Schloss Neuschwanstein Stoiber baut am Weltwunder
München - Da verstehe einer die Deutschen. "Warum stimmen die nicht ab, sind Sie denn nicht stolz auf Neuschwanstein?", fragt Tia Viering. Die US-Bürgerin kann es einfach nicht fassen: "Das Schloss ist wirklich wunderschön, so etwas muss man lange suchen in der Welt." Es sei sogar Vorbild fürs Dornröschenschloss in Disneyland: "Das ist doch großartig!" Doch Stimmen für Neuschwanstein gebe es bisher vor allem aus Japan und Korea.

20 Kandidaten: Neue Weltwunder gesucht
Tia Viering muss es wissen. Als Sprecherin der Online-Kampagne "New 7 Wonders of the World" - sieben neue Weltwunder - fiebert sie dem Ergebnis entgegen, das am kommenden Samstag in Lissabon präsentiert werden soll. In der "ersten weltweiten Abstimmung überhaupt" haben in den vergangenen zwei Jahren rund 70 Millionen Menschen ihren Weltwunder-Favoriten benannt. Zwar zählt die Liste des Unesco-Weltkulturerbes rund 650 Kulturdenkmäler, doch ist von den sagenhaften sieben Weltwundern der Antike nicht mehr viel übrig: Die hängenden Gärten in Babylon, der Koloss von Rhodos, der Artemis-Tempel - alles verschüttet, zerstört, verschwunden. Allein die Pyramiden von Gizeh in Ägypten haben die Zeiten überdauert. Also müssen neue Wunder her. Vor sieben Jahren initiierte der Schweizer Filmemacher Bernard Weber die Suche.
Zuerst standen 200 Gebäude und Monumente zur Wahl. Aus denen wurden dann per Online-Abstimmung 77 Favoriten ausgewählt. Daraus wiederum ermittelte eine Architekten-Jury 21 Finalisten, darunter auch die Pyramiden von Gizeh. Die Ägypter aber wollten ihr antikes Weltwunder schließlich nicht in einer Online-Abstimmung riskieren
Bis zum Anpfiff fürs Finale lief es prima für Neuschwanstein: Als einziger deutscher Vertreter kam das im 19. Jahrhundert von König Ludwig II. im Allgäu erbaute Schloss durch und ging im Oktober 2006 an den Start. Doch während fortan die Mitbewerber kräftig Werbung trieben, fielen die Märchenschloss-Deutschen in einen Dornröschenschlaf. Als die Weltwunderfahnder im Juni den Zwischenstand präsentierten, fand sich Neuschwanstein unter anderem mit der Hagia Sophia und der Freiheitsstatue abgeschlagen am Ende der Liste.
Mexiko kleisterte mit Plakaten seiner Ruinen von Chichen Itza die Stadtbusse von London und Rom und die Pariser Metro zu. In Jordanien feierte Königin Rania äußerst konzept- und protokollsicher in einem Hofzeremoniell die Finalnominierung der Steinstadt Petra. In Spanien rief König Juan Carlos I. zur Abstimmung für die Alhambra in Granada auf, während eine Menschenkette das Monument öffentlichkeitswirksam umringte und die Regierung 600.000 Euro spendierte. In Indien dröhnte ein Liebeslied ans Taj-Mahal-Mausoleum aus den Radios.
Die Deutschen dagegen gingen es erst mal provinziell an. Man habe "eine Kampagne aus der Region heraus" gemacht, sagt der zuständige Landrat des Kreises Ostallgäu, Johann Fleschhut (Freie Wähler). Über den Finaleinzug seien zwar alle begeistert gewesen, "doch da gab es niemanden, der gesagt hat, jetzt gehen wir das mal konzeptionell an". Schließlich taten sich die Gemeinden Schwangau und Füssen mit dem Allgäu-Marketing zusammen. Landrat Fleschhut stellte mit nur 100.000 Euro im Rücken die Kampagne "Ein Weltwunder für Deutschland" auf die Beine. Carolin Reiber machte Werbung für Neuschwanstein.
Außerdem stellten sich zwei CSU-Landesminister, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und die amtierende Miss Deutschland in den Dienst des deutschen Weltwunders. Ergebnis: "An einem der letzten Wochenenden gab es mehr Online-Stimmen aus Mali für die Oasen-Stadt Timbuktu als aus Deutschland für Neuschwanstein in der gesamten bisherigen Abstimmung", sagt Tia Viering.
So konnte das nicht weitergehen. Es brauchte einen Politiker auf Weltniveau, um Neuschwanstein noch zu retten. Es brauchte Edmund Stoiber.
Drei Tage vor Schluss der Abstimmung über die sieben Weltwunder griff heute der bayerische Ministerpräsident ein. Er pappte sich den Ein-Weltwunder-für-Deutschland-Anstecker ans Revers, drückte das Kreuz durch und die Brust raus: "Hier und jetzt" wolle er "den Startschuss für einen furiosen Schlussspurt geben", um die "Kultur-Weltmeisterschaft" noch zu gewinnen. Immer wenn er ins Ausland reise, werde er "am häufigsten auf zwei Dinge angesprochen: auf den FC Bayern München mit Franz Beckenbauer und auf das Schloss Neuschwanstein".
Bei Beobachtern stellte sich da die Frage, ob man nicht lieber Beckenbauer ins Weltwunderfinale hätte nominieren können. Der hätte sicher mehr Stimmen gezogen.
So aber bleibt es beim Märchenschloss. Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser erklärte noch die verschiedenen Abstimmungsmodi: Per SMS, Telefon oder eben Online. Stoiber tippte in sein Handy: "So, und jetzt senden... gesendet!", schon hatte Neuschwanstein eine Stimme mehr. Drei Tage vor Toresschluss nun auch die des Ministerpräsidenten.
Sollte das nicht reichen, gibt es Hoffnung für Bayern. Denn die Weltwunder-Organisatoren planen schon die nächste Kampagne: "Wir suchen die sieben Naturwunder", sagt Sprecherin Viering.
Gute Chancen also für den Freistaat.
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