
Polnische Schlösser: Reich der Hexen, Mönche und Ritter
Polens alte Schlösser Spuren des Größenwahns
Andrzej Borkowski trägt eine Kopfbedeckung aus purpurrotem Stoff, mit Pelz besetzt, verziert mit einer großen goldenen Brosche und einer prächtigen Fasanenfeder. "Keiner hat an meinen Traum geglaubt. Nur ich", sagt der stolze Besitzer des Ritterguts Zamek in Sobkow. Das historische Kostüm mit Cotte und Surkot wirkt ganz natürlich an dem Mittelalterfreak, nur die Brille auf der Nase entlarvt ihn als modernen Zeitgenossen. Er sieht stolz und glücklich aus, wie er da sitzt beim opulenten Mittagsmahl in seinem Rittersaal.
Eine Zofe, ebenfalls im historischen Kostüm, bringt frisch geräucherte Forellen. "Heute morgen gefangen, aus dem Fluss Nida, direkt hier am Gut", sagt der Hausherr. Schon jetzt scheint sich der massive Holztisch unter dem Gewicht der Speisen fast zu biegen. Obwohl draußen die Sonne scheint, herrscht Dämmerlicht im weiß getünchten Saal. Kerzen brennen auf dem Tisch und in dem schweren Kerzenhalter, der von der Decke hängt. In einer Ecke steht eine Rüstung, wie sie die polnischen Reiter der Hussaria im 16. Jahrhundert trugen. Hinten sind Flügel aus Eisen und Adlerfedern befestigt. "Die erzeugten beim Reiten ein unheimliches Geräusch, das die Feinde erschreckte und ihre Pferde scheuen ließ", sagt Andrzej Borkowski.
Als er vor 13 Jahren mein Leben in Warschau aufgab und hierher nach Sobkow zog, hielten ihn alle für verrückt. "Das Rittergut war nur eine Ruine", sagt der Hausherr. "Aber ich hatte keine Wahl. Als ich die Schlossruine und die alten Gebäude sah, habe ich mich sofort verliebt." Er nahm Kredite auf und verkaufte sein Haus in Warschau, um das nötige Geld für die ersten Renovierungen zu bekommen. "Meine Schwiegermutter redete jahrelang kein Wort mit mir. Aber sie hinterließ mir sehr viel Geld für das Schloss."
Heiligtum auf dem Gipfel
Borkowski ist ein Zeitreisender, der in die Vergangenheit verliebt ist. Ein Städter, der sein Leben in Warschau aufgab und all sein Geld in eine Ruine steckte, die in einer Gegend steht, die keiner kennt. Die Wojewodschaft Swietokrzyskie gehört zu den kleinsten und ärmsten Verwaltungsbezirken Polens und liegt irgendwo zwischen Warschau und Krakau. Ihr konsonantenreicher Name (ausgesprochen ähnlich wie "Schwi-ento-kschiski-e") heißt wörtlich übersetzt "Heiligenkreuz". Sie ist nach einer Reliquie aus Splittern des Kreuzes Jesu benannt.
Das Heiligtum wird in einem Kloster angebetet, das auf dem Gipfel des 600 Meter hohen Berges ysa Góra steht. Der "kahle Berg", so die Übersetzung, ist gleichzeitig ein berüchtigter Hexen-Treffpunkt, ähnlich wie der Brocken im Harz. Bis heute trauen sich die älteren katholischen Pilger nicht, den alten Kreuzweg zu verlassen - aus Angst vor Hexen. Ganz in der Nähe fand man die Reste einer heidnischen Kultstätte aus dem 8. Jahrhundert.
