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Reisepläne Zu welchen Urlaubszielen es die Deutschen jetzt zieht
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Meer oder Berge? Nord- oder Süddeutschland? Seit Jahren sind Bayern und Mecklenburg-Vorpommern die beliebtesten inländischen Reiseziele der Deutschen. Fest steht: Beides hat seine Reize. Und fest steht nun auch: Im vergangenen Jahr war Bayern für die Menschen in Deutschland das beliebteste Bundesland zum Urlaub machen. Dahinter folgen die Küstenländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Das zeigt die jüngste Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR), die auf Befragungen von rund 14.000 Personen basiert.
Insgesamt war Urlaub in Deutschland 2021 aber nicht mehr ganz so nachgefragt wie im ersten Coronajahr 2020. Wobei sich die Bilanz regional unterschied:
In Mecklenburg-Vorpommern etwa lag das Reisevolumen im vergangenen Jahr sogar leicht unter dem vom letzten Vor-Pandemie-Jahr 2019: Es waren 2021 rund 3,5 Millionen Urlaubsreisen, während die Zahl 2019 noch bei 3,6 Millionen lag.
Anders in Bayern: Hierhin machten die Bundesbürger laut FUR im vergangenen Jahr rund 3,8 Millionen Urlaubsreisen von fünf Tagen Dauer oder länger. 2020 waren es rund 4,6 Millionen, 2019 nur rund 3,2 Millionen.
Doch auch, wenn sich die Deutschen während der beiden vergangenen Pandemiesommer unterm Strich als äußerst reisewillig erwiesen haben, belegt die aktuelle Studie: Sie unternehmen noch immer deutlich weniger Reisen als vor Corona. Demnach gab es laut FUR im Jahr 2021 insgesamt rund 55,1 Millionen Urlaubsreisen ab fünf Tagen. Das waren zwar rund 5 Millionen mehr als 2020 (rund 50,5 Millionen), aber immer noch 15 Millionen weniger als 2019 – damals waren es rund 70,8 Millionen Reisen.
Verlierer wurden 2021 zu Gewinnern
Diese Entwicklung hat vor allem damit zu tun, dass der Anteil an Urlaubsreisen ins Ausland 2021 sehr deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau rangierte. Allerdings deutete sich vergangenes Jahr langsam eine Trendwende an: Die Auslandsreiseziele legten deutlich zu.
Vor allem die »Destinationen, die 2020 am meisten Federn gelassen hatten«, hätten Zuwächse verzeichnet, heißt es in der Reiseanalyse. Konkret waren das Spanien, Italien, die Türkei, Portugal, Kroatien und Griechenland.
Kroatien lockte sogar mehr deutsche Besucherinnen und Besucher als vor der Pandemie an. Österreich verlor 2021 noch einmal gegenüber 2020; Grund war der Totalausfall der Wintersaison .
Das Gesamtplus bei den Auslandsreisen sorgte entsprechend für ein spürbares Wachstum von Anreisen per Flugzeug, Hotelübernachtungen und Pauschalreisen – all dies lag deutlich über den Zahlen von 2020, aber noch klar unter denen von 2019.
Und was ist mit der Zeit, die vor uns liegt? Wird 2022 ein Jahr, das dem Tourismus die verloren gegangenen Kundinnen und Kunden zurückbringt? Nachfrageseitig seien die Aussichten auf das aktuelle Reisejahr sehr gut, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie. Bei einer Umfrage zum Jahreswechsel planten 61 Prozent der Befragten in diesem Jahr sicher eine Urlaubsreise. Im vergangenen Jahr waren es lediglich 49 Prozent. 28 Prozent haben schon ein festes Ziel. »Die Reiselust ist auf einem Höchststand, die persönliche wirtschaftliche Lage wird als stabil eingeschätzt«, lautet das Fazit der Studie.
Trotzdem ist es nicht ausgemacht, dass es 2022 einen Urlaubsboom geben wird. Ob Russlands Krieg gegen die Ukraine die prinzipiell reisewilligen Verbraucherinnen und Verbraucher beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Die Reiseanalyse der FUR entstand vor dem 24. Februar 2022, dem Tag der russischen Invasion.
