
Linus' Talentprobe: Highway to Hell in der Domstadt
Talentshow im Kölner Karneval Hart, aber nicht herzlos
"Hallo Düsseldorf!" Gejohle. Manchmal ist es sehr einfach, beim Kölner Publikum eine Reaktion hervorzurufen. Gerade in der närrischen Zeit, in der die Stadt kopfsteht, und insbesondere bei "Linus' Talentprobe" , die von sich behaupten kann, die Mutter aller Castingshows zu sein. Siebenmal pro Jahr findet sie im Kölner Tanzbrunnen statt - und nie ist sie spezieller als beim Auftakt am Karnevalsfreitag.
Zehn Sängerinnen und Sänger treten gegeneinander und gegen ein Publikum an, das als das härteste der Welt gilt. Moderator Linus, der mit bürgerlichem Namen Michael Büttgen heißt, ist der Einzige, der ihnen dabei zur Seite steht. Der 52-Jährige ist Sänger, Parodist und Entertainer.
Vor allem aber ist er der perfekte Moderator für eine Show wie diese: Er heizt die Zuschauer an, wenn sie zu ruhig sind, und er kann sie bremsen, ohne dass sich jemand bevormundet fühlt. "Ein hartes Publikum ist vollkommen okay", erklärt er vor dem ersten Auftritt seine Philosophie. "Aber herzlos darf es nicht sein."
Hinter der Bühne ist Büttgen ein anderer, ruhig, fast schon zurückhaltend wirkt er dann. In einer Stadt, in der alles, was mehr als zweimal stattgefunden hat, schon als Tradition gilt, ist eine Show, die es seit 43 Jahren gibt, fast schon ein Anachronismus. "Wir hatten gute Zeiten und weniger gute. Die lange Geschichte, die die Talentprobe hat, bedeutet ja nicht, dass sie ein Selbstläufer wäre. Auch wir müssen um jeden Zuschauer kämpfen", sagt Büttgen.
"Deutschland sucht den Superstar", "The Voice of Germany" und andere - bei all den TV-Formaten ist es auch für Barbara Lamprecht, die für das Casting zuständig ist, nicht einfach. "Damit die Show funktioniert, braucht man im Idealfall ein paar richtig gute Kandidaten und ein paar, die weniger talentiert sind. Die Mischung macht's - und wenn es sein muss, schaue ich auch gerne in Karaokebars vorbei, um Talente zu finden." Und ab und zu - das gibt sie zu - gebe es auch Bewerber, die man vor sich selbst schützen müsse.
Dabei wissen die Kandidaten ja, worauf sie sich einlassen. Dass sich die Jecken bei schlechten Darbietungen abwenden und irgendwelche Karnevalslieder anstimmen. Dass Puppen an selbst gezimmerten Galgen geschwenkt werden. Dass es früher auch erlaubt war, Tomaten auf die Bühne zu schmeißen - sofern diese nicht mehr in der Dose steckten. Die Teilnehmer nehmen das in Kauf, weil sie vor bis zu 8000 Zuschauern tun können, was angeblich vor allem Kölnern im Blut steckt: feiern. Und am liebsten natürlich sich selbst.
Das Publikum ist die eigentliche Show
Einer davon ist Freddy Behringer. Er will "Walking By Myself" von Gary Moore singen - und er ist unverkennbar Schwabe. Für den 53-jährigen Reutlinger ist es bereits das dritte Mal, dass er an der Show teilnimmt: "Seit 30 Jahren komme ich jedes Jahr zum Kölner Karneval - und die letzten Jahre habe ich das immer mit einem Auftritt verbunden. Wenn man einmal dabei war, wird das wie eine Sucht." Angst, so sagt er, kennt er nicht. Nur ein wenig Lampenfieber.
Die Sängerin, die vor ihm dran ist, mag das anders sehen. Vielleicht eine Minute lang singt sie einen Schlager von Andrea Berg, bis das Publikum ihr den Rücken zudreht und "Hey Baby" anstimmt. Wahrscheinlich möchte es der Interpretin so nur subtil mitteilen, dass der Auftritt jetzt nicht ganz optimal war. Vielleicht hat es aber auch einfach nur Lust, selbst zum Teil des Programms zu werden. Als die Kandidatin von der Bühne fliehen will, nimmt der Moderator sie in den Arm und stimmt mit ihr in den Gesang des Publikums ein. Solange, bis sie wieder lachen kann.

Flop! Hart darf das Publikum sein, aber nicht herzlos
Foto: Linus GeschkeMan muss kein grandioser Sänger oder eine geborene Rampensau sein, um hier bestehen zu können - aber es erleichtert die Sache ungemein. "Auch nach 23 Jahren als Moderator bin ich oftmals baff, wie treffend die Entscheidungen des Publikums sind", sagt Linus. "Die meisten Zuschauer haben ein extrem gutes Gespür entwickelt, wer etwas kann und wer auf der Bühne nur seinen Spaß haben will."
Courtney Deane-Boukhriss kann definitiv etwas. Sie hat sich den "Highway to Hell" von AC/DC ausgesucht. Warum gerade so eine Nummer, warum gerade so eine Bühne? "Es gibt doch keine bessere Gelegenheit, um zu zeigen: Auch als Mädchen kann man Eier haben!" Dann rockt sie die Halle, grüne Schilder mit der Aufschrift TOP gehen nach oben, das Karnevalsvolk tobt. Die Nummer, bei der sie sich komplett verausgabt, soll sie später bis ins Finale führen.
Rot-weißer Lokalpatriotismus
Kurz danach ein Bruch. Jetzt singt Moderator Linus. Und er singt die Hymne. Jene über den einzig wahren Fußballverein in der einzig wahren Stadt der Republik. "Mir stonn zu dir, FC Kölle!" Das sind gesungene Streicheleinheiten für rot-weiße Seelen. Die Hände liegen auf der Brust auf Herzhöhe, einigen steigen Tränen in die Augen. Sentimentalität statt Ausgelassenheit.
Auf Außenstehende mag dieser kollektive Stimmungsumschwung befremdlich wirken - aber wer Köln und den Karneval versteht und diese Mischung aus Feierlaune, kölschgeschwängerter Glückseligkeit und Lokalpatriotismus beherrscht, kann sich hier unsterblich machen. Das gilt für Talente ebenso wie für Moderatoren. "Ihr seid schon bekloppt", meint ein Mann aus dem Publikum, der extra aus Hamburg angereist ist. "Aber herrlich bekloppt!"
Gewonnen hat am Ende übrigens Vanina Niedieck aus Köln. Ganz ohne Karnevalslieder. Nur mit einer tollen Stimme. Und der singende Schwabe Freddy Behringer ist Zweiter geworden; zum dritten Mal. "Ich komme jetzt so lange hierhin, bis ich das Ding mal gewinne", sagt er. "Und dann kehre ich der Stadt den Rücken." Wenn er dabei nicht lachen würde, könnte man fast glauben, er würde das ernst meinen.
Dabei gibt es kaum einen Wettbewerb, bei dem die Frage nach Sieg oder Niederlage so unbedeutend ist wie bei Linus' Talentprobe. Nicht nur an Karneval. Und das, findet der Hamburger Besucher, ist selbst außerhalb der Kölner Stadtgrenzen ein schöner Gedanke.