gibt Tage, an denen es sich anfühlt, als ob ich überhaupt nichts geschafft hätte. Dabei bin ich von Termin zu Termin gehetzt, habe To-do-Listen abgearbeitet. Aber abends sind sie irgendwie voller als am Morgen, und zum Dinner mit den Freunden komme ich dann auch noch zu spät. Die meisten Leute kennen solche Probleme. Auch Cordula - allerdings hat sie Wege gefunden, um ihre Zeit in den Griff zu bekommen und sich einigen Stress zu ersparen.
[00:01:13] Cordula, ich höre eigentlich jeden Tag, dass irgendwer für irgendwas keine Zeit hat – Kollegen sagen das, Freunde sagen das, ich sage das auch oft genug. Ist unser Leben denn wirklich so stressig?
[00:01:23] Cordula Nussbaum Tatsächlich, ja, man kann es wirklich messen wissenschaftlich begleitet. Der Stresspegel in unserer Gesellschaft ist gestiegen, gerade in den letzten Jahren – Thema permanente Erreichbarkeit, Thema Internet, E-Mails. So schön es ist, dass uns diese neuen Tools zur Verfügung stehen, aber sie haben tatsächlich nochmal die Taktung erhöht. Auch dieses Gefühl, du kannst mittlerweile rund um die Uhr, rund um den Globus arbeiten. Und das führt tatsächlich dazu, dass wir mehr Stress empfinden, auch wenn vielleicht gar nicht der Workload an sich so hoch ist. Aber das Gefühl hat definitiv zugenommen.
[00:01:59] Lenne Kaffka Stecken hinter Zeitproblem nicht meistens auch Selbstmanagement-Probleme?
[00:02:03] Cordula Nussbaum Ich würde es gar nicht mal unbedingt als Problem bezeichnen. Aber was definitiv dahintersteckt, ist ganz, ganz häufig die Erwartung, die wir an uns selber haben. Ja, das kann sein, dass die Erwartung, die du an dich selber hast, ist, mir macht mein Job Spaß, ich brenne dafür. Dann überlasten wir uns gerne auch sehr schnell. Oder dass du sagst, ich bin Leistungsträger, ich bin engagiert. Ich will auch wirklich performen. Ich will Leistung zeigen. Und das heißt, es lohnt sich, mal zu gucken: Welche Erwartungen hast du an dich selber? Und dann auch mal zu prüfen, führt das zu einem Level an Workload, an Terminen, an Deadlines, was dir noch guttut oder hast du dich mittlerweile reinentwickelt in einem Pensum, wo du sagst, eingangs war es ja nicht schlecht. Und phasenweise sind wir ja auch absolut in der Lage, ein hohes Pensum zu stemmen, aber irgendwann mal schreit jeder Körper. Du brauchst Pause, du brauchst weniger, du brauchst Regeneration.
[00:02:59] Lenne Kaffka Erwartungen an mich selber – geht das dann auch so ein bisschen in die Richtung übertriebener Perfektionismus?
[00:03:05] Cordula Nussbaum Ja, kann total sein. Also wirklich ganz viele Menschen hängen die Messlatte viel zu hoch. Die sagen, wenn ich schon was mache, mache ich es richtig. Das heißt, wir geben immer 150 Prozent, immer 180 Prozent. Und ganz wichtig bei dem Thema: Natürlich wird jeder von uns Aufgaben haben, da musst du hundert Prozent liefern. Da kann ich nicht irgendwas hinrotzen und sagen, nach mir die Sintflut. Aber die Challenge besteht darin zu gucken, wann ist gut völlig ausreichend und wann darf ich meinem Perfektionismus folgen? Und das ist tatsächlich für viele Menschen ein Riesenproblem, weil natürlich auch so ein bisschen der Maßstab fehlt. Es redet sich leicht, zu sagen, "ja, mach halt 80/20", "Pareto-Prinzip anwenden", "gut ist gut genug". Und da empfehle ich immer, auch wenn ihr Dinge für andere Menschen erledigt, fragt: Was erwartest du von mir? Wie umfangreich soll das Dokument sein, was ich für dich aufbereiten soll? Wie tief soll ich recherchieren? Wie viele Jahre soll ich zurückgehen bei einer Analyse? Und in dem Moment, wo dein gegenüber dir ganz genau sagt, ich erwarte das und das und das von dir – das führt bei vielen wirklich dazu zu sagen, jetzt kann ich die Messlatte runter legen. Ich selber hätte überperformt, aber weil ich weiß, der andere braucht es gar nicht kann ich sehr gechillt die Messlatte tiefer legen.
[00:04:26] Lenne Kaffka Genau, du hast gerade das Pareto-Prinzip angesprochen, 80/20-Regel: Mit 20 Prozent Zeitaufwand kann ich 80 Prozent der gewünschten Leistung erzielen, bedeutet das, oder?