Was für einen Reiseboom 2022 spricht – und was dagegen
Doch selbst ungeachtet des Kriegs betonen die Reise-Analysten in ihrem Fazit: »Die Rahmenbedingungen für den Tourismus bleiben herausfordernd.« Expertinnen und Experten erwarten eine vollständige Rückkehr zu den Ferienverhaltensmustern der Zeit vor Corona erst 2023 oder später – auch, weil Reisebeschränkungen auf der Fernstrecke das Geschäft in der laufenden Wintersaison belasteten.
Immerhin: Nicht nur die FUR-Studie sieht eine wachsende Reiselust. Auch laut der jüngsten Befragungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) planen die Verbraucherinnen und Verbraucher, in diesem Jahr deutlich mehr Geld für Urlaub und Reisen auszugeben als noch 2021. Der Reisewunsch stehe an oberster Stelle, noch vor Restaurantbesuchen oder dem Kauf von Möbeln.
Reisepläne für 2022 haben der FUR zufolge deutlich mehr Personen als zu Beginn des Vorjahres, »auch wenn manche davon noch etwas zögerlich mit ihren konkreten Entscheidungen sind«. Wird der Ukrainekrieg die Entschlussfreude nun weiter hemmen?
Grundsätzlich hätten Katastrophen, Kriege und Terror in den vergangenen Jahrzehnten an der Nachfrage nichts geändert, sagt FUR-Tourismusforscher Martin Lohmann. Urlauber seien auf andere Ziele ausgewichen.
»Die aktuelle Situation ist für uns global eine weitere Herausforderung, ein Risiko für die Entwicklung der gesamten Weltwirtschaft und für die Erholung unserer Branche«, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr in der vergangenen Woche. Die zuletzt enorme Dynamik bei den Buchungen sei schwächer geworden. »Eine gewisse Abschwächung werden wir sehen.«
Eskaliert der Krieg weiter? Schürt er so viel Angst, dass den Menschen die Reiselust vergeht? »Militärische Konflikte tragen jedenfalls nicht zur Planungssicherheit für Reisen bei«, heißt es beim Deutschen Reiseverband (DRV). Der Krieg werfe »einen dunklen Schatten der Unsicherheit«, sagt DRV-Präsident Norbert Fiebig. Inwieweit der Krieg das Buchungsverhalten der Menschen nach zwei Pandemiejahren beeinflusse, sei jedoch noch nicht absehbar.
»Wir sehen einen sehr hohen Nachholbedarf«
Ganz anders klingen diesbezüglich die Prognosen des Reisekonzerns TUI Deutschland. Dieser rechnet trotz des Ukrainekrieges mit einer guten Sommersaison 2022 – und sieht nach eigenen Angaben zurzeit keine grundsätzliche Veränderung im Buchungsverhalten. Vieles deute aktuell darauf hin, »dass wir in diesem Jahr ein Sommergeschäft sehen werden, das an das Vor-Pandemie-Niveau herankommt oder es sogar erreichen wird«, sagt TUI Deutschland-Chef Stefan Baumert. Die Buchungskurve zeige derzeit deutlich nach oben. »Wir sehen einen sehr hohen Nachholbedarf.«
Gefragt seien aktuell vor allem die Klassiker rund ums Mittelmeer. Sie verzeichneten Zuwächse sogar über dem Niveau vor der Coronakrise 2019, teilt TUI Deutschland einen Tag vor Beginn der Reisemesse ITB mit, die auch in diesem Jahr wegen der Pandemie online stattfindet. Topfavoriten seien Ziele wie Mallorca, die türkische Riviera und die griechischen Inseln. Aufgrund der guten Buchungseingänge auch für die Osterferien zieht TUI den Saisonstart für Griechenland sogar vor und startet mit seiner Airline TUIfly bereits Anfang April nach Kreta, Rhodos und Kos. Insgesamt werden demnach 120 Zusatzflüge im April aufgelegt, von denen die meisten Flüge (62) nach Griechenland starten, die restlichen (48 Flüge) nach Mallorca.