In der Krypta des Heiligenkreuzklosters, das 1006 gegründet wurde und bis heute von Mönchen bewohnt wird, ruhen die Gebeine von 1400 Benediktinern. Einige gut erhaltene Mumien sind ausgestellt. Im Kloster-Café verkaufen die Mönche selbst gebraute Kräuter-Arzneien: Mittel gegen Allergien oder für die Schönheit, den Honig-Wodka "Kamianniak", der für und gegen alles gut sein soll, sowie die Liebesdroge Lubczyk. "Manche reisen Hunderte von Kilometern, um unsere Arzneien zu kaufen", sagt Pater Kaziemierz Bialok. Umgeben ist das Kloster von einem richtigen Hexenwald: Wild wachsende Buchen- und Tannenbäume prägen den 7000 Hektar großen Heiligenkreuz-Nationalpark. Hier gibt es Wölfe und 28 weitere geschützte Tierarten, dazu 82 sehr seltene Pflanzen. Das Heiligenkreuzgebirge ist eines der ältesten Europas. Einst lag es auf dem Grund eines Meeres, dann wanderten Dinosaurier durch das Land. Eine mystische, versteckte Gegend. Das Reich der Hexen und Mönche. Das Land der Ritter und Träumer.
Gästezimmer im Rittergut
Noch ist die Swietokrzyskie-Wojewodschaft ein Geheimtipp. Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis sie auch für Urlauber aus Deutschland ganz erschlossen ist.
Die polnische Regierung pumpt Millionen in die Entwicklung des Tourismus. In der 4000-Seelen-Gemeinde Batow ist ein riesiger Saurierpark mit Achterbahn und Skilift entstanden, die Angestellten sprechen mehrere Sprachen. "Die Arbeitslosenquote ist enorm gesunken", sagt Jarosaw Kuba, Vorsitzender des Wirtschaftsvereins Club Batek. "Tourismus ist die Chance für unsere Region, die Urlaubern eine Menge zu bieten hat, und das zum kleinen Preis."
Auch Andrzej Borkowski hat auf seinem Rittergut Gästezimmer eingerichtet und eine polnisch-englische Internetseite ins Netz gestellt - alles natürlich im mittelalterlichen Stil. Geplant war der Schritt in die Touristikbranche eigentlich nicht. "Aber irgendwie muss ich meinen Traum ja finanzieren", sagt er. "Es ist ja alles noch nicht fertig." Noch sind es vor allem polnische Hochzeitsgesellschaften, die sich bei ihm einbuchen, um ritterlich zu feiern.
Die niedrigen Gebäude, Stallungen und Kutschenhäuser stehen auf den Fundamenten einer alten Festung. Zur Original-Substanz aus dem 16. Jahrhundert gehören unter anderem drei von ursprünglich vier viereckigen Wachtürmen. Inmitten der liebevoll restaurierten Gebäude steht eine Ruine, die nachts angeleuchtet wird: Die Überreste eines klassizistischen Sommerschlosses, das um 1770 gebaut wurde. Überall hängen Wappen polnischer Fürstenfamilien. Prächtige Pfauen laufen zwischen funktionstüchtigen Nachbauten alter Kutschen herum. Pferde schnauben in den offenen Ställen. Ein winziges Kätzchen liegt in der Morgensonne und schnurrt.
Araber-Pferde und Lamas
Einen anderen romantischen Träumer hat es aus Westeuropa in die Wojewodschaft Swietokrzyskie gezogen: Marcin Popiel, Besitzer des Schlosses Kurozweki. "Unsere Familie ist seit 1246 hier ansässig, 1380 wurde das Schloss gebaut. Mein Onkel sorgte 1989 dafür, dass es wieder in den Familienbesitz kam", erzählt der Hausherr auf Englisch. Polnisch spricht er nur mit französischem Akzent, da er in Belgien aufgewachsen ist. Nach dem Erwerb des Schlosses zog er mit seiner Frau und den Jüngeren seiner acht Kinder in die polnische Heimat seiner Ahnen. "Das Schloss war nach dem zweiten Weltkrieg und der Sowjetzeit in einem desolaten Zustand", sagt er. "Mit Fördergeldern von der EU und Preisgeldern einer Schweizer Stiftung konnte ich es renovieren lassen."