[00:04:35] Cordula Nussbaum Genau. Also, das Pareto-Prinzip fußt auf einem italienischen Volksökonom, der damals herausgefunden hat, dass 20 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Vermögens halten, während 80 Prozent der Bevölkerung nur 20 Prozent halten. Das heißt, wir haben in unserer westeuropäischen Kultur sehr wenige sehr reiche Menschen. Und man ist dann hingegangen und hat es übertragen auf unseren Umgang mit Zeit und Aufgaben und hat halt festgestellt, dass du sehr häufig mit einem 20 prozentigen Zeiteinsatz – sagen wir mal fünf Minuten Zeiteinsatz – ein Ergebnis bekommen kannst, deine Mail, dein Brief ist super, du könntest es rausschicken. So, und jetzt frickeln wir häufig nochmal 20 Minuten dran rum, suchen Synonyme, basteln an der Absatzschaltung, bauen vielleicht eine ClipArt ein, das heißt aber, dein Brief, deine E-Mail wird nur minimal besser. Und das ist genau der Punkt zu gucken, wann ist ein fünf Minuten-Zeiteinsatz völlig ok und wann sind die 20 Minuten, die ich dann noch mal dran herumbastele, definitiv verschwendete Zeit.
[00:05:40] Lenne Kaffka Also Pareto ist zum Beispiel dann für die ganzen kleinen Dinge des Alltags gut. Aber wenn es dann mal ein wirklich größeres Arbeitsprojekt ist oder irgendwas im privaten Bereich, was einem wirklich wichtig ist, dann darf es aber auch ruhig mal ein bisschen länger sein.
[00:05:50] Cordula Nussbaum Absolut. Genau, ist es wirklich so diese Entscheidung: Manchmal lohnt es sich total 100 Prozent Einsatz zu geben, weil du sagst, das perfekte Ergebnis wird honoriert. Der Punkt ist, wie gesagt: Wenn es die anderen nicht mal merken, dass du dich hier wieder extremst reingehängt hast, dann ist es schade um deine wertvolle Lebenszeit.
[00:06:10] Lenne Kaffka Warum fällt es denn so vielen so schwer sich im Alltag so selber zu organisieren, auch immer die richtigen Prioritäten zu setzen?
[00:06:16] Cordula Nussbaum Ich glaube, es hängt auch ganz viel damit zusammen, dass wir heutzutage so viele Möglichkeiten haben. Immer mehr Möglichkeiten im Hobbybereich, im Reisebereich. Selbst wenn wir jetzt mit Corona, Covid-19 eingeschränkt sind – trotzdem haben wir unglaublich viele Freiheiten. Und diese Freiheiten führen sehr, sehr schnell dazu, dass wir Angst haben, etwas zu verpassen. Vielleicht habt ihr auch schon mal den Begriff FOMO gehört, fear of missing out, die Angst, etwas zu verpassen. Und das merke ich bei ganz vielen Menschen, mit denen ich zu tun habe: Dadurch, dass wir halt heutzutage so extrem viele Chancen haben, auch beruflich, es gibt so viele großartige Möglichkeiten. Und dann hier zu entscheiden, das führt bei vielen dazu, wenn ich mich für das entscheide, verpasse ich das andere. Und dadurch packen wir häufig tatsächlich unsere Tage viel zu voll, weil wir halt alles mitnehmen wollen, was wir mitnehmen könnten.
[00:07:09] Lenne Kaffka Du unterscheidest Menschen in zwei Typen: in Systematiker und kreative Chaoten. Beschreibe mal, was muss ich mir darunter vorstellen?
[00:07:19] Cordula Nussbaum Ja, das ist natürlich stark vereinfacht ausgedrückt. Und es ist ein Hilfsmittel, um mal eine kleine Facette unserer Persönlichkeit sichtbar zu machen, super stark vereinfacht. Sagen wir mal so: Die grobe Einteilung, du hast es schon gesagt, kreativer Chaot und Systematiker. Der kreative Chaot, das ist so der Anteil in uns, der sprudelt z.B. über vor Ideen. Ich hab diesen Typen auch Namen gegeben in meinen Büchern. Das ist zum Beispiel die Figur Igor Ideenreich. Der sprudelt über vor Ideen, der sieht überall Chancen, Möglichkeiten, und für Igor ist alles wichtig, was neu ist das heißt Abwechslung, Veränderung. Ganz, ganz, ganz, ganz wichtig. Und der andere Part von dem kreativen Chaoten habe ich den Namen gegeben Hanni Herzlich. Das ist so der Anteil in uns, der sehr empathisch ist, sehr mitfühlend, sehr hilfsbereit, so die Hanni in uns. Die räumt nach Meetings ungefragt die Kaffeetassen ab, die freut sich, wenn sie andere Menschen begleiten kann, zu wachsen, sich weiterzuentwickeln. Und auf der anderen Seite haben wir die sogenannten systematischen Macher. Das sind die Menschen, die großen Spaß dran haben, Listen zu erstellen, Zeitpläne zu erstellen, die Routinen lieben. Das wäre jetzt so der Ottmar Ordentlich. Oder auch die Dr. Anneliese Logisch, der Anteil in uns, der äußerst großen Wert legt auf Zahlen, Daten, Fakten, sehr nüchtern, rational vorgeht. Und warum habe ich diese Unterscheidung gemacht? Weil ich selber bin am Thema Zeitmanagement grandios gescheitert und hab mich dann gefragt: Warum klappt es bei einigen Menschen und bei mir und bei anderen überhaupt nicht? Da bin ich draufgekommen, je nachdem, wie du tickst, was sozusagen deine natürliche Art ist, mit Zeit und Aufgaben umzugehen –... Für die systematischem Menschen klappt klassisches Zeitmanagement perfekt. In dem Moment, wo du eher so der kreative Chaot bist, kommt dir klassisches Zeitmanagement höchst interessant vor – funktioniert aber nicht.
