Bukarest Aufstand gegen die Immobilien-Mafia
Der Umzug begann mit Glockengeläut und Messe, dann trugen die Menschenscharen ihre Spruchbänder durchs Zentrum bis zum Sitz der rumänischen Regierung am Siegesplatz. Geordnet, in einem Zug von einem Kilometer Länge, proklamierten 6000 Bürger ihren Zorn über ein Phänomen, das Bukarest zu ruinieren droht: den städtebaulichen Wildwuchs. Willkürlicher Abriss und chaotischer Neubau attackieren historische Stadtviertel, die nur auf dem Papier geschützt sind.
Eine Demonstration solchen Ausmaßes hatten die Bukarester noch nie erlebt: Ein paar hundert finden sich gelegentlich zu Protestversammlungen ein, wenn es ums Geld geht - wie etwa die Taxifahrer mit ihren niedrigen Tarifen oder Beamte, denen das Gehalt gekappt wurde.
Auslöser für die Großdemo gegen Stadtverschandelung war nun ein Urteil, das den bereits gerichtlich gestoppten Bau eines 19-stöckigen Bürohochhauses unmittelbar neben der katholischen Kathedrale wieder erlaubte. Schon rostete der unfertige 75-Meter-Turm vor sich hin, neben dem die alte Kirche geradezu zwergenhaft wirkt.
Schluss mit der Resignation
Meist passiv hatten die nach der Wende vom Turbo-Kapitalismus überrollten Bukarester über sich ergehen lassen, dass der Stadtentwicklungsplan durch Privatinvestoren und willige Politiker einfach missachtet wurde. "Jetzt ist Schluss mit der Resignation", sagt Geografieprofessor Liviu Baciu, der ein Poster mit einer Karikatur von Staatspräsident Traian Basescu hochhält. Als Oberbürgermeister war Basescu 2000 für die Genehmigung des Baus verantwortlich.
Wie zum Hohn hat die Investorgesellschaft Millenium Business ihr postmodernes Ungetüm "Cathedral Plaza" genannt. "Völliger Wahnsinn" sei es städteplanerisch, in die enge Straße des alten Viertels einen solchen Koloss für 3000 Angestellte zu zwängen, sagt der 54-jährige Banciu. Ein Erdbeben, wie es 1977 und zuletzt 1990 Bukarest heimsuchte, wäre nicht nur für die Kathedrale eine Katastrophe. Beim Brand eines anderen Hochhauses des gleichen Investors sprang im vergangenen Mai das Feuer auf das Gelände der armenischen Kirche über, an die sich der Neubau geradezu geklebt hatte.
"Stoppt das Massaker", "Die Stadt gehört den Bürgern, nicht der Immobilien-Mafia": Die Parolen der Demonstranten richten sich gegen alle Angriffe auf historische Monumente in Bukarest. Denn die von den Flüssen Dambovita und Colentina durchzogene Großstadt mit ihren vielen Seen und Parks, mit den Boulevards und alten Prachtbauten nach französischem Vorbild, verliert immer mehr ihr Gesicht.
Die Zügellosigkeit der Bauinvestoren begann mit der Wende von 1989. Nach der Zeit des Übergangs, vor dem EU-Beitritt, "gingen die noch mal richtig ran, weil sie wussten, dass Geld ins Land kommt", sagt Nicusor Dan. Mit seiner Organisation "Rettet Bukarest" stemmt er sich seit 2008 gegen die Stadtzerstörung. Der eloquente 40-jährige Mathematiker hat schnell die Sympathien sämtlicher Medien errungen, das Engagement gegen die "dominanten und schlecht gebauten Glaskästen" lässt ihm kaum noch Zeit für seine Wissenschaft.
Zwar gebe es insgesamt 98 Zonen mit architektonischem Schutzstatus in Bukarest, sagt Dan. Aber für die Bezirksbehörden sei damit keineswegs jedes Gebäude schützenswert, sie seien nicht verpflichtet, die zuständige Kommission für Baumonumente zu konsultieren. "Mit einem Federstrich können so Eigentümer die Genehmigung für den Abriss erhalten. Bekommen sie vorerst keine Erlaubnis, lassen sie das Haus so lange verfallen, bis die Bulldozer anrücken dürfen."
Prachtvolle Architektur früherer Tage
Eine wahre Stil-Parade war im aufstrebenden Bukarest zu bewundern, nachdem sich 1861 die beiden Fürstentümer Moldau und Walachei zu einem Staat mit dem Namen Rumänien vereinigt hatten. Deutsche und rumänische Architekten entwarfen neogotische, neoklassizistische und sogar exotisch-mediterrane Palais. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde Bukarest dann zum Klein-Paris: Französischer Einfluss beherrschte das kulturelle Leben und die Architektur.
Das Athenäum des Architekten Albert Gallerond, mit seinen ionischen Säulen immer noch eines der imposantesten Gebäude des alten Bukarest, wurde zu einem der bedeutendsten Konzerthäuser Europas. Eklektische Dinosaurier, traditionalistische, orientalische und später auch viele Jugendstil- und Art-déco-Bauten prägten das Stadtbild. Noch heute, so die Architektin Anca Tomasevski-Sandu, "sind die rumänischen Architekten stolz auf diese Zeitspanne".
Mindestens ein Achtel der gesamten Stadt ließ der kommunistische Diktator Nicolae Ceausescu abreißen: Mitte der achtziger Jahre bahnten sich weinende Bukarester einen Weg durch Schutt und Staub, zu den Überresten von Wohnhäusern und Kirchen. Manch einer beging Selbstmord, weil er heimkehrend sein Zuhause nicht mehr vorfand. Am wichtigsten war dem Diktator der "Palast des Volkes", zu dem ihn ein Besuch in Nordkorea inspirierte: eine Prachtstraße mit Springbrunnen, der Boulevard der Einheit, länger als die Champs-Élysées, führt auf das größte Gebäude Europas zu - heute können Touristen im längst umgetauften "Palast des Parlaments" die gigantischen Säle mit ihren tonnenschweren Leuchtern und Marmormosaiken bestaunen. In dem riesigen Park vor der unwirklichen Kulisse wird Ende August Popstar Madonna auftreten.
Keine Rücksicht auf die Umgebung
"Bukarest mit all seinen Boulevards und auch den kleinen Straßen mit reich verzierten Häusern und Innenhöfen ist immer noch eine faszinierende Stadt", sagt Herma Kennel, deutsche Autorin, die mit ihrem Mann Gerhard Köpernik sechs Jahre in der rumänischen Hauptstadt verbracht hat. "Aber es tut weh zu sehen, wie mit vielen Kostbarkeiten umgegangen wird."
Das Berliner Ehepaar hat hier schon in der kommunistischen Zeit gelebt und gearbeitet. "Danach scheint es gar keine Stadtplanung mehr gegeben zu haben", sagt Köpernik: "Ohne Rücksicht auf die Umgebung wurden Hochhäuser aus dem Boden gestampft, in den Außenbezirken entstanden Eigentumssiedlungen, mitunter ohne Kanalisation oder befestigte Straßen."
Viele Bukarester setzen jetzt ihre Hoffnung auf die Organisation "Rettet Bukarest". Und tatsächlich haben Nicusor Dan und seine Mitstreiter die ersten Erfolge zu verzeichnen: Ihrem Druck ist es zu verdanken, dass das Kulturministerium mehr Transparenz zugesagt hat: Künftig soll auch in Bukarest die Öffentlichkeit erfahren, wer um Genehmigung für einen Abriss und Neubau angefragt hat. Die Organisation hat bereits einen Prozess gewonnen und den Bau eines Einkaufszentrums für 600 Millionen Euro auf einem Parkgelände blockiert.
Vor Gericht muss sich jetzt erstmals ein Bezirksbürgermeister verantworten, der einen illegalen Abriss genehmigte: Die Bulldozer hatten schon die Hälfte eines historischen Hauses demoliert, als auf Intervention der Organisation beim rumänischen Generalinspekteur für Bauwesen die Arbeiten gestoppt wurden. Dan fordert: "Der Bürgermeister soll das Haus wieder aufbauen."