

Langlauf in Deutschland Ab in die Spur
Freundlich nachzufragen lohnt sich. Vor allem, wenn man zum dritten Mal durch ein winziges Dorf kurvt und immer noch keinen Parkplatz gefunden hat. Wo man hier im Tal noch parken könne, möglichst in Loipennähe?
Die Pensionswirtin mit ihrem kleinen Sohn im Schneeanzug lächelt ob der Naivität der Flachländer. »Ihr könnt vor unserer Garage parken«, sagt sie. Und erklärt gleich noch geduldig, in welche Richtung die Graswangrunde am schönsten zu laufen sei.
Man hätte es wissen können. Es ist der erste Sonnentag nach ausdauerndem Schneefall, auf jedem Ast türmt sich eine weiße Haube. Mehr Winterwunderland geht kaum. Natürlich rollen da die Karawanen der Wintersportler an, wie überall im Lande, wo man auf Skiern durch die Gegend gleiten kann.

Langlauf-Boom: Noch ist Platz auf den Loipen
Langlaufen ist das neue Freeriden. Seit Jahren schon erlebt der einst geschmähte Rentnersport eine Renaissance, trifft er doch perfekt den Fitness-Zeitgeist. Er ist außerdem erheblich günstiger als alpines Skifahren. Der teure Liftpass entfällt, zumindest hierzulande sind die Loipen meist gratis. Nun, da die Lifte in den Bergen stillstehen, wird aus der Renaissance ein Boom.
Pisten aus Vorsicht »geschlossen«
Langlaufen ist das sportive Äquivalent zum Spazierengehen. Ralf Roth, Professor an der Sporthochschule Köln, schätzt, dass sich derzeit 30 Prozent mehr Sportler über die Loipen schieben als in normalen Wintern. Ein Vorteil ist die kurze Anreise.
Loipen findet man fast überall: im Sauerland und im Harz, im Thüringer Wald, im Schwarzwald und im Erzgebirge. Das gelobte Land der Langläufer aber ist Bayern. Mehr als 850 Loipen winden sich durch den Freistaat. Manche werden derzeit nicht gespurt, andere wie die Grenzlandloipe in Balderschwang nur zum Teil. Denn wer die gesamten 40 Kilometer abliefe, käme in Hittisau an – und damit in Österreich, im derzeit verbotenen Ausland.
Andere Loipen sind wunderbar präpariert, aber laut Onlineauskunft der jeweiligen Region »geschlossen« oder »nicht befahrbar«. Man möchte nicht, dass noch mehr Tagesgäste mit ihren Autos einfallen, so lautet die inoffizielle Auskunft, die man bekommt.
In Oberammergau ist man gelassener. »Wir merken schon, dass mehr los ist«, sagt Marc Schauberger. »Aber wir freuen uns über jeden, der kommt.« Der 39-Jährige ist im Vorstand des Vereins, der jedes Jahr den König-Ludwig-Lauf organisiert – seit 1968.
Am ersten Februar-Wochenende wäre es eigentlich wieder so weit gewesen: Rund 4000 Ausdauersportler aus aller Welt wären zum Luggilauf – wie die Oberammergauer sagen – angereist. Doch derzeit ist ein solcher Massenauftrieb natürlich indiskutabel. Der größte Volksskilanglauf Deutschlands entfällt, allerdings nicht ganz.
Bis Ende Februar kann sich jeder Langläufer mit seinem Smartphone an sechs Schildern mit QR-Codes am Loipenrand registrieren. Wo genau man dann zwischen Oberammergau, Ettal und Schloss Linderhof umhersaust, bleibt einem selbst überlassen. »Das Zeitnehmen macht überhaupt keinen Sinn«, sagt Schauberger. »Dabei sein ist diesmal alles.«
»Spagat aus Natur- und Kulturerlebnis«
Recht hat er. Wer braucht schon Platzierungen und persönliche Rekorde, wenn er durch so eine Kulisse laufen darf?
Vorbei an den barocken Türmen des Klosters Ettal gleitet man hinein ins Graswangtal. Inmitten der rund 2000 Meter hohen Gipfel der Ammergauer Alpen kommen schnell hochalpine Gefühle auf. Dabei ist die Loipe anfängerfreundlich flach, die kurzen Abfahrten und Anstiege schafft man mit minimaler Erfahrung leicht.