[00:09:08] Lenne Kaffka Ich würde jetzt irgendwie vermuten, dass du auch tendenziell einen guten Anteil kreative Chaotin in dir hast. Du schreibst Bücher, hälst Vorträge, gibst Seminare, Interviews, hast Familie. Dein Leben klingt ziemlich vollgepackt. Bekommst du es wirklich immer hin, strukturiert zu sein bei dem Alltag.
[00:09:24] Cordula Nussbaum Da kann ich definitiv sagen, nein, wenn die Betonung liegt auf strukturiert. Weil ja, du hast völlig recht, ich bin kreative Chaotin. Ich habe einen sehr, sehr hohen Igor-Anteil, und ich hab mich früher immer versucht, passend zu machen. Ich habe Zeitmanagement kennengelernt – Listen machen, Prioritäten vergeben, diszipliniert abarbeiten –, und ich hab mich aufgerieben mit diesen Methoden, bis ich irgendwann mal entschieden habe: Meine To-do-Listen wachsen schneller, als ich abarbeiten kann. Das scheint für mich einfach nicht zu funktionieren. Wenn du mich jetzt gefragt hättest, ob es bei mir stressig ist, dann hätte ich dir definitiv sagen können, nee, nicht mehr. Früher, ja, aber dadurch, dass ich jetzt erkannt habe, wie ich ticke, kann ich jetzt auch Methoden mir suchen, um die Fülle der Aufgaben zu händeln. Und was ich vor allem auch in den letzten Jahren gemerkt habe, ist es, viel, viel mehr drauf zu achten, was tut mir gut, und ja, ich habe hohen Output, aber ich habe auch einen hohen Anteil an Rückzug, wo ich wirklich Kraft tanke, wo ich mich in die Hängematte lege, Bücher lese. Und da wieder auflade und dann diesen Output auch bringen zu können.
[00:10:35] Lenne Kaffka Für dich funktionieren diese klassischen To-do-Listen nicht. Und Leuten, denen es ähnlich geht, empfiehlt du eine reisende To-do-Sammlung. Was ist denn da der Unterschied? Wie funktioniert die?
[00:10:45] Cordula Nussbaum Der Unterschied ist: Stell dir mal vor, wenn ich dir die Frage stelle, schreib mal bitte auf, was du morgen alles machen musst. Würdest du eher so als systematische Macher in einem sehr systematisch planbaren, strukturiertem Umfeld ticken, diese Menschen schreiben fünf bis sieben Dinge auf, vergeben ihre Prioritäten, legen los – klassische To-Do-Liste. So sage ich das eher zu Menschen wie Igor und Hanni oder Menschen, die in einem agilen, dynamischen Umfeld unterwegs sind, schreib mal bitte auf, was du morgen tun muss, dann fangen die an aufzuschreiben, was sie tun müssen, was sie tun könnten, wem sie längst schon was versprochen haben und was ihnen dabei auch noch einfällt. Und schwuppdiwupp hast du ein Brainstorming vom Minimum fünf DIN-A4-Seiten. Und wenn du dir jetzt den Stress machst zu denken, das ist meine To-Do-Liste, die muss abgearbeitet werden bis heut Abend. Da fühlst du dich schon gestresst, bevor du überhaupt zu arbeiten anfängst. Und deswegen der Begriff der Sammlung. Ja, schreib ruhig alles auf, was dir durch den Kopf schießt, mach dein Hirn leer mit dem Prinzip der Schriftlichkeit, entlaste deine grauen Zellen von all dem unerledigten Zeug. Aber mach dir bitte nicht den Stress, nur weil es aufgeschrieben ist, musst du das tun. Und warum reisende To-do-Sammlung? Weil du sammelt alles, was dir durch den Kopf schießt, jetzt pickst du dir ein To-do raus, erledigst dieses To-do. und Hast du noch Zeit und kommt nichts anderes daher, pickst du dir das nächste raus. Kommst du doch etwas anderes daher, was dann wirklich auch Prio hat – überhaupt gar kein Problem. Die Sachen sind aufgeschrieben, und sie reisen jetzt mit dir durch die Tage. Das heißt, du kommst raus aus der Nummer permanent unerledigtes Zeug weiterschieben zu müssen, übertragen zu müssen und sparst dir damit unterm Strich extrem viel Zeit und natürlich auch Frust.
[00:12:31] Lenne Kaffka Also, ich schreib schon meine fünf DIN-A4-Seiten auf, quasi?
[00:12:34] Cordula Nussbaum Genau.
[00:12:35] Lenne Kaffka Wie bekomme ich am nächsten Tag raus, mit was ich jetzt anfangen soll?
