
Frankfurter Landebahn eröffnet Merkel auf Kurs Nordwest
Frankfurt am Main - Die neue Landebahn Nordwest des Frankfurter Flughafens ist offiziell eröffnet. Als erstes Flugzeug landete dort am Freitag die Regierungsmaschine mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Die Maschine setzte trotz Nebels pünktlich auf.
Merkel bezeichnete den Ausbau als "Gewinn für den Flughafen, die Region und für das ganze Land". Der Ausbau sei Ausdruck der Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Merkel zeigte sich überzeugt, dass Transport und Logistik als wirtschaftliche Erfolgsfaktoren immer wichtiger würden.
Ein leistungsfähiges Luftverkehrssystem sei ein wichtiger Garant für die Mobilität der Menschen und für die Exportnation Deutschland unverzichtbar, sagte Merkel. Schon die Zahl von 70.000 Beschäftigten zeige, dass der Frankfurter Flughafen ein starker Wachstums- und Wohlstandsmotor sei.
Die neue Landebahn verspreche "neue wirtschaftliche Höhenflüge" für den Flughafenbetreiber Fraport und die Rhein-Main-Region, sagte Merkel. "Ich wünsche allen, die hier ankommen, eine gute und sichere Landung."

Ausnahmen für verspätete Flüge
Die jahrelangen Kapazitätsengpässe am größten deutschen Airport könnten nun beseitigt werden, sagte Stefan Schulte, Vorstandschef des Flughafenbetreibers Fraport. Auch er betonte die Bedeutung des Flughafens als Tor der deutschen Wirtschaft zu Welt. "Diese Funktion kann kein anderer Flughafen in Deutschland übernehmen."
Anwohner der umliegenden Gemeinden sehen das anders und haben vor kurzem vor Gericht ein Nachtflugverbot erreicht, das ab Ende Oktober gilt. Die Entscheidung zu Nachtflügen bereite dem Flughafenbetreiber Sorgen, sagte Schulte. Er kündigte an, dass er mit einer Ausnahmeregel von dem vorläufigen Verbot für verspätete Flieger rechne. Der hessische Verkehrsminister Dieter Posch (FDP) habe ihm eine Lösung innerhalb weniger Tage zugesagt, sagte der Fraport-Chef. Fraport und Lufthansa wenden sich gegen eine strikte Anwendung des Nachtflugverbots für verspätete Flieger. Ausnahmeregeln für solche Fälle seien international absolut üblich, erklärte Schulte.
Als Beispiel führten Fraport und Lufthansa den zweiten Sonntag im September an, bei dem schwere Gewitter den Flugbetrieb in Frankfurt massiv gestört hatten. Die Flüge wurden bis spät in die Nacht nachgeholt. Nach dem vom 30. Oktober an geltenden Nachtflugverbot hätten rund 6000 Passagiere in Frankfurt übernachten müssen, davon rund 4500 der Lufthansa. Das Unternehmen bezifferte die möglichen Kosten auf 800.000 Euro.
Die Landebahn wird erst mit dem Winterflugplan ab 30. Oktober in den Vollbetrieb gehen. Zuvor hatte es heftige Kontroversen um den Neubau gegeben. Auch die Feier der "Erstlandung" war begleitet von Protesten. Im Terminal 2 entrollten Aktivisten von Robin Wood ein Transparent mit der Aufschrift: "Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Flugbewegungen deckeln!" Für den Klimaschutz sei nicht mehr, sondern weniger Flugverkehr nötig. Im nahen Flörsheim versammelten sich Hunderte Demonstranten, um gegen wachsenden Fluglärm zu protestieren.
