
Kinderreiseführer von Miroslav Sasek: Wer genau hinschaut, sieht mehr
"This is"-Reisebücher aus den Fünfzigern Ein Zeichner entdeckte die Welt
Die Geschichte beginnt in Paris. Als Miroslav Sasek 1947 in die französische Hauptstadt kommt, ist ihm dort alles fremd. Die Sprache, die Gebäude, die Gepflogenheiten - der gebürtige Prager muss erst lernen, sich zurechtzufinden. Vermutlich damals schon skizziert er die ersten Ideen für sein Buch "This is Paris". Wie sonst als mit dem Stift erkundet jemand, der Malerei, Zeichnen und Architektur studiert hat, eine ihm unbekannte Stadt?
"This is Paris" erschien 1958, als Sasek die Stadt längst durchdrungen hatte, erst auf Englisch und ein Jahr später auch auf Deutsch. "Es wurde sofort ein Erfolg", erinnert sich Jeffrey Simmons, der damals Saseks Verleger in London war. 17 weitere "This is"-Bücher folgten . Heute, mehr als 50 Jahre später, wird ein Teil von ihnen in Deutschland neu aufgelegt - eine Gelegenheit, das Werk des 1980 verstorbenen Autors wiederzuentdecken.
Sasek gilt als stilbildend für viele Illustratoren und Grafiker, in allen seinen Reiseführern findet man die für ihn typischen detailreichen Bilder und kurzen, treffenden Texte, und man entdeckt einen Humor, der Kindern wie Erwachsenen gefällt. In "München" (2012), "Paris" und "London" (beide 2013) trifft man darauf genau wie in "Rom", das im kommenden Frühjahr neu erscheint, und auch in "New York" und "Venedig", die der verlegende Verlag Antje Kunstmann möglicherweise später noch wiederauflegt.
Anekdoten und Nebensächlichkeiten
"Nostalgische Freude" verbinde sie mit diesen Bänden, sagt Lektorin Heike Bräutigam. Es sind Kinderbücher, die doch keine sind, Reiseführer, die weit mehr offenbaren als Eiffelturm und Tower Bridge. Sie vermitteln den Charme der Orte über Anekdoten, Beobachtungen und scheinbare Nebensächlichkeiten - was sie auch heute noch, teils mehr als 50 Jahre nach dem ersten Erscheinen, besonders macht.
"London" beispielsweise beginnt mit einem Vorurteil. "Ja, das ist London", steht da unter einem ockerfarbenen Rechteck, "im Nebel. Aber keine Angst, meist sieht die Stadt anders aus." Was folgt, ist ein knapp 60-seitiger Spaziergang vorbei an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten, der auch die Augen für die kleinen Dinge und Eigenheiten öffnet.
In "London" etwa lernt man die Kultur des Schlangestehens ebenso kennen wie die Unterschiede der Bärenfellmützen, unter denen sich die Wachposten vor dem Buckingham-Palast verbergen. "Paris" beginnt mit den Katzen, die zu Tausenden durch die Stadt streifen, zeigt Bistros, Briefkästen und Billets. Und in "München" werden die Feinheiten der Lederhosen ebenso abgebildet wie der Stolz im Gesicht ihrer Träger.
"Ich bekam 'This is Paris' 1958 auf den Tisch - und war sofort verzaubert", erinnert sich Verleger Simmons. "Erfrischend" sei der Stil gewesen, sagt der heute 87-Jährige. "Ich hatte nichts Vergleichbares zuvor gesehen." Er verkaufte Saseks Bücher nach Frankreich, in die USA, nach Deutschland, "fast in die ganze Welt - außer vielleicht nach Nordkorea".
Für den Autor bedeutete der Erfolg mehr Bücher, mehr Reisen
Für Autor Sasek bedeutete der Erfolg vor allem eines: mehr Bücher, weitere Reisen. "Für jedes Buch zog 'Mirko' in die jeweilige Stadt", sagt Simmons. Und als später Bände über ganze Länder folgten, verbrachte Sasek dort manchmal Monate. Er recherchierte die Geschichte, wanderte durch die Straßen und beobachtete die Menschen. "Er liebte sie, weil er immer auch ihre amüsante Seite sah", sagt Simmons. "Er war sehr charmant und liebenswürdig, aber auch melancholisch. Etwas in seiner Natur hielt ihn davon ab, wirklich glücklich zu sein."
Eigene Kinder hatte Sasek nicht, seine zweite Frau brachte einen Sohn mit in die Ehe, auch diese Beziehung zerbrach. Der Tscheche lebte in Prag, Paris, München, Brügge, ein paar Jahre hier, ein paar Jahre da. Und dann die vielen Reisen - vielleicht war er zu rastlos für das ganz große Glück. Die erste Seite in den Reiseführern zeigt immer ihn selbst, als kleine Figur, auf dem Weg in eine neue Stadt, mit Skizzenmappe unter dem Arm - und einem kleinen Lächeln im Gesicht.
Als Sasek die Welt erkundete, war sie noch eine andere als heute. Ein kleiner Anhang in jedem Buch klärt darüber auf, was sich in den Städten verändert hat, zeigt Abrisse, Neubauten und Modernisierungen. Die wichtigste Lehre aber, die man aus Saseks Büchern zieht, ist zeitlos: Wer genau hinschaut, sieht mehr - das gilt für Städte wie für Menschen.
Miroslav Sasek: "London". Verlag Antje Kunstmann; 16,95 Euro. Weitere Bände des Autoren finden Sie hier .