»In dieser Zeit an so etwas Unbeschwertes wie Urlaub zu denken, fällt ohne Zweifel schwer«, sagte Baumert. »Die Bilder, die uns jeden Tag aufs Neue erreichen, sind schwer zu ertragen, sie berühren und machen unendlich traurig.« Das Unternehmen verurteile »diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ausgelöst von der russischen Regierung aufs Schärfste«. Als Reaktion auf die Entwicklungen haben erste Veranstalter bereits Russland-Rundeisen abgesagt oder Kreuzfahrten mit Stopp in Sankt Petersburg umgeplant.
Auf satte Geschäfte hoffen die Reiseveranstalter dennoch nach zwei Krisenjahren. Und ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass die Deutschen ihnen den Wunsch erfüllen: »Urlaubsreisen sind für die meisten Deutschen ein unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität«, heißt es in der FUR-Reiseanalyse. Sie sorgten für einen »wohltuenden Ausgleich zu den Anforderungen des Alltags«. Und dass das Erholungsbedürfnis nach zwei Jahren Pandemie groß ist, daran dürfte kaum ein Zweifel bestehen.
Hinzu kommt, dass die Bundesregierung gerade weitreichende Lockerungen beschlossen hat. Seit Anfang März steht kein Land mehr auf der Liste der Hochrisikogebiete.
Spaß und Sonne – die Sehnsucht der Deutschen
Zumindest die Coronaregeln machen das Reisen wieder einfacher – und stehen der Alltagsflucht nicht mehr im Wege. Und das ist es, was die meisten Deutschen laut der FUR-Studie am nötigsten haben. »Abstand zum Alltag«, »Spaß«, »Sonne«, »Entspannung«, »frische Kraft« und »Zeit füreinander« – das kreuzten die Befragten als ihre wichtigsten Urlaubsmotive Anfang 2022 an.
Diese Wünsche überraschen vielleicht nicht. Doch eine Sache hat sich in den vergangenen beiden Jahren schon verschoben: In den Fokus rücken laut den Forschenden die eher »ich-bezogenen, entschleunigenden Aspekte und nicht so sehr der große Hunger nach Action oder Neuem«. Die Sehnsucht betrifft also nicht so sehr die weite Ferne, vordergründig geht es darum, sich mal wieder verwöhnen zu lassen, gemeinsame Erlebnisse zu zelebrieren – und sich auch um die eigene Gesundheit zu kümmern.
Immer mehr Menschen betonen außerdem die Bedeutung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit für ihre Ferien. 47 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Urlaub möglichst ökologisch nachhaltig sein soll, 64 Pozent streben nach einem möglichst sozial verträglichen Urlaub. »Beide Werte sind seit 2016 kontinuierlich gestiegen, besonders in den Jahren seit 2019«, heißt es in der Studie.
Allerdings bleibe der sogenannte attitude behaviour gap groß – darunter versteht man die Diskrepanz zwischen dem Kundtun der eigenen Haltung und dem tatsächlichen Handeln, etwa, wenn es wirklich ums Buchen einer Reise geht. Die Bilanz war hier zuletzt eher mau: Es gab 2021 laut der Studie nur wenige Reisen, bei denen tatsächlich auf Nachhaltigkeit geachtet wurde. »Bei 5 Prozent der Urlaubsreisen 2021 war die Nachhaltigkeit des Angebots der entscheidende Faktor, bei weiteren 21 Prozent spielte sie zumindest eine gewisse Rolle bei der Entscheidung.«
Was das Reisen in den kommenden Monaten betrifft, werden sich den Menschen womöglich noch eine ganze Reihe anderer Fragen stellen, die in der FUR-Analyse keine Rolle spielten. Möglicherweise wird das Thema Sicherheit die Deutschen umtreiben – und auch die Preise könnten sich angesichts des Kriegs mitten in Europa noch verändern.