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Extrembergsteiger Kammerlander: Gipfelerfolge mit Fragezeichen

Foto: Archiv Hans Kammerlander

Kammerlanders "Seven Second Summits" Auf dem falschen Gipfel

Der Extrembergsteiger Hans Kammerlander ließ sich im Januar in der Antarktis feiern: als erster Mensch, der auf den zweithöchsten Gipfeln aller sieben Kontinente stand. Doch nun häufen sich Belege dafür, dass das nicht stimmt - wegen peinlicher Pannen bei der Touren-Vorbereitung.
Von Andreas Lesti

Es herrschte klirrende Kälte in der Antarktis. Hans Kammerlander stieg am 3. Januar 2012 die letzten Meter hinauf zum Gipfel des Mount Tyree. Auf 4852 Meter streckte der Südtiroler Bergsteiger die Arme in die eisige Luft. Denn er war sich sicher, als erster Mensch die zweithöchsten Berge aller sieben Kontinente bestiegen zu haben. Damit habe er das Rennen um die "Seven Second Summits" für sich entschieden und "einmal mehr Alpingeschichte geschrieben", wie er bald darauf verkündete. Doch jetzt deutet vieles darauf hin, dass Kammerlander 2010 und 2011 zweimal nicht auf dem richtigen Gipfel war - sein Erfolg darf also nicht gewertet werden.

Für Profibergsteiger wie den 55 Jahre alten Kammerlander ist es immer schwieriger geworden, sich mit spektakulären Gipfelstürmen zu vermarkten: Die bekanntesten Berge der Welt sind längst bestiegen. So kam man auf die absurd anmutende Besteigungsserie der zweithöchsten Gipfel, die schwieriger zu besteigen sind als die sieben Höchsten. Während der Amerikaner Dick Bass das Projekt "Seven Summits" bereits im April 1985 vollenden konnte, gelten die sieben zweithöchsten Berge seit vielen Jahren als letzte große Gipfelsammler-Herausforderung neben dem Ziel, sämtliche 14 Achttausender im Winter zu besteigen.

Im alpinen Wettrennen wurden schon manchmal die Grenzen der Wahrheit überschritten. So musste vor zwei Jahren der Österreicher Christian Stangl, ebenfalls ein Anwärter auf die "Seven Second Summits", eingestehen, dass er, anders als behauptet, nicht auf dem K2 war, sondern sich den Gipfelerfolg "nur eingebildet" habe.

Warum ist keine Eisaxt am Gipfel zu sehen?

Nun gibt es auch bei Hans Kammerlander, der in seiner Karriere zwölf Achttausender und viele weitere schwierige Gipfel bestiegen hat, erhebliche Zweifel. War Kammerlander wirklich auf dem Gipfel des Mount Logan, einem Berg im Nordwesten Kanadas? Im Mai 2010 versuchte er, gemeinsam mit seinem Südtiroler Bergführerkollegen Konrad Auer den mit 5959 Meter zweithöchsten Gipfel Nordamerikas zu erklimmen. Sie stiegen bei gutem Wetter auf, erreichten eine Schneekuppe, und Auer machte von Kammerlander ein Foto.

Dieses Foto steht nun im Zentrum des Zweifels. Der norwegische Bergsteiger Petter Bjørstad stand am 3. Juni 2009 auf dem Gipfel des Mount Logan und hat das auf seiner Homepage  in Wort und Bild dokumentiert: "Der Hauptgipfel ist ein sehr scharfer Grat. Auf dem Gipfel steht eine Eisaxt, die irgendjemand vor vielen Jahren dort oben gelassen hat. Ein Markierungspunkt, der trotz Wind und Wetter noch lange präsent und sichtbar sein wird." All das ist auf Bjørstads Bildern zu sehen. Und all das ist nicht mit Kammerlanders Gipfelbild  vereinbar.

Seit Hans Kammerlander aus der Antarktis zurückgekommen ist, hält er in Deutschland, Österreich und in der Schweiz Vorträge mit dem Titel "Seven Second Summits". Nun beginnt er selbst an seinen Angaben zu zweifeln. "In Nordamerika ist eine kleine Unklarheit entstanden", sagte er, mit den Fragen konfrontiert. "Aber wenn das so ist, dann handelt es sich lediglich um eine Verwechslung, nicht um eine Lüge mit böser Absicht." Wenn er das bewusst gemacht hätte, so Kammerlander, dann hätte er ein Bild gemacht, das überhaupt nichts zeigt. "Aber in diesem Moment war ich mir hundertprozentig sicher, dass das der richtige Punkt ist." Dennoch sind seine eigenen Zweifel so groß, dass er nun, "um alle Fragen zu klären", zum Mount Logan zurückkehren und dort einen Flug über den Berg unternehmen wird. "Wenn ich dann sehe, dass ich den Gipfel verwechselt habe, dann möchte ich das sofort richtigstellen und werde den richtigen Gipfel besteigen", sagte er.

Keine Übereinstimmung mit anderen Gipfelfotos

Tatsächlich sollten die Anforderungen, die der Mount Logan stellt, kein Problem für Kammerlander darstellen. Der Südtiroler hat immer wieder mit spektakulären Projekten von sich reden gemacht: So bezwang er vor 20 Jahren in 24 Stunden vier Mal das Matterhorn über alle Grate. Diesen Ruf, den er sich erstiegen hat, will der Bergsteiger nun nicht aufs Spiel setzen.

"Dieses Foto kann nicht auf dem Gipfel des Mount Logan entstanden sein", sagt auch Eberhard Jurgalski, ein Bergchronist und Forscher, der seit mehr als 30 Jahren alle wichtigen Bergbesteigungen verzeichnet und fragliche Fälle prüft. Der deutsche Alpinismusexperte hat das Kammerlander-Foto mit Gipfelbildern anderer Bergsteiger verglichen und findet keine Übereinstimmung. "Alle anderen Bilder zeigen einen scharfen Gipfelgrat. Bei Kammerlander ist dagegen ein plateauartiger Abschnitt zu sehen." Hinzu käme die alte Eisaxt, die im Schnee steckt und etwa 30 Zentimeter herausragt, mit rotem Schaft, einem Aufkleber und Panzertape umwickelt - ein Wiedererkennungssymbol, das auf fast allen anderen Fotos und in einem Video des kanadischen Bergführers Rich Prohaska  zu sehen ist. "Ich habe keine Eisaxt gesehen", sagt Kammerlander. "Wenn da eine Eisaxt sein soll, dann verstehe ich die Welt nicht mehr."

Die Eisaxt am Gipfel ist von vielen Bergsteigern vor und nach Kammerlanders Gipfelgang fotografiert worden. Der Brite Sean James und der Österreicher Christian Stangl, die beide ebenfalls die "Seven Second Summits" im Blick haben, waren am 10. Mai 2010 und am 22. Mai 2010 auf dem Gipfel und haben Fotos von der Eisaxt gemacht. Kammerlanders Gipfelgang war am 20. Mai 2010.

Ist es also möglich, dass Kammerlander sich einfach nur getäuscht hat und unwissentlich auf dem falschen Gipfel stand? Der Mount Logan hat ein flächiges, vergletschertes Gipfelplateau. Im Westen erhebt sich daraus der Westgipfel, 5925 Meter hoch, etwa zwei Kilometer weiter östlich der Hauptgipfel, nur 34 Meter höher. "Der Mount Logan hat eine Reihe von Gipfeln mit deutlichen Satteln dazwischen", erklärt Bjørstad. "Von der Normalroute aus ist der Westgipfel einfacher zu erreichen als der Hauptgipfel. Daher gehen einige Expeditionen nicht auf den Haupt-, sondern auf den Westgipfel." Jurgalski schlussfolgert daraus: "Kammerlander hat wohl einfach geglaubt, dass er auf dem Hauptgipfel war."

"Da soll eine Eisaxt sein? Wir haben nichts gesehen"

Doch für gewöhnlich wird eine solche Expedition genau geplant, es gibt Karten, Routen, Foren im Netz. Kammerlander gilt zwar als etwas nachlässig, als Lebemann, der nicht zu viel Zeit mit großen Vorbereitungen verschwendet. Doch auch sein Seilpartner Konrad Auer, ein ausgebildeter Bergführer, müsste sich getäuscht haben. "Wir hatten keine topografische Karte dabei, nur eine grobe Skizze", sagt Auer nun. "Das ist schon komisch. Da soll wirklich eine Eisaxt sein? Wir haben nichts gesehen."

Weitere Fragen wirft ein zweiter von Kammerlanders "Seven Second Summits"  auf. Nicht die Besteigung selbst, sondern die richtige Wahl des Gipfels. Denn der Puncak Trikora, ein Berg in Indonesien, den Kammerlander im April 2011 bestiegen hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der zweithöchste Berg Ozeaniens. Laut Radarmessungen des Nasa-Shuttles "Endeavour" aus dem Jahr 2000 ist das der Puncak Mandala.

Tom Farr, bei der Nasa in der "Earth and Space Sciences Division" tätig, schickt die entsprechenden Höhendaten: Mandala: 4737 Meter, Trikora: 4711 Meter. Farr schränkt jedoch ein: "Durch die Feldmessung könnte der höchste Punkt in beiden Fällen theoretisch auch verpasst worden sein." Berg-Experte Jurgalski ist sicher, dass der Puncak Mandala der "Second Summit" Ozeaniens ist, weil vor den Nasa-Messungen nur ungenaue Höhenangaben einiger Berge in Ozeanien vorlagen. "Wenn Hans Kammerlander eine offizielle Besteigungsserie beenden will, dann sollte er sich vorher genau über die Höhendaten informieren", sagt Jurgalski. "Das ist schade, denn früher, in der Pionierzeit, haben Geografen und Bergsteiger gut zusammen gearbeitet. Da wäre so etwas nicht passiert."

Kammerlander bezieht sich dagegen auf das indonesische Tourismusministerium, bei dem er seine Informationen angefordert habe. Er scheint noch nie von einem Berg namens Puncak Mandala gehört zu haben. Leicht resigniert sagt er: "Dann war ich da also auch auf dem falschen Gipfel. Aber mit so lächerlichen Sachen spiele ich nicht rum. Deswegen fahre ich da nicht auch noch mal hin."

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