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Grönland-Expedition: Das Kreuz mit dem Kite

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Kiteskiing in Grönland Voll neben der Schnur

Die Tage, an denen man das Segel nutzen kann, sind die besten auf einer Grönland-Eistour. Dann lassen sich große Distanzen in kurzer Zeit bewältigen. Doch der Lenkdrachen hat seine Tücken - und entschieden zu viele Steuerleinen.

26 ziemlich dünne Schnüre in den Farben Gelb, Rot und Blau, ein Lenkstab und ein 16 Quadratmeter großes Kunststoffsegel: Dieses Konstrukt soll die Fortbewegung auf dem Eis erheblich vereinfachen. Eigentlich.

Stab hochziehen, Segel kommt hoch. Dann auf Skiern einfach ziehen lassen und viel bremsen mit Schneepflug. Klingt nicht allzu kompliziert. Klappt auch für ein paar Meter gut, bis das Segel plötzlich unerwartet zur Seite ausbricht. Vollbremsung, Schneepflug. Voll über die Schnüre, die scharfen Skikanten sägen dabei drei gelbe durch. Stehenbleiben, Fäden raussuchen, mit Knoten flicken.

Improvisieren ist für uns Grönland-Abenteurer inzwischen nicht Neues: Geplant hatten wir eigentlich eine 700-Kilometer-Tour quer über das Inlandeis, immer auf den Spuren meines Großvaters Roderich Fick. Er hatte die Überquerung im Juli 1912 mit einem schweizerisch-deutschen Team geschafft. Und ich habe mich zusammen mit dem Vermessungskunde-Professor Wilfried, dem Mechaniker Jan und dem Geografen Gregor auf dieselbe Route begeben - leider weniger erfolgreich als die Expedition vor hundert Jahren: Unser Vorhaben scheiterte bereits in der ersten Woche, weil zwei der Schlitten kaputtgingen.

Nun übe ich mich also im Drachenflicken. Nach 20 Minuten ein neuer Versuch. Die Schnüre sind jetzt offenbar sauer, weil ich sie so schlecht behandelt habe. Sie rächen sich, indem sie sich wie wild verdrehen und verheddern. Plötzlich rotiert das Segel vor mir nur noch, dreht sich immer weiter. Will man die Fäden wieder zurechtrütteln im Wind, lässt sich das Wollknäuel nur noch schwerer entwirren.

Für eine Stunde allein

Und schon ist der Segelausflug für mich vorbei. Unentwirrbarer Schnursalat. Ich packe das Segel zusammen und laufe fluchend auf Skiern hinter den anderen her, die schon am Horizont verschwunden sind. Mit Windkraft schaffen sie problemlos um die 15 km/h, zu Fuß schaffe ich maximal sechs. Eine schweißtreibende Stunde dauert es, bis ich sie eingeholt habe.

Wir beschließen, das Segel erst im nächsten Camp zu flicken, um jetzt noch den guten Fahrtwind zu nutzen. "Bei einer anderen Expedition hat das Entwirren schon mal drei Stunden gedauert", sagt Wilfried. Ich nehme auf Gregors Pulka Platz als Passagier, Wilfried hängt meinen Zugschlitten hinter seinen. Drei Leute segeln, einer sitzt.

Und der ist schlecht gelaunt, eigentlich schon seit dem Aufstehen. Denn heute ist der Tag, an dem wir umkehren. Vorher konnte ich noch für manche Stunde verdrängen, dass wir kläglich gescheitert sind wegen der kaputten Schlitten. Jetzt kann ich das nicht mehr, weil wir zurück nach Osten reisen. Wir sind bis zum Polarkreis gegangen und haben entschieden, von dort auf der historischen Route von 1912 zur Ostküste zu laufen, um wenigstens einen anderen Rückweg zu haben.

Schöne Etappe, schlimme Etappe

Einen allerdings ziemlich interessanten Rückweg: Denn beinahe auf den Tag genau vor hundert Jahren legte mein Opa die gleiche Strecke zurück. Für ihn waren die Etappen hier die schönsten auf der ganzen Tour. Erstmals seit Wochen, in denen sie rundum nur Eis gesehen hatten, konnten die Arktisforscher Berge am nordöstlichen Horizont ausmachen. Sie waren nun voller Hoffnung, tatsächlich ihr Ziel zu erreichen.

Welch Ironie, dass ich an gleicher Stelle den schlimmsten Tag meiner Inlandeisreise erlebe. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser ausgezeichnet harmonierenden Vierergruppe weit gekommen wären auf dem Eis. Die nächsten drei Wochen hätten durch monotones, aber nicht extrem schweres Gelände geführt - eher eine mentale als eine körperliche Prüfung. Erst die Schlusstage der Tour wären wieder zum physischen Härtetest geworden. Doch nun werden wir nur knapp 300 Kilometer auf dem Eis gehen statt wie geplant 700.

Es muss ein sensationelles Gefühl sein, nach einer langen Reise durch die Kälte auf der anderen Seite der größten Insel der Welt herauszukommen. Doch statt darauf hoffen zu können, sitze ich jetzt rittlings auf einem Schlitten wie ein Kleinkind auf einem Buggy und lasse mich durchs Eis kutschieren. Weil ich zu blöd bin, um ein Lenksegel zu bedienen.

Filigranarbeit in eisiger Kälte

Die Reparatur am Abend ist eine echte Geduldsprobe. Wir lösen alle 26 Schnüre einzeln aus dem Knäuel heraus und hängen sie neu sortiert wieder in die vorgesehenen Karabiner. Gerade ist die Sonne untergegangen, es herrschen Minusgrade, die Hände werden so kalt, dass sie kaum noch zu bewegen sind.

Mehr als eine Stunde sind wir zu viert damit beschäftigt, dann können wir das Ding endlich testen. Wilfried zieht die Steuerstange hoch. Alles am richtigen Platz! Mit Jubelschreien springt er an dem Lenkdrachen über das Eis.

Dann übe ich noch ein paar Mal ohne Pulka und Ski die Steuerung des Segels. Am nächsten Morgen habe ich das Ding perfekt im Griff, es gehorcht auf jedes Kommando. Allerdings nur für etwa 500 Meter. Denn der Wind, bislang ein zuverlässiger und häufig nerviger Begleiter unserer Reise, will plötzlich nicht mehr blasen. 10 km/h. 5 km/h. Dann totale Flaute.


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Wir legen fluchend die Segel zusammen. Wir wissen: Auf den nächsten Tagesetappen können wir sie nicht nutzen, weil dann wieder Gletscherspalten zu überwinden sind. Für den Rest der Tour werden wir die Segel nicht mehr auspacken.

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