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Weihnachten in Betlehem: Viel Platz in der Geburtskirche

Foto: Rico Grimm

Touristenschwund in Betlehem Hoffen auf ein zweites Weihnachten

Mary und Joseph bleiben auf ihren Holzkrippen sitzen, Fremdenführer in Betlehem buhlen um die wenigen Touristen. Wegen des Gaza-Konflikts haben viele Pilger ihre Reisen zum "Geburtsort von Jesus" storniert. Dabei hatte das Westjordanland auf ein touristisches Rekordjahr gehofft.

Mary Giacaman lehnt neben ihren Krippenspielen aus Olivenholz und blickt auf den Manger-Platz vor ihrem Souvenirgeschäft. Vorhin ist neben dem Weihnachtsbaum eine lokale Tanzgruppe aufgetreten, nun führt ein deutsches Kamerateam ein Interview mit einem Touristen. "Es sind zu wenige in diesem Jahr, zu wenig Besucher für diese Jahreszeit", sagt Mary mit Blick auf das Minarett und auf die Leere. Ihr Ehemann Joseph sortiert schweigend im hinteren Teil des Geschäfts Holzkreuze, ihr Sohn zielt mit einem Stift auf Wesen, die nur er sieht.

Weihnachten ist normalerweise eine der geschäftigsten Zeiten in Betlehem. Aber wegen des Gaza-Konflikts und den Unruhen in Ägypten feiern viele Pilger Weihnachten in diesem Jahr lieber zu Hause. Zwischen 20 und 40 Prozent aller Buchungen wurden in den vergangenen Wochen storniert, sagt Xavier Abu Eid, Berater der palästinensischen Regierung.

Das ist nicht nur für Mary und Joseph aus dem Souvenirgeschäft ein Problem. Die Taxifahrer, die Touristenführer und die Gastronomen - alle leiden unter dem schleppenden Geschäft. Jeder dritte Beschäftigte von Betlehem verdient sein Geld in der Tourismusindustrie. Die Arbeitslosigkeit ist mit offiziellen 23 Prozent hoch in der Stadt.

Dabei sah es so aus, als würde 2012 ein Rekordjahr für die palästinensische Tourismusindustrie werden. Die Voraussetzungen waren günstig. Seit Jahren steigen die Besucherzahlen, jedes Jahr eröffneten im Westjordanland ein halbes Dutzend neue Hotels und im Sommer erklärte die Unesco die Geburtskirche von Betlehem zum ersten Weltkulturerbe der besetzten palästinensischen Gebiete. Für die ersten sechs Monate des Jahres zählte die palästinensische Statistikbehörde 30 Prozent mehr Besucher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Doch dann eskalierte im November die Gewalt zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas - es kam zu gegenseitigen Luftangriffen. Raketen schlugen bei Tel Aviv und im Großraum Jerusalem ein, auch auf einem Feld in der Nähe von Betlehem. Selbst die Aufnahme Palästinas als beobachtendes Nicht-Mitglied in den Vereinten Nationen konnte die verunsicherten Touristen nur teilweise beruhigen. Zwar seien laut Betlehemer Stadtverwaltung danach spürbar mehr Buchungen eingegangen, doch ein dickes Minus in der Tourismusbilanz 2012 bleibt.

"Ist doch alles ruhig hier"

Isabella Braun aus München war kurzentschlossen und hat zusammen mit zwei Freunden eine Reise nach Israel und ins Westjordanland gebucht. Die Polen sind nach Jerusalem gefahren, nach Akko - und dann stand für sie fest: "Weihnachten in Betlehem". In Brauns Stimme schwingt Ehrfurcht mit, als sie das sagt. Heiligabend dort verbringen, wo nach biblischer Überlieferung Jesus Christus geboren wurde.

Hinter ihr knacken die Funkgeräte der mit Knüppeln bewaffnete Polizisten, an fast allen Straßenkreuzungen der Stadt schieben Sicherheitsmänner mit Kalaschnikows Wache. Angst macht ihr das nicht. "Ach iwo", sagt sie auf Deutsch, "es ist doch alles ruhig hier". Am Manger Square wollen ihr Betlehemer Kinder kleine Snacks verkaufen. "Djenkuje!", sagt Braun und lehnt ab.

Auch vor der Geburtskirche buhlen Palästinenser um Individualtouristen. Die Fremdenführer warten vor dem kleinen Eingang und sprechen Besucher an. Einer von ihnen, Ghassan Tor, schlüpft in die Kirche und zeigt auf die Schlange von Touristen, die darauf warten, den Geburtsplatz Christus' sehen zu können. Es sind vielleicht hundert Menschen, die im Seitenschiff der Kirche stehen, Wartezeit zwanzig Minuten, gerade trifft eine Gruppe Philippiner ein. Die Schlange ist nach Tors Geschmack viel zu kurz. "Im letzten Jahr füllten die Touristen die ganze Kirche", sagt er.

Hoffnung auf ein zweites Weihnachten

Tor hat in der Ukraine Elektrotechnik studiert und ist dann nach Betlehem gegangen. Dort merkte er nach zwei Jahren, dass er mit seinen Sprachkenntnissen mehr Geld verdienen konnte als mit seinem Wissen über Schaltkreise. In der Ukraine hatte er Russisch gelernt - und aus Russland kommen die meisten ausländischen Betlehem-Besucher.

Tor machte sein Diplom als Tourguide. Er trägt alle Zeugnisse immer in seiner Jackentasche. Er sagt zwar, dass er das wegen der Behörden mache, aber eigentlich will er damit bei den Touristen Eindruck schinden. Heute allerdings wird er nur eine einzige Gruppe herumführen können, palästinensische Gäste. Und einer weinenden Russin dabei helfen, ihren Ehemann wiederzufinden, der sich von der Tour davongestohlen hatte, um zu beten.

Für die palästinensischen Guides ist es nicht leicht, eine Lizenz für ihr Geschäft zu bekommen. Die israelische Militärbehörde entzog 2000, nach dem Beginn der zweiten Intifada, vielen palästinensischen Touristenführern die Erlaubnis, ihre Gruppen auch nach Jerusalem und Israel führen zu dürfen. Viele Reiseveranstalter setzen deswegen auf israelische Führer. Ob Krieg oder nicht, die Tourismusindustrie im Westjordanland hat mit der israelischen Besatzung und der Mauer, die Israel von den besetzten Gebieten trennt, zu kämpfen.

Was sich Tor für das nächste Jahr wünscht? Dass es friedlich wird. Mary und Joseph aus dem Souvenirgeschäft hoffen auf einen guten 7. Januar. "Wir werden ja ein zweites Weihnachten haben", sagt Mary und lacht. Am 7. Januar feiert die russisch-orthodoxe Kirche Weihnachten. "Und das wird hoffentlich besser als dieses."

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