
Plättele Alpe: Die Hirten und das liebe Vieh
Almabtrieb im Allgäu Runter mit dem Rind
In Bad Hindelang ist das Datum 9/11 ein Festtag. Denn immer am 11. September treiben die Hirten ihr Vieh von den Bergweiden ins Tal. Aus der Ferne kann das mitunter auch bedrohlich klingen, wenn sich donnernde Hufe mit Schellen- und Glockengeläute mischen.
An der Viehscheidwiese im Dorf wird die Herde getrennt, und die Tiere werden den Besitzern übergeben. Ein wichtiger Tag für die Menschen, das Dorf und das Ostrachtal. Der Viehscheid von Bad Hindelang gilt als einer der größten im Allgäu. Das wird gefeiert: Die Kinder haben dann schulfrei, und bis zu 20.000 Zuschauer besuchen den 5000-Seelen-Ort.
Florian Karg, 40, ist Meisterhirte der Plättele Alpe im Obertal, einem Seitental des Hintersteiner Tals. Er mag den Trubel des großen Viehscheid nicht. Darum zieht er einfach ein paar Tage später hinunter. Rund hundert Sommertage hat er dann auf der Alpe gelebt, rund hundert Stück Galtvieh gehütet - "galt" heißt trocken und bezeichnet Jungvieh, das noch keine Milch gibt -, dazu vier Milchkühe zweimal täglich gemolken. Allesamt bildschönes Allgäuer Braun- und Grauvieh mit wachen, langbewimperten Samtaugen und sahnefarbenen Mäulern.
Drei Generationen am Holztisch
Seit 30 Jahren lebt und arbeitet Familie Karg im Sommer auf der "Plättele", einer uralten Alp auf 1340 Metern: Großvater Norbert mit Ehefrau Traudl, Sohn Florian mit Frau Heidi und die vier Kinder. Und jeder hat eine Aufgabe: Opa Norbert, 69, käst und buttert fünfmal pro Woche. Sein Weichkäse hat es sogar schon in Feinschmeckermagazine geschafft.
Traudl macht die Küche, Florian hütet das Vieh, die semmelblonde Schwester Bernadette kümmert sich um Brotzeiten für die Tagesgäste. Auch Florians Kinder Clara, Maria, Johannes und Benjamin helfen mit. Abends sitzen die drei Generationen um den Holztisch in der Stube - bei Kerzenschein. Denn Strom gibt es nicht, gekocht wird auf dem Gasherd. Ein kleiner Benzinmotor liefert Energie für die Melkmaschine.
Manchmal hört der vollbärtige Florian den Wetterbericht im batteriebetriebenen Radio, damit er besser planen kann. "Die Schweizer machen den besten Wetterbericht", sagt er. Eigentlich wollte er Zitherspieler werden, hat auch mal Zimmermann gelernt, dann an der Musikhochschule in München Gesang studiert. Danach kehrte er in die "Huimat" zurück, ins Obertal: "Weil's in den Bergen einfach schöner ist." Wer seine Alpe gesehen hat, versteht: Der Florian hat recht. Als echter Bergler redet er nicht viel, beobachtet lieber aus ruhigen, klarblauen Augen.
Enge Verbundenheit von Mensch und Natur
Wie vor hundert Jahren bestimmt der Rhythmus der Natur sein Leben. Seit er "drizzäh", also 13 ist, geht Florian auf die Alpe. "Nur wenn kein Unglück passiert, gibt's ein geschmücktes Kranzrind bei dem Viehscheid", sagt er - wenn also kein Rind vom Blitz getroffen wurde, es über Felsen stürzte, sich das Bein brach oder von Kreuzottern gebissen wurde.
Hier oben sind Mensch und Tier noch eng verbunden. Die Arbeit der Hirten ist schwer und verantwortungsvoll. Viel hängt davon ab. Da versteht sich, dass sie ein hohes Ansehen haben. Bis auf 2000 Meter Höhe treibt Florian das Vieh im Hochsommer, lebt dann samt Frau acht Wochen in einer kleinen Holzhütte, die noch mal eine Gehstunde über der "Plättele" liegt.
Noch weiter oben stehen die Gipfel von Laufbacher Eck und Rotkopf mit 2178 Metern. Auf einer Anhöhe unter dem Östlichen Wengenkopf erblickt man das Doismen-Älpele auf 1680 Metern. "Zur Doismen haben wir unsere Hochzeitsreise gemacht", verrät Traudl und krault dabei ein Kätzchen im Arm.
