
Segelflug-Blog: Landung auf dem Acker
Unerbittlich kommen sie näher: Statt der Graspiste meines Flugplatzes sehe ich braune Ackerfurchen. In der Theorie bin ich die Situation unzählige Male durchgegangen, doch das ist jetzt der Ernstfall: Außenlandung!
Wie konnte es so weit kommen? Ganz einfach: In den letzten Monaten meiner Ausbildung hatte ich immer wieder gegrübelt: Was kommt danach? Wie soll es weitergehen? Was ist das nächste Ziel? Diese Frage beschäftigte mich eigentlich das ganze letzte Jahr, auch bei den Flügen nach der Ausbildung mit meinem eigenen Flugzeug. Denn ich merkte schnell: einfach nur lange in der Luft bleiben, in der Nähe des Heimatplatzes - das erfüllt mich nicht.
Das war am Anfang schön, als der Schulalltag aus unzähligen, kurzen Starts bestand, ich kaum zehn Minuten am Stück am Himmel blieb. Da waren die ersten 20 Minuten, die erste halbe Stunde, die erste Stunde, die ich den Elementen abrang, ein berauschendes Erlebnis. Doch irgendwann kannte ich den Himmel über meinem Flugplatz, war etliche Male bis zur Elbe vor- und zurückgeflogen und einmal sogar darüber hinaus.
Was mich faszinierte: Streckenflug. Hunderte Kilometer weit fliegen, ohne Motor. Nur getragen von der Energie der Sonne, die die Erde erwärmt. Es scheint unmöglich, das merkte ich immer an den Reaktionen von Familie und Freunden: Die gucken vollkommen ungläubig, wenn ich davon erzähle. Aber es ist belegt: Jedes Jahr gibt es allein in Deutschland zigtausend Streckenflüge, nicht wenige mehr als 1000 Kilometer weit. 1000 Kilometer, ohne dass (außer einmal kurz beim Start) ein Tropfen Benzin verfeuert würde.
Wie weit würde ich auf diese lautlose, ruhige Art kommen? Das wollte ich in einem Streckenfluglager herausfinden, zu dem ich Mitte Mai mit ein paar erfahrenen Streckenfliegern und ein paar Frischlingen aus meinem Verein aufgebrochen war. Eine Woche nichts als fliegen, und das möglichst weit. Vorausgesetzt, das Wetter spielte mit.
Ich hatte den Winter über so ziemlich alles gelesen, was es zu dem Thema an Lektüre gibt. Hatte versucht, mich in der Theorie darauf vorzubereiten, zumindest ein paar Basisstrategien in meinem Hirn zu verankern. Zum Beispiel die, dass das Erkurbeln von Höhe auf Streckenabschnitten mit Gegenwind nur in starker Thermik Sinn macht: Weil einen der Gegenwind nämlich, während man mühsam Höhe erkämpft, wieder ein Stück des Weges zurücktreibt. Man beim Kurbeln in einem sogenannten Gegenwindbart unter dem Strich sogar Höhe verlieren kann.
Eines hatte ich schon mal verstanden, zumindest theoretisch: Mit einem Segelflugzeug Strecke zu fliegen, bedeutet permanentes Abwägen und Anpassen der Ziele an die gerade herrschenden Verhältnisse. Vor allem die Wetterverhältnisse: Das, was die Vorhersage am Morgen versprochen hat, kann drei Stunden später schon nicht mehr stimmen. Dann muss man die Route ändern, woanders hinfliegen, wo das Wolkenbild weiterhin gute Thermik verspricht, nicht stumpf in das schlechte Wetter hinein. Diese strategische Komponente reizte mich. Würde es mir gelingen, die richtigen Entscheidungen zu treffen?
Bei meinem ersten Tag in unserem "Streckenfluglager" definitiv nicht. Sonst würde jetzt nicht der Acker unter mir immer näher kommen. Ich war vor einer halben Stunde losgeflogen und hatte recht schnell einen Bart gefunden, der mich auf 1100 Meter Höhe brachte. Dann fehlte nur noch eines zum Losfliegen: mein Teampartner. Wir hatten uns am Morgen beim Briefing zum Teamflug verabredet. Immer zu zweit, ein erfahrener Pilot und ein Neuling.
Mein erfahrener Teampartner aber war über Funk nicht zu erreichen. Ich flog zurück zum Flugplatz, wo ich ihn vermutete, konnte ihn aber weder entdecken noch über Funk erreichen. Also flog ich zurück in Richtung der Wolke, die mich zuvor in die Höhe katapultiert hatte. Die aber war nicht mehr da, und mein Herumtasten in der Gegend ergab nur Sinken, kein Steigen.
Von meiner komfortablen Höhe war nichts mehr übrig: 500 Meter zeigte mein Höhenmesser. 500 Meter, da sollte man sich nach einem Außenlandefeld umschauen. Die Wahl fiel nicht schwer: In der Nähe meiner Position war ein großer, gepflügter Acker ohne Stromleitungen im Anflugbereich oder auf dem Feld. Vor allem war er in Windrichtung gelegen.
Und darüber stand sogar noch eine Wolke. Sie konnte ich gefahrlos anfliegen, vielleicht markierte sie ja den letzten, rettenden Aufwind. Mitnichten. Statt Steigen gab es nur Saufen, wie die Segelflieger sagen.
Und jetzt sehe ich aus dem Augenwinkel die Häuser der kleinen Ortschaft am Rand des Feldes unter mir hinwegzischen. Keine 50 Meter unter meiner Tragfläche. In einem Vorgarten hängt an einem Baum eine Schaukel, so etwas wollte ich als Kind immer haben. Ich bin gleichzeitig aufgeregt und ruhig, dankbar über die Routine, die das immer gleiche Wiederholen von Abläufen schafft. Denn die Landung auf dem Acker läuft nach dem gleichen Schema ab wie die Landung auf einer Piste - nur dass der Untergrund ein anderer ist.
Vielleicht einen minimalen Tick zu schnell schwebe ich an, fange meine SZD-55 in einem sanften Bogen kurz vor dem Boden ab und lasse sie noch ein wenig ausschweben. Das Spornrand im Heck berührt den Boden, dann setzt das Hauptrad unter mir auf - und ich hänge augenblicklich in den Gurten. Der Boden unter mir ist so weich, dass das Flugzeug innerhalb weniger Meter von 100 auf 0 km/h abbremst.
Der Schwung ist dabei so groß, dass der Flieger während der letzten Meter auf die Nase geht und mit der Rumpfspitze über den Acker schrammt. Näslein in die Erde, Schwänzchen in die Höhe. Es gibt ein hässliches, schleifendes Geräusch, dann steht der Flieger, das Heck plumpst auf die Erde zurück. Es ist still, nur die Vögel zwitschern. Ich öffne die Haube und steige aus.
Meine erste Außenlandung ist geglückt. Der Flieger ist heil, ich bin heil. Und warum diese Außenlandung gleichzeitig unnötig war und wichtig für mich, das erzähle ich in der nächsten Folge.