Fotostrecke

Nomaden-Festival in Marokko: Viele Gespräche, viel Tee

Foto: Markus Steiner/ tmn

Berber-Festival in Tan-Tan Marokkos nomadisches Herz

In der Sahara wird es laut, wenn einmal im Jahr die Nomaden zum Moussem-Festival in Marokko zusammenkommen. Beim größten Berber-Treffen in Nordafrika wird gekämpft, gesungen und gedichtet.

Auf dem Weg zum Festival ist als Erstes das Knallen von Gewehren zu hören. Popcornduft hängt in der Luft, junge Männer auf Fahrrädern verkaufen bunte Ballons. Auf einer kleinen Anhöhe picknicken Menschen im Kreis. Dicht besetzte Eselskarren jagen vorbei, mit Frauen und Kindern.

Diejenigen, die mehr Geld haben, werden in Jeeps chauffiert, auf deren Trittbrettern Jugendliche stehen und immer wieder auf- und abspringen, als seien es Karussells. In einem Meer aus rund 800 braunen Zelten hocken und liegen Nomaden unter Stoffdächern - Männer und Frauen voneinander getrennt und gekleidet in den traditionellen Gewändern ihres Stammes. Einige junge Frauen tragen Marken-Sonnenbrillen.

Einmal im Jahr findet dieses Schauspiel hier bei Tan-Tan im Süden Marokkos statt: In der riesigen Zeltstadt kommen die Nomadenstämme der Sahara zum Moussem-Festival zusammen. Sie stammen aus Marokko, Algerien, Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Saudi-Arabien. Der Termin des Treffens wird von den marokkanischen Behörden manchmal sehr kurzfristig bekannt gegeben. Für dieses Jahr steht selbst der Monat noch nicht fest.

"Tan-Tan ist das nomadische Herz Marokkos. Die Nomaden kommen seit Generationen, um hier Markt zu halten", sagt Rosario, eine Studentin, die in der Stadt lebt. Das Moussem-Festival findet am Fuße des Grabes von Scheich Mohamed Laghdaf statt. Der Wüstenheld kämpfte bis zu seinem Tod 1960 für die Unabhängigkeit Marokkos von Frankreich und Spanien. Die Nomaden verehren den Scheich, weil er für ihr Land und die Freiheit kämpfte.

Tan-Tan entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer religiösen Stätte. Zu Ehren des Scheichs kamen Nomaden an seinem Grab zusammen, um zu singen, zu spielen, um sich Geschichten zu erzählen und Kamele zu handeln.

Der "Grüne Marsch", der 1975 in die Geschichte einging, beendete das Moussem-Fest schlagartig: 350.000 Menschen überquerten von Tan-Tan aus die nahe Grenze zur West-Sahara, um die Rückgabe des Landes von den Spaniern zu erzwingen. Die Spanier sind fort, doch der West-Sahara-Konflikt ist bis heute ungelöst, die Grenze umstritten.

Nur Folklore oder alte Tradition?

Vor den Zelteingängen sind gerahmte Bilder von König Mohammed VI. auf Staffeleien aufgestellt. Es ist heiß, die Sonne brennt. Ein rauer Wind fegt von der nahen Atlantikküste her über die flache, karge Sahara. Überall werden Teetassen und Brotlaibe gereicht. Teekannen aus Silber stehen auf Feuerstellen, mit Kohle befeuert.

Auf dem riesigen Platz in der Mitte des Wüstencamps reiten Berber auf Pferden. In einer geschlossenen Reihe von zehn Reitern nehmen sie Tempo auf und brüllen, im Galopp angekommen, ihr Kriegsgebrüll. Dann feuern sie mit ohrenbetäubenden Salven ihre Gewehre in Richtung Boden ab. "Fantasia" wird diese monumentale Reiterchoreografie genannt, sie stellt die Technik der Berberkriegsführung nach. Später am Abend gibt es Tänze und Gesang sowie einen Wettstreit der Wüstenpoeten.

Erst 2004 wurde in Tan-Tan das Moussem mit Unterstützung der Unesco als Festival  wiederbelebt. "Das Moussem von heute ist vor allem eine inszenierte Veranstaltung des Königs. Hier wird Kultur zu Folklore gemacht", sagt Ibrahim, 29, aus Tan-Tan. Sätze wie diese hört man oft auf dem Festival.

Ibrahim ist einer der vielen jungen arbeitslosen Akademiker in Marokko, seine Familie schon seit Längerem sesshaft. Nun versucht er sein Glück mit dem Verkauf von handgefertigten Messern. Er kritisiert das alltägliche Kulturangebot für die 70.000 Einwohner von Tan-Tan: Es gibt keine Bibliothek, kein Theater, kein Kino. So ist die Lage in vielen marokkanischen Städten.

Zeit für einen Tee

Auch wenn die Analphabetenquote weiter hoch ist - Marokko ist im Vergleich zu anderen nordafrikanischen Staaten ruhig. Das liegt auch am geschickten Vorgehen des Königs: Als der Arabische Frühling begann, senkte er die Preise für Grundnahrungsmittel.

Und so sehen Kritiker das Moussem-Festival ebenfalls als ein taktisches Manöver an. Sie zweifeln an einer ernsthaften Unterstützung der Nomadenstämme und ihrer Lebensweise. Denn Marokko verweigerte die Unterzeichnung eines Vertrags mit Algerien, Mali und Mauretanien, der Nomaden den Verkehr an den marokkanischen Grenzen vereinfachen würde.

"Der König ist ein guter Mann, und ich liebe dieses Land. Aber das Nomadenleben, die Sahara und Marokko - das sind komplizierte Angelegenheiten", sagt Abdallah, der in seinem Wüstenzelt sitzt und Tee trinkt. Der Kamelhändler stammt aus Guelmim, der Heimat des Berberstammes der Ait Lahcen. Heute campiert der Stamm aus dem Atlasgebirge nicht weit vom Moussem-Festival entfernt.

Überall riecht es nach Kamel. Die Tiere knien vor dem Zelt, weiden auf dem kargen roten Sand und verströmen einen schweren, süßen Geruch. Abdallah will mit seinen Kamelen in der Wüstenstadt Geschäfte machen. Zwei bis drei von ihnen verkauft sein Nomadenstamm in der Woche, erzählt er. Für ein kleines Kamel zahlen ihm Händler bis zu 800 Euro. Er rückt seine Djellaba zurecht, sein Gewand, bindet den Turban enger und nimmt einen Schluck süßen Tee.

"Wer die Nomaden und ihre Angelegenheiten verstehen will, der muss sich Zeit für einen Tee nehmen." Er wünscht sich, dass wieder mehr junge Menschen als Nomaden leben. Doch er weiß, dazu müssten viele Probleme gelöst werden: Weidegründe, Zugang zu Wasser, Bildung. Einfache Dinge. Es könnte so einfach sein. Doch es wäre erst noch viel Tee zu trinken.

Fotostrecke

Berber in Marokko: Die letzten Nomaden

Foto: Mosa'ab Elshamy/ AP/dpa

Tan-Tan in Marokko

Markus Steiner, dpa/abl
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten