
Mountainbiken in Österreich Hang zur Raserei
Wenn es nun Winter wäre, dann hieße das hier "Skicircus Saalbach-Hinterglemm-Leogang", man würde mit 200 Pistenkilometern werben und das Salzburger Land als Wintersportparadies anpreisen. Aber jetzt ist es Frühling, es hat 20 Grad Celsius, und weil da auch die modernsten Schneekanonen keinen Schnee herzaubern können, steigt man in Leogang ganz einfach aufs Rad, nennt das Ganze "Bikepark", und verhält sich wie im Winter.
Die Gondeln bringen die Radfahrer auf den Berg, der Skipass heißt Bikepass. Auf ausgewiesenen Abfahrten fahren die Radler wieder ins Tal, steigen wieder in die Gondel und so weiter und sofort. Kurzum: Im Salzburger Land findet eine Verwinterung des Sommers statt. Und dazu gehören auch Radkurse und Après-Bike-Hütten. Nur der Schnee gehört nicht dazu.
In dem Laden in der Talstation, wo im Winter Snowboards verkauft und Skier gewachst werden, stehen gleich neben dem Eingang Fahrräder, die auf den ersten Blick wie Motocross-Motorräder aussehen: lange Stoßdämpfer, dicke Rahmen, breite Reifen und bis zu 20 Kilogramm schwer. Hinter diesen so genannten Downhill-Maschinen steht ein Regal voller Integralhelme und Protektoren. Daneben steht Reini Unterberger, ein stämmiger junger Mann mit kurzen Haaren, Kinnbart und "mindestens zehn Knochenbrüchen und 20 gröberen Verletzungen", wie er sagt.
Ausprobieren, bis es funktioniert
Unterberger hat im Sommer 2001 zusammen mit Erwin Herzog den Bikepark gebaut. "Angefangen hat das alles, als wir im Winter mit den Fahrrädern über die Kicker gesprungen sind", erzählt Reini. "Da haben wir uns gedacht: Das könnte doch im Sommer auch funktionieren." Und seither weiten sie ihn Saison für Saison aus, bauen neue Wege, Rampen und Entwässerungssysteme, damit der nächste Regen nicht alles wieder wegschwemmt. "Alles, was wir bauen, probieren wir so lange aus, bis es funktioniert", sagt Reini. Das erklärt auch die Knochenbrüche.
Mittlerweile freuen sich auch der Tourismusverband und die Bergbahnen über die neue Zielgruppe, die der Bikepark in die Region lockt. Seit 2005 ist die Bergbahn Betreiber des Bikeparks und verzeichnet jeden Sommer noch mehr Fahrten. 2001 waren es 18.000 Bergfahrten, heute mehr als viermal so viel. Unter den Besuchern sind in letzter Zeit auch auffallend viele Frauen, wie Unterberger erzählt.
Weil Bikepark-Neulinge sich für gewöhnlich Räder und Protektorensets ausleihen und beim Anlegen von Knie-, Ellbogen- und Rückenprotektoren schnell mal Schnürstricke und Klettverschlüsse durcheinanderkommen können, ist Mitarbeiterin Sabine Enzinger zur Stelle. Wenn sie fertig ist, stehen keine Radfahrer mehr vor ihr, sondern gepanzerte, kafkaeske Riesenkäfer, die später ungelenk wie Marionetten auf die vollgefederten Räder steigen werden.
Training für alpines Fahrverhalten
Es ist vielleicht ganz gut, dass wir erst einen "Bikekurs für Anfänger" machen, ehe wir uns mit der Gondel nach oben wagen - auch wenn man sich als ein des Radfahrens mächtiger Erwachsener ein bisschen dämlich dabei vorkommt. So ein Bikekurs ist wie ein Skikurs auf dem Fahrrad, und deswegen stellt nun Anne Foit, die für die Bikeschule arbeitet, auf dem Parkplatz vor der Talstation einige Pilone auf.
Anne ist staatlich geprüfte Skilehrerin, und seit zwei Jahren lehrt sie auch im Sommer Dinge, die man aus dem Winter kennt. "Es gibt auch beim Radfahren ein alpines Fahrverhalten", erklärt sie und erzählt, dass gute Skifahrer diese Dinge viel schneller lernen. Beispielsweise gibt es auch beim Radfahren eine Art Carving-Technik. Dabei neigt man das Rad ein bisschen zur Seite und lenkt es so durch die Kurve, dass das Vorder- und Hinterrad die gleiche Linie fahren.
Auf dem Parkplatz stehen einige Busse mit slowenischen und deutschen Kennzeichen. Davor liegen deren tätowierte Fahrer in Campingstühlen, hören "Bloodhound Gang" und erholen sich bei einem Dosenbier von der letzten Abfahrt. Und während man in engen Kurven um die Pilone fährt, wird einem klar, dass so ein Bikepark ohne die Bikeparkszene nur halb so lustig wäre.
Landung wie im Federbett
Nach den Brems- und Lenkübungen geht es in die "Dirt-Jump-Area" hinter der Talstation. Dort stehen drei Holzrampen nebeneinander, 30 Zentimeter, einen halben Meter und einen Meter hoch. Das sieht eindrucksvoll aus. Wenn man dann allerdings die Rampen sieht, über die Mountainbiker bis zu acht Meter in die Tiefe "droppen", dann kommt man sich schnell wieder wie auf einem Kinderspielplatz vor.
Drei Sprungvarianten gibt es: Eine passive, eine normale, eine aktive. Wir beginnen auf der kleinen Rampe mit der passiven Variante. Anfahren, Geschwindigkeit aufnehmen, auf dem Brett nicht mehr treten und dann - einfach reinfallen lassen und ein Stückchen fliegen. Es klappt! Und die Landung ist durch die 20 Zentimeter langen Stoßdämpfer so weich, als ließe man sich in ein Federbett fallen.
Stufe zwei: Normalsprung von der Mittelrampe. Wieder schwungvoll anfahren, auf der Rampe nicht mehr treten und dann - leicht abspringen und den Lenker nach oben ziehen. Funktioniert auch, wobei die Landung nicht mehr ganz so weich ist. "Das bringt mehr Airtime", erklärt Anne - die Menge an Fachvokabular scheint mit den Sprunghöhen zu steigen. Das Maximum an "Airtime", wir ahnen es schon, bringt die Aktiv-Variante, bei der man das Rad förmlich in die Luft reißt, um dann aberwitzige Figuren und Verdrehungen in der Luft zu vollführen. Anne sagt: "Wir sind ja alle erwachsen und wissen, was wir uns zutrauen können." Wir verzichten vorerst auf die Aktiv-Variante und schieben die Räder mit Unbehagen zur Gondel.
Wie die Skifahrer im Winter schießen im Sommer die vom Berg kommenden Radler Richtung Kabinenbahn, bremsen vor der Talstation abrupt ab und rollen bis zu den Drehkreuzen. In Leogang wird im Sommer aus den Achter-Gondeln eine der beiden Sitzbänke abmontiert. Auf diese Weise passen zwei Radfahrer mit ihren Rädern in eine Kabine und schweben in wenigen Minuten von 836 auf 1740 Meter. Die Freeride-Strecke, erklärt Sabine, habe im Gegensatz zur Downhill-Strecke künstlich eingebaute Elemente, sogenannte Obstacles. "Northshore"-Stege führen wie Hühnerleitern durch den Wald, sind stellenweise nur handtuchbreit und enden im Nichts. "Das sind Step-downs", sagt Sabine. Die mit Holzplanken überhöhte Kurven heißen Wallrides, Alternativwege Shortcuts.
4900 Höhenmeter Downhill-Vergnügen
Sabine erzählt von der Big-Five-Challenge. Das ist eine Downhill-Runde, in der fünf Bergbahnen benutzt werden, um 72 Kilometer und 4900 Höhenmeter bergab rasen zu können. Obwohl man es auf Skiern oder Snowboards genauso machen würde, blicken alle ein wenig ungläubig drein. Ein Schild stellt klar: "Kein Wanderweg! Radstrecke!" und ein weiteres: "Nur für Geübte mit entsprechender Ausrüstung". Dann sagt jemand: "Bike heil", und los geht es. Wir rollen in Richtung Riederfeldabfahrt, die nun "Hang Man" heißt und über Wurzeln und Felsen am Rande der Skipiste steil nach unten führt.
Der Dreck spritzt ins Gesicht, ganze Erdreichteile wirft der Stollenreifen an die Beine, die Scheibenbremse blockiert, und das Hinterrad, es rutscht über den Pfad. Bremsen. Lenken. Dazwischen sogar ein kleiner Sprung. Der Bikekurs fruchtet. Die Finger schmerzen vom Bremsen. Überhaupt kann Bergabfahren genauso anstrengend wie Bergauffahren sein.
"Hang Man" ist ein hartes Stück Arbeit. Ab der Mittelstation fahren wir dann auf der Freeride-Strecke "Flying Gangster" und wagen uns erst langsam, dann ein bisschen schneller und damit sicherer auf die eingebauten Obstacles: kleine Step-downs, dann leichte Wallrides und kurze Northshores - wenn man erst mal die Sprache verinnerlicht hat, dann kommt der Rest von selbst. Und unten, an der Après-Bike-Bar ordern wir natürlich ein Radler.