
Wellenreiten in Warnemünde: Surfen nach Fahrplan
Fährwellenreiten in Warnemünde Auf die Sandbank, fertig, los
Reggae-Musik liegt in der Ostseeluft. Wellenreiter sitzen an der Bar am Warnemünder Strand und plaudern. Plötzlich taucht am Horizont die Dänemark-Fähre auf - und alle greifen zu ihren Surfboards. Pünktlich alle zwei Stunden, vom frühen Morgen bis in den späten Abend hinein, rollen in Rostock-Warnemünde die Wellen an, die die großen Fährschiffe vor sich herschieben. Surfen nach Fahrplan - diese Attraktion hat sich längst über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen.
Barkeeper Tobias Schwart wischt den Tresen vom Surf-Point am Strandaufgang 13 trocken und beobachtet mit leicht zusammengekniffenen Augen, wie seine Kundschaft auf einer vorgelagerten Sandbank Position bezieht.
Gemächlich schiebt sich das Schiff, das gerade mit Autos und Passagieren an Bord aus dem dänischen Gedser kommt, am Leuchtfeuer vorbei in die Hafeneinfahrt Richtung Rostock. Schwart zeigt rüber zur Mole. "Da vorne sieht man, wie die Welle anfängt zu laufen und zu uns rüberzieht. Das dauert jetzt noch anderthalb Minuten, dann ist sie da."
Nur zwei Fähren gibt es, die jene künstliche Brandung erzeugen, auf die die Wassersportler lauern: Die "Prins Joachim" und die "Kronprins Frederik". Beide haben schon 31 Jahre auf dem Buckel und besitzen vorne ein ungewöhnlich stumpfes Unterwasserschiff, mit dem sie besonders dann, wenn sie gut beladen sind, ordentlich Welle machen. Fahren die Fähren mit voller Last vorbei, verdrängen sie etwa 10.800 Tonnen Wasser. Seit sich diese Eigenschaft der betagten Lastkähne herumgesprochen hat, pilgern Surfer aus dem Umland, aus Berlin oder Hamburg an die Ostsee.
Im Stehen, auf Knien, im Liegen
"Ich habe noch nie von einem anderen Ort gehört, an dem es etwas Vergleichbares gibt", sagt Paula Schmidt, die mit zum Rostocker Surf-Team gehört. Abgesehen von den klassischen Wellenreitern kommen auch Leute mit verkürzten Surfbrettern, sogenannten Bodyboards, um sich liegend oder auf den Knien in die Wellen zu stürzen. Andere üben sich im Stehpaddeln, wobei sie auf dem Surfbrett stehend abwechselnd paddeln und Wellen reiten. Das ist ein kippeliges Vergnügen, doch der Spaß steht den Freizeitsportlern ins Gesicht geschrieben.
Stefan Stage aus Kühlungsborn schüttelt sich das Wasser aus den Haaren, während er aus dem Wasser steigt. Sein Surfboard ist an vielen Stellen abgeschabt, man sieht ihm an, dass es nicht nur gelegentlich aus dem Schuppen geholt wird. Gemeinsam mit seinem Vater betreibt er ein Landschafts- und Straßenbauunternehmen. Doch wann immer es eine Welle gibt, treibt es ihn ans Meer. "Nach der Arbeit direkt an den Strand fahren, ab ins Wasser, Kopf abschalten und entspannen", schwärmt er. "Ich brauche das einfach." Selbst bei Minusgraden surft der Mecklenburger.
Etwa 15 bis 20 Minuten dauert der Spaß, bis alle Wellenreiter wieder aus dem Wasser in Richtung Surf-Station schlendern. Einer von ihnen ist der sechsjährige Julius Manthei. Erst im vergangenen Sommer hat er das Schwimmen gelernt und den ganzen Winter über unverdrossen geübt. Jetzt zeigt ihm sein Vater Andreas, wie man es schafft, auf dem schmalen Brett die Balance zu halten. Der Junior macht sich gut.
Wie alle anderen bedauert auch Familie Manthei, dass der Surfspaß mit den Fährwellen bald ein Ende haben wird. 2012 nimmt die Fährreederei Scandlines die "Kronprins Frederik" und die "Prins Joachim" außer Dienst. Die neuen Schiffe entstehen gerade auf der Stralsunder Werft. Sie werden ein hydrodynamisch geformtes Unterschiff haben, das weniger Wellen macht.