[00:12:39] Cordula Nussbaum Du kannst dich immer hinsetzen, die reisende Fotosammlung durchschauen...Natürlich irgendwann mal müssen wir auch diese zeitliche Komponente mit reinbringen, weil ich kann ja nicht darauf vertrauen, dass ich zufälligerweise irgendwann mal Zeit habe oder hoffen, nur weil ich es aufgeschrieben habe, die Sachen erledigen sich von selbst. Gut, manche erledigen sich tatsächlich von selbst. Mach dir mal den Spaß, dann so mal drei Wochen zurück zu blättern, was vor drei Wochen irgendwie super wichtig erschien. Prioritäten ändern sich – gut, dass du es nicht gemacht hast. Jetzt kannst du natürlich überlegen, wo hab ich Deadlines? Wann muss ich bestimmte Aufgaben abgeben? Sprung in den Kalender rein – wann will ich es erledigen?
[00:13:17] Lenne Kaffka Vergeuden wir nicht auch mit dieser Bürokratie des eigenen Zeitmanagements total viel Zeit, weil man ja Listen schreibt, Priorisierungen einträgt, den Kalender pflegt?
[00:13:25] Cordula Nussbaum Absolut. Ich habe gestern ein Seminar gehalten, und da war ein Teilnehmer drin, der hat erzählt, dass er pro Tag eine Stunde sitzt, nur um seine To-do-Listen zu pflegen. Und das ist natürlich Wahnsinn. Ich bin ein ganz, ganz großer Verfechter dafür, macht es euch so einfach wie möglich. Ich empfehle zum Beispiel, nutzt ruhig deinen Posteingang, als Reisende To-do-Sammlung. Heutzutage kommen die meisten To-dos per E-Mail.
[00:13:50] Lenne Kaffka Mit den Mails meinst du zum Beispiel irgendwie einen eigenen Ordner im Postfach anlegen und dann einfach die ganzen Mails dort reinschieben?
[00:13:57] Cordula Nussbaum Ich mache es sogar noch einfacher: Ich empfehle, wenn eine E-Mail kommt, wo ein To-do drin ist, setze nur eine Flagge. Im Outlook z.B. klappt das total gut, in Lotus auch. Sortiere dir das im Posteingang so, dass du sagst, alle geflaggten E-Mails rutschen nach oben, dann siehst du immer, wenn du in den Posteingang rein gehst alle offenen To-dos. Und mach dir klar, es ist eine Sammlung, da ist noch keine zeitliche Konnotation drin. Da ist noch keine Bombe drin, die mir um die Ohren fliegt. Der Tipp, ein extra To-do-Ordner anzulegen, das wäre jetzt ein guter Tipp für die Systematiker. Kreative Chaoten sind ganz, ganz häufig visuelle Typen. Und dann tritt das Phänomen ein "aus den Augen, aus dem Sinn". Die ziehen sich das in den anderen Ordner rüber, und damit vergessen die großartig, dass da noch was drin ist. Und letztendlich ist es ja völlig egal, wie du dich organisierst – Hauptsache, du hast die Dinge im Blick. Du erledigt es so, wie du es erledigen sollst oder willst.
[00:14:54] Lenne Kaffka Da steckt in mir vielleicht auch ein kreativer Chaot. Ich mache es nämlich ähnlich wie du. Wenn wir über Zeitprobleme sprechen, dann müssen wir auch über Pünktlichkeit reden. Und mich macht es zum Beispiel wahnsinnig, wenn ich irgendwo hinkomme und eine halbe Stunde auf meine Freunde warten muss. Weil ich komme in der Regel pünktlich zu Verabredungen, zu Terminen. Wie komme ich denn besser mit unpünktlichen Freunden klar?
[00:15:16] Cordula Nussbaum Das ist eine gute Frage. Ich würde es anders formulieren: Wie kannst du deine Freunde auf eine wertschätzende Art dazu bringen, pünktlich zu sein? Weil so ein Ottmar Ordentlich-Typ, die sind pünktlich. Die Zeit ist vereinbart, ich bin pünktlich. Kreative Chaoten eher nicht. Und ich beobachte auch, gerade jetzt in den letzten Jahren, Thema Smartphone, Thema WhatsApp, wir sind schon irgendwie aus mittlerweile so eine "Generation unverbindlich" geworden, und für mich hat das extrem viel mit Wertschätzung zu tun. Du stehst da, du wartest auf die anderen, und dass die eine halbe Stunde zu spät kommen. Vielleicht schicken sie noch ne WhatsApp, Lenne ich schaffe es leider nicht pünktlich".... Ich empfehle wirklich, sprecht es an, thematisiere es auch, was das macht mit dir, dass es dich ärgert, dass es dich nervt, dass du dich blöd dabei fühlst. Dann werden die anderen mit Sicherheit sagen, oh sorry, das war mir gar nicht bewusst. Das will ich ja gar nicht. Aber hier auch über unsere eigenen Wünsche und Wichtigkeiten zu sprechen, gerade bei dem Thema kann total helfen, dass die Leute dann sagen, ja, klar könnte ich noch 15.000 Sachen schnell fertig machen, bevor ich dich treffe. Aber aus Zeichen der Wertschätzung gucke ich wirklich, dass ich zumindest fünf nach vereinbart da bin.
[00:16:34] Lenne Kaffka Ich glaube, es fällt immer schwer, andere zu ändern. Aber vielleicht hören ja ein paar Freunde jetzt diese Podcast-Folge. Was ist denn oft das Problem von notorischen Zuspätkommern? Was steckt in der Regel dahinter?
