"Guide Michelin" Feinschmeckerbibel feiert 100. Ausgabe
Paris - Als der erste "Guide Michelin" im Sommer 1900 erschien, konnte von Feinschmeckerlokalen, Sterneköchen und Menüs zum Preis eines Wochengehaltes noch keine Rede sein. Der "Michelin" war ein Werkstatt-Wegweiser für die weniger als 3000 Autofahrer, die es in Frankreich seinerzeit gab.
Er zeigte ihnen an, wo sie ihren Wagen reparieren lassen konnten und wo sie unterwegs ein Hotelzimmer bekommen würden. Ein gutes Jahrhundert später ist der "Guide Michelin" als Bibel für Liebhaber der gehobenen Küche in 23 Ländern präsent; am Montag erscheint die 100. Ausgabe.
Wer sich heutzutage als Koch einen Stern in der Gastrobibel erarbeitet hat, braucht sich um die Auslastung seines Restaurants keine Sorgen mehr zu machen. Mit einem Michelin-Stern sei ein Medienrummel verbunden, der dem Laden eine Menge neuer Gäste verschaffe, sagt Cédric Maréchal vom Pariser Restaurant "Ze Kitchen Galerie". Als er den ersten Stern bekommen habe, seien mit einem Schlag ein Viertel mehr Leute zum Essen gekommen als zuvor.
Der zweite und dritte Stern zieht nicht nur mehr Gäste an, wie Sterneköche berichten, das Publikum ändert sich grundsätzlich. "Da kommt man in eine Elite", sagt Philippe Etchebest, der in der "L'Hostellerie de Plaisance" im südwestfranzösischen Saint-Emilion kocht. "Die Leute kommen dann wirklich, um die Küche eines Meisterkochs zu probieren. Manchmal sind sie durch ganz Frankreich gefahren oder über den Atlantik gereist, um bei einem zu essen."
Sternstunden für Gourmets
Nicht mehr als 72 Meisterköche weltweit können sich glücklich schätzen, mit drei Sternen ausgezeichnet zu sein. In der "Michelin"-Sprache bedeutet das: Ihre Küche ist nicht nur einen Umweg, sondern eine Reise wert. Insgesamt 1973 Sterne vergibt der Feinschmeckerführer in der neuen Ausgabe. Um die besten Restaurants zu finden, sind 90 Tester beim Verlag angestellt.
Für Deutschland gibt es seit 1910 einen "Guide Michelin", seit 2005 erscheint eine Ausgabe für die Vereinigten Staaten und seit vergangenem Jahr sogar für Hongkong und Macao.
So mancher Sternekoch hat aber den Eindruck, dass der Einfluss der Gastrobibel schwindet - wobei die kritischeren Köche vor allem jene sind, die einen Stern wieder verloren haben. "Michelin funktioniert nach einem Prinzip von 1900, das einem bestimmten Zeitalter entspricht", sagt Jacques Thorel, der seinen zweiten Stern für die "Auberge Bretonne" in Nordfrankreich eingebüßt hat.
Das meint auch sein Kollege Guy Martin vom berühmten "Grand Véfour" in Paris, der einen von drei Sternen verloren hat: "Heute gibt es viele Führer, andere Kommunikationsmittel wie das Internet und viel Presse", sagt Martin.
Moderne Zeiten hin oder her - die Köche sind sich einig, dass letztlich nicht ein Gastronomieführer über den Erfolg eines Restaurants bestimmt. "Der oberste Richter ist der Gast", sagt Eric Westermann vom Sternelokal "Buerehiesel" in Straßburg.
Dominique Ageorges, AFP