Verärgerung bei SPD und Grünen
Auch Politiker äußerten Kritik. Die Freigabe der Nordwest-Landebahn sei "alles andere als ein Festtag für die Region", teilten Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) mit. Ihrer Einschätzung zufolge ist die Grenze der Belastung in Rheinhessen durch die neuen Flugrouten schon jetzt überschritten. Daher werde die Landesregierung gemeinsam mit den betroffenen Kommunen gegen die Flugrouten rechtlich vorgehen. Die Kapazitätserweiterung des Flughafens gehe einseitig zu Lasten der rheinland-pfälzischen Bevölkerung. Als Erstes werden Kommunen aus dem Landkreis Mainz-Bingen gegen die neuen Flugrouten von dem Bundesverwaltungsgericht klagen.
Den Angaben der Minister zufolge werden durch die vom Bundesamt für Flugsicherung genehmigten Routen einzelne Ortslagen in Rheinhessen, die südlichen Stadtteile von Mainz und die Innenstadt künftig sowohl durch An- als auch Abflüge das ganze Jahr durch Lärm belastet. "Das ist im Grunde unzumutbar und wird die Menschen gesundheitlich belasten", betonten Höfken und Lewentz. Wegen der neuen Landebahn müsse zudem deutlich tiefer geflogen werden als vor dem Ausbau.
SPD-Fraktionschef Hering hat kein Verständnis für die Eröffnung der Nordwest-Bahn durch Merkel: "Instinktloser war die Kanzlerin nie. Ihre Teilnahme ist eine Provokation für die Menschen." Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen europäischen Krise könnte die Menschen nicht verstehen, dass dieser Termin bei Merkel eine so große Priorität besitze, sagte Hering.
Am Wochenende sollen die Proteste gegen den Fluglärm durch den Flughafenausbau ihren Höhepunkt erreichen. Ein Bündnis aus 70 hessischen und rheinland-pfälzischen Initiativen hat am Samstag zu einer Großdemonstration in Mainz (Beginn 11 Uhr) aufgerufen. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt hat als Zeichen gegen den Fluglärm bereits am Donnerstag eine schwarze Trauerflagge vor dem Rathaus gehisst.
Skepsis bei Fluglotsen
Durch den Neubau soll die Kapazität des größten deutschen Flughafens um 50 Prozent erhöht werden. Die Fluglotsen sind allerdings skeptisch, ob so eine Ausweitung zu schaffen ist. Nach ihrer Ansicht ist das Sicherheitssystem am erweiterten Frankfurter Flughafen so kompliziert, dass die angestrebte Zahl von Flugbewegungen nicht erreicht werden kann. "Wir können froh sein, wenn wir mit dem neuen System und den vier Bahnen genauso viel Verkehr schaffen wie bislang mit drei Bahnen", sagte Markus Siebers, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), am Freitag.
Die mit der neuen Landebahn anvisierte Kapazitätserweiterung auf 126 Flugbewegungen pro Stunde sei nach seiner Einschätzung mit dem nun installierten Verfahren nicht zu erreichen, sagte der Fluglotse vom Frankfurter Tower. Grund seien die zahlreichen sich kreuzenden An- und Abflugrouten des Vier-Bahnen-Systems.
Mit 53 Millionen Fluggästen im Jahr 2010 ist Frankfurt der größte Flughafen Deutschlands. Die Betreiber hoffen, bis zum Jahr 2020 die Zahl der Passagiere auf 88,3 Millionen steigern zu können. Dafür entsteht ein drittes Terminal-Gebäude, dessen erster Bauabschnitt im Jahr 2016 abgeschlossen sein soll.
14 Jahre Streit: Die Chronologie des Flughafenausbaus
November 1997: Lufthansa-Chef Jürgen Weber fordert erstmals den Bau einer weiteren Start- und Landebahn in Frankfurt.
Januar 1998: Die Landesregierung von Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) kündigt eine öffentliche Diskussion an. Die ersten Bürgerinitiativen gründen sich.
Januar 2000: Eine auf Betreiben der Landesregierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) eingerichtete Vermittlergruppe spricht sich für den Ausbau des Flughafens aus, koppelt ihre Empfehlung jedoch an ein "Anti-Lärm-Paket" und ein sechsstündiges Nachtflugverbot.
