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Sumatra: Die Schamanin vom Tobasee

Foto: Marcel Klovert

Beim Batak-Volk auf Sumatra Warum die Schamanin nicht mehr träumt

Früher verkaufte sie Fisch auf einem Markt auf Sumatra, jetzt ruft sie Geister mit einer Zigarette oder einem Glas Palmwein. Die Schamanin Riana Nainggolah sagt, sie erwarb ihr Wissen im Traum. Ein Besuch im Batak-Dorf am größten Kratersee der Welt.

Samosir - Der Weg, der zur Schamanin führt, ist holperig und zugewuchert. Bäume spannen ihre dunkelgrünen Kronen über den Pfad. Auf einem Zaun aus Draht und Ästen baumelt Wäsche. Der Weg schlängelt sich durch Gärten und Felder und endet an einer Hütte aus gelben Ziegelsteinen und mit roten Läden mit weißen Farbkreuzen. Hunde dösen im Staub. Hinter der Hütte funkelt der größte Kratersee der Welt. Hier wohnt Oma Mia, die die Geister rufen kann.

Wir stehen vor der Hütte, weil wir neugierig sind. Seit zehn Monaten reise ich mit Mann und Sohn durch Südostasien. Eine Schamanin wollen wir schon die ganze Zeit kennenlernen. In Sumatra, auf der Insel Samosir im Tobasee, ist es so weit.

Oma Mia, 72, sitzt vor einem Teller mit frischen Blättern. Sonnenstrahlen lugen durchs Fenster, streifen die runzlige Wange der Schamanin und fallen auf die Bastmatte unter ihren Beinen. Es ist 11 Uhr vormittags. In den Winkeln der Hütte ist es dunkel. Oma Mia lächelt nicht, grüßt nicht. Sie trägt einen karierten Sarong, eine bestickte, rote Bluse, darüber eine schwarze Herrenjacke. Wir setzen uns zu ihr.

Oma Mia: "Ich kann in den Blättern lesen, was die Menschen zu mir führt. Es sind Betelblätter aus dem Garten. Wer zu mir kommt, nimmt ein Blatt in die Hände. Wenn er es mir zurückgibt, kann ich darin sehen, ob er etwas verloren oder sich mit seiner Frau gestritten hat. Ich brauche selten viele Worte."

Das Werkzeug der Schamanin: Riana Nainggolah liest aus Blättern

Das Werkzeug der Schamanin: Riana Nainggolah liest aus Blättern

Foto: Marcel Klovert

Wir sind gekommen, um zu fragen. Wie wird man Schamanin? Was wollen die Leute von ihr? Wie ist es so, von einem Geist besessen zu sein? Wie ruft man die überhaupt? Oma Mia presst die Lippen aufeinander, ihre Augen sind schmal, die Beine ihres hageren Körpers zum Schneidersitz gefaltet. Sie heißt mit richtigem Namen Riana Nainggolah, und obwohl sie nicht gern plaudert, beantwortet sie alle unsere Fragen geduldig.

Oma Mia: "Vor 16 Jahren hatte ich meine ersten Träume. Darin erschien mir mein Vater und lehrte mich, was ich wissen musste, um Schamanin zu werden. Er war selbst Schamane und mein Großvater auch, es reicht in unserer Familie viele Generationen zurück. Bevor ich diese Träume hatte, verkaufte ich den Fisch, den mein Mann im See fing, auf dem Markt.

Anfangs wollte ich keine Schamanin werden, doch wer dem Ruf nicht folgt, scheitert in allem anderen. Mein Großvater wurde wütend, weil ich mich sträubte, und sein Geist lockte meinen Schwager in den Wald. Wir fanden ihn erhängt an einem Baum. Seit ich Schamanin bin, haben die Geister uns nichts mehr zugefügt. Ich träume auch nicht mehr, ich schlafe prima."

Hühnerei und Hibiskus für den Kinderwunsch

Oma Mia gehört zum Volk der Batak, das auf der Insel Samosir siedelt. Eigentlich sind sie Christen, bekehrt von einem Missionar aus Nordfriesland im 19. Jahrhundert. Auch Oma Mia geht sonntags in die Kirche. Doch viele alte Bräuche leben trotzdem weiter. Die Sitte, Körperteile ihrer Feinde zu verspeisen, um selbst stärker zu werden, haben die einst kriegerischen Batak immerhin abgelegt.

Oma Mia: "Viele Menschen bitten mich um einen Zauber, der sie bei allen beliebt macht, egal, was sie tun oder sagen. Oder es kommen Ladenbesitzer, die möchten, dass ihr Laden immer gut besucht ist. Ich gebe ihnen Sihilap-Blätter, auf denen ein Mantra in unserer Batak-Sprache geschrieben steht. Das müssen sie in ihrer Tasche tragen. Es hilft immer. Ich hatte noch keine unzufriedenen Kunden."

Mit einem fleckigen Messer schneidet die Schamanin einige Sihilap-Blätter zurecht. Sie sehen aus wie die Blätter einer Palme. Oma Mia kaut Betel und spuckt den roten Saft in einen kleinen Plastikeimer. Daneben steht ein Babyshampoo-Fläschchen, in dem sie getrocknete Samen oder Früchte aufbewahrt.

Oma Mia: "Frauen, die sich Kinder wünschen, bereite ich einen Trank aus Hühnerei, Kokosnuss, Hibiskus und Purba-Jolma-Blättern. Wen böse Geister plagen, der muss stets eine Mischung mit Pfefferkörnern und der zwiebelähnlichen Jarango-Pflanze bei sich tragen. Einmal kamen drei Touristen zu mir, Deutsche und Holländer, denen ein böser Geist folgte. Ich helfe jedem, egal ob Batak oder nicht."

Das Haus der Schamanin: Hütten wie Zipfelmützen am Ufer des Tobasees

Das Haus der Schamanin: Hütten wie Zipfelmützen am Ufer des Tobasees

Foto: Marcel Klovert

Der Tobasee ist schon seit den Siebzigerjahren touristisch erschlossen. Der klare See, größer als Singapur und über dreimal so groß wie der Bodensee, liegt in einem grünen Kessel mit schroffen Ufern. Die geschwungenen Dächer der Batak-Häuser ragen wie Zipfelmützen zwischen den Baumkronen am Ufer hervor. In der Ferne erheben sich Vulkankegel aus dem blauen Dunst. Die Batak lieben Musik. Abends klingen Gitarren und Männerstimmen durch die Dörfer.

Oma Mia: "Ich kann die Geister Verstorbener mit etwas rufen, das sie gern mochten, als sie noch lebten. Zum Beispiel mit einer Nelkenzigarette oder einem Glas Palmwein. Ich kann es fühlen, wenn der Geist in mich schlüpft, mein Körper wird warm und zuckt. Danach merke ich nichts mehr. Es ist, als würde ich schlafen. Der Geist spricht durch mich, und die, die zuhören, müssen sich Notizen machen. Ich erinnere mich hinterher an nichts."

Wir würden gern sehen, wie Oma Mia einen Geist ruft. Doch dafür müssten wir ein echtes Anliegen haben, sagt sie. Ich grübele. Ich vermisse meine Großeltern. Aber mir fällt nichts ein, was wir noch klären sollten. Später, draußen vor der Hütte, zeigt mir Papa Nalda, unser Übersetzer, die Gänsehaut auf seinen Armen. "Hast du etwas gefühlt?", fragt er. Ich schüttele den Kopf. Schade. Mein Leben wäre vielleicht bunter, spannender, wenn ich den Atem der Geister und Ahnen spüren könnte. Vielleicht wäre es auch nur komplizierter.

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