Renaissance des Cargobikes Lastesel zum Treten
Ich fühle mich wie eine lahme Ente. Eben noch stand ein Kurier mit einem schweren Lastenrad vor mir an der Kreuzung. Als die Ampel auf Grün schaltet, tritt er kurz in die Pedale, und weg ist er. Keine Chance, an seinem Hinterrad zu bleiben. Rasant umkurvt er zwei stehende Autos und verschwindet hinter der nächsten Straßenecke.
Christian Meier heißt der Radkurier - und dass er mich an einer Berliner Kreuzung so leichtfüßig stehen lässt, liegt nicht nur an seinen gut trainierten Oberschenkeln. Sondern auch an einer kleinen Schummelei. Das Rad, auf dem er sitzt, hat nicht nur Überlänge, sondern auch einen Elektromotor. Zwischen Lenker und Vorderrad sitzt eine große Alukiste, in die problemlos ein Umzugskarton passt. Unter der Kiste hängt ein großer Akku - das Geheimnis seines schnellen Antritts. Das Lastenrad wiegt fast 40 Kilogramm - und beschleunigt trotzdem schneller als ich auf meinem leichten Stadtrad.

Cargobikes: Lastenfahrräder erobern die Städte
Die Berliner Kurierfirma Messenger hat inzwischen 21 Lastenräder im Einsatz, das sind 20 mehr als vor sieben Jahren. Was bei Messenger geschieht, ist auch in anderen Städten zu beobachten: Das Lastenfahrrad, mit dem anno dazumal Sofas, Milchkannen und Baumaterial durch die Städte gekarrt wurden, erlebt ein Comeback. Und zwar nicht nur als Lieferfahrzeug, sondern auch als Kinderrikscha, dann meist mit drei Rädern. Dahinter steckt weder Nostalgie noch Ökoideologie, sondern reiner Pragmatismus. Ein Lastenrad kennt weder Parkplatznot noch bleibt es im Stau stecken.
Für Messenger-Kurier Meier zählt bei seinem Cargobike aber auch noch etwas anderes: der höhere Umsatz, den er damit im Vergleich zu einem normalen Rad einfahren kann. "Wenn ich vier Aktenordner bekomme, dann ist mein Rucksack voll. Mit dem Lastenrad ist das anders, da bleibt immer noch viel Platz in der Kiste und ich kann sogar größere Sendungen annehmen." So verdiene er als Kurier auch mehr.
Trend aus der Kommune
Mit seinem überlangen Bike, einem umgebauten Bullit aus Kopenhagen , bewegt sich Meier durch den Verkehr wie ein Fisch durchs Wasser. Selbst wenn es eng wird, schlüpft er flott zwischen stehenden Autos durch, denn das Rad ist zwar lang, aber eben auch schmal.
Auf dem Bullit sitzt man sportlich wie auf einem Mountainbike, außerdem wiegt es in der Basisversion nur 25 Kilogramm - genau deshalb mögen Kuriere dieses Bike, das zur Radkategorie Long John gehört. Anfangs fühlt man sich auf einem Bullit noch unsicher, die Lenkung reagiert wegen des langen Radstandes anders als bei einem normalen Rad. Aber nach ein paar Proberunden hat man das Rad gut im Griff.
Die Renaissance des Lastenrads begann in Dänemark und Holland. In der Aussteigerkommune Christiania wurde 1984 das Christiania-Bike erfunden . Mit solchen Dreirädern chauffieren Kopenhagener mittlerweile nicht nur ihre Kinder in die Kita, sondern abends auch die beste Freundin ins Kino. Es kann bis zu hundert Kilogramm tragen. Mindestens 20.000 Cargobikes gibt es Schätzungen zufolge in der dänischen Hauptstadt.
Nicht ganz so bekannt ist das holländische Bakfiets, das Bäckerrad. Traditionell ein Zweirad mit großen Gepäckträgern vorn und hinten - es gibt aber auch dreirädrige Ausführungen. Aber selbst in Städten wie München oder Berlin sieht man immer öfter Cargobikes auf den Straßen, häufig eingesetzt als geräumiger Kindertransporter.
Solange die Strecke kurz ist und flach, lässt sich solch ein Kindertaxi auch ohne elektrische Unterstützung gut fahren. Bei einem Fahrradkurier, der pro Tag 80, 90 Kilometer runterspult, ist das anders. "Ohne Elektroantrieb schafft keiner fünf Tage die Woche auf dem Lastenrad", sagt Dirk Brauer von Messenger Berlin. Vor allem das ständige Anfahren und Beschleunigen gehe an die Substanz.
Begrenzte Reichweite
Welches Potential von Kurieren genutzte Cargobikes haben, das untersucht derzeit das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). 40 mit Elektroantrieb ausgerüstete Bullits hat das Institut Kurieren bundesweit zu vergünstigten Konditionen bereitgestellt, auch das Rad von Kurier Christian Meier gehört zu dem Projekt. Nun werden sämtliche Fahrdaten erfasst, um hinterher auswerten zu können, wie E-Cargobikes genutzt werden.
"Ich ersetze ein Auto" heißt der vom Umweltministerium finanzierte Feldversuch . In Großstädten liegt der Nutzen auf der Hand: Statt eines Lieferwagens rollt ein Lastenrad auf der Straße. Es benötigt viel weniger Raum, stößt kein CO2 aus und ist obendrein noch schneller. "Wir bekommen häufig den Auftrag, einen Blumenstrauß von der Friedrichstraße ins Hotel Adlon zu bringen", sagt Dirk Brauer von der Firma Messenger. "Das will kein Kurier mit dem Auto machen, denn er steht ewig im Stau und bekommt nur ein paar Euro dafür, weil die Strecke so kurz ist." Mit dem Lastenrad sei der Auftrag hingegen lukrativ.
Ganz problemlos ist das Leben als Cargobike-Kurier freilich nicht. Der Akku von Christian Meiers Rad reicht nur etwa für 50 Kilometer, wenn die Elektrounterstützung dauerhaft eingeschaltet ist. Womöglich profitiert der Berliner aber bald auch von den vielen Ladestationen, die ein Stromkonzern in der Stadt für Elektroautos aufgestellt hat. Stünden sie den Radkurieren zu Verfügung, könnten sie ihre Akkus bei jeder Kaffeepause auffrischen. Eine Viertelstunde Laden kann reichen, um die Reichweite um zehn Kilometer zu erhöhen.
Wenn es mit dem Laden nicht klappt, bleibt Meier immer noch der kleine Knopf an seinem Lenker. "Ich schalte die Unterstützung einfach aus, wenn der Akku zur Neige geht." Dann benutze er den Elektromotor höchstens noch, um an Kreuzungen schneller anfahren zu können. Kaum hat er das gesagt, hat er mich schon wieder abgehängt. Diesmal sogar ohne Motorhilfe, wie er mir am nächsten Ampelstopp versichert.