Juni 2002: Nach monatelanger Prüfung möglicher Standorte für die neue Landebahn durch das zuständige Regierungspräsidium fällt die Vorentscheidung für eine Variante im Nordwesten des Flughafens.
Dezember 2002: Ministerpräsident Koch bekräftigt: "Es bleibt dabei. Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot und kein Nachtflugverbot ohne Ausbau."
September 2003: Fraport beantragt offiziell den Bau der Nordwest-Bahn und eines dritten Terminals. Damit beginnt das Planfeststellungsverfahren. Die neue Landebahn soll 2007 in Betrieb gehen.
Februar 2004: Die Störfall-Kommission des Bundes lehnt eine Landebahn im Nordwesten wegen der vom benachbarten Chemiewerk Ticona ausgehenden Gefahr ab.
November 2006: Die Firma Ticona stimmt nach massivem Druck durch die Landesregierung einer Verlagerung des Chemiewerks zu und erhält dafür 650 Millionen Euro. Damit ist ein wesentliches Ausbauhindernis beseitigt.
September 2007: Ministerpräsident Koch erklärt, das Nachtflugverbot stehe, er könne sich nur "einige wenige Ausnahmen" bei Frachtflügen vorstellen.
Dezember 2007: Das hessische Wirtschaftsministerium genehmigt den Bauantrag und lässt entgegen dem Antrag zahlreiche nächtliche Flüge zu.
Mai 2008: Der Widerstand gegen die Genehmigung gipfelt in einem Protestcamp, das die Gegner in einem für die Landebahn benötigten Waldstück errichten.
Dezember 2008: Der Betreibergesellschaft des Flughafens, Fraport, werden vom Regierungspräsidium Darmstadt 80 Grundstücke übereignet. Das Unternehmen ist somit zur Rodung des Geländes berechtigt.
Januar 2009: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel weist in zwei Beschlüssen alle Eilanträge gegen den Flughafenausbau zurück. Die im Planfeststellungsbeschluss bislang vorgesehenen Regelungen für das Nachtflugverbot werden sich nach Ansicht des VGH allerdings nicht halten lassen. Fraport beginnt mit den Rodungsarbeiten im Kelsterbacher Wald für den Ausbau des Flughafens.
Februar 2009: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe lehnt die Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen des VGH ausnahmslos ab. Damit werden mehrere Rügen gegen den VGH wegen der Ablehnung von Befangenheitsanträgen abgewiesen.
August 2009: Der VGH genehmigt den Ausbau des Flughafens. Die Erweiterungsgegner erringen allerdings einen deutlichen Erfolg: Das Land Hessen muss die Zahl der erlaubten Nachtflüge zwischen 23 Uhr und 5 Uhr im Planfeststellungsverfahren neu regeln. Ansonsten weist der VGH die Klagen gegen das Vier-Milliarden-Projekt ab. Das hessische Wirtschaftsministerium legt Anfang 2010 Revision gegen das Kasseler Urteil beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein.
März 2011: Teilweise Änderung der Flugrouten. Die Deutsche Flugsicherung reicht den Antrag auf südliche Abflugrouten zur Genehmigung ein.
Juni 2011: Ein neuer Kontrollturm geht in Betrieb, weil die Landebahn Nordwest vom alten Tower auf der Südseite des Flughafens nicht ausreichend einsehbar gewesen wäre.
Oktober 2011: Zehn Tage vor der offiziellen Eröffnung der neuen Landesbahn entscheidet der VGH in Kassel zugunsten der Klagen von Anwohnern und verbietet Nachtflüge zwischen 23 und 5 Uhr mit Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest. Das vorläufige Verbot gilt mit Beginn des Winterflugplans am 30. Oktober und bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die Anfang 2012 zu erwarten ist.