[00:16:43] Cordula Nussbaum Also, wenn ich jetzt mal bei meinen vier Typen bleibe, der Igor kommt gerne zu spät, weil er noch tausend neue Ideen hat, was er schnell, schnell, schnell noch fertig kriegen will. Die Igors neigen auch manchmal dazu, so zu denken, wir können uns beamen. Wenn ich zum Beispiel sechs Uhr mit dir verabredet bin, dann bin ich gerade noch super beschäftigt mit irgendwas und denk mir fünf vor sechs Uhr, okay, ich beame mich jetzt dahin, wo der Lenne auf mich wartet. Funktioniert natürlich nicht. Das heißt, die vergessen ganz, ganz gerne den Weg auch nochmal mitzukalkulieren. Andere Gründe, warum Leute zu spät kommen – ich nehme das häufig wahr im unternehmerischen Kontext – es hat auch etwas damit zu tun, zu zeigen, wie extrem busy sie sind, wie extrem beschäftigt ich bin, wie wichtig ich bin. Selbst bei Meetings – auf elf Uhr angesetzt – um 11 Uhr sitzt die ganze Mannschaft da. Wer ist nicht da? Die Führungskraft kommt dann um zwanzig nach elf rein, tatütata tatütata, ich hatte ja noch einen ganzen wichtigen Call. Das ist natürlich eine Ohrfeige für alle. Und du hast völlig recht, wir kriegen die anderen Leute nicht geändert, aber grad zum Beispiel auch im unternehmerischen Kontext: Rechnet das mal auch euren Führungskräften vor, wie viel Produktivität da flöten geht, wieviel Geld quasi im wahrsten Sinne des Wortes raus geballert wird durch Warten.
[00:18:08] Lenne Kaffka Ich hab mich selber auch ein bisschen besser dargestellt, als ich bin. Weil ich komme aus einer Familie, in der man immer der letzte ist, wenn man fünf Minuten zu früh kommt. Und das ist ja auch beknackt, das Zeitmanagement. Weil, wenn ich immer 20 Minuten früher da bin, dann vertrödel ich doch auch Zeit. Kann man denn wirklich pünktlich kommen? Ist es möglich, oder gibt es immer nur die Zufrühkommer und die Zuspätkommer?
[00:18:26] Cordula Nussbaum Also, zu früh kommen, ist definitiv mega unpünktlich [lacht]. Ich finde es fast noch schlimmer, auch im privaten Alltag. Ich erinnere mich gut, wir haben ein großes Fest gemacht, und bei uns ist es halt dann wirklich auf die letzte Minute, dann machst du schnell schnell noch alles fertig. Wir hatten mal Bekannte, die waren prinzipiell eine halbe Stunde zu früh. Und das fand ich total unhöflich, weil ich gesagt, ich kann mich nicht um euch kümmern, und wegen euch werde ich jetzt garantiert auch nicht eine halbe Stunde vorher mit allem fertig sein. Und denen haben wir das dann gesagt. Und ich glaube, was gut hilft, ist, wenn wir prinzipiell Zeitslots ausmachen. Wer studiert hat, kennt das von den Unis.
[00:19:06] Lenne Kaffka Das akademische Viertel.
[00:19:07] Cordula Nussbaum Genau, das akademische Viertel, dass die Vorlesung halt eine Viertelstunde später anfängt. Und das finde ich super zu sagen, wenn ich dich um sieben einlade, und du kommst irgendwann zwischen sieben und viertel nach sieben – das ist absolut legitim. Und dann hast du trotzdem noch so einen kleinen Puffer, dass du sagst, wie komm ich los.
[00:19:27] Lenne Kaffka Ein gutes Zeitmanagement ist natürlich im Arbeitsalltag besonders wichtig. Wir haben jetzt gerade viel übers Private gesprochen. Aber da ist es ja so, dass es eigentlich den ganzen Tag irgendwelche Nachrichten aufploppen, dann klopft es an der Tür. Wenn ich Pech habe, sitze im Großraumbüro und habe überall Reize um mich rum. Wie gelingt es mir da denn besser, mich wirklich auf die wichtigen Aufgaben zu konzentrieren, fokussiert zu bleiben?
[00:19:47] Cordula Nussbaum Thema permanent gestört werden – ist mittlerweile ein Riesenthema geworden. Und ich habe eine Studie gefunden, da haben die festgestellt, dass wir heutzutage alle drei Minuten aus der Arbeit gerissen werden. Notifications, Smartphone brummt, wie du gerade gesagt hast, jemand kommt zur Tür rein, E-Mail, pling und so weiter. Die Krux ist, und auch dazu gab es Studien – nach einer Störung brauchen wir Minimum eine Minute, um den roten Faden wieder zu haben. Wenn es uns aus einem komplexen Thema rausreißt, brauchen wir sogar manchmal bis zu acht Minuten, um gedanklich wieder da anzudocken, wo wir vorher waren. Das heißt, wenn ihr wirklich mal produktiv sein wollt, wenn du wirklich mal Dinge vorantreiben willst, Dinge abschließen willst – dann schau mal, besprecht es auch im Team, was könnt ihr tun, um sogenannte Fokuszeiten einzurichten? Fokuszeit bedeutet, dass jeder aus dem Team sich mal eine Stunde, zwei Stunden, vielleicht bei größeren Geschichten auch mal einen halben Tag, komplett rausnehmen kann aus dem täglichen Tohuwabohu. Das kann sein, dass du das Homeoffice dazu nutzt, wo du einfach quasi körperlich vom Präsentierteller weg bist. Ansonsten, wenn du im Büro oder auf der Arbeit bist, weggehen, in ein Konferenzzimmer, in ein leerstehendes Büro oder zumindest – wenn du in deinem Arbeitsplatz bleibst –, in irgendeiner Form optisch signalisieren, dass du jetzt bitte nicht ansprechbar bist. Und allein dadurch, dass wir solche Fokuszeiten immer mal wieder uns nehmen dürfen, und auch das Team das mitträgt, dass die dich dann eben nicht ansprechen, schaffst du total viel. Und wenn du dann den Rest des Tages wieder "Lenne, kannst du hier mal, Lenne, kannst du mal", immer wieder rausgerissen wirst, das stresst uns dann gar nicht so, weil du so ein gutes Gefühl hast, einen großen Brocken hab ich heute einfach schon geschafft.
