"Hotel Very Welcome" Freiheit, Abenteuer, Einsamkeit
SPIEGEL ONLINE: Woran erkennt man eigentlich einen typischen Backpacker?
Heiss: Der Backpacker hat einen Rucksack und im Normalfall sieht er ein bisschen lässiger aus als der Pauschaltourist. Und er trägt oft eine Art Backpackermode. In Indien gibt es eine bestimmte Sorte von Trägershirt und Hosen. Oder in Thailand zum Beispiel die Wickelhose, die Fishermen's Trouser. Backpacker sehen darin oft wahnsinnig gut aus.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Motive der Backpacker?
Heiss: Es gibt spirituelle Reisende wie Marion in meinem Film. Dann solche wie die Engländer Josh und Adam, die im Grunde nur reisen, weil sie Party machen wollen, Frauen suchen. Das ist so eine Art von Backpacking, die sich schon an der Schwelle zum Massentourismus befindet. Der Ire Liam entspricht einem sehr ursprünglichen Bild eines Backpackers, welches schon immer, seit der Hippie-Zeit, existierte. Er kifft sich durch Indien und versucht, ins Land einzutauchen. Bei jedem Charakter ist etwas von mir drin, was ich erlebt habe, was ich gemacht habe.
SPIEGEL ONLINE: Ist die heutige Backpacker-Generation anders?
Heiss: Früher sind die Reisenden dorthin gefahren, wo wirklich vorher noch niemand war, da die meisten Plätze noch unentdeckt waren. Damals brauchte man mehr Geld, Vorbereitungszeit, Mut - und man war schon fast ein Aussteiger, wenn man nach Südostasien gereist ist. Heute kann man backpacken, auch wenn man kein extrem abenteuerlustiger Mensch ist. Man kauft sich den Reiseführer Lonely Planet und fährt nach Thailand. Heute gibt es dort so viele Backpacker, dass das Rucksackreisen schon auf der Schwelle zum Massentourismus balanciert. Auch in Indien gibt es Backpacker-Autobahnen, Reiserouten, auf denen alle entlang reisen. Wobei einem in diesem Land doch noch so einiges Unerwartetes begegnet.
SPIEGEL ONLINE: Ist Reisen heute einfacher?
Heiss: Auf jeden Fall, denn Reisen ist einfach billiger und die Organisation wesentlich unkomplizierter. Fun-Backpacken nach Thailand zum Beispiel: Man bucht im Internet ein Ticket nach Bangkok wie viele andere auch, mit denen man Abi gemacht hat. Es ist nicht teuer, und dann geht's los: Party machen, Frauen kennen lernen, ein bisschen Tauchen vielleicht - und dann noch einen Tempel anschauen.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Film ist wunderbar ironisch, voller Situationskomik und doch traurig. Es geht viel um Einsamkeit und um die Erkenntnis, dass man seinen Problemen nicht entfliehen kann.
Heiss: Der Film dreht sich um bestimmte Problembilder einer Generation und um den Wunsch, das Problem irgendwo anders hin mitzunehmen, um es dort loszuwerden.
SPIEGEL ONLINE: Funktioniert das?
Heiss: Ein Problem auf Reisen zu lösen ist ganz schwer. Wenn einem klar wird, dass man ein Problem mitgenommen hat und es nicht los wird, dann ist man in so einem fremden Land ganz besonders einsam.
SPIEGEL ONLINE: So wie Marion, die in Ihrem Film in einem indischen Ashram ihr Beziehungsproblem lösen will ...
Heiss: Marion ist in ihrer Beziehung unglücklich, sie fährt weit weg, um darüber nachzudenken. Würde es ihr dort gut gehen, würde sie vielleicht ihre Beziehung nicht mehr wollen. Doch es geht ihr nicht wirklich gut, und zudem wendet sich ihr Freund von ihr ab - und auf einmal will sie ihn doch wieder. Es ist in der Ferne viel schwieriger, das Problem zu beurteilen.