So lässt sich locker ein kurzer Abstecher auf die Dickelschwaigrunde einbauen. Mit freiem Weitblick aufs Bergpanorama umkreisen wir die extrem idyllische Gertrudiskapelle mit ihrer Zwiebelhaube, bevor wir vorbei an glitzerndem Tiefschnee weiter ins Tal hinein gleiten.
Die Loipe quert Straße und Stahlbrücke und endet erst am schmiedeeisernen Tor jenes Schlosses, in dem Ludwig II. angeblich am liebsten weilte: Linderhof. In normalen Jahren öffnet es sich für den Luggilauf, die Rennläufer dürfen dann ausnahmsweise durch den Schlosspark flitzen. Doch dieses Jahr bleibt es geschlossen.
Einen »Spagat aus Natur- und Kulturerlebnis« nennt Marc Schauberger die Tour durchs Graswangtal. Ein sehr angenehmer Spagat ist das, und natürlich zieht er entsprechend viele Langläuferinnen und Langläufer an. Doch im langgezogenen Tal verteilen sie sich locker. Nur an Engstellen mit nur einer Spur muss man einander aufmerksam ausweichen.
Die Infektionsgefahr dürfte minimal sein. Und genervt vom Andrang wirken nur ein paar alte Platzhirsche. Die meisten Einheimischen hätten Verständnis für die Städter, die im Corona-Winter dem Lagerkoller und der Enge ihrer Wohnungen entfliehen. Das sagt Marc Schauberger genauso wie Werner Schmidt, 59, Förster am Ochsenkopf im Fichtelgebirge . Jahrelang habe man darum geworben, dass die Wintersportler nicht immer nur in die Alpen fahren, erklärt Schmidt. Und nun kämen eben an Wochenenden für ein paar Stunden zu viele.
Wobei auch hier das größte Problem die Autos sind. »Die Parkplätze sind voll, obwohl die beiden Seilbahnen auf den Ochsenkopf geschlossen sind«, sagt Schmidt. »Manche sagen schon, die Lifte brauchen wir gar nicht mehr.« Die Lösung des Parkproblems wäre denkbar einfach. Wie in Oberammergau halten Busse fast direkt an den Loipen. Seit 2001 wurden diese am Ochsenkopf zu einem Loipennetz verschmolzen.
Auf 800 Meter Höhe um den Ochsenkopf
Zuvor habe jede Gemeinde ihr eigenes Süppchen gekocht, sagt Schmidt. Manche boten eine klassische Spur, andere eine Skatingpiste. Nun kann man auf der Unteren Ringloipe 14,5 Kilometer weit um den ganzen Ochsenkopf herum laufen – wenn genug Schnee liegt.
Dabei hilft, dass die neue Vorzeige-Loipe auf durchschnittlich 800 Meter Höhe verläuft. In sanftem Auf und Ab gleitet man durch den Winterwald, der sich dauernd ändert. Im Norden blickt man hinaus auf den Schneeberg, im Osten kurvt man auf schmaler Spur durch ein Labyrinth aus Felsbrocken, im Süden passiert man junge Tannen und Buchen, die zusehends die Fichten-Monokultur aufmischen.
Wer danach noch Kraft in den Oberschenkeln spürt, kann die Gipfelloipe dranhängen und zum Asenturm hinaufsteigen, auf die Grünstein-Loipe abbiegen oder auf der Oberen Ringloipe eine weitere Runde drehen.
Werner Schmidt jedenfalls wird es am Ochsenkopf nicht langweilig. Er wohnt direkt an der Loipe, seit seinem sechsten Lebensjahr ist er Langläufer, früher lief er auch Rennen. Schmidt hat sich auch die Loipen Skandinaviens angeschaut, mehrmals meisterte er den berühmten Wasalauf. Am liebsten gleitet er aber durchs heimische Fichtelgebirge, mehrmals pro Woche, so wie jeden Winter – nur in diesem Jahr eben mit ein paar Mitläuferinnen und Mitläufern mehr.