
Produktdesign für Outdoor-Urlaub Grillen mit Rollgabelschlüssel


Zwei Männer packen ihre zwei Geländewagen bis zum Rand voll und fahren ein halbes Jahr gen Osten. Durch Berge, Steppe, Wüste. Dann schreiben sie ein Buch darüber. So weit, so gewöhnlich.
Doch was die Stuttgarter Eberhard Holder, Jahr und Micha Klein von allen anderen unterscheidet: Sie sind Produktdesigner. Und somit haben sie auch keinen Normalo-Reisebericht geschrieben, sondern in ihrem Buch all die Objekte vorgestellt, die sie unterwegs benutzen. Und teils seit Jahrzehnten in Gebrauch haben. Alle übersichtlich gezeichnet und bewertet.
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09.03.2021 09.13 Uhr
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Für diesen Reise-Warentest zählt die Expertensicht von Holder, 68, und Klein, 35, gleich doppelt: als Dauerreisende und Ding-Designer. Und so beurteilen sie ihre wertvollen "Helferlein", wie sie sie bezeichnen, nach ihrer Lebensdauer, Multifunktionalität, Materialechtheit, Ergonomie oder ihrem Platzsparfaktor.
Sie benennen, wie lange sie den Sitzstock, die Schutzkoffer, das Arcopalgeschirr oder die Aquarellfarbe schon mit im Gepäck haben, aus welchem Material sie sind - und für welche Qualität sie sie schätzen. Weil es ihnen nicht um den aktuellen heißen Scheiß auf dem Outdoor-Markt geht, sondern darum, wie nachhaltig ein Ding ist.
Nicht nur lassen die Gegenstände und Anekdoten auch zwei Persönlichkeiten sichtbar werden - die für ihre Allwetterreisen Anzug, Pfeife und Füller genauso dabei haben wie Klappsäge und Beil. Holder, Professor an der Fakultät Architektur und Gestaltung der Stuttgarter Hochschule für Technik, und der selbstständige Designer Klein erzählen auch, wie leicht sich ein Sandblech mit zwei Kanistern zur Bank umfunktionieren lässt oder, eingehängt am Wagen, als Küchenarbeitsplatte.
Wie nützlich eine Erfindung von 1916 heute sein kann - wie etwa das Allwetterpapier in Notizbuchform. Und dass sie festgestellt haben, dass das Schneidebrett mit dem integrierten Messerfach nicht nur praktisch ist, sondern auch als Versteck dient. Um auch mal ohne Diskussion durch den Zoll zu kommen. Damit die Reise schneller weiter gehen kann.
SPIEGEL ONLINE: Herr Holder, Sie tragen Strohhut und Khakihose, wie ich hier in unserer Videoschalte sehe. Wollen Sie gleich wieder auf Reisen gehen?
Eberhard Holder: Das könnte ich, ich bin immer so gekleidet. Auch das Auto steht vor der Tür. Wenn Sie hier wären, könnten wir sofort los.
SPIEGEL ONLINE: Offenbar haben Sie den Reisemodus in den Alltag integriert, oder?
Holder: Es entspricht unserer Haltung. Wir nutzen alles hier wie dort, egal ob Wagen, Weste - oder Anzug mit Krawatte. In Teheran war ich einmal bei einer Familie eingeladen. Intuitiv habe ich meinen Anzug angezogen - zum Glück! Die ganze Familie war in Abendgarderobe.
Micha Klein: Auf Reisen habe ich nur beschränkte Mittel zur Verfügung, und so verhalte ich mich auch im Alltag: Wir reparieren Dinge, statt sie wegzuwerfen.
SPIEGEL ONLINE: Was muss ein Ding denn können, damit es als Reisebegleiter für Sie taugt?
Holder: Materialechtheit ist wichtig, so geht es auch bei extremem Gebrauch nicht kaputt. Unser Kocher ist aus Aluminium, mit dem können Sie auch bei Minusgraden bei heftigem Wind kochen. Und ein Becher aus Edelstahl hält ein Leben lang. Unser Reiseequipment hat sich durch Gebrauch bewährt, wir müssen es daher nicht jedes Mal neu zusammenstellen. So können Sie sich auf die Reise konzentrieren.
Klein: Und alle Produkte funktionieren ohne Gebrauchsanleitung in anderen Kulturen - wichtig, wenn sie repariert werden müssen. Vieles mag in der Anschaffung etwas teurer sein, aber dafür benutzen wir es ewig.
SPIEGEL ONLINE: Bei Reiseutensilien ersetzt also Patina die Ästhetik?
Klein: Um formale Ästhetik, die Sie meinen, geht es uns nicht. Aber die Gebrauchsästhetik, der all unsere Reisebegleiter folgen, ist zentral: Ihr Zweck ist, uns das Leben leichter zu machen, vom Auto bis zum Koffer.
Sie reisen gerne und haben in Ihrem Gepäck einen Gegenstand immer dabei? Schicken Sie uns Ihren Tipp und ein Foto des Utensils an spon.reise.lesermails@spiegel.de und erzählen Sie uns, was sich auf Outdoor- und Autotouren, Städtereisen oder im Strandurlaub als Reisebegleiter besonders bewährt hat.
Mit einer Einsendung erklären Sie sich mit einer Veröffentlichung von Text und Foto unter Ihrem Namen einverstanden.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es Dinge, die unterschätzt sind in ihrer Vielseitigkeit?
