
Nord-Ostsee-Kanal: Wettfahrt gegen die "Hanse Courage"
Radeln am Nord-Ostsee-Kanal Auf die Plätze, Leinen los!
Wie dieses Wettrennen ausgehen wird, weiß ich schon vorher: Ich werde gewinnen. Ich lasse mich nicht abschrecken von den 10.800 Pferdestärken, die meinen Gegner vorantreiben. Auch der Name flößt mir keine Angst ein, was heißt schon "Hanse Courage"? Der Einzige, der hier couragiert ins Derby geht, bin ja wohl ich, der Radler.
Mein Sparringspartner ist das größte der Schiffe, die frühmorgens in der Großen Seeschleuse von Brunsbüttel liegen - 140 Meter lang, 23 Meter breit, 11.000 Tonnen Tragfähigkeit. Allerdings dürfen Schiffe im Nord-Ostsee-Kanal (NOK) eh nicht schneller fahren als 15 km/h, da wird sogar geblitzt. Aber das bleibt unter uns.
Die Schleuse ist an diesem Tag in Betrieb, kein Schiebetor aus Kaiser Wilhelms Zeiten klemmt. Freie Fahrt also bis zur 99 Kilometer entfernten Schleuse Kiel-Holtenau für den Containerfrachter, auf den ich am Jachthafen warte. Ein schrilles Klingeln kündigt an, dass das Schleusentor sich gleich öffnet: Start um 8.30 Uhr.
Gemächlich schiebt sich "Hanse Courage" in den Kanal und nimmt langsam Fahrt auf. Schnell ein Foto, dann trete ich in die Pedale. Hier am Ufer auf dem Wirtschaftsweg werde ich nun bleiben, so lange ich kann, und den Frachter an einigen markanten Stellen ablichten.
Wer dicke Pötte gucken will, bleibt am Kanal
"Hanse Courage" wird die 900 bunten Blechboxen an Bord nach Kaliningrad und St. Petersburg bringen. Die Passage durch den sogenannten Kiel-Kanal verkürzt ihren Weg um rund 250 Seemeilen. Durch ihn werden jährlich 100 Millionen Tonnen Fracht von über 30.000 Schiffen durch den Kanal transportiert. Er ist damit eine der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraßen der Welt.
Der offizielle Fernradwanderweg , beworben als "Straße der Traumschiffe", hingegen führt 315 Kilometer lang in großen Schleifen immer wieder ins Landesinnere Schleswig-Holsteins. Doch wer dicke Pötte gucken will, bleibt am Kanal.
Mit 20 km/h rolle ich dahin und hänge "Hanse Courage" schnell ab. Erst an der Grünentaler Hochbrücke will ich sie, und zwar von oben, wiedersehen. Ich spekuliere darauf, dass das Feederschiff irgendwann in eine der zwölf Weichen muss, um auf entgegenkommende Schiffe zu warten, weil der Kanal für eine Begegnung zu eng ist. Doch als ich die beiden nächsten Parkbuchten Kudensee und Dückerswisch passiere, ahne ich, dass das nicht klappt: Hier warten die aus Kiel kommenden Schiffe auf die aus Brunsbüttel und nicht umgekehrt!
"Hanse Courage" wird also mit konstanter Geschwindigkeit durchfahren. Ich dann eben auch. Der Radweg am "spiegelgleichen Seekanal" ist gut ausgebaut, und Höhen sind nicht zu überwinden. Dummerweise fehlt just heute der übliche Schiebewind aus Westen - weshalb schlaue Radwanderer auch in Brunsbüttel starten. Stattdessen Ostwind von vorn.
Nach zwei Stunden steht für mich die erste "Bergwertung" an: Mit viel Kurbelei auf dem kleinsten Gang fahre ich in Serpentinen die 42 Meter zur Hochbrücke hinauf. Um die Ecke biegt gerade ein Schleppverband der "Verkehrsgruppe 7", denn heute wird die Ostsee-Fähre "Berlin" nach Dänemark überführt. Daher müssen also alle Schiffe von Kiel kommend in die Wartebuchten.
Im Windschatten der Fähre taucht auch schon "Hanse Courage" auf. Schnell das Beweisfoto, klick, und im großen Bogen - ein Umweg! - an den Kanal zurück. Das erste Mal sehe ich dort das Heck meines Gegners, muss beschleunigen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Das wahre Rennen hat begonnen.
Bier und Matjes an der Schiffsbegrüßungsanlage
20 Kilometer habe ich, um als Erster an der Lotsenstation Rüsterbergen zu sein. Normalerweise hätte ich an der Fähre Fischerhütte eine Pause im lauschigen Biergarten eingelegt oder die vielen Angler befragt, ob sie wirklich Fische aus diesem Graben ziehen. Oder ich hätte den Auswechselarbeiten an den Dalben in der Weiche Oldenbüttel länger zugeschaut, noch eine Weile mit anderen Radwanderern Klönschnack gehalten und mit Shipspottern gefachsimpelt. Nächstes Mal - ich muss weiter.
Kurz vor der Fähre Breiholz fahre ich eine Weile neben meinem Kontrahenten her, den Blick aufs Tacho: konstant 15 km/h. Ob Kapitän, Lotse oder Crew mich sehen? Die ahnen ja gar nicht, dass sie heute an einem Rennen teilnehmen.
An der Lotsenstation hat "Hanse Courage" mehr als die Hälfte der Strecke bewältigt. Ein Versetzboot rauscht vom Ufer ab, um den Lotsen für die Passage nach Kiel zu bringen und den bisherigen von Bord zu holen. Die Eisenbahnhochbrücke mit Schwebefähre in Rendsburg erreiche ich vor dem Schiff. Bitte lächeln! Klick.
Dort - aber am anderen Ufer - befindet sich die Schiffsbegrüßungsanlage . Dort werden Fahnen gedippt und Nationalhymnen abgespielt (für meinen Rivalen die von Antigua Barbuda), dort gibt es Kaffee und Kuchen, Bier und Matjes und vom Schiffsansager Geschichten und Erläuterungen für das zahlreiche Publikum an Sommertagen. Für mich heute aber nicht.
Ab hier ist der Radfahrer gegenüber dem Schiff benachteiligt. Erstens beginnen nun lange Umwege, wie gleich hier in Rendsburg wegen der am Kanal gelegenen Werften. Und bei Königsförde führt die Route sogar ins hügelige Landesinnere, ob man will oder nicht. Am Kanal zurück, wartet eine anstrengende Holperstrecke mit abgehobenen Platten und Schotter, die mich ausbremst. Auch die Kräfte schwinden nach fünfstündiger Fahrt in der heißen Sommerluft. Als an der letzten Autofähre vor Kiel "Hanse Courage" endlich vor mir auftaucht, will ich nur noch eins: mein Rennen beenden und gewinnen.
Beim Einlaufen in die Schleuse Holtenau schieße ich mein vorletztes Beweisfoto, radele die letzten 500 Meter Strecke den Minihügel zum Leuchtturm hinauf. Tachostand: 112 Kilometer! Den Bierdurst gelöscht, den Hunger von einer Portion Labskaus gestillt, erblicke ich "Hanse Courage" gegen 17 Uhr in der Kieler Bucht ein letztes Mal. Klick.