Inzwischen erstrahlt das Schloss-Ensemble in neuer Pracht als Hotel und Freizeitpark. Auf dem 400 Hektar großem Gelände unterhält Marcin Popiel neben dem originalgetreu restaurierten Wohnschloss und einer Orangerie mit Rosengarten auch ein Maislabyrinth, eine Farm mit 100 Milchkühen, ein Gestüt mit 50 wertvollen Araber-Pferden und ein Mini-Zoo mit Lamas, Eseln und Straußen. Letzterer sei "eigentlich eher ein Gnadenhof", so der Besitzer, "die Vögel stammen aus pleite gegangenen Straußenfarmen. Die schossen vor ein paar Jahren hier wie Pilze aus dem Boden und gingen alle ein. Ich muss unbedingt ihre Gehege vergrößern."
Haupttraktion von Schloss Kurozweki ist eine 100-köpfige Bisonherde, die man bei einer "Bison-Safari" aus nächster Nähe beobachten darf. Es sind amerikanische Büffel, die dem in Polen heimischen Wisent zum Verwechseln ähnlich sehen. "Aber diese Bisons sind viel leichter zu halten und stehen nicht unter Schutz, weshalb man sie bei uns im Restaurant auch serviert bekommen kann", so der Hausherr. Als neuestes Highlight hat er sich etwas noch skurrileres einfallen lassen: Eine Art Grusel-Geistergang durch die Kellergewölbe seines Schlosses. Noch dienen diese als Lager. In einer Ecke verstaubt der auf eine riesige Tafel gemalte Stammbaum seines Geschlechts. "Es ist ja alles noch nicht fertig", sagt auch dieser Schlossherr.
Vermächtnis eines Größenwahnsinnigen
Lange noch nicht fertig sind auch die Arbeiten an der riesigen Ruine Krzyztór. Die Überreste des 1,3 Hektar großen Schlosses, das 1631-1644 von dem damaligen Fürsten Krzysztof Ossolinski gebaut wurde, wird gerade mit einem Etat von 2, 8 Millionen Euro restauriert. Es muss das Werk eines Größenwahnsinnigen gewesen sein. Bis zur Entstehung von Versailles war es die größte Schlossanlage Europas und mit Sicherheit die prächtigste: Selbst in den Pferdeställen, die 100 edle Araber beherbergten, hingen Kristallspiegel. Die Tröge waren aus Marmor. Einer der gigantischen Säle hatte als Decke ein riesiges gläsernes Aquarium mit exotischen Fischen, damals ein architektonisches Wunder.
Der adlige Bauherr war besessen von Magie, Astrologie und Astronomie. Die Anzahl der Türme entspricht den sieben Wochentagen. Es gab zwölf Säle, so viele wie Monate im Jahr, und 365 Zimmer. Jedes Detail wurde nach dem Kalender ausgerichtet. Es gibt unerforschte Tunnel und Keller, in denen Archäologen bis heute Dinge finden, deren Sinn sie nicht erklären können. Legenden um sagenhafte Schätze, verborgene Gänge und mindestens zwei Geister - eine weiße Frau und ein schwarzer Ritter - sind immer noch lebendig.
Man braucht eineinhalb Stunden, um die Ruinen zur Hälfte zu besichtigen. "Die andere Hälfte ist identisch. Alles ist spiegelgleich angelegt", sagt Ewa Nogaj. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter führt sie eine kleine Landpension in Haliszka, ganz in der Nähe der Krzyztopór-Ruine. Umgerechnet zehn Euro kostet die Übernachtung pro Person in einem der drei Gästezimmer mit Blick auf die Schlossruine oder auf das Heiligenkreuz-Kloster. Es gibt selbst gezogenes Gemüse, Eier von frei laufenden Hühnern, selbst gesammelte Pilze und hausgemachten Saft - Landidylle, wie sie im Buche steht.
Bisher gehört Ewa Nogaj zu den wenigen Fremdenführern der Region, die Deutsch sprechen. Doch der hübsche Landstrich wird nicht mehr lange so ursprünglich wie jetzt bleiben. Bald wird alles fertig sein. Denn die Bewohner von Switokrzyskie sind Träumer, die ihre Ideen in die Tat umsetzen.