[00:21:38] Lenne Kaffka Wie machst du das so? Lässt du auch mal deinen Mail-Programm ein paar Stunden aus oder legst dein Handy weg?
[00:21:42] Cordula Nussbaum Man kann mich wirklich schlecht erreichen übers Handy, und ich zelebriere es auch, weil ich sage, wenn ich arbeite, dann arbeite ich. Wenn ich zum Beispiel mit dir spreche, dann möchte ich nicht mit einem halben Auge schon wieder sehen, wieder kommt eine WhatsApp-Nachricht. Weil selbst wenn ich sage, ich achte nicht drauf – automatisch reißt dich das raus. Das Handy ist bei mir prinzipiell in der Tasche. Aber auch ein neuer Tipp, den ich gerne mit auf den Weg gebe, auch hier wieder eine Studie – du merkst schon, ich bin Studien-Fan – allein dadurch, ob das Handy bei dir auf dem Schreibtisch liegt und du es immer mal wieder siehst oder ob du es gar nicht siehst, macht das einen Produktivitätsunterschied von 26 Prozent aus. Das heißt für alle die, die sagen, ich möchte gerne produktiver werden, ich hätte gern einen kleinen, schnellen, sofort umsetzbaren Tipp – räum dein Handy aus deinem Blickfeld und automatisch bist du um ein gutes Viertel, 26 Prozent produktiver. Warum? Weil, fällt dein Blick auf das Handy, dann sagst du dir, "ah ne, ich guck jetzt nicht, nein, ich schaue jetzt wirklich nicht, ja, könnte aber was sein, ah, nein, ich gucke jetzt nicht". Das heißt, ein Teil von deinem Gehirn ist permanent damit beschäftigt, dir zu sagen, was du gerade nicht tun sollst. Und das fehlt dir natürlich für konzentriertes Tun.
[00:22:59] Lenne Kaffka Zusätzlich zu diesen kleinen Störungen gibt's im Arbeitsalltag ja auch immer noch Termine, Meetings und die zerstückeln dann immer so den Tag. Und oft ist es dann so, dann bleiben zwischen zwei Termine nur 10, 20 Minuten, und man kann nichts so richtig anfangen. Kriegt man diese Zwischenzeiten auch besser organisiert?
[00:23:15] Cordula Nussbaum Du könntest mal versuchen, diese, wenn es wirklich nur 20 Minuten dazwischen sind, zu nutzen zum Regenerieren, bewusst einen Kaffee zu trinken, Gedanken schweifen lassen. Warum? Weil in dem Moment, wo du von einem Termin in den anderen hetzt, sinkt die Effektivität. Wir sind nicht mehr so konzentriert, wir sind auch nicht mehr vorbereitet. Das heißt, ruhig gedanklich sozusagen das Meeting abzuschließen, das andere anzufangen. Wir neigen gerne dazu zu sagen, ich renne aus einem Meeting raus, mache schnell mal meine E-Mails, renne ins nächste Meeting rein. Allein schon, du merkst, am Wording, Rennen steigt der Stresspegel. Und was zum Beispiel viele Kunden, Unternehmenskunden, von mir mittlerweile gemacht haben, dass die Meeting-freie Tage oder Meeting-freie Vormittage, Meeting-freie Nachmittage definieren, dass sie sagen beispielsweise Montags gibt's gar keine Meetings. Und das ist natürlich brilliant für alle, weil dann hast du tatsächlich am Stück größere Timeslots, wo du konzentriert produktiv sein kannst. Da kann man schon gemeinsam überlegen, wo können wir mal sozusagen Regeln einführen, Routinen, Rituale einführen, damit wir rauskommen aus diesen zerstückelten Tagen?
[00:24:29] Lenne Kaffka Wir teilen die Welt ja gerade immer schön auf in Systematiker und kreative Chaoten. Und im Arbeitsalltag ist es ja oft so, dass wir auch gemeinsam an Projekten arbeiten müssen. Wie kriegt man denn dieses vollkommen unterschiedliche Zeitverständnis, Selbststrukturierungsverständnis unter einen Hut und kann trotzdem vielleicht beiden Menschentypen gerecht werden?
