Milliardenprojekt Finanzierung für Stuttgart 21 steht

Entscheidung nach 13 Jahren Tauziehen: Die Bundesregierung und das Land Baden-Württemberg haben sich über die Finanzierung des milliardenschweren Stuttgarter Bahnhofumbaus und der neuen ICE-Strecke geeinigt. Damit kann das Großprojekt starten.

Berlin - Der Vertrag für das Bauvorhaben sei unterschrieben, sagte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) heute in Berlin. Dieser werde um ein Eckpunktepapier zur Finanzierung ergänzt. "Die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm und Stuttgart 21 stehen ab heute auf solidem Fundament", so Tiefensee. Das Projekt sieht eine Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde sowie dessen Anbindung an die Hochgeschwindigkeitsstrecke bis Ulm sowie an Messe und Flughafen vor. Zu dem Gespräch, in dem es auch über den Bau einer Bahn-Schnellstrecke über die Schwäbische Alb ging, hatten sich Tiefensee, der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahnchef Hartmut Mehdorn getroffen. Kanzlerin Angela Merkel hatte gestern gesagt, sie begrüße es, wenn nach über zehnjähriger Diskussion das Projekt auf die Reihe gebracht werde.

Hohe Landesbeteiligung am Bundesprojekt

Die Umsetzung der Projekte soll insgesamt rund 4,8 Milliarden Euro kosten. Die Summe setzt sich aus 2,8 Milliarden Euro für "Stuttgart 21", zu dem der Bahnhofsumbau zählt, und zwei Milliarden Euro für die Neubaustrecke zusammen. Von den 2,8 Milliarden Euro von "Stuttgart 21" übernimmt die Bahn rund 1,1 Milliarden Euro, Baden-Württemberg knapp 700 Millionen, der Bund 500 Millionen. Der Rest soll unter anderem aus EU-Zuschüssen kommen. Dafür wird aus dem Kopfbahnhof ein unterirdischer Durchgangsbahnhof, und dieser Hauptbahnhof wird an die Schnellstrecke angeschlossen. Zu "Stuttgart 21" zählt auch der Abschnitt Stuttgart-Wendlingen der ICE-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm sowie ein neuer Bahnhof am Flughafen.

Von den zwei Milliarden Euro für den Abschnitt Wendlingen-Ulm über die Schwäbische Alb, der zweckmäßigerweise gleichzeitig in Angriff genommen werden soll, übernimmt Baden-Württemberg 950 Millionen Euro. Der Bund erklärte, eine Anschlussfinanzierung ab 2016 sicherzustellen. Die Verkehrswegeplanung des Bundes sah einen Baubeginn der Schnellstrecke erst 2016 vor. Für die Vorverlegung zahlt Baden-Württemberg nun alle Rechnungen von 2010 bis 2016. Die ersten Züge könnten die neue Infrastruktur etwa 2020 nutzen - statt 2026, wenn es nach dem Bund gegangen wäre.

Vor allem muss Baden-Württemberg den größten Teil des Risikos von Kostensteigerungen von "Stuttgart 21" tragen. Dieses wird auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt. Die Bahn solle nur die Kosten bis zu einer Grenze von 220 Millionen Euro schultern, um das Projekt für das an die Börse strebende Staatsunternehmen nicht unwirtschaftlich zu machen.

"Wir wollen Zeit gewinnen. Baden-Württemberg kauft wertvolle Jahre aus Steuermitteln", kommentierte Oettinger den hohen Zuschuss seines Landes. Außerdem werde das Land damit europatauglich, betonte er mit Blick auf den Lückenschluss der Verbindung von Paris bis in die slowakische Hauptstadt Bratislava. Eigentlich ist die ICE-Strecke ein Bundesprojekt, das auch vom Bund bezahlt werden müsste. Die Ko-Finanzierung kommt aber Baden-Württemberg billiger, als die Summe für Zinsen für Bankkredite aufzuwenden, mit denen die Strecke hätte vorfinanziert werden können. Die Bahn beteiligt sich mit fünf bis zehn Prozent an den Kosten.

Kritik von den Grünen

Die Südwest-CDU sprach von einem "großen persönlichen Erfolg" für den Ministerpräsidenten: "Stuttgart 21 könnte man auch 'Oettinger 21' nennen, am besten aber wohl 'Baden-Württemberg 21', denn unser ganzes Land wird davon profitieren", sagte Generalsekretär Thomas Strobl der dpa in Stuttgart. Bahnchef Mehdorn sagte, "wir erwarten erheblich mehr Fahrgäste für diese Region". Das Projekt, das die Fahrtzeit zwischen München und Stuttgart damit auf gut 1,5 Stunden verkürzt, habe schon lange in Angriff genommen werden müssen.

Das Großprojekt ist heftig umstritten. Die Stuttgarter müssen ab 2010 acht Jahre lang mit einer gigantischen Baustelle im Herzen ihrer Stadt leben, verbunden mit Umweltrisiken, Baulärm und eventuellem Verkehrschaos. Stadtbahnhaltestellen müssen verlegt werden, und für den Abtransport der Millionen Kubikmeter ausgebuddelter Erde sollen täglich rund 1000 Lkw-Fuhren erforderlich sein. Bisher sind mehrere Klagen gegen "Stuttgart 21" von den Gerichten abgewiesen worden, daher war die Entscheidung mehrfach vertagt worden. Zuletzt hatte das Bundesverkehrsministerium in Berlin die Finanzierung des Milliardenprojekts in Frage gestellt.

Wegen der hohen finanziellen Beteiligung des Landes kritisierten die baden-württembergischen Grünen die Einigung. Die Landesvorsitzenden Petra Selg und Daniel Mouratidis erklärten, das Vorhaben werde für Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart zu einem Milliardengrab. "Anstatt die Notbremse zu ziehen, hat die Landesregierung immer neue finanzielle Zugeständnisse gemacht." Was als großer Erfolg verkauft werde, sei nichts anderes als eine finanzpolitische Geisterfahrt. Ebenso kritisch äußerte sich die Umweltorganisation NABU in Baden-Württemberg - die Entscheidung sei ein "Pyrrhussieg" für Oettinger.

sto/abl/AP/dpa/Reuters

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