Über der Feuerstelle blinkt ein großer, gehämmerter Kupferkessel. "Nicht hinlangen", sagt Norbert, "sonst läuft er an." Dann grinst er: "Gell, der sieht aus wie der Zaubertrankkessel von Miraculix." Der selbständige Schreiner hat die Plättele Alpe von Grund auf saniert, verputzt, geschindelt. Gelebte Almen mit intaktem Gefüge wie hier sind selten.
Sobald die Weiden abgefressen sind, die Milch dünner und das Buttern schwieriger wird, beginnen die Frauen, Kränze zu binden. "Wir geben einen Spiegel in den Kranz, auf dass sich die bösen Geister beim Reinblicken erschrecken und abhauen", erklärt Traudl. Aus Latschen, Vogelbeerzweigen, Silberdisteln, Enzian, Erika und Bärlapp bindet Heidi eine stattliche Krone. Dem Alperer sind diese Vorbereitungen am Saisonende heilig. Wer täglich die Gewalt der Elemente zu spüren bekommt, wird dankbar: vor allem, dass Mensch und Vieh gesund ins Tal zurückkehren dürfen.
Kuh und Kranz müssen sich vertragen
Mit der Ruhe ist's dann allerdings vorbei. Ein Viehscheid macht nervös, schließlich präsentiert der Hirte die Arbeit des ganzen Sommers. Das springt vom Mensch aufs Tier über. Touristen, Freunde, Nachbarn, Bauern - alle werden da sein. Am Tag vor dem großen Auszug treibt Florian das Vieh in eine Koppel neben dem geschindelten Alphaus. Mit Helfern ersetzt er die kleinen Schellen durch große, schwere: Fünf bis sechs Kilo wiegt so ein Trumm.
Fünf Stunden ziehen Mensch und Tier ins Tal. Auch jetzt, wo Wolken durchs Tal wabern und Regen den lehmigen Boden aufweicht, soll sich niemand verletzen. Die Hirten arbeiten konzentriert, die Leiber der Kühe dampfen vor Kälte und Aufregung. Auf einer Weide vor dem Dorf rasten Hirten und Helfer, putzen die Kranzkühe noch mal mit Schwämmen heraus, bevor es auf den "Catwalk" geht.
"Die Kränze binden wir immer erst kurz vorher auf", sagt Florian. Ein beherzter Griff in die Nüstern der Kuh, schon hält sie still und lässt sich den prächtigen Kopfschmuck aufzäumen. Ob Kuh und Kranz sich vertragen, hat Florian bereits vorher ausprobiert. Er kommt jedes Jahr mit gemischten Gefühlen ins Tal. "Das ist jedes Mal ein Schock. Wenn'st dir den Alltag im Tal anschaust, meinst, die sind verrückt da unten! Es dauert immer ein paar Tage, bis ich mich wieder eing'wohnt hab."
Plättele Alpe im Allgäu
Was in Bayern Almabtrieb heißt,
nennen die Allgäuer Viehscheid.
Und eine Alm firmiert als Alpe.
Am Ende des Alpsommers treiben
die Hirten das Vieh ins Tal und
geben es feierlich den Besitzern
zurück, es wird "geschieden",
vom Oberhirt oder Meistersenn
aussortiert. Mit ca. 1000 Tieren
zählt der Hindelanger Viehscheid
zu den größten im Allgäu, er
findet am 11. September statt.
Von Hindelang aus bieten sich
zahlreiche Wandertouren im
südlich gelegenen Hintersteiner
Tal, im Obertal oder Bärgündeletal
an. Steiler unterwegs ist man am
Hindelanger Steig oder dem Salewa
Klettersteig am Iseler.Touristinfo Bad Hindelang: 87541 Bad Hindelang, Tel. +49 8324 8920, www.badhindelang.de Schlechtenbergalm
im Chiemgau
Mitten im stark frequentierten
Kampenwandgebiet lebt Familie
Scheck auf der Schlechtenbergalm
noch immer ein Stück traditionelles
Almleben. Was Wanderer
davon haben? Frische Alm- oder
Buttermilch in Bio-Qualität,
dazu selbst gemachten Käse und
einen weitschweifenden Blick auf
Voralpenland und Chiemsee. Wer
zuvor in rund 2 ¾ Std. den nach
wie vor lohnenden Kampenwandgipfel
erobert hat, dem schmecken
Topfenstrudel oder Speckbrot
doppelt so gut. Ihren Almabtrieb
organisieren Lorenz und Ingrid
Scheck im privaten Rahmen.Chiemgau Tourismus: 83278 Traunstein, Tel. +49 861 9095900, www.chiemgau-tourismus.de Berchtesgadener Land
Beim Berchtesgadener Almabtrieb
setzen die Kühe von Salet- und
Fischunkelalm auf Transportbooten
über den Königssee. Erst
danach werden sie geschmückt.