[00:24:47] Cordula Nussbaum Also ein guter Tipp ist, immer erstmal für mich selber herauszufinden, wie ticke ich? Bin ich eher der kreative Chaot, Systematiker? Erst mal zu erkennen, was treibt mich eben auch in der Zusammenarbeit mit anderen Leuten an. Selbsterkenntnis ist schon mal super wichtig und mir dann auch klarzumachen, ich ticke so, und der Kollege tickt möglicherweise in einer völlig anderen Welt. Und der Punkt ist in der Zusammenarbeit. Gerade, bei vielen Projekten, ist genau diese bunte Mischung das, was zum Erfolg führt. Weil du hast jemanden, der neue Ideen reinbringt, du hast jemand, der das Team zusammenhält, du hast jemand, der systematisch umsetzt, du hast jemand, der auch noch auf Budget, Timing, Qualität achtet. Das heißt, letztendlich kann euch gar nichts Besseres passieren, als eine bunte Gruppe sozusagen aufzustellen. Und der relevante Punkt ist: Ein kreativer Chaot, die können sich ja schon in Zeiten, in Abläufe einfügen. Gerade wenn ich respektiere, der andere braucht das, ich brauche das, zu sagen, Pünktlichkeit – da sind wir wieder beim Thema – hat viel mit Wertschätzung zu tun. Das können kreative Chaoten natürlich. Der Unterschied ist nur, kreative Chaoten haben auf Dauer gesehen Mühe, solche Strukturen aufrecht zu erhalten. Wenn die mir aber von außen vorgegeben werden, jetzt nicht extrem eng, aber so als Korridor, in dem ich mich bewegen kann, das ist für kreative Chaoten. Bestimmte Prozesse werden eingehalten, bestimmte Abläufe werden eingehalten, das können die natürlich. Und dieses Out of the Box-Denken kann man dann anderweitig ausleben oder als echte Qualität ins Projekt einfließen lassen.
[00:26:32] Lenne Kaffka Ist es nicht gerade in Teams so – und jetzt egal, ob es sich da um kreative oder eher strukturierte Personen handelt -, dass oft die Leute, die das beste Zeitmanagement haben, am Ende dafür bestraft werden, weil die immer noch ein To-do und immer noch eine Aufgabe übernehmen müssen?
[00:26:46] Cordula Nussbaum Das ist tatsächlich eine Gefahr, die ich bei vielen beobachtet habe. Die sagen, ich muss mich besser organisieren, ich muss effizienter sein. Schreib mal auf, was ist dein Gewinn, wenn du dich anders organisiert. Und wenn du sagst, mein Gewinn ist, wenn ich pünktlich Feierabend machen kann, dass ich Zeit für meine Kinder habe, ich laufen gehen kann, zum Sport gehen kann, Freunde treffen kann. Dann hast du auch eine hohe innere Motivation, tatsächlich im Lauf des Tages Dinge zu verändern. Wenn du allerdings feststellst, mein Gewinn besteht darin, dass ich noch ein Projekt bekomme, nach dem Motto, "was, du machst schon Feierabend? Offensichtlich bist du nicht ausgelastet, übernehme bitte dieses Projekt auch noch" – dann läuft sich Zeitmanagement ganz schnell tot. Denn warum solltest du dich in irgendeiner Form besser organisieren, wenn es auf der anderen Seite nur dazu führt, dass permanent der Workload erhöht wird. Das macht überhaupt gar keinen Sinn.
[00:27:41] Lenne Kaffka Das klingt jetzt aber ein bisschen so, als ob man sich vielleicht auch ein bisschen von diesen klassischen Arbeitszeitdenken lösen sollte. Weil, wenn ich ich irgendwie immer klassisch in 9 to 5 denke und früher fertig bin, dann kriege ich ja immer noch was. Wenn ich aber sozusagen den Ansporn habe, mein Projekt zielgerichtet durchzubekommen und dann vielleicht ein bisschen Zeit mit der Familie zu gewinnen. Dann wäre es ein Ansporn.
[00:27:59] Cordula Nussbaum Es wäre definitiv ein Ansporn, und ich hoffe, dass auch wirklich in noch mehr Unternehmen diese Denke endlich verabschiedet wird, Anwesenheit ist Engagement. Bloß weil ich bis um fünf oder sechs oder sieben oder acht abends im Büro bin oder am Arbeitsplatz bin, heißt das nicht, dass ich der leistungsbereiteste Mitarbeiter, Mitarbeiterin bin. Aus dieser Denke, aus dieser alten Denke müssen wir wirklich zunehmend raus. Und ich krieg bei vielen Menschen mit, auch getragen vom Unternehmen, dass die mittlerweile ein sogenanntes Work-Life-Blending betreiben. Work-Life-Balance kennen wir ja, Work-Life-Blendending – aus dem Englischen to blend, also mischen, mixen – die sagen, ich mixe bewusst Job und Privatleben. Der Arbeitgeber weiß das auch, finden alle gut, und auch mir tut es gut. Und es würde dann bedeuten, dass du zum Beispiel in der Früh um sechs aufstehst, einen Video-Call machst mit den Asiaten, nach dem Call machst du Frühstück für deine Kinder, bringst deine Kinder in die Schule, gehst selber zum Friseur. Um neun, setze du dich dann hin und arbeitest wieder was, 12 Uhr isst du mit deinen Kindern. Du mischst sozusagen Job und Privatleben komplett durch. Und das ist natürlich auch etwas, was man selber mögen muss. Aber was definitiv ein super Szenario ist, wenn wir uns an den Ergebnissen orientieren. Ich sage letztendlich, es geht ums Projekt und wann ich an dem Projekt arbeite, ob ich das von neun bis zehn mache oder ob ich von neun bis zehn beim Friseur bin, ist ja völlig egal. Letztendlich ist relevant, was hinten rauskommt.
