Ausstellung "Das Fahrrad" Zwei Reifen, tausend Geschichten
Als Ivan Sojc mit dem Hochrad durch den Mittelgang saust, wird es ihnen doch zu viel. "Die Exponate!", rufen Kurator und Pressesprecher. "Das muss doch nicht sein!" Sojc, Geschäftsführer des Deutschen Fahrradmuseums in Bad Brückenau, ist in Hamburg, um die Kollegen vom Museum der Arbeit bei ihrer neuen Ausstellung "Das Fahrrad" zu unterstützen.
Die beflügelnde Erfahrung, auf die er so rasant aufmerksam machen wollte, ist eine, zu der die Besucher der Schau ausdrücklich eingeladen sind. Allerdings sollen sie nicht im Museum, sondern auf dem Platz davor auf den Sattel steigen, dort, wo der Wendekreis groß genug ist für historische Räder wie jenes von Sojc. Die Ausstellung, die ab sofort bis 1. März 2015 in der Hansestadt zu sehen ist, will mit mehr als hundert Exponaten nicht nur über Entwicklung, Technik und kulturelle Aspekte rund ums Fahrrad informieren, sondern auch zum Mitmachen animieren.
Neben dem "Fahrrad-Parcours" an jedem 2. und 4. Sonntag im Monat öffnet zu bestimmten Terminen eine "Schau-Werkstatt", es sind Diskussionen und Filmvorführungen geplant. Und wer eine besondere Geschichte zu seinem Rad erzählen kann, kann den Titel "Fahrrad des Monats" ergattern.
15 Einsendungen gab es schon vor der Eröffnung, die Gewinner für die Monate Mai, Juni und Juli stehen bereits fest. Überhaupt sei das Interesse des Publikums ungewohnt groß, sagt Kurator Mario Bäumer. Für ihn ist auch deshalb klar: "Das Fahrrad erlebt eine Renaissance."
Fischmob, "We are Traffic" und der langsamste Porsche der Welt
Tatsächlich ist zumindest die Zahl potenzieller Interessenten für die Ausstellung beeindruckend: Rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen laut Bundesverkehrsministerium ein Fahrrad. Etwa 73 Millionen Exemplare soll es insgesamt hierzulande geben.
Die wahren Fahrradländer mögen Dänemark und die Niederlande sein. Dort liegt der Anteil der Wege, die mit dem Rad erledigt werden, bei 18 beziehungsweise 27 Prozent - in Deutschland sind es nur rund zehn. "1965 waren wir schon weiter", sagt Kurator Bäumer. "Da lagen wir bei 13." Trotzdem ist das Fahrrad im deutschen Alltag allgegenwärtig, als Fortbewegungsmittel und zunehmend auch als "modisches Lifestyle-Produkt" und "Statussymbol", wie die Ausstellungsmacher es formulieren.
Wie hip das Radfahren ist, erzählen die verschiedenen Exponate: unter anderem das "Bonanzarad"-Video von Fischmob; die Bildserie der Fotografen Björn Lexius und Till Gläser, die unter dem Titel "We are Traffic" Hamburger Radfahrer porträtieren; der goldene Tret-Sportwagen Ferdinand GT3 RS von Johannes Langeder , der sein Werk als langsamsten Porsche der Welt anpreist - eine Idee, die dem "Radlfahrer" aus Linz übrigens durch frühere Experimente mit Rädern kam, wie er in Hamburg erzählt, und die er auch mit dem "Fahrradi", einem Fahrrad in Ferrari-Design, weiterverfolgte.
Wer die Ausstellungshalle im Hamburger Stadtteil Barmbek betritt, könnte zunächst enttäuscht sein - blickt er doch erst einmal nur auf eine Reihe an die Wand montierter Räder. Die Besucher merken aber schnell, wie vielfältig das Thema Fahrrad hier betrachtet wird.
Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt die Schau nicht - "wir haben uns bewusst auf den urbanen Raum beschränkt", sagt Kurator Bäumer. Doch man gewinnt zumindest einen ersten Eindruck von den Entwicklungen, die das Fahrrad seit seiner Erfindung im 19. Jahrhundert selbst vollzogen und auch angestoßen hat.
Der 200-seitige Ausstellungskatalog liefert zudem weitergehende Informationen als die teils sehr knapp formulierten Info-Tafeln zu Themen wie dem Einfluss des Fahrrades auf die Frauenbewegung, Doping-Problemen bei Radrennen oder Kurz- und Langfilmen rund ums Rad.
"Für mich ist das die bisher umfassendste Ausstellung", sagt Radkenner Ivan Sojc, der mit verliehenen Exponaten und erteilter Expertise allerdings kein ganz Unbeteiligter ist. Aus seinem Haus stammt auch das wertvollste Stück in der Schau: das Hirondelle, ein französisches "Sicherheitsniederrad" von 1890 - Versicherungswert 70.000 Euro.