Vollautomatisch im Untergrund Nürnberg testet erste fahrerlose U-Bahn
Nürnberg - Wie von Geisterhand fährt die U3 los. Dort, wo eigentlich die Fahrerkabine sein sollte, befindet sich nur ein Fenster, hinter dem die Tunnelbeleuchtung Lichtkringel in die Nürnberger Nacht zeichnet. Bei der ersten bemannten Fahrt der vollautomatischen, fahrerlosen U-Bahn in Nürnberg konnten gestern einige Testpersonen am eigenen Leib erfahren, wie es ist, von einem Computer mit 80 km/h durch den Untergrund gefahren zu werden.
"Einigen Herrschaften war schon mulmig zumute, weil die Bahn beim Anfahren und Bremsen noch etwas ruppig reagiert", berichtete Elisabeth Seitzinger, Pressesprecherin der Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg (VAG) SPIEGEL ONLINE. Nach und nach hätten die Mitfahrenden dann Vertrauen in die Technik gefasst.
Denn an Bord der nagelneuen DT3-Züge wird alles vom Computer kontrolliert. Das Programm gibt die gewünschten Abfahrts- und Ankunftszeiten an den jeweiligen Bahnhöfen vor und schickt die Züge dann wie von Geisterhand auf die Reise ins Dunkel. Lediglich bei Betriebsbeginn am Morgen müssen die VAG-Mitarbeiter die 32 Züge per Knopfdruck aus ihrem Stand-by-Schlaf wecken. Sonst kommt die neue U-Bahn ohne menschliches Zutun aus.
Das Projekt "Rubin" (Realisierung einer automatisierten U-Bahn in Nürnberg) rollt damit langsam in die Zielgerade. Seit Anfang November befindet sich Deutschlands erste unbemannte Bahn bereits auf Testfahrt. Anfang 2008 soll auf der Linie U3 ein Computer die ersten Fahrgäste transportieren, bis Frühjahr 2008 wird der neue Streckenabschnitt zwischen den Haltestellen Gustav-Adolf-Straße und Maxfeld dann peu à peu voll auf automatischen Betrieb umgestellt. Bis Ende 2008 soll schließlich auch die gesamte Linie der U2 vom Flughafen im Norden nach Röthenbach im Süden vollautomatisch laufen.
VAG fordert Schadensersatz bei Siemens
Die "Geisterbahn", wie sie einige Nürnberger augenzwinkernd nennen, sollte ursprünglich schon diesen Herbst Fahrt aufnehmen. Komplikationen bei Software-Tests und Organisationsfehler im Management des Herstellers Siemens führten aber zu einer Verzögerung. Der VAG ist darüber wenig begeistert und fordert nun Schadenersatz: Die Projektleitung hätte viel eher merken müssen, dass "nicht alles im grünen Bereich" gewesen sei dann hätte man gegensteuern können, und die Verzögerung wäre nicht entstanden, sagte Seitzinger zu SPIEGEL ONLINE. Siemens-Projektleiter Georg Trummer sagte, dass man den Termin diesmal einhalten werde.
Die VAG verspricht sich von dem 612-Millionen-Euro-Projekt "Rubin" zahlreiche Vorteile: Bahnen können ab sofort im 100-Sekunden-Takt fahren und Sonderzüge bei Ausnahmesituationen wie der Nürnberger "Blauen Nacht" flexibler eingesetzt werden. "Mit den neuen Zügen können wir viel besser auf die Bedürfnisse unserer Kunden reagieren", resümierte Seitzinger.
Aus Lok-Führern wird Service-Personal
Auch Personaleinsparungen entstehen durch die automatische Bahn. Entlassen werde jedoch niemand. Die Fahrer der Linie U2, die ab 2009 keine Züge mehr steuern, werden stattdessen schon jetzt in den Bereichen Kunden- und Systemservice fortgebildet. "Fahrerlos bedeutet nämlich nicht personallos", so Seitzinger. Den Gästen stünden in Zukunft am Bahnsteig und in den Zügen viel mehr Ansprechpartner zur Verfügung. "Sie fühlen sich in der Bahn dann nicht mehr so allein". Im Notfall könne der Kunden- und Systemservice zudem in den Zugverkehr eingreifen und die U-Bahn manuell steuern.
In Sachen Sicherheit kann die "Geisterbahn" laut Seizinger ebenfalls punkten: Kommt es zu einem Zwischenfall, etwa, weil ein Gegenstand oder ein Mensch auf die Gleise stürzt, wird der U-Bahn-Verkehr sofort gestoppt.
"Ein Fahrer bräuchte da noch Reaktionszeit. Die fällt beim automatischen Betrieb weg", erläutert Andreas May von der VAG. Weil die VAG-Mitarbeiter in der Leitstelle zudem über Videokameras stets in die Wagen sähen, blieben auch dort Störfälle nicht unbemerkt. Polizei und Feuerwehr könnten in drei Minuten vor Ort sein.
Gleichzeitig sollen die modernen Züge die Betriebs- und Energiekosten verringern. "Automatisch gesteuerte Fahrzeuge verbrauchen durch optimierte Beschleunigungs-, Fahr- und Bremsvorgänge weniger Energie. Die Wendezeiten sind deutlich kürzer, und die Fahrzeuge können in Spitzenzeiten flexibler auf die Strecke gebracht werden", erklärt Müller.
ssu/AP/dpa