Mieses Krisenmanagement Luftfahrtverband wütet gegen Europas Regierungen

Keine Gespräche, keine Koordination, keine Führung - der Weltluftfahrtverband IATA übt harsche Kritik am Krisenmanagement der EU-Staaten. Die Behörden in Deutschland haben den Luftraum jetzt bis Dienstag um 2 Uhr gesperrt, die Wolke zieht auch in Richtung Nordamerika.
Mieses Krisenmanagement: Luftfahrtverband wütet gegen Europas Regierungen

Mieses Krisenmanagement: Luftfahrtverband wütet gegen Europas Regierungen

Foto: Luca Bruno/ AP

Eyjafjallajökulls

Hamburg - Die Folgen des Vulkanausbruchs auf Island erhitzen die Gemüter in Europa: Deutsche Fluggesellschaften kritisieren die Bundesregierung wegen der Sperrung des Luftraums scharf, die Internationale Luftfahrtvereinigung Iata wirft den EU-Staaten einen unprofessionellen Umgang mit der Aschewolke des vor. Gleichzeitig mussten in den vergangenen Tagen in etwa 30 Staaten Zehntausende Reisende wegen abgesagter Flüge auf Fähren, Züge oder Mietwagen umsteigen oder saßen an Flughäfen fest.

Iata-Präsident Giovanni Bisignani sagte am Montag in Paris, es gebe "keine Risikoeinschätzung, keine Konsultation, keine Koordinierung und keine Führung" in der EU. Sicherheit gehe natürlich vor. Doch in einer solchen Krisenlage habe es fünf Tage gedauert, bis die EU-Kommission eine Videokonferenz zustande gebracht habe. Erst am Montagnachmittag wollen die Verkehrsminister über Wege aus dem seit Tagen anhaltenden Chaos im Luftverkehr beraten.

Die Entscheidungen über Luftraumschließungen dürften nicht nur von Computermodellen abhängen, forderte Bisignani, sondern müssten auf Fakten gründen. Die Lufträume müssten schnell auf der Grundlage der bei Tests ermittelten Daten geöffnet werden, sobald die Fakten vorlägen. Die Fluggesellschaften verlören jeden Tag mindestens 200 Millionen Dollar (148 Millionen Euro) wegen der Flugverbote, sagte Bisignani. Für den Flugverkehr sollten "zumindest einige Korridore" freigegeben werden.

Lufthansa: Regierung soll Daten von Testflügen nutzen

Lufthansa

Auch in Deutschland spitzte sich der Disput zwischen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und den Fluggesellschaften am Wochenende zu. -Chef Wolfgang Mayrhuber erklärte am Sonntagabend im ZDF-"heute-journal", er halte "es für ungeheuerlich, der Lufthansa oder den deutschen Airlines zu unterstellen, dass sie Umsatz vor Sicherheit stellen". Die heutigen Sicherheitsstandards in der Luftfahrtindustrie seien "mitnichten durch Ministererlässe erreicht" worden, sondern durch die solide Arbeit dieser Industrie.

Ramsauer hatte zuvor erklärt, er werde sich nicht von "Fluglinien unter Druck setzen lassen". Für ihn gelte Sicherheit an erster Stelle. Er werde es niemals zulassen, "dass gegen den Verlust von Umsätzen das Risiko für Leib und Leben von Reisenden gegen gerechnet wird".

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Aschewolke über Europa: Chaos an den Flughäfen (vom 19.4.2010)

Foto: LUCAS JACKSON/ REUTERS

Die Lufthansa   wie auch andere Fluglinien fordern, dass mit vorliegenden Daten gearbeitet werden müsse. Viele Fluggesellschaften hätten Testflüge absolviert, sagte Mayrhuber im ZDF. Bei der Überprüfung der Aschewolke seien sie zu dem Ergebnis gekommen, "dass die Durchmischung mittlerweile so groß ist, dass hier keine Gefahr besteht". Auf die Frage, ob in Europa der Flugbetrieb derzeit möglich sei, sagte Mayrhuber: "Ja, das sagen wir ganz klar", auch wenn es vielleicht "Eingrenzungen" geben könne.

Ramsauer hingegen sagte im Deutschlandradio zur Datenerhebung, dass in die Entscheidung für oder gegen Luftraumsperrungen "ein Meer von Daten" einfließe. Dazu gehörten auch konkrete Messungen, außerdem liefen auch "alle Daten ein, die seit Tagen von den Luftfahrtgesellschaften selbst beigebracht werden". Die Daten der Testflüge verschiedener Fluggesellschaften seien "ausgesprochen hilfreich auch für die Entscheidungsfindung". Die deutschen Behörden seien an internationale Vorgaben gebunden.

