
Profikletterer im Bild Ein Fotograf geht steil

Jan Vincent Kleine, Jahrgang 1985, hat Wirtschaftsingenieurwesen und VWL in Hamburg und Göttingen studiert und bei Werbefotografen assistiert. Seit vier Jahren arbeitet Kleine als Outdoor- und Abenteuerfotograf und begleitet einige der größten Namen im Klettersport.Website:Jan Vincent Kleine
SPIEGEL ONLINE: Herr Kleine, wenn Profikletterer wie Alexander Huber oder Magnus Midtbø aus Norwegen Felswände besteigen, sind Sie mit ihrer Kamera dabei. Müssen Sie beim Klettern ähnliche Qualitäten beweisen?
Kleine: Nein, zum Glück nicht. Wenn die Route auf einfacherem Weg - zum Beispiel über einen anderen Aufstieg - erreichbar ist, seile ich mich in die Wand ab. Die andere Variante: Die Profis klettern vor und hängen ein Fixseil ein, an dem ich dann von unten aufsteige.
SPIEGEL ONLINE: Was macht eine gute Kameraposition aus?
Kleine: Meistens steige ich in enger Absprache mit den Athleten einmal durch die Route, um mögliche Blickwinkel auf die schwierigsten Passagen auszukundschaften. Im Idealfall kommen tolle Szenerie, athletische Herausforderung, Emotionen, passendes Licht und Tiefenwirkung in einem Bild zusammen.
SPIEGEL ONLINE: Die Kletterer tragen höchstens einen Magnesiumbeutel - was müssen Sie alles nach oben schleppen?
Kleine: In der Regel ein bis zwei Kameras und zwei Objektive, das sind vielleicht drei Kilo. Am Gurt hängen dann jede Menge Karabiner, Schlingen, zuweilen ein Sitz und allerlei technisches Gerät, um mich frei in der Wand zu positionieren. Damit kein Seil im Bild hängt oder gar die Kletterer irritiert, nehme ich überschüssiges Seil mit hinauf. Bei einer 300 Meter Route sind das zum Ende hin schnell über 20 Kilo reines Seilgewicht, das man klimmzugartig jeden Meter mit hochhieven muss. Das geht in die Arme.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben zu Beginn in der Werbefotografie gearbeitet und dann Ihren Schwerpunkt auf Outdoorfotografie verlagert - warum?
Kleine: Den Ausschlag gab wohl 2005 zu Abi-Zeiten eine "Geo"-Fotostrecke über Norwegen mit wahnsinnig schönen Berglandschaften, die mich nicht mehr losgelassen haben. Ich unternahm Wanderungen in die nordskandinavische Pampa, um dort die große Freiheit zu spüren. Später folgten sehr lange, harte Treks in die Wildnis, dann kam die Begeisterung fürs Klettern dazu. Wenn meine Arbeit Leute inspiriert, rauszugehen und die Natur und Outdoorsport für sich zu entdecken, bin ich sehr glücklich.

Fotograf Jan Vincent Kleine in Shooting-Position am Felsentor auf Mallorca
Foto: Jan Vincent Kleine
SPIEGEL ONLINE: Was ist das Schönste an Ihrer Arbeit?
Kleine: Ich bin dankbar dafür, sechs Monate jährlich zu reisen und all diese wunderbaren Orte zu entdecken. Was mich aber am meisten stimuliert: Ich arbeite mit Leuten zusammen, die für das brennen, was sie tun. Dienst nach Vorschrift ist ein Fremdwort. Was zählt, ist das Ziel - entgegen allen Widerständen, Schmerzen und Rückschlägen.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Herausforderungen in der Kletterfotografie?
Kleine: Nur ein Beispiel: Am optimalen Licht kann ich mich - im Gegensatz zu anderen Fotografen - nicht immer orientieren. Wenn sich die Athleten an ihrer absoluten Leistungsgrenze bewegen, geht der sportliche Aspekt vor. Manchmal entstehen durch ungünstige Gegebenheiten aber auch tolle Ergebnisse .
SPIEGEL ONLINE: Erzählen Sie...
Kleine: In Verdon mussten wir im März in brütender Hitze viele Stunden vor der ikonischen Route "Tom et je Ris" warten, da die Wand belegt war. Als die Sonne unterging, wurde die Route frei und wir sind mit dem letzten Licht rein. Der obere Wandabschnitt leuchtete in strahlendem Goldorange und der untere, schon im Schatten der Schlucht liegende Teil war blau. Das sind Glücksmomente für mich als Fotografen.
SPIEGEL ONLINE: Wie lernen Sie die Kletterer kennen - zum Beispiel Midtbø, der auf vielen Ihrer Fotos Protagonist ist?
Kleine: Bei Magnus war es sein amüsanter Instagram-Account, der mein Interesse weckte. Ich kontaktierte ihn, und ein paar Tage später sind wir zusammen nach Mallorca geflogen, um uns bei einem Deep-Water-Soloprojekt kennenzulernen. Ich mag ihn, weil er nicht nur ein Ausnahmeathlet ist, sondern nebenbei auch für allerlei Späße zu haben ist. Das macht es sehr spannend, mit ihm zu arbeiten, weshalb ich viel und gerne mit ihm unterwegs bin.
SPIEGEL ONLINE: Sie fotografieren ihn auch bei sogenannten Free Solos, ungesichertes Klettern an der Wand .
Kleine: Ja, ein durchaus kontroverses Thema. Ein falscher Griff bringt den sicheren Tod. Auf der einen Seite ist es die purste Form des Kletterns, die maximale Konzentration und absolute Selbstbeherrschung erfordert. Kritiker hingegen sehen darin unnötiges Risiko. Solche Situationen lassen mich auch über meine eigene Rolle reflektieren. Würde es genauso passieren, wenn ich nicht dabei wäre? Gibt es bewusst oder unbewusst die Bereitschaft, mehr zu riskieren, weil ich gewissermaßen das Publikum repräsentiere? Als Fotograf versuche ich, in Anbetracht gefährlicher Unternehmungen so neutral wie möglich zu agieren und weder anzutreiben, noch zu bremsen. Aber eine latente Frage nach Mitverantwortung bleibt schon.
SPIEGEL ONLINE: Wie erleben Sie die Profis beim Klettern?
Kleine: Es gibt die Phrase "to be in the zone". Das beschreibt den Moment, in dem unter maximaler körperlicher und mentaler Konzentration alles Externe ausgeblendet wird und die Welt auf den nächsten Griff zusammenschrumpft. Das ist allen Top-Athleten, die ich kenne, gemein.
SPIEGEL ONLINE: Ist Ihnen beim Klettern schon mal etwas passiert?
Kleine: Ich bin 2014 beim Sprung über die Kluft zwischen den beiden Pfeilern des Svolværgeita auf den Lofoten sehr unglücklich umgeknickt. Einige Monate späte stellte sich heraus, dass dabei ein paar Bänder im Sprunggelenk gerissen waren. Dank der famosen Arbeit einiger Top-Ärzte bin ich zum Glück seit März wieder voll belastbar.
SPIEGEL ONLINE: Welchen Outdoor-Abenteurer würden Sie gerne mal vor der Linse haben? Sie arbeiten ja auch an einer Porträtserie.
Kleine: Ich würde mir gerne mal selbst ein Bild von Reinhold Messner und Sir Ranulph Fiennes machen, die alte Garde, die noch wirkliches Neuland betreten konnte. Wo Sie das gerade ansprechen: Ich werde den Herren gleich mal schreiben.