Skandinavien Auf das Timing kommt es an

Wälder, Hochebenen und Seen - Skandinaviens Natur hat viel zu bieten. Nur leider regnet es ständig; und wenn nicht, dann fallen die Stechmücken in Heerscharen über einen her. So will es das Klischee. Aber wer seinen Reiseplan an die Launen des nordischen Klimas anpasst, hat gute Aussichten, halbwegs trocken und mückenstichfrei zu bleiben.

Oslo - Regen lässt sich an der von tiefen Meeresarmen zerklüfteten Nordmeerküste Norwegens zu keiner Jahreszeit völlig vermeiden. Aber im Fjordland ist im Mai Obstbaumblüte. Die Fjorde südlich von Bergen gelten als "größter Obstkorb" des gesamten Nordens. Schier endlose Baumkolonien erblühen in jungfräulichem Weiß und zartem Rosa; Äpfel, Birnen und Kirschen beginnen ihren Wachstumsprozess.

Alleine rund um den Hardangerfjord sind es 400 000 Bäume, deren geballte Farbenpracht umso beeindruckender vor dem Panorama aus pechschwarzem Fjordwasser, grauen Steilwänden und von Schnee bedeckten Gipfeln wirkt. Wenn es am Regen etwas tröstliches gibt, dann dies: Nach jedem Schauer erstrahlen die Blüten in umso frischerem Glanz.

Ähnlich früh sollte man Finnlands Wälder erkunden. Bis etwa Mitte Juni lassen sich die kleinen, fliegenden Blutsauger kaum sehen. Dann aber schlüpfen die Stechmücken zu Tausenden und machen die Entdeckung der Seenlandschaft vor allem in feuchten Sommern zu einem Abenteuer, das tatsächlich unter die Haut geht. Alternativ zu einer frühen Visite kann auch im Herbst angereist werden: Je später die Gäste, umso seltener die Mücken. Ab September nimmt die Plage ab.

In der Zeit dazwischen bietet sich die Küste als Urlaubsziel an. Für ganz Skandinavien gilt: Wo Meeresbrise weht, sind Mücken rar. Von Mitte Juni bis Ende August ist an Skandinaviens südlichen Gestaden Badesaison. Die Schärengewässer längs der schwedischen Ostseeküste, die Sandstrände am Kattegat und die felsigen Buchten Südnorwegens längs des Skagerrak gelten Einheimischen nicht von ungefähr als Ferienparadies. Die Wassertemperaturen erreichen innerhalb der geschützten Lagunen sogar mehr als 20 Grad Celsius. Trotz der einheimischen Sommerfrischler ist nicht zu befürchten, dass sich hier Badelaken an Badelaken reiht.

Flexibilität ist gefragt

Am meisten Sonne gibt es höher im Norden. Von Anfang Juni bis Anfang August steht die Mitternachtssonne ununterbrochen am Himmel, am Nordkap sogar schon von Mitte Mai an. Da das Kap am Meer liegt, stören keine Stechmücken etwaige philosophische Gedanken, die sich beim Betrachten des roten Feuerballs auf seinem Weg über die polaren Gewässer einstellen können.

Dagegen ist in Kauf zu nehmen, dass ziemlich viele Mitteleuropäer auf die Idee kommen, das Schauspiel des Sonnenkreises von einem 307 Meter hohen Felsklotz aus zu verfolgen. Die Betrachtung der Mitternachtssonne über einem Dächermeer von Reisebussen mindert zumindest das Erhabenheitsgefühl beim Naturschauspiel. Wer mehr Ruhe haben möchte, steuert besser eine der zahlreichen anderen Felsnasen an.

Überhaupt fährt am besten, wer flexibel bleibt. So gibt es für Norwegen eine simple Faustregel: Regnet es südlich des Gebirges Dovrefjells, dann scheint im Norden die Sonne - und umgekehrt. Das stimmt zwar nicht immer, aber doch erstaunlich oft, denn tatsächlich fungiert dieser Gebirgszug kurz vor Trondheim als eine Art Wetterscheide.

Wer es riskiert, bis Mitte September unterwegs zu sein, erlebt die vermutlich schönste Zeit des Jahres. Besonders auf den Höhen des nordschwedischen Sarek, längs der schwedisch-norwegischen Grenze sowie rund um die zentralnorwegischen Massive entfaltet der Herbst eine einzigartige Farbenpracht. Das Grün von Fichten und Kiefern über dem Lilaton der Blaubeeren und dem Braun der welkenden Farne, die hellen Stämme der Birken, das gleißende Gelb und flammende Rot an den Ästen der Laubbäume unter strahlend blauem Himmel - es ist, als ob die Natur einem Farbrausch verfallen ist. Das macht die Gefahr eines stürmischen Regentages mehr als wett.

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Wer sich noch länger geduldet, bekommt mit etwas Glück ab Ende September ein weiteres einzigartiges Schauspiel geboten. Ab Höhe Trondheim wabert dann in klaren Frostnächten das Nordlicht über den Himmel. Tanzende Schleier und wehende Vorhänge in geheimnisvollem Grün, blitzende, in milchigem Schein erstrahlende Gebilde in steter Bewegung und Veränderung. Im Angesicht dieses himmlischen Naturphänomens wird alles andere belanglos.

Von Matthias Huthmacher, gms

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