Von einer Lockerung des Flugverbots in Deutschland kann momentan nicht die Rede sein. Aller Voraussicht nach bleibt der Luftraum über Deutschland weiter bis 2 Uhr am Dienstagmorgen gesperrt. Der Sprecher der Deutschen Flugsicherung (DFS), Axel Raab, sagte am Montag dem DAPD, diese vorläufige Entscheidung beruhe auf den momentanen Erkenntnissen über die Aschewolke. Allerdings könne sie sich noch ändern, falls das Testflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das am Nachmittag aufsteigen sollte, neue Erkenntnisse bringen sollte. Auch eine Änderung der Wetterlage könne die Entscheidung noch einmal revidieren.

Aschewolke bewegt sich gen Ostkanada

Nach den europäischen Ländern wird nun Nordamerika auf die Bedrohung durch die Aschewolke aus Island reagieren müssen. Laut Vorhersagen werde sie gegen 14 Uhr (MESZ) im Osten Kanadas ankommen, sagte Bob Syvret vom britischen Wetterdienst. Die Wolke werde aber wahrscheinlich eine so geringe Aschekonzentration haben, dass Flüge weiter möglich seien.

In der Nacht zu Montag war die Zahl der Flugverbote deutlich zurückgegangen. Nach Angaben der europäischen Luftsicherheitsbehörde Eurocontrol in Brüssel war der Luftraum am Montagmorgen vor allem im Süden nahe des Mittelmeeres und in großen Teilen Skandinaviens wieder freigegeben. Damit war das gesperrte Gebiet merklich kleiner als noch am Abend zuvor.

Am Sonntag hatte sich die Sperrung zeitweise von Mallorca bis nach Nordnorwegen und von Irland bis zur Türkei erstreckt. Am Montagmorgen waren im Süden Portugal, Spanien und das Mittelmeer sowie ein Gürtel über Südfrankreich und Slowenien frei. Im Norden war der Luftraum über Norwegen, Mittel- und Nordschweden sowie Südfinnland wieder geöffnet. Im Osten jedoch war die Situation nahezu unverändert, der geschlossene Luftraum reichte noch immer bis zum Schwarzen Meer.

Europaweit 63.000 Flüge ausgefallen

Aber auch dort, wo die Maschinen wieder starten durften, mussten weiter viele Flüge abgesagt werden, da die Behörden in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden ihre Lufträume weiter gesperrt hielten. Seit Donnerstag wurden laut Eurocontrol europaweit mehr als 63.000 Flüge annulliert. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Sonntag von einer USA-Reise nach Berlin zurückkehrte, erreichte die Hauptstadt erst nach Zwischenstopp in Lissabon und langer Autofahrt aus Rom.

Aus Sorge um wirtschaftlichen Schaden werden Forderungen laut, das Nachtflugverbot zumindest vorübergehend zu unterbrechen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, verlangte eine Aussetzung der Regelung. So könne sich der Luftverkehr nach einem Abzug der Asche schneller normalisieren, sagte Driftmann der "Frankfurter Rundschau".

Ähnlich äußerte sich der FDP-Verkehrsexperte Patrick Dörung: "Die Frachtflieger müssen zwei oder drei Tage lang auch nachts fliegen können, damit die liegengebliebenen Güter transportiert und die ursprüngliche Taktung wieder erreicht wird sonst dauert das einfach zu lange", so Döring zur "Frankfurter Rundschau".

Deutschland gründet Asche-Task-Force

Als Reaktion auf die massiven Behinderungen im Flugverkehr ist auf Initiative der deutschen Wirtschaft die Bildung einer Task Force vereinbart worden. Das Gremium solle bereits am Montag um 16 Uhr in Berlin erstmals zusammenkommen, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, in Hannover. Eine entsprechende Verabredung sei auf der Hannover Messe mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) getroffen worden.

Die Wirtschaft dürfe wegen der aktuellen Situation in der Luftfahrt "nicht ins Hintertreffen" geraten, sagte Keitel. Er hoffe, dass im Dialog zwischen Industrie und Politik Lösungen gefunden würden. Es gehe um die Frage, wie unter den gegebenen Umständen der Verkehr organisiert werden könne.

Brüderle erklärte, die Sperrung des Flugraums beeinträchtige Wirtschaftsabläufe in erheblichem Ausmaß, denn viele Industriezweige hingen vom Transport mit Flugzeugen ab. "Denken Sie nur an die Logistikunternehmen, die Tourismusbranche und die Postdienstleister. Aber auch Bereiche, an die man nicht sofort denkt, wie zum Beispiel die Automobilindustrie oder die chemische Industrie sind auf Lieferungen aus dem Ausland oder in das Ausland angewiesen", sagte Brüderle. Hier komme es bereits zu Einschränkungen.

abl/AFP/dpa/apn
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