Ab dem 24. August darf mit dem
"Kranzen" begonnen werden - falls Mensch und Tier kein Unglück
erlitten haben. Beim Abtrieb
tragen die Rinder den typischen
Kopfputz, Latschenboschen oder
auch "Fuikln": mehrstöckige,
kugelförmige Kronen aus Tannengipfeln.
Bis Anfang Oktober kehren
die Kühe ins Tal zurück, wo man
sie in Ramsau und Schönau am
Königssee mit einem großen Fest
empfängt. Mitwandern ist - mit
Respekt und Abstand - ab der
Bindalm möglich, ein Almfest findet
an der Infostelle Nationalpark
Klausbachhaus (Parkplatz) statt.
Die passiert auch der schöne Zug
von der Bindalm hinab.Berchtesgadener Land Tourismus: 83471 Berchtesgaden, Tel. +49 8652 6565050, www.berchtesgadener-land.com Wildschönau in Tirol
Das Ende des Bergsommers feiern
die "Alminger" der Wildschönau
traditionell mit der Gru-Nacht.
In der letzten Nacht (heuer am
21.09.) treffen sich Alpbauern,
Familie und Nachbarn in der Hütte
zu einem "Hucker", manchmal
mit Musikbegleitung, doch immer
mit kräftigem Essen wie dem
Melchermus - einer einfachen,
gehaltvollen Mehlspeise aus der
Eisenpfanne. Robin Silberberger
von der Farnkaseralm beschreibt
das als wehmütigen Moment des
Abschieds. Auch auf der tiefer
liegenden Schönangeralm, wo 260
Tiere sömmern, wird gefeiert. Am
Ende der Nacht werden die Tiere
gemolken, die Sachen gepackt und
die Kühe geschmückt - "aufgebischt".
Gemeinsam geht es talwärts.
Die urige Farnkaseralm auf
der gegenüberliegenden Talseite
ist bekannt für ihr Almfrühstück.
www.schoenangeralm.atWildschönau Tourismus: A-6311 Wildschönau, Tel. +43 5339 8255, www.wildschoenau.com Krün in Oberbayern
Wenn die beschauliche 2000-
Seelen-Gemeinde alljährlich am
15.09. Almabtrieb feiert, ist das
ganze Dorf auf den Beinen: Dann
kehren mehr als 100 Rinder von
den Bergweiden zurück. Jährlich
rund 5000 Zuschauer lassen sich
das nicht entgehen. Denn hier
steht noch altes Brauchtum im
Mittelpunkt, wenn die Hirten das
Weidevieh durch den Ort zum
Festplatz treiben. Ein traditioneller
Bauernmarkt mit heimischen
Produkten rundet den Festtag ab.
Und wo Bayern feiern, darf ein
Bierzelt nicht fehlen, natürlich mit Blasmusik und Tracht.Touristinfo Krün: Tel. +49 8825 1094, www.kruen.de, www.alpenwelt-karwendel.de Finkenberg in Tirol
Früh am Morgen des 14. Septembers
(2013) machen sich Senner
und Hirten an der Berliner Hütte
im Zemmgrund auf, um mit einem
langen Zug von Haflingern und
Bergschafen den 30 km langen
Heimweg anzutreten. Wer mag,
kann sich anschließen und bis ins
Tal nach Finkenberg mitwandern.
Etwa um die Mittagszeit treffen
die Älpler dann im Festzelt in
Finkenberg im Tuxer Tal ein.Zillertal Tourismus: A-6262 Schlitters, Tel. +43 5288 87187, www.zillertal.at
Dies ist ein gekürzter Text aus der Zeitschrift "Alpin" , Ausgabe 9/2013