
Umstrittenes Prestigeprojekt Britische Regierung will den Highspeed-Zug
Für die britische Regierung ist das Argument seit Jahren klar: Die geplante Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen London und dem englischen Norden sei so wichtig wie die Erfindung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert, tönte bereits der frühere Verkehrsminister Philip Hammond. Sie werde Arbeitsplätze schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Wirtschaft sichern.
Doch ist der Widerstand der Anwohner gegen das Prestigeprojekt so groß, dass es zwei Jahre und unzählige Konsultationen brauchte, bevor die Entscheidung nun fallen konnte: Hammonds Nachfolgerin Justine Greening gab am Dienstag grünes Licht für den ersten, 200 Kilometer langen Streckenabschnitt zwischen London und Birmingham.
Damit kann die Planung beginnen. Die neue Hochgeschwindigkeitstrasse soll ab 2026 die Fahrzeit zwischen den beiden größten Städten des Landes um eine halbe Stunde auf 50 Minuten verkürzen. Die neuen Züge sollen bis zu 360 km/h schnell sein. In einer zweiten Phase soll die Strecke nach Manchester, Liverpool und Leeds verlängert werden, so dass Passagiere ab 2032 aus London nur noch anderthalb Stunden in den Norden benötigen.
Mit "High Speed Rail 2" (HS2), wie das Projekt etwas sperrig heißt, tritt Großbritannien um einige Jahre verspätet in das Zeitalter der Superzüge ein. Während auf dem Kontinent seit Jahrzehnten TGV und ICE um die Wette fahren, gab es auf der Insel bislang nur den Eurostar, der London mit dem Festland verbindet.
Anwohner fürchten um Idylle, Jäger um alte Jagdgründe
HS2, angestoßen vor zwei Jahren von der Labour-Regierung, soll nun auch den englischen Norden an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz heranrücken. In 20 Jahren soll die Fahrzeit zwischen Paris und Manchester nur noch dreieinhalb Stunden betragen. Auch eine Anbindung an den Londoner Flughafen Heathrow ist geplant.
Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften begrüßten die Entscheidung der Regierung. "Das war überfällig", sagte Jerry Blackett von der Handelskammer in Birmingham. "Jetzt müssen wir den Plan aber auch schnell umsetzen. Kein Wenn und Aber mehr."
Diese Hoffnung dürfte sich jedoch kaum erfüllen. Zwar wird das 32 Milliarden Pfund (38,8 Milliarden Euro) teure Projekt im Unterhaus von allen drei großen Parteien unterstützt. Doch außerhalb des Parlaments ist die Zahl der Gegner in den vergangenen Jahren stetig gewachsen: Anwohner und Umweltschützer bilden eine lautstarke Opposition gegen die Regierung - und sie wollen nicht klein beigeben.
In den Dörfern entlang der geplanten Streckenführung gibt es regelmäßig Demonstrationen gegen "HS2". Die "Countryside Alliance" fürchtet um die idyllischen Hügel, passionierte Jäger um ihre Jahrhunderte alten Jagdgründe und die meist konservativen Abgeordneten der Gegend den Zorn ihrer Wähler.
Die Regierung des konservativen Premierministers David Cameron hat die Einwände zu entkräften versucht und etwa in den Chiltern Hills zusätzliche Tunnel versprochen, um die Landschaft nicht zu zerstören. Doch ihre Hecken, Mäuerchen und Äcker sind der konservativen Basis heilig: Moderne Fremdkörper wie Windräder und rasende Glitzerzüge gehören da nicht rein. "Die Landschaft ist etwas sehr Wertvolles", sagte Anwohner Christopher Hodgson dem Magazin "Spectator". "Wenn man sie zerstört, kann man sie nicht wiederbekommen."
Verbindung zur City wichtiger als nach Paris
Doch es sind nicht nur die Verlustängste, es gibt auch erhebliche Zweifel an den Kalkulationen der Regierung. Bringt die halbe Stunde Zeitersparnis wirklich Vorteile für die Passagiere?, fragen kühle Rechner. Schließlich soll der neue Zug nicht in den Hauptbahnhof von Birmingham fahren, sondern zu einem eigenen Bahnhof am Rand des Stadtzentrums. Damit wäre die Zeitersparnis für viele Passagiere schon wieder dahin, insbesondere, wenn sie umsteigen müssen.
Viele Kritiker halten das Projekt für Geldverschwendung - und eine Kopfgeburt geltungssüchtiger Politiker. Sie weisen darauf hin, dass die Milliarden besser in den Aufbau lokaler Tramnetze investiert würden. Die 500.000-Einwohner-Stadt Leeds etwa hat außer Bussen keinen öffentlichen Nahverkehr. Für die Bewohner, so das Argument, wäre eine gute Verbindung zum Stadtzentrum wichtiger als die Anbindung an Paris.
Auch wird der übrige Zugverkehr wohl unter dem neuen Superzug leiden, denn dieser soll teilweise auf bestehenden Gleisen fahren. Schon jetzt gibt es Schnellzüge, die nur zwei Stunden von London nach Manchester brauchen. Um Platz auf Gleisen und Bahnhöfen zu schaffen, soll deren Frequenz und Geschwindigkeit reduziert werden.
Greenings Ankündigung vom Dienstag hat diese Einwände nicht aus der Welt geschafft, und die Gegner des Hochgeschwindigkeitsnetzes setzen weiterhin darauf, es noch zu stoppen. Mehrere Kreisverwaltungen haben Klagen angekündigt. Die Regierung will erst 2013 einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen, bis dahin kann noch viel Einfluss genommen werden. Das Projekt werde früher oder später beerdigt, glaubt Jerry Marshall vom Aktionsbündnis gegen HS2.
Die HS2-Gegner schöpfen Hoffnung aus der Erfahrung mit der dritten Landebahn in Heathrow. Die wollte die frühere Labour-Regierung auch um jeden Preis durchsetzen, mit dem Argument, es gehe um die Zukunft des Landes. Nach dem Regierungswechsel 2010 stoppte die neue konservative Regierung das Projekt jedoch sofort. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass dem Hochgeschwindigkeitsnetz in einigen Jahren ein ähnliches Schicksal droht.