[00:29:35] Lenne Kaffka Das, was du jetzt beschreibst, ist ja etwas, was gerade sehr viele erleben. Seit der Corona-Krise arbeiten ja auch wirklich viele Arbeitnehmer oder auch Selbstständige im Homeoffice. Also würdest du sagen, dass sich schon so die Produktivität steigern würde, wenn wir dann auch tatsächlich vielleicht genau diese Vorteile nutzen, dass wir eine lange Mittagspause mit den Kindern machen.
[00:29:52] Cordula Nussbaum Genau. Die Produktivität wird auf jeden Fall steigen, wenn du jetzt nicht gerade noch Homeschooling an der Backe hast, ja, oder die Kita geschlossen ist und du deine Kinder auch noch beaufsichtigen musst, für die da sein musst. Das funktioniert überhaupt nicht. Diesen Anspruch an mich zu haben, ich bin jetzt daheim, und das mache ich nebenbei. Ich hab das selber jahrelang gemacht. In den Anfängen vor meiner Berufstätigkeit hatte ich ausschließlich Homeoffice mit kleinen Kindern daheim. Jeder, der das hat, weiß: Da bist du nicht leistungsfähig. Aber wenn ich Kinder habe, die gut betreut sind, in der Schule sind, die in der Kita sind, und ich sage, ich nutze diese Zeit im Homeoffice, um jetzt zwei, drei Stunden richtig ranzuklotzen und dann auch wieder für die Family da zu sein. Super.
[00:30:39] Lenne Kaffka Also würdest du vielleicht auch sagen, dass, solange die Kinderbetreuung noch nicht ganz optimal laufen kann, weil Kitas und Schulen noch nicht immer alle flächendeckend geöffnet sind, dass man gleich auch die Ansprüche ans eigene Zeitmanagement jetzt erst mal ein bisschen runterschrauben sollte?
[00:30:51] Cordula Nussbaum Unbedingt, ganz unbedingt, weil diese Erwartungshaltung an mich selber zu sagen, ich mache einen perfekten Job, ich bin die perfekte Mami, der perfekte Papi, mein Haushalt ist auch noch perfekt. Da ist die Messlatte viel zu hoch gehängt. Und für mich sind wirklich die Eltern, gerade mit kleinen Kindern, die Hauptleidtragende von den ganzen Corona-Regelungen und das ist natürlich Wahnsinn, was da dann teilweise den Menschen abverlangt wird. Das hat mit Zeitmanagement nichts mehr zu tun. Das hat nichts mit Selbstorganisation zu tun, sondern da muss man wirklich über Rahmenbedingungen sprechen.
[00:31:30] Lenne Kaffka Hast du trotzdem noch einen Tipp, wie man einfach besser durch die Phase kommen kann und vielleicht einigermaßen Dinge abarbeitet? Weil es ist ja auch zusätzlicher Stress, wenn alles liegen bleibt.
[00:31:37] Cordula Nussbaum Absolut. Und gerade mit Kindern, haltet euch gegenseitig den Rücken frei. Schaut, das klappt natürlich nur, wenn ich einen Partner eine Partnerin habe. Alleinerziehende macht es das nochmal deutlich schwieriger. Aber wenn du jemanden hast, teilt euch auf, dass du sagst, jetzt arbeite ich zwei Stunden, ich ziehe mich ins Schlafzimmer zurück, ich mache die Türe zu. Ich schau, dass ich in diesen zwei Stunden schon mal einen großen Berg abarbeite. Währenddessen passt der andere auf die Kinder auf und nach zwei Stunden, drei Stunden wechseln wir. Oder, was sich auch bei einigen eingebürgert hat, dass sie sozusagen eine Großfamilie gegründet haben, zwei Haushalte mit einigermaßen gleich alten Kindern und dann wechselseitig auf die Kinder aufgepasst haben. Also werdet da ein bisschen kreativ, wie ihr euch wirklich gegenseitig entlasten könnt. Weil den Anspruch zu haben, ich mache alles – vergiss es!
[00:32:30] Lenne Kaffka Das war es mal wieder mit Smarter leben. Noch mehr Tipps gibt Cordula Nussbaum in ihrem Buch "Organisieren Sie noch oder leben Sie schon? – Zeitmanagement für kreative Chaoten". Der Link steht wie immer in den Shownotes zu dieser Episode. Die nächste Folge gibt es dann ab kommendem Samstag auf spiegel.de und überall, wo es Podcasts gibt es zum Beispiel bei Spotify oder Apple Podcasts. Bei Anregungen oder Themenvorschläge, einfach eine Mail schreiben an smarterleben@spiegel. de. Diesmal wurde ich unterstützt von Philipp Fackler und Yasemin Yüksel. Unsere Musik kommt von audioBOUTIQUE. Bis zum nächsten Mal!
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