Fotostrecke

Wildwassertour: Abenteuer Imster Schlucht

Foto: wasser-c-raft

Rafting auf dem Inn Gefangen in der Wasserwalze

Mitstreiter ins Wasser werfen, Balancieren auf der Bootsnase: Auf den leichten Passagen einer Raftingtour in der Imster Schlucht halten sich die Teilnehmer mit lustigen Spielchen bei Laune. Doch spätestens im Schleudergang der "Memminger Walze" wird es ernst.

Der Angriff kommt plötzlich, unerwartet und mit Gebrüll: Ein feister, wild gewordener Österreicher entert mit einem gewaltigen Satz unser Boot, der Aufprall seiner geschätzten 120 Kilogramm Lebendgewicht lässt die stabilen Gummiwülste erzittern. Dann macht sich der behelmte Berserker in seinem Neoprenanzug daran, die Reihen der überwiegend weiblichen Paddler zu lichten, in dem er eine Dame nach der anderen rücksichtslos über die Gummireling in die eisigen Fluten stößt.

Erst eine konzertierte Aktion der verbliebenen Crew sorgt dafür, dass die Tiroler Kampfwurst selber einen platschenden Abgang macht - der Angriff unseres Nachbarbootes ist abgewehrt. Nach und nach fischen wir unsere verlorenen Besatzungsmitglieder aus dem Inn.

Das Entern anderer Boote ist beim Raften durch die Imster Schlucht eine beliebte Nebenbeschäftigung. Die Gelegenheit dazu besteht immer dann, wenn auf der beliebtesten Paddelstrecke Europas gerade mal keine Stromschnellen zu bewältigen sind. Gleich mehrere Unternehmen, die im und um das Ötztal beheimatet sind, schicken in der Saison zwischen Mai und Oktober mehrere Boote täglich auf dem Inn zu Tal. So treiben auf dem sieben Grad kalten Bergwasser stets genügend potenzielle Ziele für einen Enterversuch herum.

Doch der Reihe nach: Bevor wir an einem sonnigen Septembermorgen bei Imst einen Fuß in das Wasser des Inns setzen, macht uns Guide Gregory klar, dass Raften ein Teamsport ist. Reihum bedienen wir die Luftpumpe. Wir, das sind eine fünfköpfige Familie aus Innsbruck, zwei Studentinnen aus dem Saarland und ein Pärchen aus Berlin, alle ausgerüstet mit Neoprenanzügen, Helmen und Schwimmwesten. Gregory, ein Belgier, der im Sommer raftet und des Winters im nahen Kühtai Skiunterricht erteilt, prüft derweil die Ventile.

Vorwärts, rückwärts, Stopp

Gemeinsam schleppen wir anschließend das gewaltige Boot zum Ufer und üben auf dem Trockenen alle Kommandos ein, die man in den Stromschnellen braucht. "Vorwärts", "Rückwärts" und "Stopp" sind die Befehle, die der Guide später vom Heckruder seinen menschlichen Motoren zurufen wird. "Da fehlt nur noch eine Trommel", feixt mein Nebenmann, der Tiroler Familienvater, und mir kommen Filmpassagen in den Sinn, in denen Charlton Heston als "Ben Hur" sein Dasein auf einer Galeere fristet.

Wie wichtig die vermeintliche Sklavenarbeit des abgestimmten Paddelns ist, erkennen wir bald: Nur wenige Minuten nachdem wir das Raft zu Wasser gelassen haben, steuert Gregory in die ersten Stromschnellen. Bis zum Grad III reicht deren Stärke auf dem Inn, und damit ist der Fluss bestes Terrain für Rafting-Anfänger. "Vorwärts", brüllt der Guide, als wir mit der Bootsnase voran in die erste Wasserwalze jagen. Eiskalte Wassermassen klatschen uns in die Gesichter, die Mädels aus Innsbruck kreischen, sofort geht der einheitliche Schlag der Paddel verloren.

Doch Augenwischen gilt nicht: "Vorwärts", schallt es aus dem Heck, nun schon bestimmter. Also gehen wir die nächste Welle aggressiver an. Vorher hatte uns Gregory erklärt, dass man so verhindern will, dass das Raft in den stehenden Wellen steckenbleibt und sich quer zur Strömung stellt. "Dann kann es schnell passieren, dass das Boot kentert", sagt er. Wir bleiben von diesem Los verschont: Nass und heil gleiten wir aus dem "Rohrbrückenschwall".

Nach dieser ersten Bewährungsprobe driften wir über ein ruhiges Stück des Flusses. Steil ragen die Felsen zu beiden Seiten aus dem grün leuchtenden Wasser auf, am Ufer begleitet uns ein Wiesel, huscht flink über das Geröll - die Imster Schlucht erweist sich als echtes Naturparadies im Herzen Tirols. Zu schade, dass man diesen Abschnitt des Inns meist verpasst: die Inntalautobahn, der Highway zu den vielen Skigebieten der Umgebung, führt hier durch einen langen Tunnel. Über den Felsen leuchtet der Bergwald in sattem Grün, und weitere zwei Kilometer darüber streben die Gipfel der Tiroler

Alpen

in den Herbsthimmel.

Imster Schlucht Rafting-Tour: Schwimmen in Stromschnellen

Wir gleiten an Uferpassagen vorbei, wo sich Barrieren aus Altholz in der Größe von Bahnwaggons aufgeschoben haben - Relikte aus dem Frühjahr, wenn der Fluss wesentlich mehr Wasser führt und noch spektakulärer zu befahren ist. Am Ufer stehen Angler und versuchen, mit Kunstködern Forellen an den Haken zu locken.