Klein: Ein gutes Messer ist elementar. Hier denkt man, man braucht für jede Situation ein eigenes - dabei merkt man in anderen Kulturen, dass man ein gutes Messer für alles verwenden kann: zum Kochen, zum Schnitzen, zum Spalten.
Holder: Ganz klar der Rollgabelschlüssel - manchmal auch Engländer genannt. Den habe ich seit meiner ersten Reise mit dem VW-Käfer dabei. Sie können sogar Würstchen vorne reinklemmen und grillen.
SPIEGEL ONLINE: Wie kam es, dass Sie beschlossen, zusammen zu reisen?
Holder: Sie sehen ja den Altersunterschied: Als Micha seine Aufnahmeprüfung für die Hochschule bei mir machte, stellten wir fest, dass wir beide die gleiche Strecke durch die Sahara nach Mauretanien gefahren waren. Über die Jahre entwickelte sich eine Freundschaft. Irgendwann sagte Micha, er würde gerne einmal die Wüste Gobi durchqueren, ich wiederum wollte zum Ursprung der Tulpe in Zentralasien. Mit Blick auf die Karte merkten wir, dass das fast nebeneinanderliegt. 2015 waren wir dann zusammen ein halbes Jahr unterwegs: mit zwei Geländewagen, jeder ist für sich gefahren.
SPIEGEL ONLINE: Was macht das Reisen mit dem Geländewagen so besonders?
Klein: Er bringt uns an Orte, die wir sonst nicht erreichen würden. Dazu kommt die Freude am Fahren, der Nervenkitzel, wenn man zum Beispiel ausgetrocknete Flussläufe quert. Außerdem sind wir wetterunabhängig und können immer bleiben, wo es uns gefällt.
Holder: Ich fahre diesen Wagen seit 30 Jahren. Das spartanische Leben ist für mich elementar: Man lebt und kocht im Freien, es gibt keine Heizung, keine Klimaanlage. Wenn wir einen Tag mit diesen Klapperkisten gefahren sind, erleben wir am Stellplatz die Stille besonders intensiv: Wir sitzen bestenfalls in einer Szenerie wie eine Postkarte, trinken und rauchen, unterhalten uns und sehen zusammen Skizzen und Fotos an. Das ist das Schönste am Reisen.
Micha Klein, Jahrgang 1983, und Eberhard Holder, Jahrgang 1950, sind Produktdesigner in Stuttgart, Holder als Professor an der Fakultät Architektur und Gestaltung der Stuttgarter Hochschule für Technik, Klein betreibt sein eigenes Designstudio. Sechs Monate waren sie zusammen unterwegs gen Osten - und kamen mit Fotos, Zeichnungen und einem geschärften Sinn für Reiseutensilien zurück.
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Getrennt fahren, zusammen unterwegs: Eberhard Holder und Micha Klein (Foto) waren sechs Monate lang in zwei Geländewagen unterwegs und fuhren über die Türkei, Iran, Usbekistan bis nach Sibirien und die Mongolei.
Die beiden Produktdesigner übernachten in ihren Dachzelten. Dadurch sind die beiden wetterunabhängig - und "können immer bleiben, wo es uns gefällt", sagt Micha Klein.
Ob in der Steppe Kasachstans oder im Stuttgarter Alltag: Eberhard Holder trägt allerorten Hut, Weste, Khakihosen - "wir nutzen alles hier wie dort", sagt er.
Ein Lochblech an das Auto gehängt und fertig ist die Küche. Hier steht Micha Klein in Kasachstan und kocht mit einem Kocher, der auch bei Sturm und Minusgraden seinen Dienst erfüllt.
Auf Reisen alles dokumentieren - das gehört für die beiden dazu: Klein fotografiert, Holder zeichnet. Und abends sitzen sie beisammen und zeigen sich in Bildern, was sie beobachtet haben.
Trick der Produktdesigner: Decke hinlegen, fertig ist der Tisch - egal ob auf der Motorhaube irgendwo in der Wüste Gobi oder fernab vom Wagen auf dem Steppenboden.
Bewährte Reisebegleiter: Eberhard Holder ist mit seinem Geländewagen bereits seit 30 Jahren unterwegs. In ihrem Buch präsentieren die Autoren über 150 Gegenstände, die für sie Kriterien wie Ästhetik, Funktionalität, Emotionalität, Benutzerfreundlichkeit als auch Lebensdauer erfüllen.
Darunter ist auch der Rollgabelschlüssel - der umgangssprachlich und nicht ganz korrekt "Engländer" genannt wird. Ohne dieses Multifunktionswerkzeug geht Eberhard Holder seit Jahrzehnten nicht auf Reisen. Taugt auch zum Grillen.
Widerstandsfähig, leicht zu reparieren und leicht: Der Alukoffer erfüllt alle Kriterien, um den Status eines Reisebegleiters zu bekommen. Bonus: Hinter jeder Delle steckt eine Geschichte.
Die Petroleumlampe "Petromax" wurde 1910 vom Berliner Max Graetz entwickelt, geriet in Vergessenheit und wurde 2006 von Jonas Taureck in Magdeburg wiederbelebt.
Der Picknickkorb als tragbares Ordnungssystem: mitnehmen, hundert Meter weiter gehen, aufklappen - und fertig ist das "Esszimmer" im Altai-Gebirge. "Eine Fläche, die ich irgendwo hinlege, definiert einen Raum", sagt Holder dazu.
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