SPIEGEL ONLINE: Man fährt weg, und das Problem wird größer?
Heiss: Ja, das Einzige, was manchen Leuten gelingt, ist, dass sie ihr Problem vergessen. Man kann sich bis zu einem gewissen Grad ablenken. Eine Figur wie Liam könnte zwar ein bisschen mehr Glück haben, und es noch mehr verdrängen. Aber das Problem bleibt trotzdem. Und früher oder später muss er ja auch wieder nach Hause.
SPIEGEL ONLINE: Sie nehmen die Probleme Ihrer Protagonisten mit Humor ...
Heiss: Ich nehme die Probleme der Figuren ernst, aber nicht zu ernst. Gerade in Ländern wie Thailand und Indien haben die Leute ja ganz andere, existenziellere Probleme. Daher wollte ich immer ein Augenzwinkern dabei haben.
SPIEGEL ONLINE: ... und es gibt jede Menge Missverständnisse.
Heiss: Missverständnisse sind für mich ein Teil von weit weg Reisen. Es ist anstrengend, aber auch sehr lustig. Thailänder haben ein wahnsinniges Problem, bestimmte englische Worte auszusprechen und zu verstehen, dabei entstehen absurde Gespräche wie bei Svenja. Ihr Telefonat mit einem thailändischen Reisebüroangestellten ist ein einziges Missverständnis und ein schöner dadaistischer Humor. Kulturelle Missverständnisse sind ein gutes Bild dafür, dass sich diese Völker nur bis zu einem bestimmten Grad verstehen und annähern können.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben den Spielfilm halbdokumentarisch angelegt.
Heiss: Bei diesem Thema hat es sich angeboten, weil es in der Realität beim Reisen Dinge gibt, die man gar nicht inszenieren kann. Meine Grundidee war, dass man das Backpacken realistischer zeigt als in Filmen wie "The Beach" zum Beispiel, der das Backpacken mystifiziert.
Moderne Bildsprache statt Ethnokitsch
SPIEGEL ONLINE: Tolle Aufnahmen, Einstellungen, aber keine typisch schönen Landschaften wieso nicht?
Heiss: Wir wollten den klassischen Ethnokitsch, den man in vielen Dokumentarfilmen und Spielfilmen in und über Indien hat, auf jeden Fall vermeiden. Wir wollten eine moderne Bildsprache finden, die nicht daran erinnert, was man schon tausendmal gesehen hat: Frauen in orangen Saris waschen Wäsche am Ganges, stattdessen vielleicht mal ein Internetcafé und damit die Welt, in der sich die Backpacker auch befinden. Es ging darum, sich in dem Mikrokosmos der Backpacker aufzuhalten. Trotzdem gibt es ja auch wunderschöne Wüsten-Totalen aber es ist kein Kitsch.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben vier Monate in Indien und Thailand gedreht und als Backpacker in Hostels gewohnt. Wie war das?
Heiss: Es war wichtig, dort zu wohnen, wo die anderen Backpacker wohnen und nicht einfach zu Besuch zu kommen. Genauso bei den Partys. Da haben die Schauspieler mitgemacht. Aber es war wahnsinnig anstrengend: Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen, weil wir die Party gefilmt haben. Wir konnten aber tagsüber auch nicht schlafen, weil es in der Hütte 43 Grad hatte.
SPIEGEL ONLINE: Was muss man dabei haben als Backpacker?
Heiss: Vor allem ganz wenig. Ich würde auf Bücher nicht verzichten, weil man so viel Zeit hat. Man braucht Badelatschen, Badezeug und ganz wenig zum Anziehen. Was ich noch mitnehme ist eine Reiseapotheke, wobei man in Indien auch alles bekommen kann. Außerdem eine Taschenlampe und eine Art Leinenschlafsack und eine Rolle Klopapier.
Das Interview führte Antje Blinda