Zu Beginn des Rafting-Booms auf dem Inn in den achtziger Jahren war das Verhältnis zwischen Wassersportlern und Petri-Jüngern alles andere als unbelastet. Die Angler warfen nämlich den ersten Rafting-Anbietern vor, mit ihren Gästen die Fische zu vertreiben - laut Bootsführer Mathias Strigl ein typisches Beispiel für das Misstrauen gegenüber allem Neuen, wie es im Alpenraum oft anzutreffen sei. Mittlerweile hat sich das Verhältnis jedoch entspannt.

Damit sich die Gäste auf den ruhigen Streckenteilen nicht zu sehr entspannen, hat Guide Gregory ein ganzes Arsenal an Spielen im Gepäck, bei denen vor allem Gleichgewichtssinn und Koordination gefragt sind. So balancieren wir beim "Rodeo" reihum auf der Bootsnase und drehen uns dabei, krampfhaft an einem Tau festhaltend, um die eigene Achse. Bei einer anderen Übung müssen wir versuchen, stehend durch eine kleinere Stromschnelle zu paddeln. Immer gleich ist Gregorys Ziel: die Gäste zu Fall zu bringen - entweder in die Geborgenheit des Bootes oder in die Nässe des Inn.

Gewollt ist das Bad im kühlen Nass bei der nächsten Gelegenheit. Wer will, darf eine Wildwasserpassage schwimmend bewältigen. Keinen aus der Mannschaft hält es im Raft, und während Gregory ohne Hilfe der Touristen durch diesen Teil der Imster Schlucht steuert, hallt der Fluss vom Johlen und Kreischen der Teilzeit-Seepferdchen wider. Fast scheint es, dass der direkte Kontakt zu den Stromschnellen wesentlich mehr Befriedigung bringt als das Raften. Dieser Eindruck verflüchtigt sich allerdings nach einigen Minuten, als sich zuerst ein nachhaltiger Kälteschmerz in den Händen breitmacht, der von Taubheit abgelöst wird. Dankbar lassen wir uns von Gregory und den Mitstreitern an der Schwimmweste wie nasse Säcke zurück ins Boot hieven.

Schlüsselstelle "Memminger Walze"

Knapp anderthalb Stunden haben wir auf dem Fluss verbracht, als Gregory uns auf den Höhepunkt der Tour einstimmt. Mit ernster Stimme erklärt er, dass wir unausweichlich auf die "Memminger Walze" zutreiben. Dies sei die Schlüsselstelle, der schwierigste Abschnitt der Tour.

Benannt ist die Stelle nach Hans Memminger. Der 2009 verstorbene Bayer galt in der Wildwasser-Szene als Legende, befuhr schwierigste Stromschnellen in der ganzen Welt und entdeckte die später nach ihm benannte Welle im Inn bei der Suche nach geeigneten Spots für Dreharbeiten. Um den Ernst der Lage zu unterstreichen, führt Gregory zwei neue Kommandos ein, nämlich das Vorwärtspaddeln im oberen Drehzahlbereich und einen Befehl, der an die Bundeswehr erinnert: Alle Rafter sollen sich hinkauern - volle Deckung im Inneren des Bootes.

Dann ist die Walze auch schon da: Nach einer langen Linkskurve tauchen wir aus der Sonne in den Schatten ein, der Fluss verengt sich, der Bug läuft direkt auf eine Wasserwand in der rechten Flusshälfte zu. Wir paddeln vorwärts, dann rauschen wir in den Strudel. Es fürchterlicher Schlag erschüttert das Boot, wir schauen uns ebenso verdutzt wie nass an. Das Boot wird wie in einer Waschmaschine ordentlich durchgerüttelt, dann fordert Gregory aus dem Heck mit Gebrüll den Turbolader.

Gesagt, getan, alle kommen aus der Deckung, besetzen ihre Plätze und paddeln wie verrückt, um das Boot aus der Walze rauszubringen. Von Rhythmus oder gleichmäßigem Schlag keine Spur, das Boot scheint sich zu drehen und droht, ein Opfer der Wasserwucht zu werden. Wir erhöhen unsere Anstrengungen, und nach einigen quälenden Momenten löst sich das Raft wie in Zeitlupe aus der tosenden Umklammerung. Kurz darauf gleiten wir zurück in die Sonne.

Auf den restlichen Kilometern bis zum Ausstieg in Haiming warten noch einige ruppige Stellen, die Namen wie "Chaos" oder "Kickass" tragen. Unterwegs mündet von rechts die Ötztaler Ache in den Inn. "Dieser Fluss ist enger, schwieriger zu befahren. Erst wenn man die Imster Schlucht bewältigt hat, kann man da ran", erklärt Gregory.

Teamwork ist ein letztes Mal angesagt, als wir nach zwei Stunden auf dem Fluss in einer gemeinsamen Anstrengung das Boot aus dem Wasser hieven, die Innböschung hinauftragen und auf dem Anhänger verstauen.

Kurze Zeit später stehen wir auch dem österreichischen Angreifer vom Beginn der Tour gegenüber, nun aber in versöhnlicher Atmosphäre. Bei einem Becher Orangensaft, in dem sich auch eine Ladung Schnaps versteckt, tauscht man sich über das Erlebte aus - und plant mit stolzgeschwellter Brust den Trip auf der Ötztaler Ache.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren